Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgangrömisch eins. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend BF), ein türkischer Staatsangehöriger, dem moslemischen Glauben und der kurdischen Volksgruppe zugehörig, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. 1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend BF), ein türkischer Staatsangehöriger, dem moslemischen Glauben und der kurdischen Volksgruppe zugehörig, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am römisch XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Anlässlich der Erstbefragung am XXXX gab der BF zu seinen Antragsgründen an, dass er verheiratet sei und vier Kinder habe. Sowohl seine Ehefrau und seine Kinder als auch seine Eltern und die Mehrzahl seiner Geschwister seien noch im Herkunftsland aufhältig. Zum Ausreisegrund befragt, verwies der BF auf allgemeine wirtschaftliche bzw. finanzielle Gründe sowie auf die insgesamt schwierige Situation für Kurden. Er habe viele Schulden aufgenommen und es drohe ihm bei Rückkehr Lebensgefahr durch seine Gläubiger. 2. Anlässlich der Erstbefragung am römisch XXXX gab der BF zu seinen Antragsgründen an, dass er verheiratet sei und vier Kinder habe. Sowohl seine Ehefrau und seine Kinder als auch seine Eltern und die Mehrzahl seiner Geschwister seien noch im Herkunftsland aufhältig. Zum Ausreisegrund befragt, verwies der BF auf allgemeine wirtschaftliche bzw. finanzielle Gründe sowie auf die insgesamt schwierige Situation für Kurden. Er habe viele Schulden aufgenommen und es drohe ihm bei Rückkehr Lebensgefahr durch seine Gläubiger.
3. Mit Bescheid des AMS XXXX vom XXXX wurde für den BF gem. § 4 AuslBG unter Auflagen gem. § 8 Abs. 1 AuslBG eine Beschäftigungsbewilligung vom XXXX als Küchengehilfe im Ausmaß von 40 Wochendienststunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von EUR XXXX erteilt. 3. Mit Bescheid des AMS römisch XXXX vom römisch XXXX wurde für den BF gem. Paragraph 4, AuslBG unter Auflagen gem. Paragraph 8, Absatz eins, AuslBG eine Beschäftigungsbewilligung vom römisch XXXX als Küchengehilfe im Ausmaß von 40 Wochendienststunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von EUR römisch XXXX erteilt.
4. Am XXXX erfolgte eine Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Dort gab der BF an, in XXXX geboren und aufgewachsen zu sein; seit dem 20. Lebensjahr habe er in Istanbul gelebt und seinen Lebensunterhalt als Koch verdient. Er sei verheiratet und habe vier Kinder, seine Frau und seine Kinder seien im Herkunftsland geblieben. Im Herkunftsland seien weiters seine Eltern und Geschwister aufhältig, die seine Ehefrau finanziell unterstützen würden. Zu seinen Ausreisegründen führte der BF Probleme in Verbindung mit seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit, ökonomische Gründe und Bildungsprobleme an. Hauptgrund für seine Ausreise sei die Diskriminierung der Kurden gewesen und er wolle nicht, dass seine Kinder die gleiche Unterdrückung und Ausgrenzung wie er und seine Eltern erleben müssten. Bei Rückkehr fürchte er Bedrohung durch seine Gläubiger bzw. die Mafia, da er Geld geliehen habe. Wenn er dieses nicht zurückzahlen könne, bestehe die Gefahr, von diesen Leuten umgebracht zu werden. In Österreich verfüge er über eine Beschäftigungsbewilligung und sei er als Koch erwerbstätig. Er besuche einen Deutschkurs und wolle, dass seine Kinder in Österreich eine Schulbildung bekommen würden. 4. Am römisch XXXX erfolgte eine Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Dort gab der BF an, in römisch XXXX geboren und aufgewachsen zu sein; seit dem 20. Lebensjahr habe er in Istanbul gelebt und seinen Lebensunterhalt als Koch verdient. Er sei verheiratet und habe vier Kinder, seine Frau und seine Kinder seien im Herkunftsland geblieben. Im Herkunftsland seien weiters seine Eltern und Geschwister aufhältig, die seine Ehefrau finanziell unterstützen würden. Zu seinen Ausreisegründen führte der BF Probleme in Verbindung mit seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit, ökonomische Gründe und Bildungsprobleme an. Hauptgrund für seine Ausreise sei die Diskriminierung der Kurden gewesen und er wolle nicht, dass seine Kinder die gleiche Unterdrückung und Ausgrenzung wie er und seine Eltern erleben müssten. Bei Rückkehr fürchte er Bedrohung durch seine Gläubiger bzw. die Mafia, da er Geld geliehen habe. Wenn er dieses nicht zurückzahlen könne, bestehe die Gefahr, von diesen Leuten umgebracht zu werden. In Österreich verfüge er über eine Beschäftigungsbewilligung und sei er als Koch erwerbstätig. Er besuche einen Deutschkurs und wolle, dass seine Kinder in Österreich eine Schulbildung bekommen würden.
5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom römisch XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkt römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt römisch VI.).
Das BFA begründete seine abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der BF sein Heimatland aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe und um seinen Kindern eine bessere Schulbildung zu ermöglichen.
Spruchpunkt II. begründete die Behörde zusammengefasst damit, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd § 8 Abs 1 Z 1 AsylG zu verneinen sei.Spruchpunkt römisch II. begründete die Behörde zusammengefasst damit, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG zu verneinen sei.
Weiters hielt das BFA fest, dass die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung für den BF keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle und dessen Abschiebung zulässig sei und wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.Weiters hielt das BFA fest, dass die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung für den BF keinen Eingriff in Artikel 8, EMRK darstelle und dessen Abschiebung zulässig sei und wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine Vertretung binnen offener Frist vollumfänglich Beschwerde. Zu deren Inhalt im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise: VwGH 16.12.1999, 99/20/0524).
Es wurden die Anträge gestellt, die Rechtsmittelbehörde möge den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass
-) dem Beschwerdeführer Asyl gewährt werde;
-) ihm allenfalls subsidiärer Schutz gewährt werde;
-) allenfalls ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürden Gründen erteilt werde;
-) keine Rückkehrentscheidung erlassen werde;
-) festgestellt werde, dass die Abschiebung in die Türkei unzulässig sei;
-) eine mündliche Verhandlung anberaumt werde.
Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst die politische Verfolgung des BF bzw. seine Verfolgung wegen seiner ethnischen Abstammung sowie seine Verfolgung durch die (Gläubiger-)Mafia geltend gemacht.
7. Am 03.05.2023 wand hg. eine mündliche Verhandlung statt, zu der die Verfahrensparteien geladen wurden.
8. Hinsichtlich des Verfahrensganges und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
9. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den behördlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des BF, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde. Einsicht genommen wurde zudem in die vom BFA in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des BF, die dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegen sowie durch die Durchführung der genannten Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Verfahrensbestimmungen
1.1. Zuständigkeit der entscheidenden Einzelrichterin
1.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.1.1.1. Gemäß Paragraph 7, Absatz eins, Ziffer eins, des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 87 aus 2012, idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.
1.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.1.1.2. Gemäß Paragraph 6, des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 10 aus 2013,, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Aufgrund der geltenden Geschäftsverteilung wurde der gegenständliche Verfahrensakt der erkennenden Einzelrichterin zugewiesen, woraus sich deren Zuständigkeit ergibt.
2. Feststellungen (Sachverhalt):
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers wird festgestellt:
2.1.1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und moslemischen Glaubens. Seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer ist in XXXX geboren und aufgewachsen; er lebte ab seinem 20. Lebensjahr in Istanbul und verdiente dort seinen Lebensunterhalt als Koch. Der Beschwerdeführer ist in römisch XXXX geboren und aufgewachsen; er lebte ab seinem 20. Lebensjahr in Istanbul und verdiente dort seinen Lebensunterhalt als Koch.
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat vier Kinder; die Ehefrau und die Kinder sind nach wie vor in Istanbul aufhältig. Weitere Familienangehörige (Eltern und Geschwister) sind - bis auf zwei Brüder, die in Spanien bzw. Polen leben - ebenfalls in der Türkei aufhältig. Die Ehefrau und die Kinder des BF werden vom Vater bzw. der Herkunftsfamilie des BF unterstützt. Der BF steht mit seinen Angehörigen in Kontakt.
2.1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat Türkei wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit von staatlichen Behörden verfolgt wurde oder pro futuro verfolgt wird. Ebensowenig kann eine Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund von Schulden bei Privatpersonen festgestellt werden.
Es können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, in der Türkei einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Türkei in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt wäre.
Zum Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat festgestellt werden.
2.1.3. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten oder sonstigen Angehörigen. Zu in Österreich lebenden Cousins seiner Ehefrau besteht kein Abhängigkeitsverhältnis. Er ist gesund und arbeitsfähig. Der BF ist in Österreich seit XXXX erwerbstätig. Er ist kein Mitglied in einem Verein oder sonstigen Organisation. Der BF besuchte von XXXX einen Deutschkurs; er hat bis zum hg. Entscheidungszeitpunkt keine Deutschprüfung absolviert und verfügt über wenige Deutschkenntnisse. Er hat ein Empfehlungsschreiben vorgelegt. 2.1.3. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten oder sonstigen Angehörigen. Zu in Österreich lebenden Cousins seiner Ehefrau besteht kein Abhängigkeitsverhältnis. Er ist gesund und arbeitsfähig. Der BF ist in Österreich seit römisch XXXX erwerbstätig. Er ist kein Mitglied in einem Verein oder sonstigen Organisation. Der BF besuchte von römisch XXXX einen Deutschkurs; er hat bis zum hg. Entscheidungszeitpunkt keine Deutschprüfung absolviert und verfügt über wenige Deutschkenntnisse. Er hat ein Empfehlungsschreiben vorgelegt.
Im Strafregisterauszug scheinen keine Verurteilungen des Beschwerdeführers auf und ist dieser unbescholten.
Der Beschwerdeführer verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine relevanten Bindungen zu Österreich. Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
2.2. Zur Lage im Herkunftsstaat wird festgestellt:
2.2.1.
COVID-19-Pandemie
Letzte Änderung: 19.09.2022
Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://ww w.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda 7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Während der Covid-19-Pandemie wurde das staatliche Gesundheitssystem extrem belastet, konnte aber seine Aufgaben bisher weitgehend erfüllen. Es häufen sich Berichte über personelle Erschöpfung und beschränkte Behandlungsmöglichkeiten (AA 28.7.2022, S. 21).
Mit Stand Ende August 2022 verzeichnete die Türkei offiziell rund 100.400 Menschen, die an den Folgen von COVID-19 verstarben (JHU 31.8.2022). Bereits Mitte April 2022 sah die türkische Ärztekammer (TTB) die Zahl der COVID-19-Toten nach zwei Jahren Pandemie allerdings bei geschätzten 274.000 im Widerspruch zu den rund 98.000 zu jenem Zeitpunkt Verstorbenen (bei insgesamt circa 14,78 Millionen Fällen), welche die Behörden vermeldeten. Die Berechnungen der Ärztekammer erfolgten anhand der Übersterblichkeitsrate (Ahval 14.4.2022). Angesichts der erneuten Sommerwelle im Juli 2022, zurückzuführen auf das Ende fast aller Maßnahmen, erneuerte die Ärztekammer den Vorwurf falscher COVID-19-Infektionszahlen. Die tatsächliche Infektionszahl wäre mit 235.000 demnach doppelt so hoch wie die vom Gesundheitsministerium angegebene (Ahval 16.7.2022).
Am 11.3.2020 verkündete der türkische Gesundheitsminister, Fahrettin Koca, die Nachricht vom tags zuvor ersten bestätigten Corona-Fall (DS 11.3.2020). Erst am 25.11.2020 erklärte Gesundheitsminister Koca die Aufnahme aller positiv auf COVID-19 getesteten Personen in die Statistik. Ende Juli 2020 hatte das Gesundheitsministerium nämlich damit begonnen, die Corona-Infektionszahlen anzupassen, indem nur noch diejenigen, die tatsächlich Symptome entwickelten und einer Behandlung bedurften, statistisch gemeldet wurden. Dadurch blieben die offiziellen Zahlen in der Türkei im internationalen Vergleich niedrig. Auf diese Weise seien nach Medienberichten bis Ende Oktober 2020 bis zu 350.000 Corona-Infektionen verschwiegen worden (BAMF 30.11.2020, S.9).
Beginnend mit 1.6.2022 wurde das Tragen von Masken sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen sowie im öffentlichen Verkehr aufgehoben. In Gesundheitseinrichtungen ist das Tragen von Masken aber noch vorgeschrieben. Per Dekret vom 1.6.2022 wurde bei Einreise in die Türkei die Verpflichtung zur Vorlage eines negativen PCR-Tests bzw. eines negativen Antigentests bei Nicht-Vorweis einer Impfung oder Genesung aufgehoben (WKO 21.7.2022).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_ abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28. 07.2022.pdf, Zugriff am 23.8.2022
•Ahval (16.7.2022): Turkey’s real COVID-19 figures twice the official numbers - top medical association, https://ahvalnews.com/pandemic/turkeys-real-covid-19-figures-twice-official-numbers-top -medical-association , Zugriff 12.8.2022
•Ahval (14.4.2022): More than a quarter of a million Turks killed by COVID-19, medical group saysTurkey, https://ahvalnews.com/turkey-covid-19/more-quarter-million-turks-killed-covid-19-m edical-group-says , Zugriff 15.4.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (30.11.2020): Briefing Notes, KW 49, COVID-19-Zahlen, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationsz
entrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw49-2020.pdf?blob=publicationFile&v=4 , Zugriff
28.2.2022
•DS - Daily Sabah (11.3.2020): Turkey remains firm, calm as first coronavirus case confirmed, https://www.dailysabah.com/turkey/turkey-remains-firm-calm-as-first-coronavirus-case-confirmed /news , Zugriff 28.2.2022
•JHU - Johns Hopkins University & Medicine (31.8.2022): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus. jhu.edu/map.html , Zugriff 31.8.2022
•WKO - Wirtschaftskammer Österreich (21.7.2022): Coronavirus: Situation in der Türkei, https: //www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-tuerkei.html#heading_Schutzmassnahm en_und_Geschaeftsleben , Zugriff 31.8.2022
Politische Lage
Letzte Änderung: 19.09.2022
Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem „Dauerwahlkampf“ sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Die Gesellschaft bleibt stark polarisiert. Unter der Bevölkerung nimmt die Unzufriedenheit mit Präsident Erdogan und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) zu (ÖB 30.11.2021, S.4). Teilweise unter Polizeigewalt aufgelöste Demonstrationen und Proteste gegen den Austritt aus der Istanbul-Konvention und Femizide (ZO 27.3.2021, Standard 1.7.2021), studentischerseits gegen die Einmischung der Politik an den Universitäten (HRW 6.4.2021, RND 15.7.2021) sowie gegen Jahresende 2021 gegen die rapide Teuerung und die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage prägten zuletzt das Land (DW 24.11.2021, DF 12.12.2021).
Die Türkei ist eine konstitutionelle Präsidialrepublik und laut Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Staats- und zugleich Regierungschef ist seit Einführung des präsidentiellen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident. Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 28.7.2022, S. 5; vgl. DFAT 10.9.2020, S. 14).Die Türkei ist eine konstitutionelle Präsidialrepublik und laut Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Staats- und zugleich Regierungschef ist seit Einführung des präsidentiellen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident. Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 28.7.2022, S. 5; vergleiche DFAT 10.9.2020, S. 14).
Das Funktionieren der demokratischen Institutionen weist gravierende Mängel auf. Der Demokratieabbau hat sich ebenso fortgesetzt wie die tiefe politische Polarisierung (EC 19.10.2021, S.3, 10f). Die türkische Gesellschaft ist tief gespalten zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022, S. 43). Entgegen den Behauptungen der Regierungspartei AKP zugunsten des neuen präsidentiellen Regierungssystems ist nach dessen Einführung das Parlament geschwächt, die Gewaltenteilung ausgehöhlt, die Justiz politisiert und sind die Institutionen verkrüppelt. Zudem herrschen autoritäre Praktiken (SWP 4.2021, S. 2). Das Europäische Parlament zeigte sich in seiner Entschließung vom 19.5.2021 „beunruhigt darüber, dass sich die autoritäre Auslegung des Präsidialsystems konsolidiert", und „dass sich die Macht nach der Änderung der Verfassung nach wie vor in hohem Maße im Präsidentenamt konzentriert, nicht nur zum Nachteil des Parlaments, sondern auch des Ministerrats selbst, weshalb keine solide und effektive Gewaltenteilung zwischen der Exekutive, der Legislative und der Judikative gewährleistet ist" (EP 19.5.2021, S.20/Pt. 55). Die exekutive Gewalt ist beim Präsidenten konzentriert. Dieser verfügt überdies über umfangreiche legislative Kompetenzen und weitgehenden Zugriff auf die Justizbehörden (ÖB 30.11.2021, S. 5). Beschränkungen der für eine effektive demokratische Rechenschaftspflicht der Exekutive erforderlichen gegenseitigen Kontrolle und insbesondere die fehlende Rechenschaftspflicht des Präsidenten bleiben ebenso bestehen wie der zunehmende Einfluss der Präsidentschaft auf staatliche Institutionen und Regulierungsbehörden. Das Parlament wird marginalisiert, seine Gesetzgebungs- und Kontrollfunktionen weitgehend untergraben und seine Vorrechte immer wieder durch Präsidentendekrete verletzt (EP 19.5.2021, S. 20/Pt. 55; vgl. EC 19.10.2021, S. 3, 10f). Die Angriffe auf die Oppositionsparteien wurden fortgesetzt, u.a. indem das Verfassungsgericht die Annahme einer Anklage durch den Generalstaatsanwalt des Kassationsgerichts entgegennahm, die darauf abzielt, die zweitgrößte Oppositionspartei zu verbieten, was zur Schwächung des politischen Pluralismus in der Türkei beigetragen hat (EC 19.10.2021 S. 3, 10f).Das Funktionieren der demokratischen Institutionen weist gravierende Mängel auf. Der Demokratieabbau hat sich ebenso fortgesetzt wie die tiefe politische Polarisierung (EC 19.10.2021, S.3, 10f). Die türkische Gesellschaft ist tief gespalten zwischen den Anhängern der AKP und denjenigen, die für ein demokratischeres und sozial gerechteres Regierungssystem eintreten (BS 23.2.2022, S. 43). Entgegen den Behauptungen der Regierungspartei AKP zugunsten des neuen präsidentiellen Regierungssystems ist nach dessen Einführung das Parlament geschwächt, die Gewaltenteilung ausgehöhlt, die Justiz politisiert und sind die Institutionen verkrüppelt. Zudem herrschen autoritäre Praktiken (SWP 4.2021, S. 2). Das Europäische Parlament zeigte sich in seiner Entschließung vom 19.5.2021 „beunruhigt darüber, dass sich die autoritäre Auslegung des Präsidialsystems konsolidiert", und „dass sich die Macht nach der Änderung der Verfassung nach wie vor in hohem Maße im Präsidentenamt konzentriert, nicht nur zum Nachteil des Parlaments, sondern auch des Ministerrats selbst, weshalb keine solide und effektive Gewaltenteilung zwischen der Exekutive, der Legislative und der Judikative gewährleistet ist" (EP 19.5.2021, S.20/Pt. 55). Die exekutive Gewalt ist beim Präsidenten konzentriert. Dieser verfügt überdies über umfangreiche legislative Kompetenzen und weitgehenden Zugriff auf die Justizbehörden (ÖB 30.11.2021, S. 5). Beschränkungen der für eine effektive demokratische Rechenschaftspflicht der Exekutive erforderlichen gegenseitigen Kontrolle und insbesondere die fehlende Rechenschaftspflicht des Präsidenten bleiben ebenso bestehen wie der zunehmende Einfluss der Präsidentschaft auf staatliche Institutionen und Regulierungsbehörden. Das Parlament wird marginalisiert, seine Gesetzgebungs- und Kontrollfunktionen weitgehend untergraben und seine Vorrechte immer wieder durch Präsidentendekrete verletzt (EP 19.5.2021, S. 20/Pt. 55; vergleiche EC 19.10.2021, S. 3, 10f). Die Angriffe auf die Oppositionsparteien wurden fortgesetzt, u.a. indem das Verfassungsgericht die Annahme einer Anklage durch den Generalstaatsanwalt des Kassationsgerichts entgegennahm, die darauf abzielt, die zweitgrößte Oppositionspartei zu verbieten, was zur Schwächung des politischen Pluralismus in der Türkei beigetragen hat (EC 19.10.2021 S. 3, 10f).
Die Konzentration der Exekutivgewalt in einer Person bedeutet, dass der Präsident gleichzeitig die Befugnisse des Premierministers und des Ministerrats übernimmt, die beide durch das neue System abgeschafft wurden (Art.8). Die Minister werden nun nicht mehr aus den Reihen der Parlamentarier, sondern von außen gewählt; sie werden vom Präsidenten ohne Beteiligung des Parlaments ernannt und entlassen und damit auf den Status eines politischen Staatsbeamten reduziert (SWP 4.2021, S. 9). Unter dem Präsidialsystem sind viele Regulierungsbehörden und die Zentralbank direkt mit dem Präsidentenamt verbunden, wodurch deren Unabhängigkeit untergraben wird. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der „Souveräne Wohlfahrtsfonds", sind dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019, S.14).Die Konzentration der Exekutivgewalt in einer Person bedeutet, dass der Präsident gleichzeitig die Befugnisse des Premierministers und des Ministerrats übernimmt, die beide durch das neue System abgeschafft wurden (Artikel ,). Die Minister werden nun nicht mehr aus den Reihen der Parlamentarier, sondern von außen gewählt; sie werden vom Präsidenten ohne Beteiligung des Parlaments ernannt und entlassen und damit auf den Status eines politischen Staatsbeamten reduziert (SWP 4.2021, S. 9). Unter dem Präsidialsystem sind viele Regulierungsbehörden und die Zentralbank direkt mit dem Präsidentenamt verbunden, wodurch deren Unabhängigkeit untergraben wird. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der „Souveräne Wohlfahrtsfonds", sind dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019, S.14).
Das System des öffentlichen Dienstes ist weiterhin von Parteinahme und Politisierung geprägt. In Verbindung mit der übermäßigen präsidialen Kontrolle auf jeder Ebene des Staatsapparats hat dies zu einem allgemeinen Rückgang von Effizienz, Kapazität und Qualität der öffentlichen Verwaltung geführt (EP 19.5.2021, S. 20, Pt. 57). Insgesamt fehlt es an einer umfassenden Reformagenda für die öffentliche Verwaltung. Nach wie vor bestehen Bedenken hinsichtlich der Rechenschaftspflicht der Verwaltung. Es fehlt der politische Wille zur Reform. Die Politikgestaltung ist weder faktenbasiert noch partizipativ (EC 19.10.2021, S. 18). Der öffentliche Dienst wurde politisiert, insbesondere durch weitere Ernennungen von politischen Beauftragten auf der Ebene hoher Beamter und die Senkung der beruflichen Anforderungen an die Amtsinhaber (EC 6.10.2020 S. 12).
Am 16.4.2017 stimmten 51,4 % der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE/OSCE) und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef, setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terror-Sympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).Am 16.4.2017 stimmten 51,4 % der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vergleiche HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE/OSCE) und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef, setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terror-Sympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).
Der Europarat leitete im April 2017 im Zuge der Verfassungsänderung, welche zur Errichtung des Präsidialsystems führte, ein parlamentarisches Monitoring über die Türkei als dessen Mitglied ein, um mögliche Fehlentwicklungen aufzuzeigen. PACE stellte in ihrer Resolution vom April 2021 fest, dass zu den schwerwiegendsten Problemen die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, das Fehlen ausreichender Garantien für die Gewaltenteilung und die gegenseitige Kontrolle, die Einschränkung der Meinungs- und Medienfreiheit, die missbräuchliche Auslegung der Anti-Terror-Gesetzgebung, die Nichtumsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die Einschränkung des Schutzes der Menschen- und Frauenrechte und die Verletzung der Grundrechte von Politikern und (ehemaligen) Parlamentsmitgliedern der Opposition, Rechtsanwälten, Journalisten, Akademikern und Aktivisten der Zivilgesellschaft gehören (PACE 22.4.2021, S. 1; vgl. EP 19.5.2021, S. 7-14).Der Europarat leitete im April 2017 im Zuge der Verfassungsänderung, welche zur Errichtung des Präsidialsystems führte, ein parlamentarisches Monitoring über die Türkei als dessen Mitglied ein, um mögliche Fehlentwicklungen aufzuzeigen. PACE stellte in ihrer Resolution vom April 2021 fest, dass zu den schwerwiegendsten Problemen die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, das Fehlen ausreichender Garantien für die Gewaltenteilung und die gegenseitige Kontrolle, die Einschränkung der Meinungs- und Medienfreiheit, die missbräuchliche Auslegung der Anti-Terror-Gesetzgebung, die Nichtumsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die Einschränkung des Schutzes der Menschen- und Frauenrechte und die Verletzung der Grundrechte von Politikern und (ehemaligen) Parlamentsmitgliedern der Opposition, Rechtsanwälten, Journalisten, Akademikern und Aktivisten der Zivilgesellschaft gehören (PACE 22.4.2021, S. 1; vergleiche EP 19.5.2021, S. 7-14).
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteilisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die noch unter der Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Ende März 2022 wurde das Wahlgesetz geändert. Die Zehn-Prozent-Hürde für den Eintritt einer Partei ins Parlament, eingeführt von den Generälen nach dem Putsch von 1980, wurde auf sieben Prozent gesenkt. Diese Änderung wurde weithin einerseits als Versuch gewertet, die Opposition zu spalten, und andererseits der schwächelnden ultranationalistischen MHP, welche die AKP-Regierung stützt, den Wiedereinzug ins Parlament zu erleichtern. Anwendung findet das Gesetz nach einer Frist von einem Jahr (AM 4.4.2022; vgl. AP 31.3.2022).Ende März 2022 wurde das Wahlgesetz geändert. Die Zehn-Prozent-Hürde für den Eintritt einer Partei ins Parlament, eingeführt von den Generälen nach dem Putsch von 1980, wurde auf sieben Prozent gesenkt. Diese Änderung wurde weithin einerseits als Versuch gewertet, die Opposition zu spalten, und andererseits der schwächelnden ultranationalistischen MHP, welche die AKP-Regierung stützt, den Wiedereinzug ins Parlament zu erleichtern. Anwendung findet das Gesetz nach einer Frist von einem Jahr (AM 4.4.2022; vergleiche AP 31.3.2022).
Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan mit 52,6 % der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6 % der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-säkulare Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6 % bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10 % bzw. 43 Mandate. Dritt- stärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7 % und 67 Mandaten (HDN 27.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem damals noch geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt, da die regierende AKP erfolgreich eine Annullierung durch die Hohe Wahlkommission am 6.5.2019 erwirkte (FAZ 23.6.2019; vgl. Standard 23.6.2019). Diese Wahl war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem Imamoglu, gewann die wiederholte Wahl mit 54 %. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Yildirim, erreichte 45 % (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert als regierende Partei in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdogan bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirtas, seine Unterstützung für Imamoglu betonte (NZZ 23.6.2019).Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt, da die regierende AKP erfolgreich eine Annullierung durch die Hohe Wahlkommission am 6.5.2019 erwirkte (FAZ 23.6.2019; vergleiche Standard 23.6.2019). Diese Wahl war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem Imamoglu, gewann die wiederholte Wahl mit 54 %. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Yildirim, erreichte 45 % (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert als regierende Partei in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdogan bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirtas, seine Unterstützung für Imamoglu betonte (NZZ 23.6.2019).
Das Präsidialsystem hat die legislative Funktion des Parlaments geschwächt, insbesondere aufgrund der weitverbreiteten Verwendung von Präsidentendekreten und -entscheidungen (EC 19.10.2021, S. 11; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 5). Präsidentendekrete können nur noch vom Verfassungsgericht aufgehoben werden (ÖB 30.11.2021, S. 5) und zwar nur noch durch eine Klage von einer der beiden größten Parlamentsfraktionen oder von einer Gruppe von Abgeordneten, die ein Fünftel der Parlamentssitze repräsentieren (SWP 4.2021, S. 9). Parlamentarier haben keinDas Präsidialsystem hat die legislative Funktion des Parlaments geschwächt, insbesondere aufgrund der weitverbreiteten Verwendung von Präsidentendekreten und -entscheidungen (EC 19.10.2021, S. 11; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 5). Präsidentendekrete können nur noch vom Verfassungsgericht aufgehoben werden (ÖB 30.11.2021, S. 5) und zwar nur noch durch eine Klage von einer der beiden größten Parlamentsfraktionen oder von einer Gruppe von Abgeordneten, die ein Fünftel der Parlamentssitze repräsentieren (SWP 4.2021, S. 9). Parlamentarier haben kein
Recht, mündliche Anfragen zu stellen. Schriftliche Anfragen können nur an den Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Der Rechtsrahmen verankert zwar den Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidentendekreten und bewahrt somit das Vorrecht des Parlaments (EC 6.10.2020 S. 12), nichtsdestotrotz hat das Parlament nur 61 von 821 vorgeschlagenen Gesetzen (im Berichtszeitraum der Europäischen Kommission) verabschiedet. Dem gegenüber stehen 77 Präsidialerlässe zu einem breiten Spektrum von Politikbereichen, einschließlich sozio-ökonomischer Themen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich von Präsidentendekreten fallen (EC 19.10.2021, S. 11). Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidentendekrete zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen und 4 von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie 12 von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidentendekreten beantragen kann (EC 29.5.2019, S. 14).
Zunehmende politische Polarisierung verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der HDP, hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemalige Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft [Stand Februar 2022], im Falle von Selahattin Demirtas trotz eines neuerlichen Urteils des EGMR, diesen sofort frei zu lassen (ZO 22.12.2020) sowie einer ebensolchen nachdrücklichen Forderung des Ministerkomitees des Europarates von Anfang Dezember 2021, die unverzügliche Freilassung des Antragstellers zu gewährleisten (CoE-CoM 2.12.2021). Von den ursprünglichen, bei der Wahl 2018 errungenen 67 Mandaten (HDN 27.6.2018) waren nach der Aufhebung der parlamentarischen Immunität des HDP-Abgeordneten, Ömer Faruk Gergerlioglu, am 17.3.2021 und dessen Verhaftung bzw. Bekräftigung des Gerichtsurteils vom Februar 2018 von zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe nur mehr 55 HDP-Parlamentarier übrig (AM 17.3.2021; vgl. AAN 17.3.2021).Zunehmende politische Polarisierung verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der HDP, hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemalige Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft [Stand Februar 2022], im Falle von Selahattin Demirtas trotz eines neuerlichen Urteils des EGMR, diesen sofort frei zu lassen (ZO 22.12.2020) sowie einer ebensolchen nachdrücklichen Forderung des Ministerkomitees des Europarates von Anfang Dezember 2021, die unverzügliche Freilassung des Antragstellers zu gewährleisten (CoE-CoM 2.12.2021). Von den ursprünglichen, bei der Wahl 2018 errungenen 67 Mandaten (HDN 27.6.2018) waren nach der Aufhebung der parlamentarischen Immunität des HDP-Abgeordneten, Ömer Faruk Gergerlioglu, am 17.3.2021 und dessen Verhaftung bzw. Bekräftigung des Gerichtsurteils vom Februar 2018 von zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe nur mehr 55 HDP-Parlamentarier übrig (AM 17.3.2021; vergleiche AAN 17.3.2021).
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) beanstandete in ihrer Resolution vom April 2021 das schwache Rahmenwerk zum Schutze der parlamentarischen Immunität in der Türkei. PACE stellte mit Besorgnis fest, dass ein Drittel der Parlamentarier von Gerichtsverfahren betroffen ist und ihre Immunität aufgehoben werden könnte. Überwiegend sind Parlamentarier der Opposition von diesen Verfahren betroffen, wobei von diesen wiederum mehrheitlich die Parlamentarier der HDP betroffen sind. Auf Letztere entfallen 75 % der Verfahren, zumeist wegen terrorismusbezogener Anschuldigungen. Drei Abgeordnete der HDP verloren ihre Mandate in den Jahren 2020 und 2021 nach rechtskräftigen Verurteilungen wegen Terrorismus, während neun HDP-Parlamentarier (Stand April 2021) mit verschärften lebenslangen Haftstrafen für ihre angebliche Organisation der „Kobane-Proteste“ im Oktober 2014 rechnen müssen (PACE 22.4.2021, S.2f). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am 1.2.2022, dass die Türkei das Recht auf freie Meinungsäußerung von 40 Abgeordneten der pro-kurdischen Demokratischen Volkspartei (HDP), unter ihnen auch die beiden ehemaligen Ko-Vorsitzenden, verletzt hat, indem sie deren parlamentarische Immunität aufhob (BI 1.2.2022).
Trotz der Aufhebung des zweijährigen Ausnahmezustands im Juli 2018 wirkt sich dieser negativ auf Demokratie und Grundrechte aus. Einige gesetzliche Bestimmungen, die den Regierungsbehörden außerordentliche Befugnisse einräumen, und mehrere restriktive Elemente des Notstandsrechtes wurden beibehalten und ins Gesetz integriert (EC 19.10.2021, S. 3, 10). Das Parlament verlängerte im Juli 2021 die Gültigkeit dieser restriktiven Elemente des Notstandsrechtes um weitere drei Jahre (DW 18.7.2021). Das diesbezügliche Gesetz ermöglicht es u. a., Staatsbedienstete, einschließlich Richter und Staatsanwälte, wegen mutmaßlicher Verbindungen zu „terroristischen“ Organisationen ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung zu entlassen (AI 29.3.2022). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 hatte das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet war, verabschiedet (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung, insbesondere die Bestimmungen zur nationalen Sicherheit und zur Terrorismusbekämpfung, verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und gegen andere internationale Standards bzw. gegen die Rechtsprechung des EGMR (EC 19.10.2021, S. 5).Trotz der Aufhebung des zweijährigen Ausnahmezustands im Juli 2018 wirkt sich dieser negativ auf Demokratie und Grundrechte aus. Einige gesetzliche Bestimmungen, die den Regierungsbehörden außerordentliche Befugnisse einräumen, und mehrere restriktive Elemente des Notstandsrechtes wurden beibehalten und ins Gesetz integriert (EC 19.10.2021, S. 3, 10). Das Parlament verlängerte im Juli 2021 die Gültigkeit dieser restriktiven Elemente des Notstandsrechtes um weitere drei Jahre (DW 18.7.2021). Das diesbezügliche Gesetz ermöglicht es u. a., Staatsbedienstete, einschließlich Richter und Staatsanwälte, wegen mutmaßlicher Verbindungen zu „terroristischen“ Organisationen ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung zu entlassen (AI 29.3.2022). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 hatte das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet war, verabschiedet (NZZ 18.7.2018; vergleiche ZO 25.7.2018). Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung, insbesondere die Bestimmungen zur nationalen Sicherheit und zur Terrorismusbekämpfung, verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und gegen andere internationale Standards bzw. gegen die Rechtsprechung des EGMR (EC 19.10.2021, S. 5).
Im September 2016 verabschiedete die Regierung ein Dekret, das die Ernennung von „Treuhändern“ anstelle von gewählten Bürgermeistern, stellvertretenden Bürgermeistern oder Mitgliedern von Gemeinderäten, die wegen Terrorismusvorwürfen suspendiert wurden, erlaubt. Dieses Dekret wurde im Südosten der Türkei vor und nach den Kommunalwahlen 2019 großzügig angewandt (DFAT 10.9.2020, S. 15). Mit Stand Oktober 2021 war die Zahl der Gemeinden, denen aufgrund der Lokalwahlen vom März 2019 ursprünglich ein Bürgermeister aus den Reihen der HDP vorstand (insgesamt 65) um 48 reduziert. Seit Juni 2019 wurden 83 Ko-Bürgermeister [Anm.: In HDP-geführten Gemeinden übt immer eine Doppelspitze - ein Mann, eine Frau - das Amt aus, deshalb der Begriff Ko-BürgermeisterIn] verhaftet, sechs von ihnen befinden sich im Gefängnis und fünf unter Hausarrest (Stand Oktober 2021). Die Zentralregierung entfernte die gewählten Bürgermeister hauptsächlich mit der Begründung, dass diese angeblichen Verbindungen zu terroristischen Organisationen hätten, und ersetzte sie durch Treuhänder (EC 19.10.2021 S. 16). Die Kandidaten waren jedoch vor den Wahlen überprüft worden, sodass ihre Absetzung noch weniger gerechtfertigt war. Da zuvor keine Anklage erhoben worden war, verstießen laut Europäischer Kommission diese Maßnahmen gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Ordnung, entzogen den Wählern ihre politische Vertretung auf lokaler Ebene und schadeten der lokalen Demokratie (EC 6.10.2020, S. 13). Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats zeigte sich in seiner Resolution vom 23.3.2022 besorgt ob der „Weigerung der Wahlverwaltung der Provinzen, in Widerspruch zum Grundsatz der Fairness von Wahlen, mehreren Kandidaten, die in einigen Gemeinden im Südosten der Türkei die Bürgermeisterwahl gewonnen haben, die erforderliche Wahlbescheinigung (mazbata) auszustellen, die Voraussetzung für das Antreten des Bürgermeisteramtes ist", und „[d]ie Regierung [...] weiterhin Bürgermeister / Bürgermeisterinnen [suspendiert], wenn gegen sie Strafermittlungen (Artikel 7.1) auf Grundlage einer übermäßig breiten Definition von "Terrorismus“ im Antiterrorgesetz eingeleitet werden, und [...] sie durch nicht gewählte Beamte [ersetzt werden] (Artikel 3.2), wodurch die demokratische Entscheidung türkischer Bürger schwerwiegend unterminiert und das ordnungsgemäße Funktionieren der kommunalen Demokratie in der Türkei beeinträchtigt wird” (CoE-CLRA 23.3.2022, Pt. 4.a,b). Überdies forderte der Kongress, „die Praxis der Ernennung staatlicher Treuhänder in den Gemeinden einzustellen, in denen der Bürgermeister/die Bürgermeisterin suspendiert wurde“, und „der Gemeinderat die Gelegenheit erhält, in Einklang mit der im ursprünglichen Gemeindegesetz von 2005 (Art. 45) diesbezüglich vorgesehenen Möglichkeit, und bis zur verfahrensrechtlichen Klärung der Situation des/der suspendierten Bürgermeisters/Bürgermeisterin, eine/n kommissarische/n oder geschäftsführende/n Bürgermeister/in aus seinen Reihen zu ernennen“ (CoE-CLRA 23.3.2022, Pt. 5c).Im September 2016 verabschiedete die Regierung ein Dekret, das die Ernennung von „Treuhändern“ anstelle von gewählten Bürgermeistern, stellvertretenden Bürgermeistern oder Mitgliedern von Gemeinderäten, die wegen Terrorismusvorwürfen suspendiert wurden, erlaubt. Dieses Dekret wurde im Südosten der Türkei vor und nach den Kommunalwahlen 2019 großzügig angewandt (DFAT 10.9.2020, S. 15). Mit Stand Oktober 2021 war die Zahl der Gemeinden, denen aufgrund der Lokalwahlen vom März 2019 ursprünglich ein Bürgermeister aus den Reihen der HDP vorstand (insgesamt 65) um 48 reduziert. Seit Juni 2019 wurden 83 Ko-Bürgermeister [Anm.: In HDP-geführten Gemeinden übt immer eine Doppelspitze - ein Mann, eine Frau - das Amt aus, deshalb der Begriff Ko-BürgermeisterIn] verhaftet, sechs von ihnen befinden sich im Gefängnis und fünf unter Hausarrest (Stand Oktober 2021). Die Zentralregierung entfernte die gewählten Bürgermeister hauptsächlich mit der Begründung, dass diese angeblichen Verbindungen zu terroristischen Organisationen hätten, und ersetzte sie durch Treuhänder (EC 19.10.2021 S. 16). Die Kandidaten waren jedoch vor den Wahlen überprüft worden, sodass ihre Absetzung noch weniger gerechtfertigt war. Da zuvor keine Anklage erhoben worden war, verstießen laut Europäischer Kommission diese Maßnahmen gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Ordnung, entzogen den Wählern ihre politische Vertretung auf lokaler Ebene und schadeten der lokalen Demokratie (EC 6.10.2020, S. 13). Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats zeigte sich in seiner Resolution vom 23.3.2022 besorgt ob der „Weigerung der Wahlverwaltung der Provinzen, in Widerspruch zum Grundsatz der Fairness von Wahlen, mehreren Kandidaten, die in einigen Gemeinden im Südosten der Türkei die Bürgermeisterwahl gewonnen haben, die erforderliche Wahlbescheinigung (mazbata) auszustellen, die Voraussetzung für das Antreten des Bürgermeisteramtes ist", und „[d]ie Regierung [...] weiterhin Bürgermeister / Bürgermeisterinnen [suspendiert], wenn gegen sie Strafermittlungen (Artikel 7.1) auf Grundlage einer übermäßig breiten Definition von "Terrorismus“ im Antiterrorgesetz eingeleitet werden, und [...] sie durch nicht gewählte Beamte [ersetzt werden] (Artikel 3.2), wodurch die demokratische Entscheidung türkischer Bürger schwerwiegend unterminiert und das ordnungsgemäße Funktionieren der kommunalen Demokratie in der Türkei beeinträchtigt wird” (CoE-CLRA 23.3.2022, Pt. 4.a,b). Überdies forderte der Kongress, „die Praxis der Ernennung staatlicher Treuhänder in den Gemeinden einzustellen, in denen der Bürgermeister/die Bürgermeisterin suspendiert wurde“, und „der Gemeinderat die Gelegenheit erhält, in Einklang mit der im ursprünglichen Gemeindegesetz von 2005 (Artikel 45,) diesbezüglich vorgesehenen Möglichkeit, und bis zur verfahrensrechtlichen Klärung der Situation des/der suspendierten Bürgermeisters/Bürgermeisterin, eine/n kommissarische/n oder geschäftsführende/n Bürgermeister/in aus seinen Reihen zu ernennen“ (CoE-CLRA 23.3.2022, Pt. 5c).
Hunderte von HDP-Kommunalpolitikern und gewählten Amtsinhabern sowie Tausende von Parteimitgliedern wurden wegen terroristischer Anschuldigungen inhaftiert (EC 6.10.2020, S.13). Die Justiz geht weiterhin systematisch gegen Parlamentarier der Oppositionsparteien vor, weil sie angeblich terroristische Straftaten begangen haben. Derzeit befinden sich 4.000 HDP-Mitglieder und -Funktionäre in Haft, darunter auch eine Reihe von Parlamentariern (EC 19.10.2021, S. 11).
[siehe auch die Kapitel: Rechtsschutz/Justizwesen, Sicherheitsbehörden, Opposition und Gülen- oder Hizmet-Bewegung]
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022pdf, Zugriff am 17.8.2022
•AAN - Al Arabiya News (17.3.2021): Turkey's parliament strips pro-Kurdish deputy of seat in blow to third largest party, https://english.alarabiya.net/News/middle-east/2021/03/17/Turkey-s-parliam ent-strips-pro-Kurdish-deputy-of-seat-in-blow-to-third-largest-party, Zugriff 10.2.2022
•AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Türkei 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070315.html , Zugriff 30.3.2022
•AM - Al Monitor (4.4.2022): Turkey revises election law in risky bid to block breakaway conservati- ves, https://www.al-monitor.com/originals/2022/04/turkey-revises-election-law-risky-bid-block-bre akaway-conservatives , Zugriff 6.4.2022
•AM - Al Monitor (17.3.2021): Lawsuit filed to close pro-Kurdish party after lawmaker stripped of parliamentary seat, https://www.al-monitor.com/originals/2021/03/lawsuit-close-pro-kurdish-party -lawmaker-parliament-seat.html, Zugriff 10.2.2022
•Anadolu - Anadolu Agency (23.6.2019): CHP's Imamoglu wins Istanbul's mayoral poll, https: //www.aa.com.tr/en/politics/chps-imamoglu-wins-istanbul-s-mayoral-poll/1513613 , Zugriff 10.2.2022
•AP - Associated Press (31.3.2022): Turkish parliament approves contentious election law changes, https://apnews.com/article/europe-middle-east-elections-turkey-recep-tayyip-erdogan-9029c293f 9cec436e72a69a5c15179b3 , Zugriff 6.4.2022
•BI - Balkan Insight (1.2.2022): Turkey Violated Pro-Kurdish MPs' Rights, European Court Rules, https://balkaninsight.com/2022/02/01/turkey-violated-pro-kurdish-mps-rights-european-court-rules/, Zugriff 10.2.2022
•BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069612/country_report_2022_TUR.pdf, Zugriff 21.3.2022
•CoE-CLRA- Congress of Local and Regional Authorities of the Council of Europe (23.3.2022): Monitoring of the application of the European Charter of Local Self-Government in Turkey, [CG(2022)42- 14final], https://search.coe.int/congress/pages/result_details.aspx?0bjectId=0900001680a5b1d3, Zugriff 28.3.2022 [Anmerkung: Das wörtliche Zitat stammte aus dem deutschen Entwurf vom 2.3.2022, der sich inhaltlich jedoch mit dem späteren englischen Originaltext der Resolution deckt. Siehe bei Bedarf: https://search.coe.int/congress/pages/result_details.aspx?0bjectId=090000168 0a5db88]
•CoE-CoM - Council of Europe-Committee of Ministers (2.12.2021): Interim Resolution CM/ResDH(2021)428, Execution of the judgment of the European Court of Human Rights, Selahattin Demirta§ v. Turkey
(No. 2), https://search.coe.int/cm/pages/result_details.aspx?objectid=0900001680a4b407 , Zugriff
2.2.2022
•DF - Deutschlandfunk (12.12.2021): TürkeiProteste gegen Geldentwertung, https://www.deutschl andfunk.de/tuerkei-lira-100.html, Zugriff 10.2.2022
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•ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz, https://www.zeit.de/politik/au sland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung-neue-gesetze-anti-terror-massnahmen , Zugriff 10.2.2022
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 19.09.2022
Die Türkei steht vor einer Reihe von Herausforderungen im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Dazu gehören der wieder aufgeflammte Konflikt zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Südosten des Landes, externe Sicherheitsbedrohungen im Zusammenhang mit der Beteiligung der Türkei an Konflikten in Syrien und im Irak sowie die Bedrohung durch Terroranschläge durch interne und externe Akteure (DFAT 10.9.2020 S. 18).
Die Regierung sieht die Sicherheit des Staates durch mehrere Akteure gefährdet: namentlich durch die seitens der Türkei zur Terrororganisation erklärten Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, durch die auch in der EU als Terrororganisation gelistete PKK, durch, aus türkischer Sicht, mit der PKK verbundene Organisationen, wie die YPG in Syrien, durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) (AA 28.7.2022, S. 4) und durch weitere terroristische Gruppierungen, wie die linksextremistische DHKP-C und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) (AA 3.6.2021, S. 16) sowie durch Instabilität in den Nachbarstaaten Syrien und Irak. Staatliches repressives Handeln wird häufig mit der „Terrorbekämpfung“ begründet, verbunden mit erheblichen Einschränkungen von Grundfreiheiten, auch bei zivilgesellschaftlichem oder politischem Engagement ohne erkennbaren Terrorbezug (AA 28.7.2022, S. 4).
Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften, vornehmlich durch die PKK und ihren vermeintlichen Ableger [TAK], den sog. IS und im geringen Ausmaß durch die DHKP-C (SDZ 29.6.2016, AJ 12.12.2016. Der Zusammenbruch des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK führte ab Juli 2015 zum erneuten Ausbruch massiver Gewalt im Südosten der Türkei. Hierdurch wiederum verschlechterte sich weiterhin die Bürgerrechtslage, insbesondere infolge eines sehr weit gefassten Anti-Terror-Gesetzes, insbesondere für die kurdische Bevölkerung in den südöstlichen Gebieten. Die neue Rechtslage diente als primäre Basis für Inhaftierungen und Einschränkungen von politischen Rechten. Es wurde zudem wiederholt von Folter und Vertreibungen von Kurden und Kurdinnen berichtet. Im Dezember 2016 warf Amnesty International der Türkei gar die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus dem Südosten des Landes sowie eine Unverhältnismäßigkeit im Kampf gegen die PKK vor (BICC 7.2022, S. 33). Kritik gab es auch von den Institutionen der Europäischen Union am damaligen Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte. - Die Europäische Kommission zeigte sich besorgt ob der unverhältnismäßigen Zerstörung von privatem und kommunalem Eigentum und Infrastruktur durch schwere Artillerie, wie beispielsweise in Cizre (EC 9.11.2016, S. 28). Im Frühjahr zuvor (2016) zeigte sich das Europäische Parlament „in höchstem Maße alarmiert angesichts der Lage in Cizre und Sur/Di- yarbakir und verurteilte] die Tatsache, dass Zivilisten getötet und verwundet werden und ohne Wasser- und Lebensmittelversorgung sowie ohne medizinische Versorgung auskommen müssen [...] sowie angesichts der Tatsache, dass rund 400.000 Menschen zu Binnenvertriebenen geworden sind“ (EP 14.4.2016, S. 11, Pt. 27).
Nachdem die Gewalt in den Jahren 2015/2016 in den städtischen Gebieten der Südosttürkei ihren Höhepunkt erreicht hatte, sank das Gewaltniveau. Dennoch kommt es mit einiger Regelmäßigkeit zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK in den abgelegenen Berggebieten im Südosten des Landes (NL-MFA 18.3.2021, S. 12; vgl. HRW 13.1.2022), was die dortige Lage weiterhin als sehr besorgniserregend erscheinen lässt (EC 19.10.2021, S. 4, 15). Bestehende Spannungen werden auch durch die Lage-Entwicklung in Syrien und Irak beeinflusst (EDA 20.6.2022), wo die Türkei ihre Militäraktionen einschließlich Drohnenangriffen auf die autonome Region Kurdistan im Irak konzentriert hat, in welcher sich PKK-Stützpunkte befinden (HRW 13.1.2022).Nachdem die Gewalt in den Jahren 2015/2016 in den städtischen Gebieten der Südosttürkei ihren Höhepunkt erreicht hatte, sank das Gewaltniveau. Dennoch kommt es mit einiger Regelmäßigkeit zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK in den abgelegenen Berggebieten im Südosten des Landes (NL-MFA 18.3.2021, S. 12; vergleiche HRW 13.1.2022), was die dortige Lage weiterhin als sehr besorgniserregend erscheinen lässt (EC 19.10.2021, S. 4, 15). Bestehende Spannungen werden auch durch die Lage-Entwicklung in Syrien und Irak beeinflusst (EDA 20.6.2022), wo die Türkei ihre Militäraktionen einschließlich Drohnenangriffen auf die autonome Region Kurdistan im Irak konzentriert hat, in welcher sich PKK-Stützpunkte befinden (HRW 13.1.2022).
Die bewaffneten Auseinandersetzungen führen zu Verletzten und Toten unter den Sicherheitskräften, PKK-Kämpfern, aber auch unter der Zivilbevölkerung. Diesbezüglich gibt es glaubwürdige Hinweise, dass die Regierung im Zusammenhang mit ihrem Kampf gegen die PKK zum Tod von Zivilisten beigetragen hat, auch wenn deren Zahl in den letzten Jahren stetig abnahm (USDOS 12.4.2022, S. 2; 26). In den Grenzgebieten ist die Sicherheitslage durch wiederkehrende Terrorakte der PKK prekärer (EC 19.10.2021, S. 15). Die zahlreichen Anschläge der PKK richten sich hauptsächlich gegen die Sicherheitskräfte, können aber auch Zivilpersonen treffen. Die Sicherheitskräfte unterhalten zahlreiche Straßencheckpoints und sperren ihre Operationsgebiete vorgängig weiträumig ab. Die bewaffneten Konflikte in Syrien und Irak können sich auf die angrenzenden türkischen Gebiete auswirken, zum Beispiel durch vereinzelte Granaten- und Raketenbeschüsse aus dem Kriegsgebiet. Wiederholt sind Anschläge gegen zivile Ziele verübt worden. Das Risiko von Entführungen durch terroristische Gruppierungen aus Syrien kann im Grenzgebiet nicht ausgeschlossen werden (EDA 20.6.2022).
Angaben der türkischen Menschenrechtsvereinigung (iHD) zufolge kamen in der Türkei 2020 230 Personen bei bewaffneten Auseinandersetzungen (2019: 440) ums Leben, davon mindestens 55 Angehörige der Sicherheitskräfte (2019: 98), 167 bewaffnete Militante (2019: 324) und acht Zivilisten (2019:18) (iHD 4.10.2021, S. 9, iHD 18.5.2020a). Die International Crisis Group (ICG) zählte seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe 2015 rund 6.064 Tote (3.878 PKK-Kämp- fer, 1.360 Sicherheitskräfte - in der Mehrzahl Soldaten, aber auch 302 Polizisten und 121 sog. Dorfschützer - 600 Zivilisten und 226 nicht-zuordenbare Personen) im Zeitraum Juli 2015 bis 18.7.2022. Betroffen waren insbesondere die Provinzen, §irnak (1.003 Tote), Hakkäri (782 Tote), Diyarbakir (553 Tote), Mardin (398) und die zentralanatolische Provinz Tunceli/Dersim (286), wobei 1.182 Opfer in diesem Zeitrahmen auf irakischem Territorium vermerkt wurden. Im Jahr 2021 wurden 392 Todesopfer (2020: 396) registriert. Im Verlaufe des Jahres 2022 zählte die ICG (Stand 18.7.2022) 140 Tote (ICG 18.7.2022). Es gab keine Entwicklungen hinsichtlich der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erzielung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 19.10.2021, S. 15). Hierzu betonte das Europäische Parlament im Juni 2021 „die Dringlichkeit der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses unter Einbindung aller betroffenen Parteien und demokratischen Kräfte mit dem Ziel der friedlichen Lösung der Kurdenfrage“ (EP 7.6.2022, S. 18, Pt. 30).
Im unmittelbaren Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, in den Provinzen Hatay, Gaziantep, Kilis, §anliurfa, Mardin, §irnak, Hakkäri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen (AA 7.9.2022). Die Behörden verhängen Ausgangssperren von unterschiedlicher Dauer in bestimmten städtischen und ländlichen Regionen und errichten in einigen Gebieten spezielle Sicherheitszonen, um die Operationen gegen die PKK zu erleichtern, die den Zugang für Besucher und in einigen Fällen auch für Einwohner einschränkten. Teile der Provinz Hakkari und ländliche Teile der Provinz Tunceli/Dersim blieben die meiste Zeit des Jahres (2021) „besondere Sicherheitszonen“. Die Bewohner dieser Gebiete berichteten, dass sie gelegentlich nur sehr wenig Zeit hatten, ihre Häuser zu verlassen, bevor die Sicherheitsoperationen gegen die PKK begannen (USDOS 12.4.2022, S. 26).
Die Operationen der türkischen Sicherheitskräfte - einschließlich Drohnenangriffe - wurden in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 im Nordirak, in Nordsyrien sowie in geringerem Umfang im Südosten der Türkei fortgesetzt (im April die sog. Operation „Claw Lock“). Ziele waren auch PKK-Führungskader (ICG 7.2022; vgl. ICG 5.2022). Die Bodenoperationen im Südosten konzentrierten sich zu Jahresbeginn auf die ländlichen Gebiete der türkischen Provinzen Tunceli/Dersim, Mardin und §anliurfa und im März 2022 in den Provinzen Diyarbakir, Mardin, Hakkäri und Hatay (ICG 5.2022). Pro-kurdische, regierungskritische Medien berichteten im Juni 2022 von mehrtägigen Bombardements in ländlichen Gebirgsregionen der Provinz Tunceli/Dersim [Zentralanatolien] im Zuge des Anti-Terrorkampfes, wobei der Zugang zu einigen Dörfern gesperrt wurde und mehrere Hektar Nutzwald abbrannten (Bianet 14.6.2022). Bei einer bemerkenswerten Eskalation wurden am 20.7.2022 in der Provinz Duhok in der autonomen Region Kurdistan im Irak neun Touristen durch Artilleriebeschuss getötet und mehr als 20 verletzt. Die irakischen und kurdischen Regionalbehörden machten die Türkei für den Angriff verantwortlich und gaben scharfe und kritische Erklärungen ab, während Ankara diese Behauptungen zurückwies und die PKK dafür verantwortlich machte (ICG 7.2022). Im Zuge der Eskalation in Nordsyrien begann das türkische Militär mit Angriffen auf kurdisch geführte Kräfte, die sich zu Angriffen auf Armeeeinrichtungen in türkischen Grenzprovinzen bekannten, bei denen mehrere türkische Soldaten getötet wurden. Das Militär setzte auch seine Operationen gegen die PKK im Irak und im Südosten der Türkei fort. Im Nordirak wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums vom 27.8.2022 neun PKK-Kämpfer getötet. Im Südosten der Türkei startete das Militär am 8.8.2022 eine neue Anti-PKK-Operation in ländlichen Gebieten der Provinz Bitlis. Innenminister Süleyman Soylu erklärte am 19.8.2022, dass sich nur noch 124 PKK-Mitglieder innerhalb der Landesgrenzen aufhielten (ICG 8.2022). - Die Operationen der Sicherheitskräfte gegen Zellen/Akteure des sog. IS wurden intensiviert. Die Polizei nahm zumindest 125 Personen mit angeblichen IS-Verbindungen fest, zumeist Ausländer (ICG 8.2022, 7.2022).Die Operationen der türkischen Sicherheitskräfte - einschließlich Drohnenangriffe - wurden in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 im Nordirak, in Nordsyrien sowie in geringerem Umfang im Südosten der Türkei fortgesetzt (im April die sog. Operation „Claw Lock“). Ziele waren auch PKK-Führungskader (ICG 7.2022; vergleiche ICG 5.2022). Die Bodenoperationen im Südosten konzentrierten sich zu Jahresbeginn auf die ländlichen Gebiete der türkischen Provinzen Tunceli/Dersim, Mardin und §anliurfa und im März 2022 in den Provinzen Diyarbakir, Mardin, Hakkäri und Hatay (ICG 5.2022). Pro-kurdische, regierungskritische Medien berichteten im Juni 2022 von mehrtägigen Bombardements in ländlichen Gebirgsregionen der Provinz Tunceli/Dersim [Zentralanatolien] im Zuge des Anti-Terrorkampfes, wobei der Zugang zu einigen Dörfern gesperrt wurde und mehrere Hektar Nutzwald abbrannten (Bianet 14.6.2022). Bei einer bemerkenswerten Eskalation wurden am 20.7.2022 in der Provinz Duhok in der autonomen Region Kurdistan im Irak neun Touristen durch Artilleriebeschuss getötet und mehr als 20 verletzt. Die irakischen und kurdischen Regionalbehörden machten die Türkei für den Angriff verantwortlich und gaben scharfe und kritische Erklärungen ab, während Ankara diese Behauptungen zurückwies und die PKK dafür verantwortlich machte (ICG 7.2022). Im Zuge der Eskalation in Nordsyrien begann das türkische Militär mit Angriffen auf kurdisch geführte Kräfte, die sich zu Angriffen auf Armeeeinrichtungen in türkischen Grenzprovinzen bekannten, bei denen mehrere türkische Soldaten getötet wurden. Das Militär setzte auch seine Operationen gegen die PKK im Irak und im Südosten der Türkei fort. Im Nordirak wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums vom 27.8.2022 neun PKK-Kämpfer getötet. Im Südosten der Türkei startete das Militär am 8.8.2022 eine neue Anti-PKK-Operation in ländlichen Gebieten der Provinz Bitlis. Innenminister Süleyman Soylu erklärte am 19.8.2022, dass sich nur noch 124 PKK-Mitglieder innerhalb der Landesgrenzen aufhielten (ICG 8.2022). - Die Operationen der Sicherheitskräfte gegen Zellen/Akteure des sog. IS wurden intensiviert. Die Polizei nahm zumindest 125 Personen mit angeblichen IS-Verbindungen fest, zumeist Ausländer (ICG 8.2022, 7.2022).
Laut Medienberichten wurde am 7.4.2021 im türkischen Amtsblatt (ResmT Gazete) gemäß dem Gesetz zur Verhinderung von Terrorfinanzierung eine zwölfseitige Liste mit insgesamt 377 Personen veröffentlicht, deren Vermögen in der Türkei eingefroren wurde (BAMF 19.4.2021). Die Assets von 205 Gülen-, 86 IS-, 77 PKK- und neun DHKP-C-Mitgliedern wurden blockiert (Anadolu 7.4.2021).
Das türkische Parlament stimmte am 26.10.2021 einem Gesetzentwurf zu, das Mandat für grenzüberschreitende Militäroperationen, sowohl im Irak als auch in Syrien, um weitere zwei Jahre zu verlängern. Anders als in den Jahren zuvor stimmte nebst der pro-kurdischen HDP auch die größte Oppositionspartei, die säkular-republikanische CHP, erstmals gegen eine Verlängerung des Mandats (Anadolu 26.10.2021; vgl. Duvar 26.10.2021).Das türkische Parlament stimmte am 26.10.2021 einem Gesetzentwurf zu, das Mandat für grenzüberschreitende Militäroperationen, sowohl im Irak als auch in Syrien, um weitere zwei Jahre zu verlängern. Anders als in den Jahren zuvor stimmte nebst der pro-kurdischen HDP auch die größte Oppositionspartei, die säkular-republikanische CHP, erstmals gegen eine Verlängerung des Mandats (Anadolu 26.10.2021; vergleiche Duvar 26.10.2021).
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•EP - Europäisches Parlament (7.6.2022): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni 2022 zu dem Bericht 2021 der Kommission über die Türkei (2021/2250(INI)), https://www.eu roparl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0222_DE.pdf, Zugriff 29.6.2022
•EP - Europäisches Parlament (14.4.2016): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. April 2016 zu dem Bericht 2015 über die Türkei (2015/2898(RSP)), https://www.europarl.europa. eu/doceo/document/TA-8-2016-0133_DE.pdf, Zugriff 11.8.2022
•HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/do- kument/2066478.html, Zugriff 8.2.2022
•ICG - International Crisis Group (8.2022): CrisisWatch - Tracking Conflict Worldwide: Türkiye, https://www.crisisgroup.org/crisiswatch/print?page=2&location%5B0%5D=58&date_ran=&t=Crisis Watch+Database+Filter, Zugriff 15.9.2022
•ICG - International Crisis Group (7.2022): CrisisWatch - Tracking Conflict Worldwide: Türkiye, https://www.crisisgroup.org/crisiswatch/august-alerts-and-july-trends-2022 , Zugriff 5.9.2022
•ICG - International Crisis Group (18.7.2022): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https: //www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer, Zugriff 13.9.2022
•ICG - International Crisis Group (5.2022): CrisisWatch - Tracking Conflict Worldwide: Türkiye, https://www.crisisgroup.org/crisiswatch/june-alerts-and-may-trends-2022 , Zugriff 5.9.2022
•iHD - insan Haklari Dernegi - Human Rights Association (4.10.2021): Human Rights Association 2020 Report on Human Rights Violations in Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2021/ 10/%C4%B0HD-2020-Violations-Report.pdf, Zugriff 10.2.2022
•iHD - insan Haklari Dernegi - Human Rights Association (18.5.2020a): 2019 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2020/05/2019-SUM MARY-TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN-TURKEY.pdf, Zugriff 10.2.2022
•NL-MFA- Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (18.3.2021): General Country of Origin Information Report Turkey, https://www.government.nl/binaries/govemment/documenten/reports/2021/03/18/general-country-of-origin-information-report turkey/vertaling-aab-turkije.pdf, Zugriff 10.2.2022
•SDZ - Süddeutsche Zeitung (29.6.2016) [ANM.: Ohne ein Aktualisierungsdatum zu nennen, sind Ereignisse bis Jän. 2017 hinzugefügt]: Chronologie des Terrors in der Türkei, https://www.suedde utsche.de/politik/tuerkei-der-terror-begann-in-suruc-1.3316595, Zugriff 10.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.8.2022
Gülen- oder Hizmet-Bewegung
Letzte Änderung: 19.09.2022
Fethullah Gülen, muslimischer Prediger und charismatisches Zentrum eines weltweit aktiven Netzwerks, das bis vor Kurzem die wohl einflussreichste religiöse Bewegung der Türkei war, wird von seinen Gegnern als Bedrohung der staatlichen Ordnung betrachtet (Dohrn 27.2.2017). Während Gülen von seinen Anhängern als spiritueller Führer betrachtet wird, der einen toleranten Islam fördert, der Altruismus, Bescheidenheit, harte Arbeit und Bildung hervorhebt (BBC 21.7.2016), und als leidenschaftlicher Befürworter des interreligiösen und interkulturellen Aus- tauschs dargestellt wird, beschreiben Kritiker Gülen als islamistischen Ideologen, der über ein strikt organisiertes Wirtschafts- und Medienimperium regiert und dessen Bewegung den Sturz der säkularen Ordnung der Türkei anstrebt (Dohrn 27.2.2017). Vor dem Putschversuch vom Juli 2016 schätzten internationale Beobachter die Zahl der Gülen-Mitglieder in der Türkei auf mehrere Millionen (DFAT 10.9.2020).
Der gegenwärtige Staatspräsident Erdogan und Gülen standen sich jahrzehntelang nahe. Beide hatten bis vor einigen Jahren ähnliche Ziele: die politische Macht des Militärs zurückzudrängen und den frommen Anatoliern zum gesellschaftlichen Aufstieg zu verhelfen (HZ 20.7.2016). Die beiden Führer verband die Gegnerschaft zu den säkularen, kemalistischen Kräften in der Türkei. Sie hatten beide das Ziel, die Türkei in ein vom türkischen Nationalismus und einer starken, konservativen Religiosität geprägtes Land zu verwandeln. Selbst nicht in die Politik eintretend, unterstützte Gülen die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) bei deren Gründung und späteren Machtübernahme, auch indem er seine Anhänger in diesem Sinne mobilisierte (MEE 25-7.2016). Gülen-Anhänger hatten viele Positionen im türkischen Staatsapparat inne, die sie zu ihrem eigenen Vorteil nutzten, und welche die regierende AKP tolerierte (DW 13.7.2018). Erdogan nutzte wiederum die bürokratische Expertise der Gülenisten, um das Land zu führen und dann, um das Militär aus der Politik zu drängen. Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf (BBC 21.7.2016). Die Allianz zwischen AKP und Gülen-Bewegung erreichte ihren Höhepunkt während des Verfassungsreferendums vom 12.9.2010, das die Zusammensetzung der Justizorgane veränderte und letztlich die säkularistische Kontrolle über die Justiz brach (Ta§ 16.5.2017, S. 4). Die beiden, AKP und Gülenisten, kooperierten insbesondere bei den Er- genekon- und Sledgehammer-Prozessen, die Hunderte von aktiven und pensionierten Militärs ins Gefängnis brachten, was die Befehlsgewalt des Militärs neu bestimmte (Ta§ 16.5.2017, S. 4). Manipulierte Beweisstücke, geheime Zeugen und etliches mehr während der Ermittlungen bildeten nicht selten die Basis jener Schauprozesse, die von der türkischen Polizei und der Staatsanwaltschaft seit 2007 vorbereitet wurden (Qantara 30.9.2013). Die Ermittlungen wurden von einer kleinen Gruppe von Gülen-Anhängern bei der Polizei und in den unteren Rängen der Justiz durchgeführt, medial unterstützt von den Gülen-nahen Medien (Jenkins 15.4.2014; vgl. Cagaptay 2021, S. 31), welche gleichzeitig Regierungschef Erdogan als einen Demokraten darstellten, der gegen die Eliten und einen ruchlosen „tiefen Staat" kämpft (Cagaptay 2021, S. 31f). Der Gülen-Bewegung war es somit gelungen, einen Staat im Staate zu etablieren, indem sie die Sicherheitskräfte ebenso unterwanderte wie den Justizapparat und die Verwaltung. Der Einfluss der Bewegung innerhalb der Justiz, gedeckt von der regierenden AKP, stellte sicher, dass die Verfehlungen ihrer Anhänger, z. B. Manipulation von Beweisstücken in Verfahren zwecks Verfolgung politischer Gegner, ungesühnt blieben (Qantara 30.9.2013; vgl. Jenkins 15.4.2014). Laut Türkei-Spezialisten, wie Gareth Jenkins, sind die Beweise - einschließlich Geständnissen - dafür, dass eine Komplottgruppe von Gülen-Anhängern hinter Fällen wie Ergenekon, Sledgehammer und dem Spionagering von Izmir steckte, inzwischen so umfassend, dass sie unwiderlegbar sind (Jenkins 15.4.2014).Der gegenwärtige Staatspräsident Erdogan und Gülen standen sich jahrzehntelang nahe. Beide hatten bis vor einigen Jahren ähnliche Ziele: die politische Macht des Militärs zurückzudrängen und den frommen Anatoliern zum gesellschaftlichen Aufstieg zu verhelfen (HZ 20.7.2016). Die beiden Führer verband die Gegnerschaft zu den säkularen, kemalistischen Kräften in der Türkei. Sie hatten beide das Ziel, die Türkei in ein vom türkischen Nationalismus und einer starken, konservativen Religiosität geprägtes Land zu verwandeln. Selbst nicht in die Politik eintretend, unterstützte Gülen die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) bei deren Gründung und späteren Machtübernahme, auch indem er seine Anhänger in diesem Sinne mobilisierte (MEE 25-7.2016). Gülen-Anhänger hatten viele Positionen im türkischen Staatsapparat inne, die sie zu ihrem eigenen Vorteil nutzten, und welche die regierende AKP tolerierte (DW 13.7.2018). Erdogan nutzte wiederum die bürokratische Expertise der Gülenisten, um das Land zu führen und dann, um das Militär aus der Politik zu drängen. Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf (BBC 21.7.2016). Die Allianz zwischen AKP und Gülen-Bewegung erreichte ihren Höhepunkt während des Verfassungsreferendums vom 12.9.2010, das die Zusammensetzung der Justizorgane veränderte und letztlich die säkularistische Kontrolle über die Justiz brach (Ta§ 16.5.2017, S. 4). Die beiden, AKP und Gülenisten, kooperierten insbesondere bei den Er- genekon- und Sledgehammer-Prozessen, die Hunderte von aktiven und pensionierten Militärs ins Gefängnis brachten, was die Befehlsgewalt des Militärs neu bestimmte (Ta§ 16.5.2017, S. 4). Manipulierte Beweisstücke, geheime Zeugen und etliches mehr während der Ermittlungen bildeten nicht selten die Basis jener Schauprozesse, die von der türkischen Polizei und der Staatsanwaltschaft seit 2007 vorbereitet wurden (Qantara 30.9.2013). Die Ermittlungen wurden von einer kleinen Gruppe von Gülen-Anhängern bei der Polizei und in den unteren Rängen der Justiz durchgeführt, medial unterstützt von den Gülen-nahen Medien (Jenkins 15.4.2014; vergleiche Cagaptay 2021, S. 31), welche gleichzeitig Regierungschef Erdogan als einen Demokraten darstellten, der gegen die Eliten und einen ruchlosen „tiefen Staat" kämpft (Cagaptay 2021, S. 31f). Der Gülen-Bewegung war es somit gelungen, einen Staat im Staate zu etablieren, indem sie die Sicherheitskräfte ebenso unterwanderte wie den Justizapparat und die Verwaltung. Der Einfluss der Bewegung innerhalb der Justiz, gedeckt von der regierenden AKP, stellte sicher, dass die Verfehlungen ihrer Anhänger, z. B. Manipulation von Beweisstücken in Verfahren zwecks Verfolgung politischer Gegner, ungesühnt blieben (Qantara 30.9.2013; vergleiche Jenkins 15.4.2014). Laut Türkei-Spezialisten, wie Gareth Jenkins, sind die Beweise - einschließlich Geständnissen - dafür, dass eine Komplottgruppe von Gülen-Anhängern hinter Fällen wie Ergenekon, Sledgehammer und dem Spionagering von Izmir steckte, inzwischen so umfassend, dass sie unwiderlegbar sind (Jenkins 15.4.2014).
Im Dezember 2013 kam es zum offenen politischen Zerwürfnis zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung, als Gülen-nahe Staatsanwälte und Richter Korruptionsermittlungen gegen die Familie Erdogans (damals Ministerpräsident) sowie Minister seines Kabinetts aufnahmen (AA 24.8.2020, S. 4). Erdogan beschuldigte daraufhin Gülen und seine Anhänger, dieAKP-Re- gierung durch Korruptionsuntersuchungen zu Fall bringen zu wollen, da mehrere Beamte und Wirtschaftsführer mit Verbindungen zur AKP betroffen waren, und Untersuchungen zu Rücktritten von AKP-Ministern führten (MEE 25.7.2016). In der Folge versetzte die Regierung die an den Ermittlungen beteiligten Staatsanwälte, Polizisten und Richter (bpb 1.9.2014) und begann schon seit Ende 2013 darüber hinaus, in mehreren Wellen Zehntausende mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung in diversen staatlichen Institutionen zu suspendieren, zu versetzen, zu entlassen oder anzuklagen. Die Regierung hat ferner, unter dem Vorwand der Unterstützung der Gülen-Bewegung, Journalisten strafrechtlich verfolgt und Medienkonzerne, Banken sowie andere Privatuntenehmen durch die Einsetzung von Treuhändern zerschlagen und teils enteignet (AA 24.8.2020, S. 4).
Ein türkisches Gericht hatte im Dezember 2014 einen Haftbefehl gegen Fethullah Gülen erlassen. Die Anklage beschuldigte die Gülen- bzw. die Hizmet-Bewegung, wie sie sich selber nennt, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Zur gleichen Zeit ging die Polizei gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in den Medien vor (Standard 20.12.2014). Türkische Sicherheitskräfte waren landesweit mit einer Großrazzia gegen Journalisten und angebliche Regierungsgegner bei der Polizei vorgegangen (DW 14.12.2014). Am 27.5.2016 verkündete Staatspräsident Erdogan, dass die Gülen-Bewegung auf Basis einer Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates vom 26.5.2016 als terroristische Organisation registriert wird (HDN 27.5.2016). Mitte Juni 2017 definierte das Oberste Berufungsgericht, i.e. das Kassationsgericht (türk. Yargitay), die Gülen- Bewegung als terroristische Organisation. In dieser Entscheidung wurden auch die Kriterien für die Mitgliedschaft in dieser Organisation festgelegt (UKHO 2.2018; vgl. Sabah 17.6.2017).Ein türkisches Gericht hatte im Dezember 2014 einen Haftbefehl gegen Fethullah Gülen erlassen. Die Anklage beschuldigte die Gülen- bzw. die Hizmet-Bewegung, wie sie sich selber nennt, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Zur gleichen Zeit ging die Polizei gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in den Medien vor (Standard 20.12.2014). Türkische Sicherheitskräfte waren landesweit mit einer Großrazzia gegen Journalisten und angebliche Regierungsgegner bei der Polizei vorgegangen (DW 14.12.2014). Am 27.5.2016 verkündete Staatspräsident Erdogan, dass die Gülen-Bewegung auf Basis einer Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates vom 26.5.2016 als terroristische Organisation registriert wird (HDN 27.5.2016). Mitte Juni 2017 definierte das Oberste Berufungsgericht, i.e. das Kassationsgericht (türk. Yargitay), die Gülen- Bewegung als terroristische Organisation. In dieser Entscheidung wurden auch die Kriterien für die Mitgliedschaft in dieser Organisation festgelegt (UKHO 2.2018; vergleiche Sabah 17.6.2017).
Die türkische Regierung beschuldigt die Gülen-Bewegung, hinter dem Putschversuch vom 15.7.2016 zu stecken, bei dem mehr als 250 Menschen getötet wurden. Für eine Beteiligung gibt es zwar zahlreiche Indizien, eindeutige Beweise aber ist die Regierung in Ankara bislang schuldig geblieben (DW 13.7.2018). Die Gülen-Bewegung wird von der Türkei als „Fetullahgi Terör Örgütü - (FETÖ)“, „Fetullahistische Terror Organisation", tituliert, meist in Kombination mit der Bezeichnung „Paralel Devlet Yapilanmasi (PDY)“, die „Parallele Staatsstruktur“ bedeutet (AA 28.7.2022, S.4; vgl. UKHO 2.2018). Die EU stuft die Gülen-Bewegung weiterhin nicht als Terrororganisation ein und steht auf dem Standpunkt, die Türkei müsse substanzielle Beweise vorlegen, um die EU zu einer Änderung dieser Einschätzung zu bewegen (Standard 30.11.2017; vgl. Presse 30.11.2017). Auch für die USA ist die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung keine Terrororganisation (TM 2.6.2016).Die türkische Regierung beschuldigt die Gülen-Bewegung, hinter dem Putschversuch vom 15.7.2016 zu stecken, bei dem mehr als 250 Menschen getötet wurden. Für eine Beteiligung gibt es zwar zahlreiche Indizien, eindeutige Beweise aber ist die Regierung in Ankara bislang schuldig geblieben (DW 13.7.2018). Die Gülen-Bewegung wird von der Türkei als „Fetullahgi Terör Örgütü - (FETÖ)“, „Fetullahistische Terror Organisation", tituliert, meist in Kombination mit der Bezeichnung „Paralel Devlet Yapilanmasi (PDY)“, die „Parallele Staatsstruktur“ bedeutet (AA 28.7.2022, S.4; vergleiche UKHO 2.2018). Die EU stuft die Gülen-Bewegung weiterhin nicht als Terrororganisation ein und steht auf dem Standpunkt, die Türkei müsse substanzielle Beweise vorlegen, um die EU zu einer Änderung dieser Einschätzung zu bewegen (Standard 30.11.2017; vergleiche Presse 30.11.2017). Auch für die USA ist die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung keine Terrororganisation (TM 2.6.2016).
Im Zuge der massiven Verfolgung nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 wurden - die Zahlen variieren - über 20.300 Armeeangehörige, darunter 150 der 326 Generäle und Admirale, 4.145 Richter und Staatsanwälte, mehr als 33.000 Polizeibeamte und mehr als 5.000 Akademiker entlassen. Über 540.000 Personen wurden (zeitweise) festgenommen. Über 160 Medien, mehr als 1.000 Bildungseinrichtungen und fast 2.000 NGOs wurden ohne ordentliches Verfahren geschlossen (SCF 5.10.2020). 150.000 öffentlich Bedienstete wurden entlassen (EC 6.10.2020 S. 20; vgl. SCF 5.10.2020). Nach Angaben des türkischen Innenministers, Süleyman Soylu, vom Februar 2021 wurden seit dem Putschversuch vom Sommer 2016 gegen 622.646 Personen Ermittlungen durchgeführt (SCF 4.3.2021). Mitte November berichtete der Innenminister, dass im Zeitraum vom 15.7.2016 bis 15.11.2021 rund 320.000 Personen verhaftet wurden und fast 100.000 weitere im Gefängnis landeten. Gegenwärtig (Stand 15.11.2021) befänden sich noch 22.340 Personen wegen vermeintlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung im Gefängnis (SCF 22.11.2021).Im Zuge der massiven Verfolgung nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 wurden - die Zahlen variieren - über 20.300 Armeeangehörige, darunter 150 der 326 Generäle und Admirale, 4.145 Richter und Staatsanwälte, mehr als 33.000 Polizeibeamte und mehr als 5.000 Akademiker entlassen. Über 540.000 Personen wurden (zeitweise) festgenommen. Über 160 Medien, mehr als 1.000 Bildungseinrichtungen und fast 2.000 NGOs wurden ohne ordentliches Verfahren geschlossen (SCF 5.10.2020). 150.000 öffentlich Bedienstete wurden entlassen (EC 6.10.2020 S. 20; vergleiche SCF 5.10.2020). Nach Angaben des türkischen Innenministers, Süleyman Soylu, vom Februar 2021 wurden seit dem Putschversuch vom Sommer 2016 gegen 622.646 Personen Ermittlungen durchgeführt (SCF 4.3.2021). Mitte November berichtete der Innenminister, dass im Zeitraum vom 15.7.2016 bis 15.11.2021 rund 320.000 Personen verhaftet wurden und fast 100.000 weitere im Gefängnis landeten. Gegenwärtig (Stand 15.11.2021) befänden sich noch 22.340 Personen wegen vermeintlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung im Gefängnis (SCF 22.11.2021).
Laut Staatspräsident Erdogan sind die staatlichen Institutionen noch nicht vollständig von Mitgliedern der FETÖ „befreit“ (Ahval 10.4.2019). Die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung im Rahmen des sog. „Kampfes gegen den Terrorismus“ dauert an (AA 28.7.2022, S. 7; vgl. ÖB 30.11.2021, S.23, EC 19.10.2021, S. 45). Zwar wurde der größte Teil der Gülen-Aktivisten mittlerweile bereits verhaftet und verurteilt, doch kommt es weiterhin zu Festnahmen, insbesondere unter Lehrkräften, Soldaten und Polizisten (ÖB 30.11.2021, S.23). Laut Innenminister würde noch nach rund 25.000 Personen (Stand November 2021) wegen terroristischer Vergehen gefahndet (SCF 22.11.2021). Oft genügen zur Einleitung einer Strafverfolgung schon Informationen von Dritten, dass eine angeführte Person der Gülen-Bewegung angehört oder ihr nahesteht. Betroffen sind auch österreichische Staatsbürger sowie türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Österreich (ÖB 30.11.2021, S. 23). Allein in Ankara kamen laut Meldung der Polizei über 1.200 vermeintliche Unterstützer der Gülen-Bewegung in den Genuss einer Amnestie, da aufgrund der Aussagen von Verdächtigen 19.856 weitere Gülen-Mitglieder identifiziert werden konnten. Darüber hinaus identifizierte die Polizei in der Hauptstadt aufgrund der Informationen insgesamt 4.780 bislang unbekannte Gülen-Mitglieder (Anadolu 17.2.2022).Laut Staatspräsident Erdogan sind die staatlichen Institutionen noch nicht vollständig von Mitgliedern der FETÖ „befreit“ (Ahval 10.4.2019). Die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung im Rahmen des sog. „Kampfes gegen den Terrorismus“ dauert an (AA 28.7.2022, S. 7; vergleiche ÖB 30.11.2021, S.23, EC 19.10.2021, S. 45). Zwar wurde der größte Teil der Gülen-Aktivisten mittlerweile bereits verhaftet und verurteilt, doch kommt es weiterhin zu Festnahmen, insbesondere unter Lehrkräften, Soldaten und Polizisten (ÖB 30.11.2021, S.23). Laut Innenminister würde noch nach rund 25.000 Personen (Stand November 2021) wegen terroristischer Vergehen gefahndet (SCF 22.11.2021). Oft genügen zur Einleitung einer Strafverfolgung schon Informationen von Dritten, dass eine angeführte Person der Gülen-Bewegung angehört oder ihr nahesteht. Betroffen sind auch österreichische Staatsbürger sowie türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Österreich (ÖB 30.11.2021, S. 23). Allein in Ankara kamen laut Meldung der Polizei über 1.200 vermeintliche Unterstützer der Gülen-Bewegung in den Genuss einer Amnestie, da aufgrund der Aussagen von Verdächtigen 19.856 weitere Gülen-Mitglieder identifiziert werden konnten. Darüber hinaus identifizierte die Polizei in der Hauptstadt aufgrund der Informationen insgesamt 4.780 bislang unbekannte Gülen-Mitglieder (Anadolu 17.2.2022).
Exemplarisch sind wegen der schieren Anzahl hier nur die umfangreichsten Operationen gegen vermeintliche Gülen-Mitglieder seit Herbst 2021 angeführt: Zwischen dem 6. und 10.9.2021 ordneten die Behörden die Inhaftierung von insgesamt 279 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung an. Am 8.9.2021 erließ die Staatsanwaltschaft in mehreren Städten 65 Haftbefehle gegen Militäroffiziere, Richter und Staatsanwälte sowie Rechtsanwälte und Lehrer. Einige der Verdächtigten werden beschuldigt, über Münztelefone mit ihren Kontakten in der Gülen-Bewegung kommuniziert zu haben, weitere werden verdächtigt, die Handy-Anwendung ByLock genutzt zu haben (BAMF 13.9.2021, S. 16; vgl. SDZ 7.9.2021). Bereits am13.9.2021 wurden 33 entlassene und aktive Soldaten (Anadolu 13.9.2021), und am 24.9.2021 35 Personen, die Teil eines geheimen Netzwerks der Gülen-Bewegung innerhalb der türkischen Streitkräfte sein sollen, verhaftet (BAMF 27.9.2021, S.15). In der ersten Oktoberwoche 2021 wurden bei landesweiten Razzien über 100 Personen festgenommen. Bei den Verdächtigten handelt es sich hauptsächlich um Staatsbedienstete, darunter Angestellte des Militärs und der Luftwaffe, sowie derzeitige oder ehemalige Mitarbeiter des Petro-Chemie-Unternehmens „Pet- kim". Letztere sollen Konten bei der inzwischen geschlossenen Asya-Bank geführt haben (BAMF 11.10.2021, S. 13; vgl. DS 5.10.2021). Zudem wurden am 5.10.2021 durch den Rat der Richter- und Staatsanwälte (HSK) zehn Mitglieder der Staatsanwaltschaft und drei Mitglieder der Richterschaft ihres Amtes enthoben. Der HSK entschied, dass die Beschuldigten aufgrund ihrer mutmaßlichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung, nicht in der Lage seien, ihre Berufe auszuüben (BAMF 11.10.2021, S. 13). Am 15.10.2021 erließ die Generalstaatsanwaltschaft Ankarawegen mutmaßlicher Tätigkeiten für die Gülen-Bewegung Haftbefehle gegen 98 Personen innerhalb des Generalkommandos der Gendarmerie. Weitere 46 Personen wurden bei Polizeieinsätzen in 45 Provinzen festgenommen (BAMF 18.10.2021, S. 14), und am 19.10.2021 haben türkische Sicherheitskräfte auf der Basis von 158 Haftbefehlen der Staatsanwaltschaft in Izmir mindestens 97 Personen bei gleichzeitigen Operationen in 41 Provinzen verhaftet, darunter sowohl aktive Soldaten als auch Militärschüler (Anadolu 19.10.2021). Im Rahmen einer von der Generalstaatsanwaltschaft in izmir eingeleiteten Untersuchung wurden am 20.10.2021 Haftbefehle aufgrund eines geheimen Zeugen gegen 39 Frauen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung erlassen. Während Razzien in fünf Provinzen wurden 32 von ihnen festgenommen (BAMF 25.10.2021, S.15f; vgl. DS 20.10.2021). Am 22.10.2021 wurde die landesweite Festnahme von 81 vermeintlichen Gülen-Mitgliedern vermeldet, nebst Militärangehörigen auch Mitarbeiter des Außenministeriums (DS 22.10.2021). Anfang November 2021 wurden 40 vermeintliche Führungsmitglieder der Gülen-Bewegung, welchen die Infiltration der Gendarmerie vorgeworfen wurde, verhaftet (Anadolu 2.11.2021). Am 23.11.21 erklärte die Polizei, bei Razzien in mehreren Städten in der Türkei mindestens 132 Personen festgenommen zu haben, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu haben. Hierbei handelt es sich um entlassene Kadetten und Soldaten sowie Soldaten im aktiven Dienst wie auch Angestellte der Gendarmerie (BAMF 29.11.2021, S.16; vgl. Anadolu 23.11.2021). In der Folgewoche wurden weitere rund 60 Personen verhaftet, unter dem Verdacht, das Generalkommando der Gendarmerie unterwandert zu haben (Anadolu 30.11.2021). Auch 2022 gingen die Verhaftungswellen gegen vermeintliche Gülen-Mitglieder weiter: Am 4.1.2022 wurden bei Razzien in zahlreichen Provinzen zunächst 80 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung verhaftet, die meisten unter dem Verdacht, ein Netzwerk innerhalb der Gendarmerie aufgebaut zu haben (BAMF 10.1.2022, S. 15; vgl. DS 4.1.2022). Bereits am 11.1.2022 wurde die Verhaftung von 113 von insgesamt 185 gesuchten Gülen-Mitgliedern, insbesondere in den Reihen des Militärs, bei Razzien in über 40 Provinzen vermeldet (Anadolu 11.1.2022), gefolgt von über 50 Festnahmen am 14.1.2022 (BAMF 24.1.2022, S. 14). In der zweiten Februarhälfte wurden in Ankara und Balikesir 123 vermeintliche Gülen-Mitglieder verhaftet (Ahval 22.2.2022). Am 1.3.2022 wurden bei landesweiten Operationen gegen die Gülen-Bewegung 96 Verdächtigte festgenommen, wobei die Generalstaatsanwaltschaft 19 Personen einem mutmaßlichen Netzwerk der Gruppe unter dem Kommando der Luftstreitkräfte zuordnete (BAMF 7.3.2022, S. 9; vgl. DS 1.3.2022). Bereits eine Woche später wurden 105 von 127 gesuchten Verdächtigen in den Streitkräften in rund 50 Städten festgenommen (DS 8.3.2022). Der April 2022 sah mehrere Verhaftungswellen (DS 13.4.2022; DS 26.4.2022). Bei der größten Operation wurden 133 Personen, insbesondere in Izmir, festgenommen, darunter sowohl Beamte als auch ehemalige und aktive Mitglieder der Streitkräfte (DS 19.4.2022). Nachdem am 17.5.2022 35 Personen, darunter Lehr- und Krankenhauspersonal, festgenommen wurden (DS 17.5.2022; vgl. BAMF 23.5.2022, S. 13f.), wurden eine Woche später bei landesweiten Operationen, mit Schwerpunkten in Ankara und Izmir, 92 vermeintliche Gülen-Unterstützer verhaftet (DS 24.5.2022). Außerdem gab der Rat der Richter und Staatsanwälte (HSK) am 17.5.2022 bekannt, dass 15 Richter und Staatsanwälte, die der Gülen-Mitgliedschaft beschuldigt werden, dauerhaft von ihren Posten enthoben wurden (BAMF 23.5.2022, S. 14). Im Juni 2022 vermeldeten die türkischen Medien am 14. des Monats die Festnahme von 53 und eine Woche später die Verhaftung von weiteren 44 vermeintlichen Gülen-Mitgliedern, die vornämlich die Streitkräfte infiltriert hätten (DS 14.6.2022; DS 21.6.2022).Exemplarisch sind wegen der schieren Anzahl hier nur die umfangreichsten Operationen gegen vermeintliche Gülen-Mitglieder seit Herbst 2021 angeführt: Zwischen dem 6. und 10.9.2021 ordneten die Behörden die Inhaftierung von insgesamt 279 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung an. Am 8.9.2021 erließ die Staatsanwaltschaft in mehreren Städten 65 Haftbefehle gegen Militäroffiziere, Richter und Staatsanwälte sowie Rechtsanwälte und Lehrer. Einige der Verdächtigten werden beschuldigt, über Münztelefone mit ihren Kontakten in der Gülen-Bewegung kommuniziert zu haben, weitere werden verdächtigt, die Handy-Anwendung ByLock genutzt zu haben (BAMF 13.9.2021, S. 16; vergleiche SDZ 7.9.2021). Bereits am13.9.2021 wurden 33 entlassene und aktive Soldaten (Anadolu 13.9.2021), und am 24.9.2021 35 Personen, die Teil eines geheimen Netzwerks der Gülen-Bewegung innerhalb der türkischen Streitkräfte sein sollen, verhaftet (BAMF 27.9.2021, S.15). In der ersten Oktoberwoche 2021 wurden bei landesweiten Razzien über 100 Personen festgenommen. Bei den Verdächtigten handelt es sich hauptsächlich um Staatsbedienstete, darunter Angestellte des Militärs und der Luftwaffe, sowie derzeitige oder ehemalige Mitarbeiter des Petro-Chemie-Unternehmens „Pet- kim". Letztere sollen Konten bei der inzwischen geschlossenen Asya-Bank geführt haben (BAMF 11.10.2021, S. 13; vergleiche DS 5.10.2021). Zudem wurden am 5.10.2021 durch den Rat der Richter- und Staatsanwälte (HSK) zehn Mitglieder der Staatsanwaltschaft und drei Mitglieder der Richterschaft ihres Amtes enthoben. Der HSK entschied, dass die Beschuldigten aufgrund ihrer mutmaßlichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung, nicht in der Lage seien, ihre Berufe auszuüben (BAMF 11.10.2021, S. 13). Am 15.10.2021 erließ die Generalstaatsanwaltschaft Ankarawegen mutmaßlicher Tätigkeiten für die Gülen-Bewegung Haftbefehle gegen 98 Personen innerhalb des Generalkommandos der Gendarmerie. Weitere 46 Personen wurden bei Polizeieinsätzen in 45 Provinzen festgenommen (BAMF 18.10.2021, S. 14), und am 19.10.2021 haben türkische Sicherheitskräfte auf der Basis von 158 Haftbefehlen der Staatsanwaltschaft in Izmir mindestens 97 Personen bei gleichzeitigen Operationen in 41 Provinzen verhaftet, darunter sowohl aktive Soldaten als auch Militärschüler (Anadolu 19.10.2021). Im Rahmen einer von der Generalstaatsanwaltschaft in izmir eingeleiteten Untersuchung wurden am 20.10.2021 Haftbefehle aufgrund eines geheimen Zeugen gegen 39 Frauen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung erlassen. Während Razzien in fünf Provinzen wurden 32 von ihnen festgenommen (BAMF 25.10.2021, S.15f; vergleiche DS 20.10.2021). Am 22.10.2021 wurde die landesweite Festnahme von 81 vermeintlichen Gülen-Mitgliedern vermeldet, nebst Militärangehörigen auch Mitarbeiter des Außenministeriums (DS 22.10.2021). Anfang November 2021 wurden 40 vermeintliche Führungsmitglieder der Gülen-Bewegung, welchen die Infiltration der Gendarmerie vorgeworfen wurde, verhaftet (Anadolu 2.11.2021). Am 23.11.21 erklärte die Polizei, bei Razzien in mehreren Städten in der Türkei mindestens 132 Personen festgenommen zu haben, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu haben. Hierbei handelt es sich um entlassene Kadetten und Soldaten sowie Soldaten im aktiven Dienst wie auch Angestellte der Gendarmerie (BAMF 29.11.2021, S.16; vergleiche Anadolu 23.11.2021). In der Folgewoche wurden weitere rund 60 Personen verhaftet, unter dem Verdacht, das Generalkommando der Gendarmerie unterwandert zu haben (Anadolu 30.11.2021). Auch 2022 gingen die Verhaftungswellen gegen vermeintliche Gülen-Mitglieder weiter: Am 4.1.2022 wurden bei Razzien in zahlreichen Provinzen zunächst 80 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung verhaftet, die meisten unter dem Verdacht, ein Netzwerk innerhalb der Gendarmerie aufgebaut zu haben (BAMF 10.1.2022, S. 15; vergleiche DS 4.1.2022). Bereits am 11.1.2022 wurde die Verhaftung von 113 von insgesamt 185 gesuchten Gülen-Mitgliedern, insbesondere in den Reihen des Militärs, bei Razzien in über 40 Provinzen vermeldet (Anadolu 11.1.2022), gefolgt von über 50 Festnahmen am 14.1.2022 (BAMF 24.1.2022, S. 14). In der zweiten Februarhälfte wurden in Ankara und Balikesir 123 vermeintliche Gülen-Mitglieder verhaftet (Ahval 22.2.2022). Am 1.3.2022 wurden bei landesweiten Operationen gegen die Gülen-Bewegung 96 Verdächtigte festgenommen, wobei die Generalstaatsanwaltschaft 19 Personen einem mutmaßlichen Netzwerk der Gruppe unter dem Kommando der Luftstreitkräfte zuordnete (BAMF 7.3.2022, S. 9; vergleiche DS 1.3.2022). Bereits eine Woche später wurden 105 von 127 gesuchten Verdächtigen in den Streitkräften in rund 50 Städten festgenommen (DS 8.3.2022). Der April 2022 sah mehrere Verhaftungswellen (DS 13.4.2022; DS 26.4.2022). Bei der größten Operation wurden 133 Personen, insbesondere in Izmir, festgenommen, darunter sowohl Beamte als auch ehemalige und aktive Mitglieder der Streitkräfte (DS 19.4.2022). Nachdem am 17.5.2022 35 Personen, darunter Lehr- und Krankenhauspersonal, festgenommen wurden (DS 17.5.2022; vergleiche BAMF 23.5.2022, S. 13f.), wurden eine Woche später bei landesweiten Operationen, mit Schwerpunkten in Ankara und Izmir, 92 vermeintliche Gülen-Unterstützer verhaftet (DS 24.5.2022). Außerdem gab der Rat der Richter und Staatsanwälte (HSK) am 17.5.2022 bekannt, dass 15 Richter und Staatsanwälte, die der Gülen-Mitgliedschaft beschuldigt werden, dauerhaft von ihren Posten enthoben wurden (BAMF 23.5.2022, S. 14). Im Juni 2022 vermeldeten die türkischen Medien am 14. des Monats die Festnahme von 53 und eine Woche später die Verhaftung von weiteren 44 vermeintlichen Gülen-Mitgliedern, die vornämlich die Streitkräfte infiltriert hätten (DS 14.6.2022; DS 21.6.2022).
Anwälte von angeblichen Gülen-Mitgliedern laufen Gefahr, selbst in den Verdacht zu geraten, Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu haben (NL-MFA 18.3.2021, S. 40f.). Im September 2020 wurden 47 Rechtsanwälte festgenommen, weil diese angeblich durch ihre Rechtsberatung Gülen-Mitglieder unterstützt hätten (AM 16.9.2020; vgl. ICJ 14.9.2020) [hierzu siehe auch Kapitel: Rechtsstaatlichkeit / Justizwesen].Anwälte von angeblichen Gülen-Mitgliedern laufen Gefahr, selbst in den Verdacht zu geraten, Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu haben (NL-MFA 18.3.2021, S. 40f.). Im September 2020 wurden 47 Rechtsanwälte festgenommen, weil diese angeblich durch ihre Rechtsberatung Gülen-Mitglieder unterstützt hätten (AM 16.9.2020; vergleiche ICJ 14.9.2020) [hierzu siehe auch Kapitel: Rechtsstaatlichkeit / Justizwesen].
Mit Stand 9.4.2021 waren laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu insgesamt 4.820 Putschverdächtige verurteilt. 1.626 hatten eine lebenslange Haftstrafe unter erschwerten Bedingungen erhalten, 1.373 weitere müssen eine gewöhnliche lebenslange Haft verbüßen und 1.821 wurden zu unterschiedlich langen Gefängnisstrafen verurteilt (TM 10.4.2021). Am 26.11.2020 endete einer der bislang größten Prozesse gegen 475 vermeintliche Gülen-Mitglieder, denen eine direkte Teilnahme am Putschversuch vorgeworfen wurde. 337 Angeklagte wurden unter anderem wegen „Umsturzversuchs“, „Attentats auf den Präsidenten" und „vorsätzlicher Tötung“ zu lebenslangen Haftstrafen, in der Mehrheit zu verschärften Bedingungen, verurteilt. Ein kleinerer Teil erhielt kürzere Haftstrafen. 75 Personen wurden freigesprochen (FAZ 26.11.2020; DS 26.11.2020). Am 30.12.2020 erfolgten die Urteile im letzten Massenprozess gegen vermeintliche Gülen-Mitglieder des Jahres 2020. Von 132 Angeklagten wurden 92 zu lebenslangen Haftstrafen, darunter zwölf unter verschärften Bedingungen, wegen ihrer Aktivitäten als Mitglieder der Armee im Zuge des Putschversuches verurteilt. 22 Menschen erhielten wegen Beihilfe zum Umsturzversuch zwischen 12,5 und 19 Jahren Gefängnis. Weitere Urteile ergingen wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und wegen versuchten Mordes. Neun Soldaten sind freigesprochen worden (Anadolu 30.12.2020; vgl. ZO 30.12.2020). Am 7.4.2021 wurden nach knapp 250 Verhandlungstagen die Urteile gegen 497 Angeklagte verkündet. In 38 Fällen verhängte das Gericht in Ankara lebenslange Haftstrafen, davon sechs unter erschwerten Bedingungen. Hierzu zählten vor allem jene Offiziere, die in der Putschnacht den Staatssender TRT besetzten und die Verlesung einer Erklärung erzwangen. 106 weitere Personen müssen bis zu 16 Jahre ins Gefängnis. 121 wurden freigesprochen und gegen 231 verhängte das Gericht keine Strafen (DW 7.4.2021; vgl. AP 7.4.2021). Somit waren von den 289 Prozessen hernach noch 14 ausständig (DPA 7.4.2021).Mit Stand 9.4.2021 waren laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu insgesamt 4.820 Putschverdächtige verurteilt. 1.626 hatten eine lebenslange Haftstrafe unter erschwerten Bedingungen erhalten, 1.373 weitere müssen eine gewöhnliche lebenslange Haft verbüßen und 1.821 wurden zu unterschiedlich langen Gefängnisstrafen verurteilt (TM 10.4.2021). Am 26.11.2020 endete einer der bislang größten Prozesse gegen 475 vermeintliche Gülen-Mitglieder, denen eine direkte Teilnahme am Putschversuch vorgeworfen wurde. 337 Angeklagte wurden unter anderem wegen „Umsturzversuchs“, „Attentats auf den Präsidenten" und „vorsätzlicher Tötung“ zu lebenslangen Haftstrafen, in der Mehrheit zu verschärften Bedingungen, verurteilt. Ein kleinerer Teil erhielt kürzere Haftstrafen. 75 Personen wurden freigesprochen (FAZ 26.11.2020; DS 26.11.2020). Am 30.12.2020 erfolgten die Urteile im letzten Massenprozess gegen vermeintliche Gülen-Mitglieder des Jahres 2020. Von 132 Angeklagten wurden 92 zu lebenslangen Haftstrafen, darunter zwölf unter verschärften Bedingungen, wegen ihrer Aktivitäten als Mitglieder der Armee im Zuge des Putschversuches verurteilt. 22 Menschen erhielten wegen Beihilfe zum Umsturzversuch zwischen 12,5 und 19 Jahren Gefängnis. Weitere Urteile ergingen wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und wegen versuchten Mordes. Neun Soldaten sind freigesprochen worden (Anadolu 30.12.2020; vergleiche ZO 30.12.2020). Am 7.4.2021 wurden nach knapp 250 Verhandlungstagen die Urteile gegen 497 Angeklagte verkündet. In 38 Fällen verhängte das Gericht in Ankara lebenslange Haftstrafen, davon sechs unter erschwerten Bedingungen. Hierzu zählten vor allem jene Offiziere, die in der Putschnacht den Staatssender TRT besetzten und die Verlesung einer Erklärung erzwangen. 106 weitere Personen müssen bis zu 16 Jahre ins Gefängnis. 121 wurden freigesprochen und gegen 231 verhängte das Gericht keine Strafen (DW 7.4.2021; vergleiche AP 7.4.2021). Somit waren von den 289 Prozessen hernach noch 14 ausständig (DPA 7.4.2021).
Kriterien für die Verfolgung durch die Justiz
Die Kriterien für die Feststellung der Anhänger- bzw. Mitgliedschaft sind recht vage. Türkische Behörden und Gerichte ordnen Personen nicht nur dann als Terroristen ein, wenn diese tatsächlich aktives Mitglied der Gülen-Bewegung sind (bzw. waren), sondern auch dann, wenn diese beispielsweise lediglich persönlichen Beziehungen zu Mitgliedern der Bewegung unterhalten, eine von der Bewegung betriebene Schule besucht haben oder im Besitz von Schriften Gülens sind (AA 24.8.2020, S.9). Bereits am 3.9.2016 veröffentlichte die Tageszeitung Milliyet eine nicht erschöpfende „Liste von sechzehn Kriterien", die als Richtschnur für die Entlassung aus staatlichen Funktionen und für die Strafverfolgung dient. Personen, welche die angeführten Kriterien in unterschiedlichem Maße erfüllen, werden offiziellen Verfahren unterzogen und als „Terroristen" bezeichnet - gefolgt von ihrer Festnahme oder Inhaftierung. Nach Angaben der Regierung war das Ziel der Erstellung einer solchen Liste, „die Schuldigen von den Unschuldigen zu unterscheiden" (JWF 1.2019). In der Regel reicht das Vorliegen eines der folgenden Kriterien, um eine strafrechtliche Verfolgung als mutmaßlicher Gülenist einzuleiten: Das Nutzen der verschlüsselten Kommunikations-App „ByLock"; Geldeinlagen bei der BankAsya nach dem 25.12.2013 (bis zu deren Schließung 2016) oder anderen Finanzinstituten der sogenannten „parallelen Struktur"; Abonnement bei der Nachrichtenagentur Cihan oder der Zeitung Zaman; Spenden an Gülen-Strukturen zugeordnete Wohltätigkeitsorganisationen (AA 28.7.2022, S. 7; vgl. NL-MFA 18.3.2021, S. 38, JWF 1.2019), wie der einst größten Hilfsorganisation des Landes „Kimse Yok Mu" (JWF 1.2019); der Besuch der eigenen Kinder von Schulen, die der Gülen- Bewegung zugeordnet werden; Kontakte zu Gülen zugeordneten Gruppen/Organisationen/Firmen, inklusive Beschäftigungsverhältnisse und die Teilnahme an religiösen Versammlungen der Gülen-Bewegung (AA 28.7.2022, S. 7; vgl. JWF 1.2019). Weitere Kriterien sind u.a. die Unterstützung der Gülen-Bewegung in Sozialen Medien, der mehrmalige Besuch von Internetseiten der Gülen-Bewegung und die Nennung durch glaubwürdige Zeugenaussagen, Geständnisse Dritter oder schlicht infolge von Denunziationen (JWF 1.2019). Eine Verurteilung setzt in der Regel das Zusammentreffen mehrerer dieser Indizien voraus, wobei der Kassationsgerichtshof präzisiert hat, dass für die Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation ein gewisser Bindungsgrad der Person an die Organisation nachgewiesen werden muss (AA 28.7.2022, S. 7). Der Kassationsgerichtshof entschied im Mai 2019, dass weder das Zeitungsabonnement eines Angeklagten (SCF 6.8.2019) noch die Einschreibung seines Kindes in einer Gülen-Schule für eine Verurteilung ausreicht (AA 28.7.2022, S. 7; vgl. SCF 6.8.2019).Die Kriterien für die Feststellung der Anhänger- bzw. Mitgliedschaft sind recht vage. Türkische Behörden und Gerichte ordnen Personen nicht nur dann als Terroristen ein, wenn diese tatsächlich aktives Mitglied der Gülen-Bewegung sind (bzw. waren), sondern auch dann, wenn diese beispielsweise lediglich persönlichen Beziehungen zu Mitgliedern der Bewegung unterhalten, eine von der Bewegung betriebene Schule besucht haben oder im Besitz von Schriften Gülens sind (AA 24.8.2020, S.9). Bereits am 3.9.2016 veröffentlichte die Tageszeitung Milliyet eine nicht erschöpfende „Liste von sechzehn Kriterien", die als Richtschnur für die Entlassung aus staatlichen Funktionen und für die Strafverfolgung dient. Personen, welche die angeführten Kriterien in unterschiedlichem Maße erfüllen, werden offiziellen Verfahren unterzogen und als „Terroristen" bezeichnet - gefolgt von ihrer Festnahme oder Inhaftierung. Nach Angaben der Regierung war das Ziel der Erstellung einer solchen Liste, „die Schuldigen von den Unschuldigen zu unterscheiden" (JWF 1.2019). In der Regel reicht das Vorliegen eines der folgenden Kriterien, um eine strafrechtliche Verfolgung als mutmaßlicher Gülenist einzuleiten: Das Nutzen der verschlüsselten Kommunikations-App „ByLock"; Geldeinlagen bei der BankAsya nach dem 25.12.2013 (bis zu deren Schließung 2016) oder anderen Finanzinstituten der sogenannten „parallelen Struktur"; Abonnement bei der Nachrichtenagentur Cihan oder der Zeitung Zaman; Spenden an Gülen-Strukturen zugeordnete Wohltätigkeitsorganisationen (AA 28.7.2022, S. 7; vergleiche NL-MFA 18.3.2021, S. 38, JWF 1.2019), wie der einst größten Hilfsorganisation des Landes „Kimse Yok Mu" (JWF 1.2019); der Besuch der eigenen Kinder von Schulen, die der Gülen- Bewegung zugeordnet werden; Kontakte zu Gülen zugeordneten Gruppen/Organisationen/Firmen, inklusive Beschäftigungsverhältnisse und die Teilnahme an religiösen Versammlungen der Gülen-Bewegung (AA 28.7.2022, S. 7; vergleiche JWF 1.2019). Weitere Kriterien sind u.a. die Unterstützung der Gülen-Bewegung in Sozialen Medien, der mehrmalige Besuch von Internetseiten der Gülen-Bewegung und die Nennung durch glaubwürdige Zeugenaussagen, Geständnisse Dritter oder schlicht infolge von Denunziationen (JWF 1.2019). Eine Verurteilung setzt in der Regel das Zusammentreffen mehrerer dieser Indizien voraus, wobei der Kassationsgerichtshof präzisiert hat, dass für die Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation ein gewisser Bindungsgrad der Person an die Organisation nachgewiesen werden muss (AA 28.7.2022, S. 7). Der Kassationsgerichtshof entschied im Mai 2019, dass weder das Zeitungsabonnement eines Angeklagten (SCF 6.8.2019) noch die Einschreibung seines Kindes in einer Gülen-Schule für eine Verurteilung ausreicht (AA 28.7.2022, S. 7; vergleiche SCF 6.8.2019).
Laut Eigenangaben differenzieren die türkischen Behörden unterschiedliche Schweregrade der Beteiligung an der Gülen-Bewegung. Im März 2020 erklärte die 16. Strafkammer des Verfassungsgerichts, zuständig für Berufungen in allen Gülen-Fällen, dass es sieben Stufen der Beteiligung gäbe: Die erste Ebene besteht aus den Menschen, die die Gülen-Bewegung aus guter Absicht (finanziell) unterstützten. Die zweite Schicht besteht aus einer loyalen Gruppe von Menschen, die in Gülen-Organisationen arbeiteten und mit der Ideologie der Gülen-Bewegung vertraut war. Die dritte Gruppe besteht aus Ideologen, die sich die Gülen-Ideologie zu eigen machten und in ihrem Umfeld verbreiteten. Die vierte Gruppe waren Inspektoren, die die verschiedenen Formen von Dienstleistungen der Gülen-Bewegung überwachten. Die fünfte Gruppe setzte sich aus Beamten zusammen, die für die Erstellung und Umsetzung der Politik der Gülen-Bewegung verantwortlich war. Die sechste Gruppe bildet den elitären Kreis, der den Kontakt zwischen den verschiedenen Segmenten der Organisation aufrechterhielt bzw. dies immer noch tut, aber auch Personen aus ihren Positionen entlassen konnte. Die siebte Gruppe besteht aus siebzehn Personen, die direkt von Fethullah Gülen ausgewählt wurden und an der Spitze der Gülen-Bewegung stehen. Zwar kann jeder mit einem Gülen-Hintergrund verfolgt werden, doch scheint eine Priorisierung nach Berufsgruppen zu bestehen, wonach Armee-, Polizei- und Angehörige des diplomatischen Corps, gefolgt von Juristen, stärker ins Visier genommen werden als beispielsweise Mitarbeiter im Medien- oder Bildungsbereich (NL-MFA 18.3.2021 S. 38f.).
Die Entscheidung der türkischen Behörden, vermeintliche Gülen-Mitglieder strafrechtlich zu verfolgen oder nicht, scheint sehr willkürlich zu sein. Moderate Richter tendieren zwischen „passiven" und „aktiven" Gülen-Mitgliedern zu unterschieden, während Hardliner keine Unterscheidung hinsichtlich der Kriterien einer vermeintlichen Unterstützung oder Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung machen. Infolgedessen ist der Ausgang der Strafverfahren, insbesondere hinsichtlich des Strafausmaßes, willkürlich (NL-MFA 18.3.2021, S. 41).
Die Strafverfolgungsbehörden wenden zur Identifizierung vermeintlicher Gülen-Mitglieder eine Überwachungs-Software an, die anhand von 78 Haupt- und 253 Sekundärkriterien Verdächtigte ausfindig macht, der sog. „FETÖ-Meter". Dazu gehören etwa Daten über den Bildungswerdegang, die Verwandtschaft und den Vermögensstand. Verdächtige Merkmale sind beispielsweise der Dienst in einer NATO-Vertretung im Ausland oder ein Doktorat. Bei Militärangehörigen gilt die eigene Hochzeit außerhalb von Gebäuden im Besitz des Militärs als Verdachtsmoment, weil unterstellt wird, dass dies der Verschleierung der Identitäten der Hochzeitsgäste diente (TM 5.3.2021). Das FETÖ-Meter sammelte zu Beginn insbesondere nachrichtendienstliche Daten aus allen Bereichen der Armee sowie aus Ministerien und Behörden, um mögliche, aus der Sicht der Behörden, Infiltratoren aufzuspüren. Die Ermittler untersuchten mit dem Tool auch etwa 1 Million Handynummern, die auf ehemalige und noch dienende Marineoffiziere registriert waren und fanden angeblich heraus, dass 1.500 von ihnen Nutzer der verschlüsselten Messenger-App „ByLock" waren. Ebenso wurden die Kontoinformationen von Offizieren bei der inzwischen aufgelösten Bank Asya zur Identifizierung verwendet (DS 12.9.2018). Der FETÖ-Meter inspirierte auch andere staatliche Stellen zu einer ähnlichen Politik, wie die Sozialversicherungsanstalt (SGK), die seit vier Jahren mutmaßliche Gülen-Sympathisanten in ihrer Datenbank mit dem „Code 36" kennzeichnet. Die Kennzeichnung ist automatisch für jeden potenziellen Arbeitgeber sichtbar, was zu Befürchtungen bei denjenigen führt, die erwägen, eine dieser Personen einzustellen (TM 5.3.2021).
Es ist ein soziales Stigma, ein Gülen-Mitglied zu sein, weshalb sich viele Bürger von ihnen distanzieren. Diese Haltung beruht nicht immer auf Hass und Abneigung, sondern ist eine Form des Selbstschutzes, aus Angst strafrechtlich verfolgt zu werden, wenn sie mit Personen der Gülen- Bewegung in Verbindung gebracht werden. Infolge der Anfeindungen und der Stigmatisierung haben vermeintliche oder tatsächliche Gülen-Mitglieder Schwierigkeiten, in der türkischen Gesellschaft zu überleben. Arbeitgeber sind nicht geneigt, diese einzustellen, aus Angst, selbst als Unterstützer oder Mitglieder der Gülen-Bewegung angesehen zu werden. Es gibt Berichte, wonach arbeitslose Gülen-Mitglieder zur Schattenwirtschaft auf der Straße oder zu einem Leben als Selbstversorger im Dorf ihrer Vorfahren verdammt sind (NL-MFA 18.3.2021, S. 43).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 23.11.2021 ein Urteil zu 427 türkischen Richtern und Staatsanwälten gefällt, darunter Mitglieder des Kassationsgerichtshofs und des Staatsrates [oberstes Verwaltungsgericht], die wegen des Verdachtes der Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung aus dem Staatsdienst entlassen und festgenommen worden waren. Gemäß EGMR-Urteil war deren Inhaftierung willkürlich und damit rechtswidrig. Die Türkei wurde deshalb zu Schadensersatzzahlungen von 5.000 EUR pro Person verurteilt. Im Verfahren ging es vor allem um die Frage, ob die besagten Vertreter der Justiz überhaupt in Untersuchungshaft genommen werden durften, da das türkische Recht dies für die Mitglieder der Justiz nicht erlaubt, mit Ausnahme bei unmittelbarer Verübung einer Straftat, worauf sich die türkische Regierung berief. Diese Begründung wies der EGMR als abwegig zurück, da die Mitgliedschaft in einer Organisation keine „in flagranti"-Tat sein könne (BAMF 6.12.2021, S. 14).
Das Kassationsgericht sprach am 21.6.2022, sechs Jahre nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei, 71 ehemalige Militärschüler frei, die wegen Beteiligung am Umsturzversuch zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren (Spiegel 23.6.2022; vgl. Bianet 22.6.2022).Das Kassationsgericht sprach am 21.6.2022, sechs Jahre nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei, 71 ehemalige Militärschüler frei, die wegen Beteiligung am Umsturzversuch zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren (Spiegel 23.6.2022; vergleiche Bianet 22.6.2022).
ByLock
ByLock ist eine Handy-Applikation zur verschlüsselten, sicheren Kommunikation. Im September 2017 entschied das Kassationsgericht, dass der Besitz von ByLock einen ausreichenden Nachweis darstellt, um die Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung festzustellen. Mehrere Personen, die wegen angeblicher Nutzung von ByLock verhaftet wurden, wurden freigelassen, nachdem im Dezember 2017 nachgewiesen wurde, dass Hunderte von Personen zu Unrecht der Nutzung der mobilen Anwendung beschuldigt wurden (EC 17.4.2018). Allerdings urteilte der Verfassungsgerichtshof im Juni 2020 anlässlich eines Beschwerdeverfahrens, dass die Benutzung von ByLock als ausreichender Beweis für die Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung gilt (Ahval 27.6.2020).
Laut Innenministerium wurden (Stand November 2021) mehr als 99.300 Nutzer von ByLock wegen Terrorismus angeklagt (SCF 22.11.2021). Auch 2021 und 2022 ist es zu Verhaftungen auf der Grundlage der Verwendung von ByLock gekommen. Beispielsweise ordnete die Staatsanwaltschaft von Konya im Jänner 2021 die Festnahme von 17 Verdächtigen in einem Untersuchungsverfahren wegen der Verwendung von ByLock an. 13 bereits Festgenommene sollen via ByLock Anordnungen von höher gestellten Mitgliedern der Gülen-Bewegung an niedere Ränge weitergeleitet haben (DS 26.1.2021). Im März erließ die Staatsanwaltschaft Ankara Haftbefehle gegen 15 Verdächtige (Anadolu 10.3.2021) und im Mai 2021 wurden neun vermeintliche Benutzer von ByLock festgenommen (Anadolu 25.5.2021). Am 10.2.2022 sind mindestens 21 Personen wegen der Nutzung der App ByLock als Beweis einer Verbindung zur Gülen-Bewegung festgenommen worden (BAMF 14.2.2022, S. 18).
Die Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur willkürlichen Inhaftierung gab im Oktober 2019 eine Stellungnahme ab, wonach die Nutzung von ByLock unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt. Solange die türkischen Behörden nicht offen erklären würden, wie die Verwendung von ByLock einer kriminellen Aktivität gleichkommt, wären Verhaftungen aufgrund der Benutzung von ByLock willkürlich (TM 15.10.2019; vgl. UN-HRC 18.9.2019). Die Arbeitsgruppe bedauerte zudem, dass ihre Ansichten in vormaligen Stellungnahmen zu Fällen, die nach dem gleichen Muster abgelaufen waren, seitens der türkischen Behörden keine Berücksichtigung gefunden hatten (UN-HRC 18.9.2019).Die Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur willkürlichen Inhaftierung gab im Oktober 2019 eine Stellungnahme ab, wonach die Nutzung von ByLock unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt. Solange die türkischen Behörden nicht offen erklären würden, wie die Verwendung von ByLock einer kriminellen Aktivität gleichkommt, wären Verhaftungen aufgrund der Benutzung von ByLock willkürlich (TM 15.10.2019; vergleiche UN-HRC 18.9.2019). Die Arbeitsgruppe bedauerte zudem, dass ihre Ansichten in vormaligen Stellungnahmen zu Fällen, die nach dem gleichen Muster abgelaufen waren, seitens der türkischen Behörden keine Berücksichtigung gefunden hatten (UN-HRC 18.9.2019).
Am 20.7.2021 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass sich der betroffene ehemalige Polizist, Tekin Akgün, zu Unrecht seit 2016 wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung in Untersuchungshaft befindet, und zwar, weil die Festnahme lediglich auf der Benutzung von ByLock fußt. Laut Urteil des EGMR verfügte das türkische Gericht nicht über ausreichende Informationen zu ByLock, um zu dem Schluss zu kommen, dass diese Messenger-Anwendung ausschließlich von Mitgliedern der Gülen-Bewegung zu Zwecken der internen Kommunikation verwendet wurde. In Ermangelung anderer Beweise oder Informationen könne das fragliche Dokument, in dem lediglich festgestellt werde, dass der Kläger ein Nutzer von ByLock sei, für sich genommen nicht darauf hindeuten, dass ein begründeter Verdacht bestehe, dass er ByLock tatsächlich in einer Weise nutzte, die den vorgeworfenen Straftaten gleichkommen könne. Der EGMR stellte dahingehend eine Verletzung von Artikel 5 § 1 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), von Artikel 5 § 3 (Recht auf ein Gerichtsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Freilassung bis zur Gerichtsverfahren) und eine Verletzung von Artikel 5 § 4 (Recht auf eine zügige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung) der Europäischen Menschenrechtskonvention fest. Das Gericht entschied, dass die Türkei dem Kläger 12.000 Euro für den immateriellen Schaden und 1.000 Euro für Kosten und Auslagen zu ersetzen hat (ECHR 20.7.2021, S. 1,6).Am 20.7.2021 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass sich der betroffene ehemalige Polizist, Tekin Akgün, zu Unrecht seit 2016 wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung in Untersuchungshaft befindet, und zwar, weil die Festnahme lediglich auf der Benutzung von ByLock fußt. Laut Urteil des EGMR verfügte das türkische Gericht nicht über ausreichende Informationen zu ByLock, um zu dem Schluss zu kommen, dass diese Messenger-Anwendung ausschließlich von Mitgliedern der Gülen-Bewegung zu Zwecken der internen Kommunikation verwendet wurde. In Ermangelung anderer Beweise oder Informationen könne das fragliche Dokument, in dem lediglich festgestellt werde, dass der Kläger ein Nutzer von ByLock sei, für sich genommen nicht darauf hindeuten, dass ein begründeter Verdacht bestehe, dass er ByLock tatsächlich in einer Weise nutzte, die den vorgeworfenen Straftaten gleichkommen könne. Der EGMR stellte dahingehend eine Verletzung von Artikel 5 Paragraph eins, (Recht auf Freiheit und Sicherheit), von Artikel 5 Paragraph 3, (Recht auf ein Gerichtsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Freilassung bis zur Gerichtsverfahren) und eine Verletzung von Artikel 5 Paragraph 4, (Recht auf eine zügige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung) der Europäischen Menschenrechtskonvention fest. Das Gericht entschied, dass die Türkei dem Kläger 12.000 Euro für den immateriellen Schaden und 1.000 Euro für Kosten und Auslagen zu ersetzen hat (ECHR 20.7.2021, S. 1,6).
Asya Bank
Die von Gülen-Anhängern betriebene und getragene „Bank Asya" kam nach dem gescheiterten Putschversuch zunehmend unter Druck und wurde ab 22.7.2016 gänzlich unter Verwaltung des Staates gestellt. Mit dem Bankengesetz Nr. 5411 wurde der Bank die Betriebserlaubnis vollständig entzogen. Eine Kontoeröffnung ist seither nicht mehr möglich. Bis zum 22.7.2016 hatten neben Gülen nahestehenden Beamten vor allem Geschäftsleute und einige Privatpersonen Konten bei der Asya-Bank. In vielen Fällen reichte es, über ein Konto bei dieser Bank zu verfügen, um wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung angeklagt zu werden. Viele Angeklagte wurden jedoch nicht verurteilt, wenn keine weiteren Indizien Vorlagen. Allerdings konnte die bloße Einzahlung von Geld bei der Asya-Bank nach dem 25.12.2013 zu einer Suspendierung von Beamten aus dem öffentlichen Dienst führen (ÖB 30.11.2020, S. 23).
Das Kassationsgericht entschied 2018, dass diejenigen, die nach dem Aufruf von Fetullah Gülen Anfang 2014 Geld bei der Bank Asya eingezahlt hatten, als Unterstützer und Begünstiger der Gülen-Bewegung angesehen werden sollten (DS 11.2.2018; vgl. TP 16.2.2019). Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara hat Ende Mai 2018 Haftbefehle gegen 59 Personen erlassen, die Kunden der Bank Asya waren (TM 30.5.2018). Im September 2019 ordneten Staatsanwälte die Festnahme von 35 Personen an, die beschuldigt wurden, die Messenger-App ByLock verwendet und gleichzeitig Geld in der Asya Katilim Bank deponiert zu haben (DS 18.9.2019). [Mehr zu Verurteilungen siehe Kapitel: Rechtsschutz/Justizwesen.]Das Kassationsgericht entschied 2018, dass diejenigen, die nach dem Aufruf von Fetullah Gülen Anfang 2014 Geld bei der Bank Asya eingezahlt hatten, als Unterstützer und Begünstiger der Gülen-Bewegung angesehen werden sollten (DS 11.2.2018; vergleiche TP 16.2.2019). Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara hat Ende Mai 2018 Haftbefehle gegen 59 Personen erlassen, die Kunden der Bank Asya waren (TM 30.5.2018). Im September 2019 ordneten Staatsanwälte die Festnahme von 35 Personen an, die beschuldigt wurden, die Messenger-App ByLock verwendet und gleichzeitig Geld in der Asya Katilim Bank deponiert zu haben (DS 18.9.2019). [Mehr zu Verurteilungen siehe Kapitel: Rechtsschutz/Justizwesen.]
Gülen-Schulen
Die Gülen-Bewegung betrieb einst Schulen rund um den Globus (BBC 21.7.2016). Die Schließung der Schulen stellt die Gülen-Bewegung vor große Herausforderungen, da sie eine wichtige Rolle bei der Finanzierung und der Anwerbung neuer Anhänger spielten. Um den Zugang des türkischen Staates zu verhindern, erklärten sich viele Schulen nicht mehr als türkische, sondern als lokale Institutionen. Durch eine Mischung aus politischem Druck und wirtschaftlichen Anreizen hat die Türkei versucht, die Gastländer davon zu überzeugen, die Gülen-Schulen, Schülerwohnheime und Universitäten an die türkische Maarif-Stiftung zu übergeben (NZZ 14.2.2020), oder auf der Basis von bilateralen Abkommen mit den jeweiligen Ländern zu schließen bzw. anderen Eigentümern zu übertragen (SCF 5.2.2019; vgl. DS 31.7.2018). Laut dem Leiter der Stiftung, Birol Akgün, wurden bis März 2021 216 Gülen-Schulen in 44 Ländern übernommen (TM 23.3.2021). Wann immer die Interventionen der türkischen Regierung, die Gülen-Schulen zu schließen, sich nicht als erfolgreich erweisen, strebt sie über die Maarif-Stiftung die Eröffnung eigener Schulen an. Bislang hat die Maarif-Stiftung etwa 100 Schulen selbst gegründet (NZZ 14.2.2020).Die Gülen-Bewegung betrieb einst Schulen rund um den Globus (BBC 21.7.2016). Die Schließung der Schulen stellt die Gülen-Bewegung vor große Herausforderungen, da sie eine wichtige Rolle bei der Finanzierung und der Anwerbung neuer Anhänger spielten. Um den Zugang des türkischen Staates zu verhindern, erklärten sich viele Schulen nicht mehr als türkische, sondern als lokale Institutionen. Durch eine Mischung aus politischem Druck und wirtschaftlichen Anreizen hat die Türkei versucht, die Gastländer davon zu überzeugen, die Gülen-Schulen, Schülerwohnheime und Universitäten an die türkische Maarif-Stiftung zu übergeben (NZZ 14.2.2020), oder auf der Basis von bilateralen Abkommen mit den jeweiligen Ländern zu schließen bzw. anderen Eigentümern zu übertragen (SCF 5.2.2019; vergleiche DS 31.7.2018). Laut dem Leiter der Stiftung, Birol Akgün, wurden bis März 2021 216 Gülen-Schulen in 44 Ländern übernommen (TM 23.3.2021). Wann immer die Interventionen der türkischen Regierung, die Gülen-Schulen zu schließen, sich nicht als erfolgreich erweisen, strebt sie über die Maarif-Stiftung die Eröffnung eigener Schulen an. Bislang hat die Maarif-Stiftung etwa 100 Schulen selbst gegründet (NZZ 14.2.2020).
Verfolgung im Ausland: Auslieferungsanträge und Entführungen
Über 100 mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung wurden laut türkischem Außenminister vom Geheimdienst (MiT) im Ausland entführt und im Rahmen der globalen Fahndung der Regierung in die Türkei zurückgebracht (SCF 16.7.2018). Laut Justizminister Abdülhamit Gül waren es Ende März 2019 107 (Anadolu 27.3.2019). Demnach seien Menschen aus Malaysia, Pakistan, Kasachstan, dem Kosovo, Moldawien, Aserbaidschan, Ukraine, Gabun und Myanmar von der türkischen Regierung entführt worden. Ein weiterer Versuch in der Mongolei sei von der mongolischen Polizei im Juli 2018 verhindert worden (Welt 15.9.2019). Der türkische Nachrichtendienst MiT als Hauptakteur organisierte verdeckte Operationen, um hauptsächlich Personen mit angeblichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu entführen und in die Türkei zu bringen, manchmal in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden des Landes und in einigen anderen Fällen, ohne sich überhaupt die Mühe zu machen, diese zu informieren. Etliche Regierungen unterstützten die türkische Seite, indem sie selbst die Verfolgung bzw. Auslieferung von vermeintlichen Gülen-Mitgliedern in ihren jeweiligen Ländern durchführten (AST 9.2020). Zu
Beginn des Jahres 2021 wurden mindestens 17 Staaten gezählt, an deren Spitze Saudi-Arabien, die seit 2016 Personen mit Verbindungen zur Gülen-Bewegung an die Türkei auslieferten (FT 14.1.2021). So lieferte die Ukraine Anfang Jänner 2021 zwei hochrangige Mitglieder der Gülen-Bewegung, die zuvor im Irak tätig waren, an Ankara aus (AM 6.1.2021). Mitte Februar 2021 wurden im Rahmen einer Operation des MiT in Usbekistan zwei angebliche Gülen-Mitglieder in die Türkei verbracht (DS 15.2.2021). Im Mai 2021 entführte der türkische Geheimdienst Sela- haddin Gülen, einen Neffen von Fethullah Gülen, in Kenia. Die türkischen Behörden warfen dem Neffen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vor (DW 31.5.2021; vgl. France24 31.5.2021. Im März 2022 wurde Selahaddin Gülen zu drei Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Ursprünglich war er zu zwölf Jahren verurteilt worden. Seine Strafe wurde jedoch reduziert, nachdem das Richtergremium zu der Auffassung gelangt war, dass er von der Bestimmung über die wirksame Reue nach dem türkischen Strafgesetzbuch profitieren könnte, die ihm eine Teilamnestie gewährte, nachdem er zum Informanten geworden war (TP 22.3.2022; vgl. TM 22.3.2022) und laut Medienberichten über 200 Namen vermeintlicher Gülen-Mitglieder genannt hatte (TM 22.3.2022). Das Europäische Parlament verurteilte im Juni 2022 (wie schon zuvor im Mai 2021) die Auslieferung durch Drittstaaten bzw. Entführung türkischer Staatsangehöriger aus politischen Gründen unter Verletzung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit und der grundlegenden Menschenrechte (EP 7.6.2022, S.19, Pt.31).Beginn des Jahres 2021 wurden mindestens 17 Staaten gezählt, an deren Spitze Saudi-Arabien, die seit 2016 Personen mit Verbindungen zur Gülen-Bewegung an die Türkei auslieferten (FT 14.1.2021). So lieferte die Ukraine Anfang Jänner 2021 zwei hochrangige Mitglieder der Gülen-Bewegung, die zuvor im Irak tätig waren, an Ankara aus (AM 6.1.2021). Mitte Februar 2021 wurden im Rahmen einer Operation des MiT in Usbekistan zwei angebliche Gülen-Mitglieder in die Türkei verbracht (DS 15.2.2021). Im Mai 2021 entführte der türkische Geheimdienst Sela- haddin Gülen, einen Neffen von Fethullah Gülen, in Kenia. Die türkischen Behörden warfen dem Neffen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vor (DW 31.5.2021; vergleiche France24 31.5.2021. Im März 2022 wurde Selahaddin Gülen zu drei Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Ursprünglich war er zu zwölf Jahren verurteilt worden. Seine Strafe wurde jedoch reduziert, nachdem das Richtergremium zu der Auffassung gelangt war, dass er von der Bestimmung über die wirksame Reue nach dem türkischen Strafgesetzbuch profitieren könnte, die ihm eine Teilamnestie gewährte, nachdem er zum Informanten geworden war (TP 22.3.2022; vergleiche TM 22.3.2022) und laut Medienberichten über 200 Namen vermeintlicher Gülen-Mitglieder genannt hatte (TM 22.3.2022). Das Europäische Parlament verurteilte im Juni 2022 (wie schon zuvor im Mai 2021) die Auslieferung durch Drittstaaten bzw. Entführung türkischer Staatsangehöriger aus politischen Gründen unter Verletzung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit und der grundlegenden Menschenrechte (EP 7.6.2022, S.19, Pt.31).
Das Amt für Auslands-Türken (YTB) sowie die Türkische Agentur für Kooperation und Koordination (TiKA) sind ebenfalls aktiv an den verdeckten Geheimdienstoperationen in aller Welt beteiligt gewesen. Auch die Direktion für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) wirkt mit, unter Auslands-Türken Regierungskritiker ausfindig zu machen. Nicht zuletzt sammeln staatlich finanzierte private Denkfabriken und Organisationen wie die Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD) und die Stiftung für politische, wirtschaftliche und soziale Forschung (SETA) Informationen über Regierungskritiker [Anm.: nicht nur über Gülen-Mitglieder] (AST 9.2020).
Die Türkei hat nach dem Putschversuch von 2016 die Auslieferung von insgesamt 807 Putschverdächtigen aus 105 Ländern beantragt, doch keine dieser Nationen ist den Forderungen Ankaras nachgekommen (HDN 15.7.2020). Dem entgegengesetzt berichtete die regierungstreue Tageszeitung Daily Sabah zur gleichen Zeit, dass von den 807 nur 116 aus 27 Ländern an die Türkei ausgeliefert wurden (DS 13.7.2020). Die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (INTERPOL) lehnte es laut dem Leiter der INTERPOL-Abteilung des türkischen Innenministeriums in 773 Fällen ab, eine sogenannte Red Notice für Personen mit angeblichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung auszustellen, nachdem INTERPOL diese Anträge als politisch eingestuft hatte (SCF 4.6.2021; vgl. Ahval 5.6.2021).Die Türkei hat nach dem Putschversuch von 2016 die Auslieferung von insgesamt 807 Putschverdächtigen aus 105 Ländern beantragt, doch keine dieser Nationen ist den Forderungen Ankaras nachgekommen (HDN 15.7.2020). Dem entgegengesetzt berichtete die regierungstreue Tageszeitung Daily Sabah zur gleichen Zeit, dass von den 807 nur 116 aus 27 Ländern an die Türkei ausgeliefert wurden (DS 13.7.2020). Die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (INTERPOL) lehnte es laut dem Leiter der INTERPOL-Abteilung des türkischen Innenministeriums in 773 Fällen ab, eine sogenannte Red Notice für Personen mit angeblichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung auszustellen, nachdem INTERPOL diese Anträge als politisch eingestuft hatte (SCF 4.6.2021; vergleiche Ahval 5.6.2021).
Quellen:
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•AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/DeutschlandAusw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2020%29%2C_24.08.2020.pdf, Zugriff 9.6.2021
•Ahval (22.2.2022): Turkish police detain 123 over alleged Gülen links, https://ahvalnews.com/gule n-movement/turkish-police-detain-123-over-aNeged-gulen-links , Zugriff 23.2.2022
•Ahval (5.6.2021): Interpol rejected over 770 red notice requests by Turkey for alleged Gülenists, https://ahvalnews.com/gulen-movement/interpol-rejected-over-770-red-notice-requests-turkey-all eged-gulenists , Zugriff 11.2.2022
•Ahval (27.6.2020): Turkey’s top court rules messaging app as evidence for terror links, https: //ahvalnews.com/bylock/turkeys-top-court-rules-messaging-app-evidence-terror-links , Zugriff11.2.2022
•Ahval (10.4.2019): Turkey’s state institutions not fully purged of Gülenists, says Erdogan, https://ah valnews.com/gulen-movement/turkeys-state-institutions-not-fully-purged-gulenists-says-erdogan , Zugriff 11.2.2022
•AM - Al Monitor (6.1.2021): Ukraine deports suspected Gulen supporters to Turkey, https://www.al -monitor.com/pulse/originals/2021/01/turkey-ukraine-deport-suspected-gulen-supporters-fidan-g ure.html, Zugriff 11.2.2022
•AM - Al Monitor (16.9.2020): Rights advocates decry mass detention of Turkish lawyers, https: //www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/09/turkey-human-rights-lawyers-mass-detention.html , Zugriff 11.2.2022
•Anadolu -Anadolu Agency (17.2.2022): Turkish police in Ankara lastyear nabbed over 4,700 FETO terror suspects, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkish-police-in-ankara-last-year-nabbed-over-4 -700-feto-terror-suspects/2505791, Zugriff 23.2.2022
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•Anadolu - Anadolu Agency (2.11.2021): Turkey arrests 43 in major FETO terror probe, https: //www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-arrests-43-in-major-feto-terror-probe/2409451 , Zugriff
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•Anadolu - Anadolu Agency (19.10.2021): Turkey nabs 97 FETO-linked terror suspects, https: //www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-nabs-97-feto-linked-terror-suspects/2396270 , Zugriff 11.2.2022
•Anadolu - Anadolu Agency (13.9.2021): Turkey nabs 33 FETO-linked terror suspects, https://www. aa.com.tr/en/turkey/turkey-nabs-33-feto-linked-terror-suspects/2363644 , Zugriff 11.2.2022
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•Anadolu - Anadolu Agency (30.12.2020): Turkey: 132 verdicts in major FETO terrorism case, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-132-verdicts-in-major-feto-terrorism-case/2093839 , Zugriff 11.2.2022
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•AST - Advocates of Silenced Turkey (9.2020): Erdogan’s long arms: abductions in Turkey and abroad, https://silencedturkey.org/wp-content/uploads/2020/09/Abductions-Report-September-7 -1.pdf, Zugriff 11.2.2022
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•TM -Turkish Minute (15.10.2019): UN working group on arbitrary detention says use of ByLock is freedom of expression, https://www.turkishminute.com/2019/10/15/un-working-group-on-arbitrary-detention-says-use-of-bylock-is-freedom-of-expression/, Zugriff 11.2.2022
•TM - Turkish Minute (30.5.2018): Detention warrants issued for 59 Bank Asya customers over alleged Gülen links, https://www.turkishminute.com/2018/05/30/detention-warrants-issued-for-5 9-bank-asya-customers-over-alleged-gulen-links/, Zugriff 11.2.2022
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Terroristische Gruppierungen: PKK - Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)
Letzte Änderung: 19.09.2022
Die marxistisch orientierte Kurdische Arbeiterpartei (PKK) wird nicht nur in der Türkei, sondern auch von den USA und der EU als terroristische Organisation eingestuft (ÖB 30.11.2021, S. 21f). Zu den Kernforderungen der PKK gehören nach wie vor die Anerkennung der kurdischen Identität sowie eine politische und kulturelle Autonomie der Kurden unter Aufrechterhaltung nationaler Grenzen in ihren türkischen, aber auch syrischen Siedlungsgebieten (BMIH 7.6.2022, S. 259; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 21f). Daneben konzentrieren sich die politischen Forderungen der PKK auf die Freilassung ihres seit 1999 inhaftierten Gründers Abdullah Öcalan respektive auf die Verbesserung seiner Haftbedingungen (BMIH 7.6.2022, S. 259).Die marxistisch orientierte Kurdische Arbeiterpartei (PKK) wird nicht nur in der Türkei, sondern auch von den USA und der EU als terroristische Organisation eingestuft (ÖB 30.11.2021, S. 21f). Zu den Kernforderungen der PKK gehören nach wie vor die Anerkennung der kurdischen Identität sowie eine politische und kulturelle Autonomie der Kurden unter Aufrechterhaltung nationaler Grenzen in ihren türkischen, aber auch syrischen Siedlungsgebieten (BMIH 7.6.2022, S. 259; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 21f). Daneben konzentrieren sich die politischen Forderungen der PKK auf die Freilassung ihres seit 1999 inhaftierten Gründers Abdullah Öcalan respektive auf die Verbesserung seiner Haftbedingungen (BMIH 7.6.2022, S. 259).
Ein von der PKK angeführter Aufstand tötete zwischen 1984 und einem Waffenstillstand im Jahr 2013 schätzungsweise 40.000 Menschen. Der Waffenstillstand brach im Juli 2015 zusammen, was zu einer Wiederaufnahme der Sicherheitsoperationen führte. Seitdem wurden über 5.000 Menschen getötet (DFAT 10.9.2020). Andere Quellen gehen unter Berufung auf vermeintliche Armeedokumente von fast 7.900 Opfern, darunter PKK-Kämpfer und Zivilisten, durch das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte aus, zuzüglich 520 getöteter Angehöriger der Sicherheitskräfte (NM 11.4.2020). Der PKK-Gewalt standen Verhaftungen und schwere Menschenrechtsverletzungen seitens der türkischen Militärregierung (ab 1980) gegenüber. Die PKK agiert vor allem im Südosten, in den Grenzregionen zum Iran und Syrien sowie im Nord-Irak, wo auch ihr Rückzugsgebiet, das Kandil-Gebirge, liegt (ÖB 30.11.2021, S. 22).
2012 initiierte die Regierung den sog. „Lösungsprozess“, bei dem zum Teil auch auf Vermittlung durch Politiker der Demokratischen Partei der Völker (HDP) zurückgegriffen wurde. Nach der Wahlniederlage der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) im Juni 2015 (Verlust der absoluten Mehrheit), dem Einzug der pro-kurdischen HDP ins Parlament und den militärischen Erfolgen kurdischer Kämpfer im benachbarten Syrien, brach der gewaltsame Konflikt wieder aus (ÖB 30.11.2021, S. 22). Auslöser für eine neuerliche Eskalation des militärischen Konflikts war auch ein der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zugerechneter Selbstmordanschlag am 20.7.2015 in der türkischen Grenzstadt Surug, der über 30 Tote und etwa 100 Verletzte gefordert hatte. PKK-Guerillaeinheiten töteten daraufhin am 22.7.2015 zwei türkische Polizisten, die sie der Kooperation mit dem IS bezichtigten. Das türkische Militär nahm dies zum Anlass, in der Nacht zum 25.7.2015 Bombenangriffe auf Lager der PKK in Syrien und im Nordirak zu fliegen. Parallel fanden in der Türkei landesweite Exekutivmaßnahmen gegen Einrichtungen der PKK statt. Noch am selben Tag erklärten die PKK-Guerillaeinheiten den seit März 2013 jedenfalls auf dem Papier bestehenden Waffenstillstand mit der türkischen Regierung für bedeutungslos (BMI-D 6.2016). Der Lösungsprozess wurde vom Präsidenten für gescheitert erklärt. Ab August 2015 wurde der Kampf von der PKK in die Städte des Südostens getragen: Die Jugendorganisation der PKK hob in den von ihnen kontrollierten Stadtvierteln Gräben aus und errichtete Barrikaden, um den Zugang zu sperren. Die Kampfhandlungen, die bis ins Frühjahr 2016 anhielten, waren von langen Ausgangssperren begleitet und forderten zahlreiche Todesopfer unter der Zivilbevölkerung (ÖB 30.11.2021 S. 22).
Die International Crisis Group verzeichnet seit 2015 mit Stand 3.2.2022 3.717 getötete PKK- Kämpfer bzw. mit ihr Verbündete seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe, schätzt jedoch selbst die Dunkelziffer als höher ein. Die türkischen Behörden sprechen hingegen von über 10.000 „neutralisierten" PKK-Kämpfern, d.h. diese wurden getötet oder festgenommen. Seit Anfang Januar 2022 konzentrierte sich die Eskalation zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften weiterhin auf den Nordirak, während es im Südosten der Türkei, insbesondere in den ländlichen Gebieten von §anliurfa, Bingöl und Mu§, und an der türkisch-syrischen Grenze weiterhin zu gelegentlicher Gewalt kam. Das türkische Militär setzte in dieser Zeit seine Taktik fort, durch den Einsatz von bewaffneten Drohnen auf höherrangige PKK-Mitglieder zu zielen (ICG 3.2.2022). Verschärft wurden die Auseinandersetzungen seit Juni 2020 mit dem Beginn der türkischen Militäroperationen „Adlerklaue" und „Tigerkralle" gegen PKK-Stellungen im Nordirak. Schon aus diesem Grund erscheint eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen der PKK und der türkischen Regierung gegenwärtig als unwahrscheinlich (BMIBH 15.6.2021 S. 261).
Mitte Februar 2021 wurden nach Angaben des türkischen Innenministeriums in 40 Städten insgesamt 718 Menschen wegen angeblicher Kontakte zur verbotenen PKK festgenommen, darunter auch führende Vertreter der pro-kurdischen Parlamentspartei HDP. Bei den Polizeieinsätzen seien zahlreiche Waffen, Dokumente und Dateien beschlagnahmt worden. Die Festnahmen erfolgten einen Tag, nachdem die Regierung erklärt hatte, im Nordirak die Leichen von 13 in den Jahren 2015 und 2016 entführten Türken, darunter Soldaten und Polizisten, gefunden zu haben. Die Regierung warf der PKK vor, die Gefangenen im Zuge der Geiselbefreiungsaktion des türkischen Militärs exekutiert zu haben. Die PKK wies dies zurück und erklärte, sie wären durch türkische Bombardierungen und Gefechte ums Leben gekommen (DW 15.2.2021; vgl. Standard 15.2.2021). Alle drei parlamentarischen Oppositionsparteien gaben der Regierung die Schuld, da diese nicht zuvor gehandelt hätte, obwohl der Fall seitens der Opposition angesprochen wurde. Laut HDP hätten Verhandlungen in früheren ähnlichen Fällen eine Rettung ermöglicht (Duvar 15.2.2021).Mitte Februar 2021 wurden nach Angaben des türkischen Innenministeriums in 40 Städten insgesamt 718 Menschen wegen angeblicher Kontakte zur verbotenen PKK festgenommen, darunter auch führende Vertreter der pro-kurdischen Parlamentspartei HDP. Bei den Polizeieinsätzen seien zahlreiche Waffen, Dokumente und Dateien beschlagnahmt worden. Die Festnahmen erfolgten einen Tag, nachdem die Regierung erklärt hatte, im Nordirak die Leichen von 13 in den Jahren 2015 und 2016 entführten Türken, darunter Soldaten und Polizisten, gefunden zu haben. Die Regierung warf der PKK vor, die Gefangenen im Zuge der Geiselbefreiungsaktion des türkischen Militärs exekutiert zu haben. Die PKK wies dies zurück und erklärte, sie wären durch türkische Bombardierungen und Gefechte ums Leben gekommen (DW 15.2.2021; vergleiche Standard 15.2.2021). Alle drei parlamentarischen Oppositionsparteien gaben der Regierung die Schuld, da diese nicht zuvor gehandelt hätte, obwohl der Fall seitens der Opposition angesprochen wurde. Laut HDP hätten Verhandlungen in früheren ähnlichen Fällen eine Rettung ermöglicht (Duvar 15.2.2021).
Zu Verhaftungen von vermeintlichen PKK-Mitgliedern und PKK-Unterstützern kommt es weiterhin. So wurden Mitte Februar 2022, am Vorabend des 23. Jahrestages der Festnahme Abdullah Öcalans Dutzende Personen festgenommen: 27 in Diyarbakir, neun in Siirt, darunter die ehemalige Ko-Vorsitzende der örtlichen Demokratischen Partei der Völker (HDP), 43 in Mersin, 24 in Van, darunter vier Mitglieder der lokalen HDP-Jugendorganisation, sowie eine weitere unbekannte Anzahl von Personen in Istanbul, Izmir, Batman, Diyadin, Agri undTurgutlu (MedyaNews 14.2.2022; vgl. NaT 14.2.2022). Im Aprill 2022 nahmen die türkischen Behörden 46 Personen - von insgesamt 91 Verdächtigen - fest, darunter ehemalige lokale Funktionäre der HDP. Der Generalstaatsanwalt wirft ihnen vor, finanzielle Mittel im Namen PKK bereitgestellt zu haben und Teil der wirtschaftlichen Struktur der PKK zu sein, Geldwäsche zu betreiben und Anweisungen des PKK-Kommandeurs Murat Karayilan entgegengenommen zu haben (AP 12.4.2022).Zu Verhaftungen von vermeintlichen PKK-Mitgliedern und PKK-Unterstützern kommt es weiterhin. So wurden Mitte Februar 2022, am Vorabend des 23. Jahrestages der Festnahme Abdullah Öcalans Dutzende Personen festgenommen: 27 in Diyarbakir, neun in Siirt, darunter die ehemalige Ko-Vorsitzende der örtlichen Demokratischen Partei der Völker (HDP), 43 in Mersin, 24 in Van, darunter vier Mitglieder der lokalen HDP-Jugendorganisation, sowie eine weitere unbekannte Anzahl von Personen in Istanbul, Izmir, Batman, Diyadin, Agri undTurgutlu (MedyaNews 14.2.2022; vergleiche NaT 14.2.2022). Im Aprill 2022 nahmen die türkischen Behörden 46 Personen - von insgesamt 91 Verdächtigen - fest, darunter ehemalige lokale Funktionäre der HDP. Der Generalstaatsanwalt wirft ihnen vor, finanzielle Mittel im Namen PKK bereitgestellt zu haben und Teil der wirtschaftlichen Struktur der PKK zu sein, Geldwäsche zu betreiben und Anweisungen des PKK-Kommandeurs Murat Karayilan entgegengenommen zu haben (AP 12.4.2022).
In einem Interview mit dem türkischen Internetportal T24 am 18.7.2022 sagte Selahattin Demir- ta§, ehemalige Ko-Vorsitzende der HDP und seit November 2016 inhaftiert, dass die PKK ihre Waffen niederlegen sollte. Demirta§ dementierte zudem, dass die HDP ein verlängerter Arm, Sprecherin oder Unterstützerin der PKK sei. Allerdings sah Demirta§ auch zwei Hindernisse, die einen Friedensprozess blockieren: Einerseits das Beharren der türkischen Regierung auf Waffengewalt statt Verhandlungen, und andererseits die Isolationshaft des PKK-Chefs und - Gründers Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali (BZ 18.7.2022; vgl. T24 18.7.2022).In einem Interview mit dem türkischen Internetportal T24 am 18.7.2022 sagte Selahattin Demir- ta§, ehemalige Ko-Vorsitzende der HDP und seit November 2016 inhaftiert, dass die PKK ihre Waffen niederlegen sollte. Demirta§ dementierte zudem, dass die HDP ein verlängerter Arm, Sprecherin oder Unterstützerin der PKK sei. Allerdings sah Demirta§ auch zwei Hindernisse, die einen Friedensprozess blockieren: Einerseits das Beharren der türkischen Regierung auf Waffengewalt statt Verhandlungen, und andererseits die Isolationshaft des PKK-Chefs und - Gründers Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali (BZ 18.7.2022; vergleiche T24 18.7.2022).
In der Türkei kann es zur strafrechtlichen Verfolgung von Personen kommen, die nicht nur dem militanten Arm der PKK angehören. So können sowohl österreichische Staatsbürger als auch türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Österreich durchaus ins Visier der türkischen Behörden geraten, wenn sie beispielsweise einem der PKK freundlich gesinnten Verein, der in Österreich oder in einem anderen EU-Mitgliedstaat aktiv ist, angehören oder sich an dessen Aktivitäten beteiligen. Eine Mitgliedschaft in einem solchen Verein, oder auch nur auf Facebook oder in sonstigen sozialen Medien veröffentlichte oder mit „gefällt mir" markierte Beiträge eines solchen Vereins können bei der Einreise in die Türkei zur Verhaftung und Anklage wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung führen. Auch können Untersuchungshaft und ein Ausreiseverbot über solche Personen verhängt werden (ÖB 30.11.2021, S. 22).
Die Union der Gemeinschaften Kurdistans, Koma Civaken Kurdistan (KCK)
Anfang der 2000er-Jahre versuchte die PKK sich neue Organisationsformen zu geben, begleitet von zahlreichen Umbenennungen, an deren Ende die Union der Gemeinschaften Kurdistans, Koma Civaken Kurdistan (KCK), stand. 2005 gab sich die PKK im Rahmen des sogenannten KCK-Abkommens diese neue Organisationsform. Die Kontinuität PKK-KCK wurde im Abkommen festgeschrieben, wodurch jeder, der im Rahmen des KCK-Systems tätig ist, auch die ideologischen und moralischen Maßstäbe der PKK anwenden muss. So gesehen ist die KCK die ideologische und organisatorische Ummantelung der PKK (Posch 2016, S. 140f). Bei der KCK handelt es sich um einen kurdischen Dachverband, dem neben der PKK auch ihre Schwesterparteien im Irak, im Iran und in Syrien sowie verschiedene gesellschaftliche Gruppen angehören (BMIBH 15.6.2021, S. 261, FN 92). Die Türkei hat in den letzten Jahren zahlreiche kurdische Politiker, Aktivisten und Journalisten wegen ihrer angeblichen Verbindungen zur KCK inhaftiert und verurteilt (Rudaw 3.10.2021). Dieser Trend setzte sich fort. So wurden beispielsweise im Oktober 2021 im sog. KCK-Yüksekova-Fall von einem Gericht in Hakkari 30 Personen wegen „Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation" zu Haftstrafen zwischen acht Jahren und neuen Monaten - und 17,5 Jahren - verurteilt (Bianet 4.10.2021, vgl. WKI 5.10.2021). Remziye Ya§ar, die ehemalige Ko-Bürgermeisterin von Yüksekova aus den Reihen der HDP, wurde zu 17,5 Jahren verurteilt (Rudaw 3.10.2021, vgl. TM 2.10.2021). Am 25.1.2022 wurde der Ko-Vorsitzen- de der HDP des Bezirks Iskenderun, Abdurrahim §ahin, wegen „Propaganda für eine illegale Organisation" zu zwei Jahren und einem Monat verurteilt (TiHV 26.1.2022).Anfang der 2000er-Jahre versuchte die PKK sich neue Organisationsformen zu geben, begleitet von zahlreichen Umbenennungen, an deren Ende die Union der Gemeinschaften Kurdistans, Koma Civaken Kurdistan (KCK), stand. 2005 gab sich die PKK im Rahmen des sogenannten KCK-Abkommens diese neue Organisationsform. Die Kontinuität PKK-KCK wurde im Abkommen festgeschrieben, wodurch jeder, der im Rahmen des KCK-Systems tätig ist, auch die ideologischen und moralischen Maßstäbe der PKK anwenden muss. So gesehen ist die KCK die ideologische und organisatorische Ummantelung der PKK (Posch 2016, S. 140f). Bei der KCK handelt es sich um einen kurdischen Dachverband, dem neben der PKK auch ihre Schwesterparteien im Irak, im Iran und in Syrien sowie verschiedene gesellschaftliche Gruppen angehören (BMIBH 15.6.2021, S. 261, FN 92). Die Türkei hat in den letzten Jahren zahlreiche kurdische Politiker, Aktivisten und Journalisten wegen ihrer angeblichen Verbindungen zur KCK inhaftiert und verurteilt (Rudaw 3.10.2021). Dieser Trend setzte sich fort. So wurden beispielsweise im Oktober 2021 im sog. KCK-Yüksekova-Fall von einem Gericht in Hakkari 30 Personen wegen „Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation" zu Haftstrafen zwischen acht Jahren und neuen Monaten - und 17,5 Jahren - verurteilt (Bianet 4.10.2021, vergleiche WKI 5.10.2021). Remziye Ya§ar, die ehemalige Ko-Bürgermeisterin von Yüksekova aus den Reihen der HDP, wurde zu 17,5 Jahren verurteilt (Rudaw 3.10.2021, vergleiche TM 2.10.2021). Am 25.1.2022 wurde der Ko-Vorsitzen- de der HDP des Bezirks Iskenderun, Abdurrahim §ahin, wegen „Propaganda für eine illegale Organisation" zu zwei Jahren und einem Monat verurteilt (TiHV 26.1.2022).
Quellen:
•AP - Associated Press (12.4.2022): Turkey detains former Kurdish party officials for PKK links, https://apnews.com/article/europe-turkey-middle-east-58b177a97999db040e4691829cb40ef8 , Zugriff 20.4.2022
•Bianet (4.10.2021): All defendants sentenced to prison in the KCK Yüksekova case, https://bianet .org/english/print/251224-all-defendants-sentenced-to-prison-in-the-kck-yuksekova-case , Zugriff 14.2.2022
•BMIH - Bundesministerium des Innern und für Heimat [Deutschland] (7.6.2022): Verfassungs
schutzbericht 2021, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/s icherheit/vsb-2021-gesamt.pdf?blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 9.6.2022
•BMIBH - Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat/ Bundesamt für Verfassungsschutz
[Deutschland] (15.6.2021): Verfassungsschutzbericht 2020, https://www.verfassungsschutz.de/S haredDocs/publikationen/DE/verfassungsschutzberichte/2021-06-verfassungsschutzbericht-2020. pdf?blob=publicationFile&v=8 , Zugriff 9.6.2022
•BMI-D- Bundesministerium des Innern/ Bundesamt für Verfassungsschutz [Deutschland] (6.2016): Verfassungsschutzbericht 2015, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/vsb-2015.pdf?blob=publicationFile&v=4, Zugriff 14.2.2022
•BZ - Berliner Zeitung (18.7.2022): Ehemaliger HDP-Chef Demirtas fordert PKK zu Waffenniederlegung auf, https://prod.berliner-zeitung.de/news/tuerkei-ehemaliger-hdp-chef-selahattin-demirtas-fordertkurdischearbeiterparteipkkzuwaffenniederlegungaufli.247820 , Zugriff 16.8.2022
•DFAT- Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 14.2.2022
•Duvar (15.2.2021): Turkey announces sweeping roundup of 718 people, including HDP officials, after Iraq killings, https://www.duvarenglish.com/turkey-announces-sweeping-roundup-of-718-people-including-hdp-officials-after-iraq-killings-news 56261, Zugriff 14.2.2022
•DW - Deutsche Welle (15.2.2021): Türkei nimmt Hunderte wegen angeblicher PKK-Kontakte fest, https://www.dw.com/de/t%C3%BCrkei-nimmt-hunderte-wegen-angeblicher-pkk-kontakte-fest/a-5 6575099 , Zugriff 14.2.2022
•ICG - International Crisis Group (3.2.2022): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https: //www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer, Zugriff 14.2.2022
•MedyaNews (14.2.2022): Mass arrests in Turkey before anniversary of PKK leader’s imprisonment, https://medyanews.net/mass-arrests-in-turkey-before-anniversary-of-pkk-leaders-imprisonment/, Zugriff 15.2.2022
•NaT - News about Turkey (14.2.2022): Mass arrests in Turkey before anniversary of PKK leader’s imprisonment, https://newsaboutturkey.com/2022/02/14/mass-arrests-in-turkey-before-anniversa ry-of-pkk-leaders-imprisonment/, Zugriff 15.2.2022
•NM - Nordic Monitor (11.4.2020): Over 12,000 killed or wounded during Turkey’s security operations in Kurdish areas in 2015-2016, https://www.nordicmonitor.com/2020/04/more-than-twelve-thousand-people-were-killed-or-wounded-during-turkeys-security-operations-in-2015-2016/, Zugriff14.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf , Zugriff 3.2.2022
•Posch, Walter (2016): Die neue PKK - Zwischen Extremismus, politischer Gewalt und strategischen Herausforderungen (Teil 1) in: Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ), 2016/2, https://www.oemz-online.at/download/attachments/43614606/C_P_16_2(1)_Posch.pdf, Zugriff 14.2.2022
•Rudaw (3.10.2021): Turkey sentences deceased Kurdish politician to eight years in prison, https: //www.rudaw.net/english/middleeast/turkey/03102021, Zugriff 14.2.2022
•Standard - Der Standard (15.2.2021): Türkei ließ in prokurdischen Kreisen über 700 Menschen festnehmen, https://www.derstandard.at/story/2000124178508/tuerkische-menschenrechtsanwae ltin-eren-keskin-zu-langer-haft-verurteilt, Zugriff 14.2.2022
•T24 (18.7.2022): Demirta§: PKK’nin Türkiye’ye kar§i silahlarini tümden susturmasini, birakmasini isterim [Demirta§: Ich möchte, dass die PKK vollständig schweigt und ihre Waffen gegen die Türkei niederlegt], https://t24.com.tr/yazarlar/murat-sabuncu/demirtas-pkk-nin-turkiye-ye-karsi-silahlarini -tumden-susturmasini-birakmasini-isterim,35996 , Zugriff 16.8.2022
•TiHV - Türkiye insan Haklari Vakfi/ HRFT - Human Rights Foundation Turkey (26.1.2022): 26 January 2022 HRFT Documentation Center Daily Human Rights Report, https://en.tihv.org.tr/d ocumentation/26-january-2022-hrft-documentation-center-daily-human-rights-report/, Zugriff 3.2.2022
•TM - Turkish Minute (2.10.2021): Former HDP mayor sentenced to 17 years in prison on terrorism charges, https://www.turkishminute.com/2021/10/02/rmer-hdp-mayor-sentenced-to-17-years-in-prison-on-terrorism-charges/, Zugriff 14.2.2022
•WKI - Washington Kurdish Institute (5.10.2021): Kurdistan’s Weekly Brief October 5, 2021, https: //dckurd.org/2021/10/05/kurdistans-weekly-brief-october-5-2021/, Zugriff 14.2.2022
Terroristische Gruppierungen: TAK - Teyrebazen Azadiya Kurdistan (Freiheitsfalken Kurdistans)
Letzte Änderung: 19.09.2022
Während ihre Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) undurchsichtig bleiben und Gegenstand von Debatten unter Analysten sind, sind die „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK) am besten als halb-autonome Stellvertreter der PKK zu verstehen, die auf Distanz operieren (CTC 7.2016). Die TAK wurden Berichten zufolge 1999 von PKK-Führern gegründet, nachdem der PKK-Gründer, Abdullah Öcalan, verhaftet worden war (CEP 3.6.2021; vgl. SWP 16.12.2016). Für Rayk Hähnlein von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sind die TAK eine urbane Jugendorganisation, die vor allem benachteiligte und ideologisch leicht beeinflussbare kurdische Jugendliche in den Städten des Südostens anspricht, deren Idol Abdullah Öcalan ist. Das Durchschnittsalter liegt bei rund 25 Jahren. Keiner ihrer Selbstmordattentäter war älter als 30 Jahre. Der militärische Arm der PKK hatte damit einen radikalen und eigenständigen Stadtableger geschaffen, um das bis dahin vor allem auf den ländlichen Raum konzentrierte Netzwerk zu erweitern und für junge Städter attraktiv zu machen (SWP 16.12.2016).Während ihre Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) undurchsichtig bleiben und Gegenstand von Debatten unter Analysten sind, sind die „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK) am besten als halb-autonome Stellvertreter der PKK zu verstehen, die auf Distanz operieren (CTC 7.2016). Die TAK wurden Berichten zufolge 1999 von PKK-Führern gegründet, nachdem der PKK-Gründer, Abdullah Öcalan, verhaftet worden war (CEP 3.6.2021; vergleiche SWP 16.12.2016). Für Rayk Hähnlein von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sind die TAK eine urbane Jugendorganisation, die vor allem benachteiligte und ideologisch leicht beeinflussbare kurdische Jugendliche in den Städten des Südostens anspricht, deren Idol Abdullah Öcalan ist. Das Durchschnittsalter liegt bei rund 25 Jahren. Keiner ihrer Selbstmordattentäter war älter als 30 Jahre. Der militärische Arm der PKK hatte damit einen radikalen und eigenständigen Stadtableger geschaffen, um das bis dahin vor allem auf den ländlichen Raum konzentrierte Netzwerk zu erweitern und für junge Städter attraktiv zu machen (SWP 16.12.2016).
Im Jahr 2004 beschuldigten die TAK die PKK jedoch des Pazifismus und spalteten sich öffentlich von der PKK ab (CEP 3.6.2021; vgl. SWP 16.12.2016). Zwischen 2010 und 2015 setzten die TAK ihre Anschläge aus, um die Annäherung und den Friedensprozess zwischen AKP-Re- gierung und PKK nicht zu gefährden. Erst nach dessen Scheitern im Sommer 2015 und den sich anschließenden militärischen Großoffensiven gegen die PKK in Cizre, Silopi und anderen Städten begabem sich die TAK wieder auf den Pfad der Gewalt (SWP 16.12.2016). Seit 2004 haben die TAK sie mehr als ein Dutzend tödlicher Angriffe im ganzen Land verübt, darunter der Beschuss eines türkischen Militärkonvois im Februar 2016 in Ankara und die Bombenanschläge vom Dezember 2016 vor einem Sportstadion in Istanbul. Die türkische Regierung bestreitet die Trennung von TAK und PKK und behauptet, die TAK seien ein terroristischer Stellvertreter ihrer Mutterorganisation, der PKK. Sicherheitsanalysen zufolge sind die TAK mit der PKK durch die ideologische Doktrin, militärische Ausbildung, Rekrutierung und die Lieferung von Waffen verbunden, allerdings koordinieren und führen sie selbstständig Angriffe durch. Die TAK wurden von den USA, der Türkei (CEP 3.6.2021) und der EU als terroristische Organisation eingestuft (EU 4.2.2022; vgl. CEP3.6.2021). Während die PKK behauptet, nur Polizei und Militär anzugreifen, wird weithin angenommen, dass sie die TAK als Fassade benutzt, um Angriffe in Städten durchzuführen, in denen ein hohes Risiko für zivile Opfer besteht, um eine weitere internationale Verurteilung zu vermeiden (AM 20.4.2022). Im Juli 2020 wurden drei Mitglieder wegen des Anschlages in Istanbul vom 7.6.2016, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen, zu mehrfachen lebenslangen Haftstrafen unter erschwerten Bedingungen verurteilt (DS13.7.2020). Die TAK gelten als eine extrem geheime Organisation, deren Mitgliederzahl unbekannt ist. Laut Personen, die der PKK nahestehen, operieren die TAK in isolierten Zwei- bis Drei-Mann-Zellen, die zwar ideologisch der PKK folgen, jedoch unabhängig von dieser handeln (AM 29.2.2016).Im Jahr 2004 beschuldigten die TAK die PKK jedoch des Pazifismus und spalteten sich öffentlich von der PKK ab (CEP 3.6.2021; vergleiche SWP 16.12.2016). Zwischen 2010 und 2015 setzten die TAK ihre Anschläge aus, um die Annäherung und den Friedensprozess zwischen AKP-Re- gierung und PKK nicht zu gefährden. Erst nach dessen Scheitern im Sommer 2015 und den sich anschließenden militärischen Großoffensiven gegen die PKK in Cizre, Silopi und anderen Städten begabem sich die TAK wieder auf den Pfad der Gewalt (SWP 16.12.2016). Seit 2004 haben die TAK sie mehr als ein Dutzend tödlicher Angriffe im ganzen Land verübt, darunter der Beschuss eines türkischen Militärkonvois im Februar 2016 in Ankara und die Bombenanschläge vom Dezember 2016 vor einem Sportstadion in Istanbul. Die türkische Regierung bestreitet die Trennung von TAK und PKK und behauptet, die TAK seien ein terroristischer Stellvertreter ihrer Mutterorganisation, der PKK. Sicherheitsanalysen zufolge sind die TAK mit der PKK durch die ideologische Doktrin, militärische Ausbildung, Rekrutierung und die Lieferung von Waffen verbunden, allerdings koordinieren und führen sie selbstständig Angriffe durch. Die TAK wurden von den USA, der Türkei (CEP 3.6.2021) und der EU als terroristische Organisation eingestuft (EU 4.2.2022; vergleiche CEP3.6.2021). Während die PKK behauptet, nur Polizei und Militär anzugreifen, wird weithin angenommen, dass sie die TAK als Fassade benutzt, um Angriffe in Städten durchzuführen, in denen ein hohes Risiko für zivile Opfer besteht, um eine weitere internationale Verurteilung zu vermeiden (AM 20.4.2022). Im Juli 2020 wurden drei Mitglieder wegen des Anschlages in Istanbul vom 7.6.2016, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen, zu mehrfachen lebenslangen Haftstrafen unter erschwerten Bedingungen verurteilt (DS13.7.2020). Die TAK gelten als eine extrem geheime Organisation, deren Mitgliederzahl unbekannt ist. Laut Personen, die der PKK nahestehen, operieren die TAK in isolierten Zwei- bis Drei-Mann-Zellen, die zwar ideologisch der PKK folgen, jedoch unabhängig von dieser handeln (AM 29.2.2016).
Quellen:
•AM-Al Monitor (20.4.2022): Busbombing bringstraumaof pastterror backtoTurkish cities, https:// www.al-monitor.com/originals/2022/04/bus-bombing-brings-trauma-past-terror-back-turkish-cities , Zugriff 19.8.2022
•AM - Al Monitor (29.2.2016): Who is TAK and why did it attack Ankara? http://www.al-monitor.c om/pulse/originals/2016/02/turkey-outlawed-tak-will-not-deviate-line-of-ocalan.html , Zugriff14.2.2022
•CEP - Counter Extremism Project (3.6.2021): Turkey: Extremism & Counter-Extremism, https: //www.counterextremism.com/node/13523/printable/pdf, Zugriff 14.2.2022
•CTC - Combating Terrorism Center [Gurcan, Metin] (CTC 7.2016): The Kurdistan Freedom Falcons: A Profile of the Arm's-Length Proxy of the Kurdistan Workers' Party, https://ctc.usma.edu/the-kurdi stan-freedom-falcons-a-profile-of-the-arms-length-proxy-of-the-kurdistan-workers-party/, Zugriff 14.2.2022
•DS - Daily Sabah (13.7.2020): 3 PKK terrorists sentenced to life over 2016 Istanbul bombing, https://www.dailysabah.com/turkey/investigations/3-pkk-terrorists-sentenced-to-life-over-2016-ist anbul-bombing , Zugriff 14.2.2022
•EU - Europäische Union (4.2.2022): BESCHLUSS (GASP) 2022/152 DES RATES vom 3. Februar 2022, zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, für die die Artikel 2,3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über dieAnwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gelten, und zur Aufhebung des Beschlusses (GASP) 2021/1192, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32022D0152 , Zugriff 9.2.2022
•SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik [Hähnlein, Rayk] (16.12.2016): Kurden: Terrorakte der »Freiheitsfalken« schaden der PKK, https://www.swp-berlin.org/publikation/kurden-terrorakte-der -freiheitsfalken-schaden-der-pkk, Zugriff 19.8.2022
Terroristische Gruppierungen: MLKP - Marksist Leninist Komünist Parti (MarxistischLeninistische Kommunistische Partei)
Letzte Änderung: 19.09.2022
Die „Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP), gegründet 1994, bekennt sich ideologisch zum revolutionären Marxismus-Leninismus. Sie strebt in der Türkei die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung und die Errichtung eines kommunistischen Gesellschaftssystems an. Nach eigenen Angaben versteht sich die MLKP als politische Vorhut des Proletariats der türkischen und kurdischen Nation sowie der nationalen Minderheiten. Zur Erreichung ihrer Ziele bedient sich die MLKP in der Türkei auch terroristischer Mittel. (BMIH 7.6.2022, S. 265). „Die kommunistische Bewegung kämpft", laut MLKP, „für die Freiheit und Vereinigung der vier Teile Kurdistans." Denn die „Revolution des in Vier geteilten Kurdistans ist auch die Revolution der Türkei." Und auch die „Frauenrevolution ist eine Notwendigkeit zur Garantierung des endgültigen Sieges des revolutionären Proletariats" (MLKP 3.2019). Die MLKP verfügt über einen bewaffneten Arm, die „Bewaffneten Kräfte der Armen und Unterdrückten" (FESK), die unter dem Kommando der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien von Kobane bis Deir ez-Zour gemeinsam mit US-Truppen in Syrien gegen den sog. Islamischen Staat kämpften (TNA 17.5.2019), was bei der türkischen Regierung zu Irritationen führte (Anadolu 20.8.2019). Die MLKP bekämpft die türkischen Sicherheitskräfte auch im Irak (ANF 12.10.2021, HDN 20.7.2019, TNA 17.5.2019) und in Syrien (ANF 27.6.2021, TNA 17.5.2019, ANF 23.1.2018). In der Türkei selbst kämpfen die Mitglieder der MLKP zumal in den Reihen des bewaffneten Arms der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), der Volksverteidigungskräfte (HPG) (TNA 17.5.2019), wovon Berichte der MLKP über ihre Gefallenen zeugen (MLKP 20.7.2019; vgl. MLKP 1.9.2018). Die MLKP/FESK reklamierte im September 2019 u. a. ein Bombenattentat auf eine Polizeistation in Adana für sich (MLKP 27.9.2019).Die „Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP), gegründet 1994, bekennt sich ideologisch zum revolutionären Marxismus-Leninismus. Sie strebt in der Türkei die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung und die Errichtung eines kommunistischen Gesellschaftssystems an. Nach eigenen Angaben versteht sich die MLKP als politische Vorhut des Proletariats der türkischen und kurdischen Nation sowie der nationalen Minderheiten. Zur Erreichung ihrer Ziele bedient sich die MLKP in der Türkei auch terroristischer Mittel. (BMIH 7.6.2022, S. 265). „Die kommunistische Bewegung kämpft", laut MLKP, „für die Freiheit und Vereinigung der vier Teile Kurdistans." Denn die „Revolution des in Vier geteilten Kurdistans ist auch die Revolution der Türkei." Und auch die „Frauenrevolution ist eine Notwendigkeit zur Garantierung des endgültigen Sieges des revolutionären Proletariats" (MLKP 3.2019). Die MLKP verfügt über einen bewaffneten Arm, die „Bewaffneten Kräfte der Armen und Unterdrückten" (FESK), die unter dem Kommando der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien von Kobane bis Deir ez-Zour gemeinsam mit US-Truppen in Syrien gegen den sog. Islamischen Staat kämpften (TNA 17.5.2019), was bei der türkischen Regierung zu Irritationen führte (Anadolu 20.8.2019). Die MLKP bekämpft die türkischen Sicherheitskräfte auch im Irak (ANF 12.10.2021, HDN 20.7.2019, TNA 17.5.2019) und in Syrien (ANF 27.6.2021, TNA 17.5.2019, ANF 23.1.2018). In der Türkei selbst kämpfen die Mitglieder der MLKP zumal in den Reihen des bewaffneten Arms der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), der Volksverteidigungskräfte (HPG) (TNA 17.5.2019), wovon Berichte der MLKP über ihre Gefallenen zeugen (MLKP 20.7.2019; vergleiche MLKP 1.9.2018). Die MLKP/FESK reklamierte im September 2019 u. a. ein Bombenattentat auf eine Polizeistation in Adana für sich (MLKP 27.9.2019).
Die türkischen Behörden nehmen vereinzelt vermeintliche Mitglieder der MLKP fest. Im September 2020 wurden beispielsweise bei Razzien in sieben Provinzen 14 (Anadolu 8.9.2020) und im Oktober 2020 in Istanbul 24 vermeintliche MLKP-Mitglieder verhaftet (Anadolu 7.10.2020). Auch im Jänner 2021 wurde die Verhaftung von MLKP-Mitgliedern vermeldet, ohne jedoch eine genaue Zahl anzugeben, als bei Razzien in zwölf Provinzen 48 Verdächtigte mehrer verbotener linksextremer Gruppen verhaftet wurden (DS 14.1.2021). Am 10.9.2021 wurden im Rahmen einer vom Büro für die Untersuchung von Terrorverbrechen eingeleiteten Untersuchung in Ankara 17 von insgesamt 23 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur MLKP verhaftet (BAMF 13.9.2021, S. 16, vgl. Anadolu 10.9.2021).In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Journalisten wegen angeblicher Verbindungen zur MLKP in Untersuchungshaft genommen bzw. vor Gericht gestellt. Bei den MLKP-Fällen handelt es sich um Fälle mit mehreren Angeklagten, bei denen Anwälte, Vertreter politischer Parteien, Gewerkschaftsmitglieder, Studenten und Journalisten wegen angeblicher Verbindungen zur MLKP gemeinsam vor Gericht stehen. Aussagen von Geheimzeugen werden in diesen Fällen häufig als Beweismittel gegen Journalisten verwendet. Betroffen waren beispielsweise Reporter und Redakteure der Nachrichtenagentur Etkin (ETHA), wobei die Anklageschriften ETHA von vornherein als Nachrichtenagentur, die im Namen der MLKP arbeitet, definierten (IPI/MLSA 3.2020).Nach einem Terroranschlag auf einen Gefangenentransport in Bursa am 20.4.2022, bei dem ein Gefängniswärter umkam, und einem Anschlag am Folgetag auf das Büro der [alsAKP-nahe geltenden] Türkischen Jugendstiftung (TÜGVA) in Istanbul (ohne Personenschaden) machte Innenminister Soylu die MLKP und die Partei der Revolutionären Kommunarden (DKP) für die Anschläge verantwortlich. Hierbei betonte der Innenminister die Verbindung von MLKP (und DKP) mit der PKK (HDN 22.4.2022; vgl. Rudaw 22.4.2022).Die türkischen Behörden nehmen vereinzelt vermeintliche Mitglieder der MLKP fest. Im September 2020 wurden beispielsweise bei Razzien in sieben Provinzen 14 (Anadolu 8.9.2020) und im Oktober 2020 in Istanbul 24 vermeintliche MLKP-Mitglieder verhaftet (Anadolu 7.10.2020). Auch im Jänner 2021 wurde die Verhaftung von MLKP-Mitgliedern vermeldet, ohne jedoch eine genaue Zahl anzugeben, als bei Razzien in zwölf Provinzen 48 Verdächtigte mehrer verbotener linksextremer Gruppen verhaftet wurden (DS 14.1.2021). Am 10.9.2021 wurden im Rahmen einer vom Büro für die Untersuchung von Terrorverbrechen eingeleiteten Untersuchung in Ankara 17 von insgesamt 23 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur MLKP verhaftet (BAMF 13.9.2021, S. 16, vergleiche Anadolu 10.9.2021).In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Journalisten wegen angeblicher Verbindungen zur MLKP in Untersuchungshaft genommen bzw. vor Gericht gestellt. Bei den MLKP-Fällen handelt es sich um Fälle mit mehreren Angeklagten, bei denen Anwälte, Vertreter politischer Parteien, Gewerkschaftsmitglieder, Studenten und Journalisten wegen angeblicher Verbindungen zur MLKP gemeinsam vor Gericht stehen. Aussagen von Geheimzeugen werden in diesen Fällen häufig als Beweismittel gegen Journalisten verwendet. Betroffen waren beispielsweise Reporter und Redakteure der Nachrichtenagentur Etkin (ETHA), wobei die Anklageschriften ETHA von vornherein als Nachrichtenagentur, die im Namen der MLKP arbeitet, definierten (IPI/MLSA 3.2020).Nach einem Terroranschlag auf einen Gefangenentransport in Bursa am 20.4.2022, bei dem ein Gefängniswärter umkam, und einem Anschlag am Folgetag auf das Büro der [alsAKP-nahe geltenden] Türkischen Jugendstiftung (TÜGVA) in Istanbul (ohne Personenschaden) machte Innenminister Soylu die MLKP und die Partei der Revolutionären Kommunarden (DKP) für die Anschläge verantwortlich. Hierbei betonte der Innenminister die Verbindung von MLKP (und DKP) mit der PKK (HDN 22.4.2022; vergleiche Rudaw 22.4.2022).
Quellen:
•Anadolu - Anadolu Agency (10.9.2021): 17 far-left terror suspects arrested in Turkey, https://www. aa.com.tr/en/turkey/17-far-left-terror-suspects-arrested-in-turkey/2360890, Zugriff 14.2.2022
•Anadolu - Anadolu Agency (7.10.2020): Police in Turkey arrest suspected leftist terrorists, https: //www.aa.com.tr/en/turkey/police-in-turkey-arrest-suspected-leftist-terrorists/1998162 , Zugriff 14.2.2022
•Anadolu - Anadolu Agency (8.9.2020): Turkey: Police arrest 14 suspected leftist terrorists, https: //www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-police-arrest-14-suspected-leftist-terrorists/1966410 , Zugriff 14.2.2022
•Anadolu - Anadolu Agency (20.8.2019): US meets with far-left terror group in Syria: minister, https://www.aa.com.tr/en/turkey/us-meets-with-far-left-terror-group-in-syria-minister/1560965 , Zugriff 14.2.2022
•ANF - ANF News (12.10.2021): MLKP guerrilla: We will never allow Turkish occupation, https: //anfenglish.com/kurdistan/mlkp-guerriNa-we-will-never-aNow-turkish-occupation-55503 , Zugriff 14.2.2022
•ANF - ANF News (27.6.2021): MLKP pays tribute to martyr Zilan Destan, https://anfenglish.com/r ojava-syria/mlkp-pays-tribute-to-martyr-zilan-destan-53069, Zugriff 9.2.2022
•ANF - ANF News (23.1.2018): MLKP Rojava: Wir nehmen am Widerstand von EfrTn teil, https: //anfdeutsch.com/rojava-syrien/mlkp-rojava-wir-nehmen-am-widerstand-von-efrin-teil-1809 , Zugriff 9.2.2022
•BAMF (13.9.2021): Briefing Notes, KW 37, Verhaftung mutmaßlicher MLKP-Mitglieder, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw37-2021.pdf?blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 14.2.2022
•BMIH - Bundesministerium des Innern und für Heimat [Deutschland] (7.6.2022): Verfassungsschutzbericht 2021, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheiWsb-2021-gesamt.pdfblob=publicationFile&v=3 , Zugriff 9.6.2022
•DS - Daily Sabah (14.1.2021): Turkish security forces detain 48 suspects in counterterrorism operation, https://www.dailysabah.com/politics/war-on-terror/turkish-security-forces-detain-48-s uspects-in-counterterrorism-operation , Zugriff 14.2.2022
•HDN - Hürriyet Daily News (22.4.2022): PKK affiliated group carried out attacks in Istanbul, Bursa: Soylu, https://www.hurriyetdailynews.com/pkkaffiliatedgroupcarriedoutattacksinistanbulbursasoylu173207?utm_source=Facebook&utm_medium=post&utm_term=post, Zugriff 24.8.2022
•HDN - Hürriyet Daily News (20.7.2019): Turkish army ‘neutralizes’ 3 PKK terrorists in N Iraq, https://www.hurriyetdailynews.com/turkish-army-neutralizes-3-pkk-terrorists-in-n-iraq-145104 , Zugriff 14.2.2022
•IPI/MLSA - International Press Institute / Media and Law Studies Association (3.2020): TURKEY FREE EXPRESSION TRIAL MONITORING REPORT - FINAL REPORT, https://www.mlsatur- key.com/wp content/uploads/2020/06/ENG_TMReport_0623.pdf, Zugriff 14.2.2022
•MLKP - Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (27.9.2019): Bomb Attack By FESK in Adana, http://www.mlkp-info.org/?icerik_id=11372&Bomb_Attack_By_FESK_in_Adana , Zugriff 14.2.2022
•MLKP - Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (20.7.2019): MLKP/FESK Guerrillas Martyred In Turkish Airstrike In Dersim, http://www.mlkp-info.org/?icerik_id=11277&MLKP/FESK _Guerrillas_Martyred_In_Turkish_Airstrike_In_Dersim_, Zugriff 14.2.2022
•MLKP - Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (3.2019): Programm der MLKP, http: //www.mlkp-info.org/index.php?icerik_id=11254&Programm_der_MLKP , Zugriff 24.8.2022
•MLKP - Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (1.9.2018): MLKP/FESK Rural Guerilla Units Fighter irfan Qelikfell martyr, http://www.mlkp-info.org/?icerik_id=10678&MLKP/FESK_Rur al_Guerilla_Units_Fighter_%C4%B0rfan_%C3%87elik_fell_martyr, Zugriff 14.2.2022
•Rudaw (22.4.2022): PKK-affiliated groups behind recent attacks in Turkey: minister, https://www. rudaw.net/english/middleeast/turkey/220420221, Zugriff 24.8.2022
•TNA-The NewArab (17.5.2019): ’Communist militants’ among US partners in Syria, https://www. alaraby.co.uk/english/indepth/2019/5/17/communist-militants-among-us-partners-in-syria, Zugriff 14.2.2022
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Terroristische Gruppierungen: DHKP-C - Devrimci Halk Kurtulu§ Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)
Letzte Änderung: 19.09.2022
Die marxistisch-leninistische „Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front“ (DHKP-C), hervorgegangen aus der politisch-militärischen Organisation „Devrimci Sol“ (kurz: „Dev-Sol“, Revolutionäre Linke), strebt die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in der Türkei an, und zwar durch die gewaltsame Beseitigung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung. Dies ist laut Parteiprogramm ausschließlich durch den „bewaffneten Volkskampf“ unter der Führung der DHKP-C möglich. Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele hält die DHKP-C an der Durchführung von Terroranschlägen in der Türkei fest. Einrichtungen des türkischen Staates bleiben dabei vorrangige Angriffsziele. Organisatorisch untergliedert sich die DHKP-C in einen politischen Arm, die „Revolutionäre Volksbefreiungspartei“ (DHKP) sowie in einen ihr nachgeordneten militärisch-propagandistischen Arm, die „Revolutionäre Volksbefreiungsfront“ (DHKC). Hauptfeinde sind die als „faschistisch“ und „oligarchisch“ bezeichnete Türkei und der „US-Imperialismus“. Es gelingt der DHKP-C derzeit nicht mehr, an die Vielzahl der terroristischen Anschläge in den Jahren 2012 bis 2016 anzuknüpfen. Die EU listet sie seit 2002 und die USA bereits seit 1997 als terroristische Organisation (BMIH 7.6.2022, S. 245, 295; vgl. CEP 21.4.2020; S. 7). Die seit dem gescheiterten Militärputsch von 2016 verschärfte Sicherheitslage und die damit verbundenen umfangreichen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden schränken die Handlungsfähigkeit der DHKP-C erheblich ein (BMIBH 15.6.2021, S. 274).Die marxistisch-leninistische „Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front“ (DHKP-C), hervorgegangen aus der politisch-militärischen Organisation „Devrimci Sol“ (kurz: „Dev-Sol“, Revolutionäre Linke), strebt die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in der Türkei an, und zwar durch die gewaltsame Beseitigung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung. Dies ist laut Parteiprogramm ausschließlich durch den „bewaffneten Volkskampf“ unter der Führung der DHKP-C möglich. Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele hält die DHKP-C an der Durchführung von Terroranschlägen in der Türkei fest. Einrichtungen des türkischen Staates bleiben dabei vorrangige Angriffsziele. Organisatorisch untergliedert sich die DHKP-C in einen politischen Arm, die „Revolutionäre Volksbefreiungspartei“ (DHKP) sowie in einen ihr nachgeordneten militärisch-propagandistischen Arm, die „Revolutionäre Volksbefreiungsfront“ (DHKC). Hauptfeinde sind die als „faschistisch“ und „oligarchisch“ bezeichnete Türkei und der „US-Imperialismus“. Es gelingt der DHKP-C derzeit nicht mehr, an die Vielzahl der terroristischen Anschläge in den Jahren 2012 bis 2016 anzuknüpfen. Die EU listet sie seit 2002 und die USA bereits seit 1997 als terroristische Organisation (BMIH 7.6.2022, S. 245, 295; vergleiche CEP 21.4.2020; S. 7). Die seit dem gescheiterten Militärputsch von 2016 verschärfte Sicherheitslage und die damit verbundenen umfangreichen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden schränken die Handlungsfähigkeit der DHKP-C erheblich ein (BMIBH 15.6.2021, S. 274).
Die Festnahmen von vermeintlichen DHKP-C-Mitgliedern setzten sich fort. Im Februar 2021, beispielsweise, wurde Caferi Sadik Eroglu, laut Behörden ein hochrangiges Mitglied der Gruppe, in Istanbul festgenommen (DS 12.2.2021). Am 29.3.2021 wurden zwei weitere operative Kader-Mitglieder in Istanbul verhaftet (HDN 30.3.2021). Mitte Oktober kam es zur Verhaftung von 54 Personen, welche laut Medienberichten Terroranschläge geplant hatten (BAMF 18.10.2021, S.14; vgl. Anadolu 15.10.2021). Anfang Dezember 2021 wurden mindestens 25 Verdächtige in sieben Provinzen wegen angeblichen Verbindungen zur DHKP-C festgenommen (Anadolu 3.12.2021). Mitte Juni 2022 wurden bei gleichzeitigen Operationen in sieben Provinzen 22 Verdächtige verhaftet, denen eine Mitgliedschaft in der DHKP-C unterstellt wurde (TPE 15.6.2022; vgl. Sabah 15.6.2022).Die Festnahmen von vermeintlichen DHKP-C-Mitgliedern setzten sich fort. Im Februar 2021, beispielsweise, wurde Caferi Sadik Eroglu, laut Behörden ein hochrangiges Mitglied der Gruppe, in Istanbul festgenommen (DS 12.2.2021). Am 29.3.2021 wurden zwei weitere operative Kader-Mitglieder in Istanbul verhaftet (HDN 30.3.2021). Mitte Oktober kam es zur Verhaftung von 54 Personen, welche laut Medienberichten Terroranschläge geplant hatten (BAMF 18.10.2021, S.14; vergleiche Anadolu 15.10.2021). Anfang Dezember 2021 wurden mindestens 25 Verdächtige in sieben Provinzen wegen angeblichen Verbindungen zur DHKP-C festgenommen (Anadolu 3.12.2021). Mitte Juni 2022 wurden bei gleichzeitigen Operationen in sieben Provinzen 22 Verdächtige verhaftet, denen eine Mitgliedschaft in der DHKP-C unterstellt wurde (TPE 15.6.2022; vergleiche Sabah 15.6.2022).
Die türkische Regierung verdächtigt auch die Musikgruppe „Grup Yorum“, die für ihre Kritik an der Regierung von Präsident Erdogan bekannt ist, Verbindungen zur DHKP/C zu haben. Im Jahr 2020 starben drei Bandmitglieder an den Folgen eines Hungerstreiks aus Protest gegen die Inhaftierung mehrerer Bandmitglieder, wiederholte Razzien im Kulturzentrum von Grup Yorum und gegen das Verbot von Konzerten der Band (NL-MFA 18.3.2021). Der deutsche Verfassungsschutz sieht eine eindeutige Verbindung zwischen DHKP-C und Grup Yorum. Die Konzertveranstaltungen der Grup Yorum dienen neben der Finanzierung der DHKP-C vor allem der Verbreitung ihrer Ideologie (BMIH 7.6.2022, S. 247f.).Quellen:
•Anadolu Agency (3.12.2021): 25 suspects linked to far-left terror group DHKP-C nabbed in Turkey, https://www.aa.com.tr/en/turkey/25-suspects-linked-to-far-left-terror-group-dhkp-c-nabbed-in-tur key/2437601, Zugriff 15.2.2022
•Anadolu - Anadolu Agency (15.10.2021): Over 50 far-left terror suspects arrested in Turkey, https: //www.aa.com.tr/en/turkey/over-50-far-left-terror-suspects-arrested-in-turkey/2392752 , Zugriff 15.2.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (18.10.2021): Briefing Notes KW 42/2021, Verhaftung von mutmaßlichen DHKP-C-Mitgliedern, https://www.bamf.de/SharedDocsZA
nlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw42-2021.pdf?bl
ob=publicationFile&v=2 , Zugriff 15.2.2022
•BMIH - Bundesministerium des Innern und für Heimat [Deutschland] (7.6.2022): Verfassungsschutzbericht 2021, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/vsb2021gesamt.pdf?blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 9.6.2022
•BMIBH - Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat [Deutschland] (15.6.2021): Verfassungsschutzbericht 2020, https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfa
ssungsschutzberichte/2021-06-verfassungsschutzbericht-2020.pdf?blob=publicationFile&v=8, Zugriff 9.6.2022
•CEP - Counter Extremism Project (3.6.2021): Turkey: Extremism & Counter-Extremism, https: //www.counterextremism.com/node/13523/printable/pdf, Zugriff 15.2.2022
•DS - Daily Sabah (12.2.2021) Turkish police nab wanted DHKP-C terrorist in Istanbul, https://ww w.dailysabah.com/turkey/investigations/turkish-police-nab-wanted-dhkp-c-terrorist-in-istanbul , Zugriff 15.2.2022
•HDN - Hürriyet Daily News (30.3.2021): Turkey nabs senior far-left terror members, https://www. hurriyetdailynews.com/turkey-nabs-senior-far-left-terror-members-163536 , Zugriff 15.2.2022
•NL-MFA- Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (18.3.2021): General Country of Origin Information Report
Turkey, https://www.government.nl/binaries/government/documents/reports/2021/03/18/general-c ountry-of-origin-information-report-turkey/vertaling-aab-turkije.pdf, Zugriff 15.2.2022
•Sabah (15.6.2022): Balikesir merkezli DHKP/C operasyonunda 22 güpheli ele gegirildi [22 Verdächtige bei einer Operation der DHKP/C in Balikesir festgenommen], https://www.sabah.com.tr /gundem/2022/06/15/balikesir-merkezli-dhkpc-operasyonunda-22-supheli-ele-gecirildi , Zugriff
20.6.2022
•TPE - Turkey Posts English (15.6.2022): 22 suspects captured in Balikesir-based DHKP/C operation, https://turkey.postsen.com/news/27764/22-suspects-captured-in-Balikesir-based-DHKPC-o peration.html, Zugriff 20.6.2022
Terroristische Gruppierungen: sog. IS - Islamischer Staat (alias Daesh)
Letzte Änderung: 20.09.2022
Die Türkei ist ein Herkunfts- und Transitland für ausländische (terroristische) Kämpfer, sogenannte „Foreign Terrorist Fighters" (FTF), die sich dem sogenannten Islamischen Staat (IS, ISIS, Daesh) und anderen terroristischen Gruppen anschließen wollen und in Syrien und im Irak kämpfen, bzw. auch solche, welche die beiden Länder zu verlassen trachten (USDOS 16.12.2021). Die Türkei hat den sog. IS im Jahr 2013 als terroristische Organisation eingestuft, doch wird sie seit Langem beschuldigt, als „Dschihad-Highway" zu dienen, da die türkischen Sicherheitskräfte wegschauen, wenn Tausende von ausländischen Kämpfern und türkischen Staatsbürgern illegal über die 911 Kilometer lange, durchlässige Grenze nach Syrien strömen (AM 25.8.2020). Seit 2013 war die Türkei eine führende Quelle von Rekrutierungen für den sog. IS und eine Drehscheibe für den Schmuggel von Waffen, anderen Lieferungen und Menschen über die türkisch-syrische Grenze (ICG 29.6.2020, S. 1). Der sog. IS nutzt weiterhin die Türkei als logistische Drehscheibe, um Gelder in den und aus dem Irak und Syrien zu verschieben. So sammelt und schickt der sog. IS häufig Gelder an Mittelsmänner in der Türkei, die das Geld nach Syrien schmuggeln (USDOT-OIG 4.1.2021, S. 3).
Aus einem geleakten Bericht des MASAK (eng.: Financial Crimes Investigation Board) einer dem türkischen Finanzministerium unterstellten Behörde, vom 8.3.2021 geht hervor, dass IS-Mitglie- der mit Hilfe von in der Türkei ansässigen Unternehmen Ausrüstung und Teile zur Herstellung von Drohnen und improvisierten Sprengsätzen erworben und Wechselstuben, Juweliergeschäfte, Postämter und Banken für Geldtransfers genutzt haben. Darüber hinaus hätten einige der untersuchten IS-nahen Personen die türkische Staatsbürgerschaft angenommen. Türkische Mitglieder der Gruppe waren laut Bericht aktiv an den Bemühungen des IS beteiligt, Geld zu beschaffen, um die Flucht von Mitkämpfern und ihren Angehörigen aus dem Lager al-Hol in Nordsyrien zu unterstützen (AM 15.2.2022).
Die Türkei leistet einen aktiven Beitrag in internationalen Foren zur Terrorismusbekämpfung. Nach Angaben des Innenministeriums hat die Türkei von 2015 bis Dezember 2020 8.143 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Terrorismus abgeschoben, wobei die türkische „Einreiseverbotsliste“ Berichten zufolge rund 100.000 Namen enthält. Öffentlichen Angaben zufolge hatten die türkischen Behörden bis Ende 2020 2.343 mutmaßliche IS-Anhänger zwecks Verhörs festgenommen und gegen 333 von ihnen Anklage erhoben (USDOS 16.12.2021). Bis April 2017 haben nach offiziellen Zählungen der Regierung etwa 2.100 Türken das Land verlassen, um mit extremistischen Gruppen zu kämpfen, meist beim sog. IS (CEP 3.6.2021, S. 7). Andere, regierungsunabhängige Schätzungen gehen von einer weit höheren Zahl von 5.000 bis 9.000 aus (ICG 29.6.2020, S. 1, FN 2). Es wird angenommen, dass inzwischen mehr als 600 Personen in die Türkei zurückgekehrt sind (CEP 3.6.2021, S. 7). Laut den Prozessakten von Kasim Güler, der angeblich der Türkei-Beauftragte des IS war, hätte IS-Führer Abu Bakr al-Bagh- dadi vor seiner Ermordung angeordnet, dass die Türkei als Rückzugsgebiet zum Wiederaufbau des IS dienen sollte. Gülers Aussagen zufolge hätte der IS Waffen und Munition vergraben, und zwar in den Provinzen: Istanbul, Izmir, Mersin, Denizli, Van und Adana, um später Anschläge in Europa zu verüben. Zudem hätten sich IS-Gruppen in zwölf Provinzen (Adana, Hatay, Os- maniye, Gaziantep, §anliurfa, Elazig, Antalya, Kayseri, Adiyaman, Ankara, Konya und Istanbul) organisiert (DW 2.2.2022; vgl. Bianet 23.8.2022). Das regierungskritische Internet-Portal Bianet nennt unter Berufung auf Prozessakte und öffentlich zugängliche Quellen zusätzlich die Provinzen Antakya, Batman, Bursa, Diyarbakir, Kir§ehir, Yalova und Yozgat, an denen infolgedessen Antiterrormaßnahmen gegen den IS durchgeführt wurden (Bianet 23.8.2022).Die Türkei leistet einen aktiven Beitrag in internationalen Foren zur Terrorismusbekämpfung. Nach Angaben des Innenministeriums hat die Türkei von 2015 bis Dezember 2020 8.143 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Terrorismus abgeschoben, wobei die türkische „Einreiseverbotsliste“ Berichten zufolge rund 100.000 Namen enthält. Öffentlichen Angaben zufolge hatten die türkischen Behörden bis Ende 2020 2.343 mutmaßliche IS-Anhänger zwecks Verhörs festgenommen und gegen 333 von ihnen Anklage erhoben (USDOS 16.12.2021). Bis April 2017 haben nach offiziellen Zählungen der Regierung etwa 2.100 Türken das Land verlassen, um mit extremistischen Gruppen zu kämpfen, meist beim sog. IS (CEP 3.6.2021, S. 7). Andere, regierungsunabhängige Schätzungen gehen von einer weit höheren Zahl von 5.000 bis 9.000 aus (ICG 29.6.2020, S. 1, FN 2). Es wird angenommen, dass inzwischen mehr als 600 Personen in die Türkei zurückgekehrt sind (CEP 3.6.2021, S. 7). Laut den Prozessakten von Kasim Güler, der angeblich der Türkei-Beauftragte des IS war, hätte IS-Führer Abu Bakr al-Bagh- dadi vor seiner Ermordung angeordnet, dass die Türkei als Rückzugsgebiet zum Wiederaufbau des IS dienen sollte. Gülers Aussagen zufolge hätte der IS Waffen und Munition vergraben, und zwar in den Provinzen: Istanbul, Izmir, Mersin, Denizli, Van und Adana, um später Anschläge in Europa zu verüben. Zudem hätten sich IS-Gruppen in zwölf Provinzen (Adana, Hatay, Os- maniye, Gaziantep, §anliurfa, Elazig, Antalya, Kayseri, Adiyaman, Ankara, Konya und Istanbul) organisiert (DW 2.2.2022; vergleiche Bianet 23.8.2022). Das regierungskritische Internet-Portal Bianet nennt unter Berufung auf Prozessakte und öffentlich zugängliche Quellen zusätzlich die Provinzen Antakya, Batman, Bursa, Diyarbakir, Kir§ehir, Yalova und Yozgat, an denen infolgedessen Antiterrormaßnahmen gegen den IS durchgeführt wurden (Bianet 23.8.2022).
Das Verständnis der türkischen Behörden für die IS-Gefahr hat sich weiterentwickelt. Zunächst unterschätzten sie die Bedrohung, die von Rückkehrern ausgehen könnte, und blieben 20142015 weitgehend zwiespältig gegenüber der Rekrutierung durch den sog. IS. Diese Wahrnehmung begann sich im Laufe des Jahres 2016 zu verlagern, insbesondere nach dem ersten IS-An- griff im Mai 2016 auf eine staatliche Institution, der Polizeizentrale in Gaziantep (ICG 29.6.2020, S. 2). Laut offiziellen Angaben gab es in der Türkei bislang mindestens zehn Selbstmordattentate, sieben Bombenanschläge und vier bewaffnete Angriffe, bei denen 315 Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt wurden (TurkishPress 2.11.2020). Die türkischen Behörden machen den sog. IS seit Mitte 2015 für mehrere große Terroranschläge innerhalb des Landes verantwortlich. Im Juli 2015 starben bei einem Selbstmordattentat in Surug 32 Menschen, und im Oktober desselben Jahres kamen ebenfalls durch ein Selbstmordattentat bei einer Friedenskundgebung in Ankara 102 Menschen ums Leben. Die türkischen Behörden brachten den sog. IS auch in Verbindung mit einem Selbstmordanschlag vom August 2016 auf eine Hochzeit in Gaziantep, bei dem 57 Menschen ums Leben kamen. Der sog. IS bekannte sich zum Angriff auf den Istanbuler Nachtclub Reina am Morgen des 1.1.2017, der 39 Tote und Dutzende weitere Verletzte zur Folge hatte (CEP 3.6.2021, S. 4). Seitdem haben die Sicherheitsbehörden den IS in Schach gehalten, indem sie Anschläge durch Überwachung, Verhaftung und strengere Grenzsicherung vereitelt haben. Aber die Bedrohung ist nicht völlig verschwunden, wie türkische Beamte selbst zugeben (ICG 29.6.2020; S.i; vgl. CGRS-CEDOCA5.10.2020). Ende Jänner 2021 nahmen die türkischen Behörden bei landesweiten Operationen 126 Personen fest, die verdächtigt wurden, Verbindungen zum sog. IS zu haben oder die Gruppe zu finanzieren. Dabei wurden auch Waffen, Dokumente, Pläne für Geldüberweisungen sowie größere Geldbeträge konfisziert (Anadolu 27.1.2021). Ende Juni 2021 wurden 26 Personen mit vermeintlichen IS- Verbindungen festgenommen, der überwiegende Teil Iraker. Dies bestätigt die Befürchtungen, dass der sog. IS weiterhin die Fähigkeit besitzt, innerhalb und nahe dem türkischen Territorium zu operieren (AM 28.6.2021). Die Polizei hat im Laufe des Oktobers 2021 bei landesweiten Razzien mehr als 130 Personen mit angeblichen IS-Verbindungen festgenommen (ICG 5.2022). Anfang November 2021 wurden in Kayseri 17 (DS 2.11.2021) und Mitte Dezember 14 Personen bei Razzien in Istanbul mit vermeintlichen IS-Verbindungen festgenommen, die u. a. beschuldigt wurden, Anschläge geplant zu haben (BAMF 20.12.2021, S.12, vgl. Anadolu 16.12.2021). Kurz vor Jahresende 2021 nahm die Polizei 16 Personen fest, nachdem Demonstranten mit Stöcken und Steinen gegen Sicherheitskräfte vorgegangen waren, die versuchten, einen nicht lizenzierten religiösen Buchladen in Bingöl, einer Stadt im Südosten des Landes, zu schließen, welcher laut Gouverneursamt Aktivitäten des sog. IS in der Türkeiunterstützte (Reuters 28.12.2021). In der ersten Jahreshälfte 2022 nahm die Polizei mehr als 130 Personen mit angeblichen IS-Verbin- dungen fest, zumeist Ausländer. So nahm die Polizei am 16.5.2022 in der südöstlichen Provinz §anliurfa drei Syrer fest, von denen einer angeblich einen Selbstmordanschlag plante, und am 17.5.2022 wurde in der westlichen Provinz Bursa ein Ausländer festgenommen, der angeblich einen Selbstmordanschlag plante (ICG 5.2022). Am 24.5.2022 haben Sicherheitskräfte bei AntiTerror-Operationen im ganzen Land, darunter in Yozgat, Istanbul und Kocaeli, mindestens 21 Verdächtige mit Verbindungen zum sog. IS festgenommen (DS 24.5.2022).Das Verständnis der türkischen Behörden für die IS-Gefahr hat sich weiterentwickelt. Zunächst unterschätzten sie die Bedrohung, die von Rückkehrern ausgehen könnte, und blieben 20142015 weitgehend zwiespältig gegenüber der Rekrutierung durch den sog. IS. Diese Wahrnehmung begann sich im Laufe des Jahres 2016 zu verlagern, insbesondere nach dem ersten IS-An- griff im Mai 2016 auf eine staatliche Institution, der Polizeizentrale in Gaziantep (ICG 29.6.2020, S. 2). Laut offiziellen Angaben gab es in der Türkei bislang mindestens zehn Selbstmordattentate, sieben Bombenanschläge und vier bewaffnete Angriffe, bei denen 315 Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt wurden (TurkishPress 2.11.2020). Die türkischen Behörden machen den sog. IS seit Mitte 2015 für mehrere große Terroranschläge innerhalb des Landes verantwortlich. Im Juli 2015 starben bei einem Selbstmordattentat in Surug 32 Menschen, und im Oktober desselben Jahres kamen ebenfalls durch ein Selbstmordattentat bei einer Friedenskundgebung in Ankara 102 Menschen ums Leben. Die türkischen Behörden brachten den sog. IS auch in Verbindung mit einem Selbstmordanschlag vom August 2016 auf eine Hochzeit in Gaziantep, bei dem 57 Menschen ums Leben kamen. Der sog. IS bekannte sich zum Angriff auf den Istanbuler Nachtclub Reina am Morgen des 1.1.2017, der 39 Tote und Dutzende weitere Verletzte zur Folge hatte (CEP 3.6.2021, S. 4). Seitdem haben die Sicherheitsbehörden den IS in Schach gehalten, indem sie Anschläge durch Überwachung, Verhaftung und strengere Grenzsicherung vereitelt haben. Aber die Bedrohung ist nicht völlig verschwunden, wie türkische Beamte selbst zugeben (ICG 29.6.2020; S.i; vergleiche CGRS-CEDOCA5.10.2020). Ende Jänner 2021 nahmen die türkischen Behörden bei landesweiten Operationen 126 Personen fest, die verdächtigt wurden, Verbindungen zum sog. IS zu haben oder die Gruppe zu finanzieren. Dabei wurden auch Waffen, Dokumente, Pläne für Geldüberweisungen sowie größere Geldbeträge konfisziert (Anadolu 27.1.2021). Ende Juni 2021 wurden 26 Personen mit vermeintlichen IS- Verbindungen festgenommen, der überwiegende Teil Iraker. Dies bestätigt die Befürchtungen, dass der sog. IS weiterhin die Fähigkeit besitzt, innerhalb und nahe dem türkischen Territorium zu operieren (AM 28.6.2021). Die Polizei hat im Laufe des Oktobers 2021 bei landesweiten Razzien mehr als 130 Personen mit angeblichen IS-Verbindungen festgenommen (ICG 5.2022). Anfang November 2021 wurden in Kayseri 17 (DS 2.11.2021) und Mitte Dezember 14 Personen bei Razzien in Istanbul mit vermeintlichen IS-Verbindungen festgenommen, die u. a. beschuldigt wurden, Anschläge geplant zu haben (BAMF 20.12.2021, S.12, vergleiche Anadolu 16.12.2021). Kurz vor Jahresende 2021 nahm die Polizei 16 Personen fest, nachdem Demonstranten mit Stöcken und Steinen gegen Sicherheitskräfte vorgegangen waren, die versuchten, einen nicht lizenzierten religiösen Buchladen in Bingöl, einer Stadt im Südosten des Landes, zu schließen, welcher laut Gouverneursamt Aktivitäten des sog. IS in der Türkeiunterstützte (Reuters 28.12.2021). In der ersten Jahreshälfte 2022 nahm die Polizei mehr als 130 Personen mit angeblichen IS-Verbin- dungen fest, zumeist Ausländer. So nahm die Polizei am 16.5.2022 in der südöstlichen Provinz §anliurfa drei Syrer fest, von denen einer angeblich einen Selbstmordanschlag plante, und am 17.5.2022 wurde in der westlichen Provinz Bursa ein Ausländer festgenommen, der angeblich einen Selbstmordanschlag plante (ICG 5.2022). Am 24.5.2022 haben Sicherheitskräfte bei AntiTerror-Operationen im ganzen Land, darunter in Yozgat, Istanbul und Kocaeli, mindestens 21 Verdächtige mit Verbindungen zum sog. IS festgenommen (DS 24.5.2022).
Was IS-Rückkehrer, z. B. aus Syrien, anbelangt, so werden diese, wenn überhaupt - weniger als 10 % oder etwa 450 türkische Staatsbürger der geschätzten tausenden Rückkehrer sind inhaftiert - wegen ihrer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung für drei oder vier Jahre ins Gefängnis gesteckt. Hunderte werden demnächst entlassen. Gleichzeitig haben die staatlichen Institutionen der Türkei erst vor Kurzem damit begonnen, über sogenannte Deradikalisierungs- maßnahmen nachzudenken (ICG 29.6.2020). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete, dass nach der Gefängnisrevolte in Ghuwayran bei Hassakah in Syrien und den anschließenden Kämpfen (Jänner 2022) einige IS-Mitglieder in die Türkei und in Gebiete unter türkischer Kontrolle im Osten und Nordosten von Aleppo geflohen seien (SOHR 6.2.2022).
Quellen:
•AM -Al Monitor (15.2.2022): Islamic State collaborators received Turkish citizenship, official report shows, https://www.al-monitor.com/originals/2022/02/islamic-state-collaborators-received-turkish -citizenship-official-report-shows , Zugriff 24.2.2022
•AM - Al Monitor (28.6.2021): Turkey arrests 26 in raids against Islamic State, https://www.al-monit or.com/originals/2021/06/turkey-arrests-26-raids-against-islamic-state , Zugriff 15.2.2022
•AM -Al Monitor (25.8.2020): Islamic State operative planning 'sensational' attack nabbed in Istanbul, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/08/turkey-islamic-state-attack-istanbul-syria-gaz iantep.html, Zugriff 15.2.2022
•Anadolu - Anadolu Agency (16.12.2021): At least 14 Daesh/ISIS suspects caught in Turkey, https: //www.aa.com.tr/en/turkey/at-least-14-daesh-isis-suspects-caught-in-turkey/2448832 , Zugriff 15.2.2022
•Anadolu - Anadolu Agency (27.1.2021): At least 126 Daesh/ISIS suspects nabbed in Turkey, https: //www.aa.com.tr/en/turkey/at-least-126-daesh-isis-suspects-nabbed-in-turkey/2124900 , Zugriff 15.2.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (20.12.2021): Briefing Notes, KW 51, Verhaftungen mutmaßlicher IS-Mitglieder, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Be hoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw51-2021.html , Zugriff 15.2.2022
•Bianet (23.8.2022): ISIS members continue to shelter in Türkiye, some with EzidT captives, https:// m.bianet.org/english/toplum/266193-isismemberscontinuetoshelterinturkiyesomewithezidicaptives?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Newsletter+2022-08-26 , Zugriff 30.8.2022
•CGRS-CEDOCA- Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien], COI unit (5.10.2020): Turquie; Situation securitaire, https://www.ecoi.net/en/file/local/20387 86/coi_focus_turquie._situation_securitaire_20201005.pdf, Zugriff 15.2.2022
•CEP - Counter Extremism Project (3.6.2021): Turkey: Extremism & Counter-Extremism, https: //www.counterextremism.com/node/13523/printable/pdf, Zugriff 15.2.2022
•DS - Daily Sabah (24.5.2022): Turkey detains 21 Daesh-linked suspects in nationwide operations, https://www.dailysabah.com/politics/war-on-terror/turkey-detains-21-daesh-linked-suspects-in-n ationwide-operations , Zugriff 24.5.2022
•DS - Daily Sabah (2.11.2021): 17 Daesh terror suspects arrested in central Turkey's Kayseri, https://www.dailysabah.com/politics/war-on-terror/17-daesh-terror-suspects-arrested-in-central-t urkeys-kayseri , Zugriff 15.2.2022
•DW - Deutsche Welle (2.2.2022): „I§iD Türkiye'de alti kente silah gömdü“ [„Der IS hat in sechs türkischen Städten Waffen vergraben“], https://www.dw.com/tr/i%CC%87tiraf%C3%A7%C4%B1 -kas%C4%B1m-g%C3%Bcler-i%C5%9Fi%CC%87d-t%C3%Bcrkiyede-alt%C4%B1-kente-silah-g %C3%B6md%C3%BC/a-60633354?maca=tr-Twitter-sharing , Zugriff 30.8.2022
•ICG - International Crisis Group (5.2022): Crisiswatch - Tracking Conflict Worldwide, Turkey, Oc- tober 2021, https://www.crisisgroup.org/crisiswatch/print?page=2&location%5B0%5D=58&date_r an=&t=CrisisWatch+Database+Filter, Zugriff 20.6.2022
•ICG - International Crisis Group (29.6.2020): Calibrating the Response: Turkey's ISIS Returnees, https://d2071andvip0wj.cloudfront.net/258-calibrating-the-response.pdf, Zugriff 15.2.2022
•Reuters (28.12.2021): Turkey detains 16 accused of links to Islamic State after bookshop clash, https://www.reuters.com/world/middle-east/turkey-detains-16-accused-links-islamic-state-after-b ookshop-clash-2021-12-28/, Zugriff 15.2.2022
•SOHR - Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (6.2.2022): ISIS escapees Hundreds of ISIS prisoners fled from Ghuwayran prison to Turkey and faction-held areas, others hide in SDF-held areas, https://www.syriahr.com/en/238255/, Zugriff 15.2.2022
•TurkishPress (2.11.2020): Turkey dealt major blowto Daesh/ISIS terror in October, https://turkishp ress.com/turkey-dealt-major-blow-to-daesh-isis-terror-in-october/, Zugriff 15.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (16.12.2021): Country Report on Terrorism 2020-Chapter 1-Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2065362.html , Zugriff 15.2.2022
•USDOT-OIG - US Department of Treasury - Office of the Inspector General (4.1.2021): MEMORANDUM FOR DEPARTMENT OF DEFENSE LEAD INSPECTOR GENERAL [OIG-CA-21-021],
Operation Inherent Resolve - Summary of Work Performed by the Department of the Treasury Related to Terrorist Financing, ISIS, and Anti-Money Laundering for Second Quarter Fiscal Year 2021, https://oig.treasury.gov/sites/oig/files/2021-01/OIG-CA-21-012.pdf, Zugriff 15.2.2022
Rechtsstaatlichkeit / Justizwesen
Letzte Änderung: 20.09.2022
2022 zeigte sich das Europäische Parlament in einer Entschließung „weiterhin besorgt über die fortgesetzte Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz in der Türkei, die mit der abschreckenden Wirkung der von der Regierung in den vergangenen Jahren vorgenommenen Massenentlassungen sowie öffentlichen Stellungnahmen von Personen in führender Stellung zu laufenden Gerichtsverfahren verbunden sind, wodurch die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit und die allgemeine Fähigkeit der Justiz, bei Menschenrechtsverletzungen wirksam Abhilfe zu schaffen, geschwächt werden" (EP 7.6.2022, S. 11, Pt. 15; vgl. HRW 13.1.2022, BS 23.2.2022, S. 3) und „stellt mit Bedauern fest, dass diese grundlegenden Mängel bei den Justizreformen nicht in Angriff genommen werden" (EP 7.6.2022, S. 11, Pt. 15; vgl. AI 29.3.2022), trotz des neuen Aktionsplans für Menschenrechte und zweier vom Justizministerium ausgearbeiteten Justizreformpaketen (AI 29.3.2022). Nicht nur die Unabhängigkeit der Justiz, sondern auch die Situation in der Justizverwaltung hat sich merkbar verschlechtert (USDOS 12.4.2022, S. 2,14f.; vgl. EC 19.10.2021, S. 21, CoE-CommDH 19.2.2020; S. 4, 28f).2022 zeigte sich das Europäische Parlament in einer Entschließung „weiterhin besorgt über die fortgesetzte Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz in der Türkei, die mit der abschreckenden Wirkung der von der Regierung in den vergangenen Jahren vorgenommenen Massenentlassungen sowie öffentlichen Stellungnahmen von Personen in führender Stellung zu laufenden Gerichtsverfahren verbunden sind, wodurch die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit und die allgemeine Fähigkeit der Justiz, bei Menschenrechtsverletzungen wirksam Abhilfe zu schaffen, geschwächt werden" (EP 7.6.2022, S. 11, Pt. 15; vergleiche HRW 13.1.2022, BS 23.2.2022, S. 3) und „stellt mit Bedauern fest, dass diese grundlegenden Mängel bei den Justizreformen nicht in Angriff genommen werden" (EP 7.6.2022, S. 11, Pt. 15; vergleiche AI 29.3.2022), trotz des neuen Aktionsplans für Menschenrechte und zweier vom Justizministerium ausgearbeiteten Justizreformpaketen (AI 29.3.2022). Nicht nur die Unabhängigkeit der Justiz, sondern auch die Situation in der Justizverwaltung hat sich merkbar verschlechtert (USDOS 12.4.2022, S. 2,14f.; vergleiche EC 19.10.2021, S. 21, CoE-CommDH 19.2.2020; S. 4, 28f).
Der Abschied der Türkei von der parlamentarischen Demokratie und der Übergang zu einem Präsidialsystem im Jahr 2018 haben den Autokratisierungsprozess des Landes beschleunigt. - Die Exekutive ist somit der größte antidemokratische Akteur. Die wenigen verbliebenen liberaldemokratischen Akteure und Reformer in der Türkei haben nicht genügend Macht, um die derzeitige Autokratisierung der Landes, die von einem demokratisch gewählten Präsidenten geführt wird, umzukehren (BS 23.2.2022, S. 36). Die ernsthaften Bedenken, beispielsweise der EU, hinsichtlich einerweiteren Verschlechterung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschen- und Grundrechte und der Unabhängigkeit der Justiz wurden in vielen Bereichen nicht ausgeräumt, sondern es kam gar zu Rückschritten (EC 19.10.2021, S. 2, 21; vgl. CoEU 14.12.2021 S. 16, Pt. 34). Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts KONDA vom Juni 2021 ergab, dass 64 % der Befragten kein Vertrauen in das Justizsystem haben. Unter den Befragten mit kurdischem Hintergrund lag der Wert gar bei 85 % (USDOS 12.4.2022, S. 15).Der Abschied der Türkei von der parlamentarischen Demokratie und der Übergang zu einem Präsidialsystem im Jahr 2018 haben den Autokratisierungsprozess des Landes beschleunigt. - Die Exekutive ist somit der größte antidemokratische Akteur. Die wenigen verbliebenen liberaldemokratischen Akteure und Reformer in der Türkei haben nicht genügend Macht, um die derzeitige Autokratisierung der Landes, die von einem demokratisch gewählten Präsidenten geführt wird, umzukehren (BS 23.2.2022, S. 36). Die ernsthaften Bedenken, beispielsweise der EU, hinsichtlich einerweiteren Verschlechterung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschen- und Grundrechte und der Unabhängigkeit der Justiz wurden in vielen Bereichen nicht ausgeräumt, sondern es kam gar zu Rückschritten (EC 19.10.2021, S. 2, 21; vergleiche CoEU 14.12.2021 S. 16, Pt. 34). Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts KONDA vom Juni 2021 ergab, dass 64 % der Befragten kein Vertrauen in das Justizsystem haben. Unter den Befragten mit kurdischem Hintergrund lag der Wert gar bei 85 % (USDOS 12.4.2022, S. 15).
Faires Verfahren
Die Auswirkungen dieser Situation auf das Strafrechtssystem zeigen sich dadurch, dass sich zahlreiche seit Langem bestehende Probleme, wie der Missbrauch der Untersuchungshaft, verschärft haben, und neue Probleme hinzugekommen sind. Vor allem bei Fällen von Terrorismus und Organisierter Kriminalität hat die Missachtung grundlegender Garantien für ein faires Verfahren durch die türkische Justiz und die sehr lockere Anwendung des Strafrechts auf eigentlich rechtskonforme Handlungen zu einem Grad an Rechtsunsicherheit und Willkür geführt, der das Wesen des Rechtsstaates gefährdet (CoE-CommDH 19.2.2020). 2021 betrafen von den 76 Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Sinne der Verletzung der Menschenrechte in der Türkei allein 22 das Recht auf ein faires Verfahren (ECHR 2.2022, S. 11).
Bereits im Juni 2020 wies der Präsident des türkischen Verfassungsgerichts, Zühtü Arslan, darauf hin, dass die Mehrzahl der Rechtsverletzungen (52 %) auf das Fehlen eines Rechts auf ein faires Verfahren zurückzuführen ist, was laut Arslan auf ein ernstes Problem hinweise, das gelöst werden müsse (Duvar 9.6.2020). 2022 zitiert das Europäische Parlament den Präsidenten des türkischen Verfassungsgerichtes, wonach mehr als 73 % der über 66.000 im Jahr 2021 eingereichten Gesuche sich auf das Recht auf ein faires Verfahren beziehen, was den Präsidenten veranlasste, die Situation als katastrophal zu bezeichnen (EP 7.6.2022, S.12, Pt.16).
Mängel gibt es weiters beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen gegen Beschuldigte sowie bei den Verteidigungsmöglichkeiten der Rechtsanwälte bei sog. Terror-Prozessen. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung oder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte bis zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht nehmen können. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt (AA 28.7.2022, S. 12; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 8, AI 26.10.2020, HRW 10.4.2019). Einerseits werden oftmals das Recht auf Zugang zur Justiz und das Recht auf Verteidigung aufgrund der vorgeblichen Vertraulichkeit der Unterlagen eingeschränkt, andererseits tauchen gleichzeitig in den Medien immer wieder Auszüge aus den Akten der Staatsanwaltschaft auf, was zu Hetzkampagnen gegen die Verdächtigten/Angeklagten führt und nicht selten die Unschuldsvermutung verletzt (ÖB 30.11.2021, S. 8). Einschränkungen für den Rechtsbeistand ergeben sich auch bei der Festnahme und in der Untersuchungshaft. - So sind die Staatsanwälte beispielsweise befugt, die Polizei mit nachträglicher gerichtlicher Genehmigung zu ermächtigen, Anwälte daran zu hindern, sich in den ersten 24 Stunden des Polizeigewahrsams mit ihren Mandanten zu treffen, wovon sie laut Human Rights Watch auch routinemäßig Gebrauch machen. Die privilegierte Kommunikation von Anwälten mit ihren Mandanten in der Untersuchungshaft wurde faktisch abgeschafft, da es den Behörden gestattet ist, die gesamte Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant aufzuzeichnen und zu überwachen (HRW 10.4.2019).Mängel gibt es weiters beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen gegen Beschuldigte sowie bei den Verteidigungsmöglichkeiten der Rechtsanwälte bei sog. Terror-Prozessen. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung oder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte bis zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht nehmen können. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt (AA 28.7.2022, S. 12; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 8, AI 26.10.2020, HRW 10.4.2019). Einerseits werden oftmals das Recht auf Zugang zur Justiz und das Recht auf Verteidigung aufgrund der vorgeblichen Vertraulichkeit der Unterlagen eingeschränkt, andererseits tauchen gleichzeitig in den Medien immer wieder Auszüge aus den Akten der Staatsanwaltschaft auf, was zu Hetzkampagnen gegen die Verdächtigten/Angeklagten führt und nicht selten die Unschuldsvermutung verletzt (ÖB 30.11.2021, S. 8). Einschränkungen für den Rechtsbeistand ergeben sich auch bei der Festnahme und in der Untersuchungshaft. - So sind die Staatsanwälte beispielsweise befugt, die Polizei mit nachträglicher gerichtlicher Genehmigung zu ermächtigen, Anwälte daran zu hindern, sich in den ersten 24 Stunden des Polizeigewahrsams mit ihren Mandanten zu treffen, wovon sie laut Human Rights Watch auch routinemäßig Gebrauch machen. Die privilegierte Kommunikation von Anwälten mit ihren Mandanten in der Untersuchungshaft wurde faktisch abgeschafft, da es den Behörden gestattet ist, die gesamte Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant aufzuzeichnen und zu überwachen (HRW 10.4.2019).
Die Verfassung sieht zwar das Recht auf ein faires öffentliches Verfahren vor, doch Anwaltskammern und Rechtsvertreter behaupten, dass die zunehmende Einmischung der Exekutive in die Justiz und die Maßnahmen der Regierung durch die Notstandsbestimmungen dieses Recht gefährden (USDOS 12.4.2022, S. 16). Einige Anwälte gaben an, dass sie zögerten, Fälle anzunehmen, insbesondere solche von Verdächtigen, die wegen Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung angeklagt waren, aus Angst vor staatlicher Vergeltung, einschließlich Strafverfolgung (USDOS 12.4.2022, S. 11). Strafverteidiger, die Angeklagte in Terrorismusverfahren vertreten, sind mit Verhaftung und Verfolgung aufgrund der gleichen Anklagepunkte wie ihre Mandanten konfrontiert (Turkish Tribunal 2.2021, S. 41; vgl. HRW 13.1.2021). Das EP zeigte sich entsetzt „wonach Anwälte, die des Terrorismus beschuldigte Personen vertreten, wegen desselben Verbrechens, das ihren Mandanten zur Last gelegt wird, oder eines damit zusammenhängenden Verbrechens strafrechtlich verfolgt wurden, das heißt, es wird ein Kontext geschaffen, in dem ein eindeutiges Hindernis für die Wahrnehmung des Rechts auf ein faires Verfahren und den Zugang zur Justiz errichtet wird" (EP 7.6.2022, S. 12, Pt. 15). Beispielsweise wurden im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung am 11.9.2020 47 Anwälte in Ankara und sieben weiteren Provinzen aufgrund eines Haftbefehls der Oberstaatsanwaltschaft Ankara festgenommen. 15 Anwälte blieben wegen „Terrorismus“-Anklagen in Untersuchungshaft, der Rest wurde gegen Kaution freigelassen. Ihnen wurde vorgeworfen, angeblich auf Weisung der Gülen-Bewegung gehandelt und die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre Klienten (vermeintliche Mitglieder der Gülen-Bewegung) zugunsten der Gülen-Bewegung beeinflusst zu haben (AI 26.10.2020).Die Verfassung sieht zwar das Recht auf ein faires öffentliches Verfahren vor, doch Anwaltskammern und Rechtsvertreter behaupten, dass die zunehmende Einmischung der Exekutive in die Justiz und die Maßnahmen der Regierung durch die Notstandsbestimmungen dieses Recht gefährden (USDOS 12.4.2022, S. 16). Einige Anwälte gaben an, dass sie zögerten, Fälle anzunehmen, insbesondere solche von Verdächtigen, die wegen Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung angeklagt waren, aus Angst vor staatlicher Vergeltung, einschließlich Strafverfolgung (USDOS 12.4.2022, S. 11). Strafverteidiger, die Angeklagte in Terrorismusverfahren vertreten, sind mit Verhaftung und Verfolgung aufgrund der gleichen Anklagepunkte wie ihre Mandanten konfrontiert (Turkish Tribunal 2.2021, S. 41; vergleiche HRW 13.1.2021). Das EP zeigte sich entsetzt „wonach Anwälte, die des Terrorismus beschuldigte Personen vertreten, wegen desselben Verbrechens, das ihren Mandanten zur Last gelegt wird, oder eines damit zusammenhängenden Verbrechens strafrechtlich verfolgt wurden, das heißt, es wird ein Kontext geschaffen, in dem ein eindeutiges Hindernis für die Wahrnehmung des Rechts auf ein faires Verfahren und den Zugang zur Justiz errichtet wird" (EP 7.6.2022, S. 12, Pt. 15). Beispielsweise wurden im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung am 11.9.2020 47 Anwälte in Ankara und sieben weiteren Provinzen aufgrund eines Haftbefehls der Oberstaatsanwaltschaft Ankara festgenommen. 15 Anwälte blieben wegen „Terrorismus“-Anklagen in Untersuchungshaft, der Rest wurde gegen Kaution freigelassen. Ihnen wurde vorgeworfen, angeblich auf Weisung der Gülen-Bewegung gehandelt und die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre Klienten (vermeintliche Mitglieder der Gülen-Bewegung) zugunsten der Gülen-Bewegung beeinflusst zu haben (AI 26.10.2020).
Auswirkungen der Anti-Terror-Gesetzgebung
Eine Reihe von restriktiven Maßnahmen, die während des Ausnahmezustands ergriffen wurden, sind in das Gesetz aufgenommen worden und haben tiefgreifende negative Auswirkungen auf die Menschen in der Türkei (CoEU 14.12.2021, S. 16, Pt. 34). Mit Auslaufen des Ausnahmezustandes im Juli 2018 beschloss das Parlament das Gesetz Nr. 7145, durch das Bestimmungen im Bereich der Grundrechte abgeändert wurden. Zu den zahlreichen, nunmehr gesetzlich verankerten Maßnahmen aus der Periode des Ausnahmezustandes zählen insbesondere die Übertragung außerordentlicher Befugnisse an staatliche Behörden sowie Einschränkungen der Grundfreiheiten. Problematisch sind vor allem der weit ausgelegte Terrorismus-Begriff in der Anti-Terror-Gesetzgebung sowie einzelne Artikel des türkischen Strafgesetzbuches, so Art. 301 -Verunglimpfung/Herabsetzung des türkischen Staates und seiner Institutionen und Art. 299- Beleidigung des Staatsoberhauptes (ÖB 30.11.2021, S. 6). Das Europäische Parlament (EP) „betont, dass die Anti-Terror-Bestimmungen in der Türkei immer noch zu weit gefasst sind und nach freiem Ermessen zur Unterdrückung der Menschenrechte und aller kritischen Stimmen im Land, darunter Journalisten, Aktivisten und politische Gegner, eingesetzt werden“ (EP 7.6.2022, S. 18, Pt. 29) „unter der komplizenhaften Mitwirkung einer Justiz, die unfähig oder nicht willens ist, jeglichen Missbrauch der verfassungsmäßigen Ordnung einzudämmen“, und „fordert die Türkei daher nachdrücklich auf, ihre Anti-Terror-Gesetzgebung an internationale Standards anzugleichen“ (EP 19.5.2021, S. 9, Pt. 14).Eine Reihe von restriktiven Maßnahmen, die während des Ausnahmezustands ergriffen wurden, sind in das Gesetz aufgenommen worden und haben tiefgreifende negative Auswirkungen auf die Menschen in der Türkei (CoEU 14.12.2021, S. 16, Pt. 34). Mit Auslaufen des Ausnahmezustandes im Juli 2018 beschloss das Parlament das Gesetz Nr. 7145, durch das Bestimmungen im Bereich der Grundrechte abgeändert wurden. Zu den zahlreichen, nunmehr gesetzlich verankerten Maßnahmen aus der Periode des Ausnahmezustandes zählen insbesondere die Übertragung außerordentlicher Befugnisse an staatliche Behörden sowie Einschränkungen der Grundfreiheiten. Problematisch sind vor allem der weit ausgelegte Terrorismus-Begriff in der Anti-Terror-Gesetzgebung sowie einzelne Artikel des türkischen Strafgesetzbuches, so Artikel 301, -Verunglimpfung/Herabsetzung des türkischen Staates und seiner Institutionen und Artikel 299 -, Beleidigung des Staatsoberhauptes (ÖB 30.11.2021, S. 6). Das Europäische Parlament (EP) „betont, dass die Anti-Terror-Bestimmungen in der Türkei immer noch zu weit gefasst sind und nach freiem Ermessen zur Unterdrückung der Menschenrechte und aller kritischen Stimmen im Land, darunter Journalisten, Aktivisten und politische Gegner, eingesetzt werden“ (EP 7.6.2022, S. 18, Pt. 29) „unter der komplizenhaften Mitwirkung einer Justiz, die unfähig oder nicht willens ist, jeglichen Missbrauch der verfassungsmäßigen Ordnung einzudämmen“, und „fordert die Türkei daher nachdrücklich auf, ihre Anti-Terror-Gesetzgebung an internationale Standards anzugleichen“ (EP 19.5.2021, S. 9, Pt. 14).
Unter anderem auf Basis der Anti-Terror-Gesetzgebung wurden türkische Staatsbürger aus dem Ausland entführt oder unter Zustimmung der Drittstaaten in die Türkei verbracht (EP 19.5.2021, S. 16, Pt. 40). Das EP verurteilte so wie 2021 in seiner Entschließung vom Juni 2022 neuerlich „aufs Schärfste die Entführung türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz außerhalb der Türkei und deren Auslieferung in die Türkei, was eine Verletzung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit und der grundlegenden Menschenrechte darstellt“ (EP 7.6.2022, S. 19, Pt. 31). Die Europäische Kommission kritisierte die Türkei für die hohe Zahl von Auslieferungsersuchen im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten, die (insbesondere von EU-Ländern) aufgrund des Flüchtlingsstatus oder der Staatsangehörigkeit der betreffenden Person abgelehnt wurden.
Überdies zeigte sich die Europäische Kommission besorgt ob der hohen Zahl der sog. „Red Notices" bezüglich wegen Terrorismus gesuchter Personen. Diese Red Notices wurden von INTERPOL entweder abgelehnt oder gelöscht (EC 19.10.2021, S. 44). [Siehe auch die Kapitel: Verfolgung fremder Staatsbürger wegen Straftaten im Ausland und Gülen- oder Hizmet-Bewe- gung]
Beleidigung des Präsidenten als Strafbestand
„[E]ntsetzt über den grob missbräuchlichen Rückgriff auf Artikel 299 des Strafgesetzbuchs der Türkei über Beleidigungen des Präsidenten, die eine Haftstrafe zwischen einem und vier Jahren nach sich ziehen können", forderte das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 7.6.2021 „das Gesetz über die Beleidigung des Staatspräsidenten gemäß den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu ändern" (EP 7.6.2022, S. 10, Pt. 13). Das türkische Verfassungsgericht hat für die Strafgerichte einen Kriterienkatalog für Verfahren gemäß Artikel 299 erstellt und weist im Sinne der Angeklagten mitunter Urteile wegen Mängeln zurück an die unteren Gerichtsinstanzen. Dennoch sieht das Verfassungsgericht die Ehre des Präsidenten als Verkörperung der Einheit der Nation als besonders schützenswert. Dieses Privileg steht im Widerspruch zur Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der in seiner Stellungnahme vom 19.10.2021 (Fall Vedat §orli vs. Turkey) feststellte, dass ein Straftatbestand, der schwerere Strafen für verleumderische Äußerungen vorsieht, wenn sie an den Präsidenten gerichtet sind, grundsätzlich nicht dem Geist der Europäischen Menschenrechtskonvention entspricht (LoC 7.11.2021). Nach Angaben des türkischen Justizministeriums wurden allein im Jahr 2020 mehr als 31.000 Ermittlungsverfahren wegen Präsidentenbeleidigung eingeleitet (DW 9.2.2022) und 9.773 strafrechtlich verfolgt, darunter auch 290 Kinder und 152 ausländische Staatsbürger (Ahval 20.7.2021). Seit der Amtsübernahme Erdogans 2014 gab es 160.000 Anklagen wegen Präsidentenbeleidigung, von denen sich 39.000 vor Gericht verantworten mussten. Nach Angaben von YamanAkdeniz, Professor für Rechtswissenschaften an der Bilgi Universität, kam es in diesem Zeitraum in knapp 13.000 Fällen zu einer Verurteilung, 3.600 wurden zu Haftstrafen verurteilt (DW 9.2.2022; vgl. Article19 8.4.2022). 106 der Schuldsprüche betrafen Kinder unter 18 Jahren, von denen zehn zu Haftstrafen verurteilt wurden (Article19 8.4.2022). Von der Verfolgung sind sowohl ausländische als auch türkische Staatsbürger im In- und Ausland betroffen (DW 9.2.2022).„[E]ntsetzt über den grob missbräuchlichen Rückgriff auf Artikel 299 des Strafgesetzbuchs der Türkei über Beleidigungen des Präsidenten, die eine Haftstrafe zwischen einem und vier Jahren nach sich ziehen können", forderte das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 7.6.2021 „das Gesetz über die Beleidigung des Staatspräsidenten gemäß den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu ändern" (EP 7.6.2022, S. 10, Pt. 13). Das türkische Verfassungsgericht hat für die Strafgerichte einen Kriterienkatalog für Verfahren gemäß Artikel 299 erstellt und weist im Sinne der Angeklagten mitunter Urteile wegen Mängeln zurück an die unteren Gerichtsinstanzen. Dennoch sieht das Verfassungsgericht die Ehre des Präsidenten als Verkörperung der Einheit der Nation als besonders schützenswert. Dieses Privileg steht im Widerspruch zur Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der in seiner Stellungnahme vom 19.10.2021 (Fall Vedat §orli vs. Turkey) feststellte, dass ein Straftatbestand, der schwerere Strafen für verleumderische Äußerungen vorsieht, wenn sie an den Präsidenten gerichtet sind, grundsätzlich nicht dem Geist der Europäischen Menschenrechtskonvention entspricht (LoC 7.11.2021). Nach Angaben des türkischen Justizministeriums wurden allein im Jahr 2020 mehr als 31.000 Ermittlungsverfahren wegen Präsidentenbeleidigung eingeleitet (DW 9.2.2022) und 9.773 strafrechtlich verfolgt, darunter auch 290 Kinder und 152 ausländische Staatsbürger (Ahval 20.7.2021). Seit der Amtsübernahme Erdogans 2014 gab es 160.000 Anklagen wegen Präsidentenbeleidigung, von denen sich 39.000 vor Gericht verantworten mussten. Nach Angaben von YamanAkdeniz, Professor für Rechtswissenschaften an der Bilgi Universität, kam es in diesem Zeitraum in knapp 13.000 Fällen zu einer Verurteilung, 3.600 wurden zu Haftstrafen verurteilt (DW 9.2.2022; vergleiche Article19 8.4.2022). 106 der Schuldsprüche betrafen Kinder unter 18 Jahren, von denen zehn zu Haftstrafen verurteilt wurden (Article19 8.4.2022). Von der Verfolgung sind sowohl ausländische als auch türkische Staatsbürger im In- und Ausland betroffen (DW 9.2.2022).
Politisierung der Justiz
Teile der Notstandsvollmachten wurden auf die vom Staatspräsidenten ernannten Provinzgouverneure übertragen (AA 14.6.2019). Diese können nicht nur das Versammlungsrecht einschränken, sondern haben großen Spielraum bei der Entlassung von Beamten, inklusive Richter (ÖB 30.11.2021 S. 6). Das Gesetz Nr. 7145 sieht auch keine Abschwächung der Kriterien vor, auf Grundlage derer (Massen-)Entlassungen ausgesprochen werden können (wegen Verbindungen zu Terrororganisationen, Handeln gegen die Sicherheit des Staates etc.) (ÖB 10.2019, S. 17). Rechtsanwaltsvereinigungen aus 25 Städten sahen in einer öffentlichen Deklaration im Februar 2020 die Türkei in der schwersten Justizkrise seit dem Bestehen der Republik, insbesondere infolge der Einmischung der Regierung in die Gerichtsbarkeit, der Politisierung des Rates der
Richter und Staatsanwälte (HSK), der Inhaftierung von Rechtsanwälten und des Ignorierens von Entscheidungen der Höchstgerichte sowie des EGMR (bianet 24.2.2020). Hinzu kommt, dass die Regierung im Juli 2020 ein neues Gesetz verabschiedete, um die institutionelle Stärke der größten türkischen Anwaltskammern zu reduzieren, die den Rückschritt der Türkei in Sachen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit scharf kritisiert haben (HRW 13.1.2021). Das Europäische Parlament sah darin die Gefahr einer weiteren Politisierung des Rechtsanwaltsberufs, was zu einer Unvereinbarkeit mit dem Unparteilichkeitsgebot des Rechtsanwaltsberufs führt und die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte gefährdet. Außerdem erkannte das EP darin „einen Versuch, die bestehenden Anwaltskammern zu entmachten und die verbliebenen kritischen Stimmen auszumerzen“ (EP 19.5.2021, S. 10, Pt. 19).
Im vom World Justice Project jährlich erstellten „Rule of Law Index“ rangierte die Türkei im Jahr 2021 auf Rang 117 von 139 Ländern (2020: Platz 107 von 128 untersuchten Ländern). Der statistische Indikator verschlechterte sich von 0,43 auf 0,42 (1 ist der statistische Bestwert, 0 der absolute Negativwert). Besonders schlecht schnitt das Land in den Unterkategorien „Grundrechte“ mit 0,31 (Rang 133 von 139) und „Einschränkungen der Macht der Regierung“ mit 0,28 (Platz 134 von 139) sowie bei der Strafjustiz mit 0,36 ab. Gut war der Wert für „Ordnung und Sicherheit“ mit 0,70, der annähernd dem globalen Durchschnitt von 0,72 entsprach (WJP 29.10.2021).
Gemäß Art. 138 der Verfassung sind Richter in der Ausübung ihrer Ämter unabhängig. Tatsächlich wird diese Verfassungsbestimmung jedoch durch einfach-gesetzliche Regelungen und politische Einflussnahme (Druck auf Richter und Staatsanwälte) unterlaufen. Die fehlende Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte ist die wichtigste Ursache für die vom EGMR in seinen Urteilen gegen die Türkei häufig monierten Verletzungen von Regelungen zu fairen Gerichtsverfahren, ein in der Verfassung verankertes Grundrecht. Die dem Justizministerium weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften sind nach wie vor für die Organisation der Gerichte zuständig (ÖB 10.2020, S. 6). Die richterliche Unabhängigkeit ist überdies durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) infrage gestellt (AA 14.6.2019). Der HSK ist das oberste Justizverwaltungsorgan, das in Fragen der Ernennung, Beauftragung, Ermächtigung, Beförderung und Disziplinierung von Richtern wichtige Befugnisse hat (SCF 3.2021, S. 5). Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen (AA 14.6.2019).Gemäß Artikel 138, der Verfassung sind Richter in der Ausübung ihrer Ämter unabhängig. Tatsächlich wird diese Verfassungsbestimmung jedoch durch einfach-gesetzliche Regelungen und politische Einflussnahme (Druck auf Richter und Staatsanwälte) unterlaufen. Die fehlende Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte ist die wichtigste Ursache für die vom EGMR in seinen Urteilen gegen die Türkei häufig monierten Verletzungen von Regelungen zu fairen Gerichtsverfahren, ein in der Verfassung verankertes Grundrecht. Die dem Justizministerium weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften sind nach wie vor für die Organisation der Gerichte zuständig (ÖB 10.2020, S. 6). Die richterliche Unabhängigkeit ist überdies durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) infrage gestellt (AA 14.6.2019). Der HSK ist das oberste Justizverwaltungsorgan, das in Fragen der Ernennung, Beauftragung, Ermächtigung, Beförderung und Disziplinierung von Richtern wichtige Befugnisse hat (SCF 3.2021, S. 5). Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen (AA 14.6.2019).
Mehr als 4.200 Richter und Staatsanwälte wurden seit 2016 abgesetzt und durch regierungstreue Personen ersetzt. Staatsanwälte und Richter sind oft auf der Linie der Regierung. Richter, die gegen die Wünsche der Regierung entscheiden, werden abberufen und ersetzt (FH 28.2.2022, F1). Laut dem letzten Bericht der Europäischen Kommission waren es 3.968 Richter und Staatsanwälte, die seit dem Putschversuch 2016, wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung, entlassen wurden. Bedenken bezüglich der Anstellung neuer Richter und Staatsanwälte im Rahmen des derzeitigen Systems bestehen weiterhin, da keine Maßnahmen ergriffen wurden, um dem Mangel an objektiven, leistungsbezogenen, einheitlichen und im Voraus festgelegten Kriterien für deren Einstellung und Beförderung entgegenzuwirken (EC 19.10.2021 S. 4f, 23f).
Die in der Stellungnahme der Venedig-Kommission vom Dezember 2016 festgehaltenen Mängel in Bezug auf die Mindeststandards für die Entlassung von Richtern sowie die rechtlichen Garantien für die Versetzung von Richtern und Staatsanwälten wurden nicht behoben. Einsprüche gegen solche Versetzungen sind möglich, aber in der Regel erfolglos. Während des gesamten Jahres 2020 wurden weiterhin Richter und Staatsanwälte ohne ihre Zustimmung und ohne jegliche Rechtfertigung, abgesehen von dienstlichen Erfordernissen, versetzt. Im Mai 2021 versetzte der HSK 3.070 Richter und Staatsanwälte (EC 19.10.2021, S. 23). Nach europäischen Standards sind Versetzungen nur ausnahmsweise aufgrund einer Reorganisation der Gerichte gerechtfertigt. In der justiziellen Reformstrategie 2019-2023 ist zwar für Richter ab einer gewissen Anciennität und auf Basis ihrer Leistungen eine Garantie gegen derartige Versetzungen vorgesehen, doch wird die Praxis der Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten ohne deren Zustimmung und ohne Angabe von Gründen fortgesetzt (ÖB 30.11.2021, S.8). Folglich ist die abschreckende Wirkung der Entlassungen und Zwangsversetzungen innerhalb der Justiz nach wie vor zu beobachten. Es besteht die Gefahr einer weitverbreiteten Selbstzensur unter Richtern und Staatsanwälten. Es wurden keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Rechtsgarantien ergriffen, um die Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive zu gewährleisten oder die Unabhängigkeit des HSK zu stärken (EC 6.10.2020, S. 6, 21). Umgekehrt jedoch hat der HSK keine Maßnahmen gegen Richter ergriffen, welche Urteile des Verfassungsgerichts ignorierten (EC 19.10.2021, S. 23).
Seit der Verfassungsänderung werden vier der 13 HSK-Mitglieder durch den Staatspräsidenten ernannt und sieben mit qualifizierter Mehrheit durch das Parlament. Die verbleibenden zwei Sitze im HSK gehen ex officio an den ebenfalls vom Präsidenten ernannten Justizminister und seinen Stellvertreter. Keines seiner Mitglieder wird folglich durch die Richterschaft bzw. die Staatsanwälte selbst bestimmt (ÖB 30.11.2021, S. 7f; vgl. SCF 3.2021, S. 46), wie dies vor 2017 noch der Fall war (SCF 3.2021, S.46). Im Mai 2021 tauschten Präsident und Parlament insgesamt elf HSK-Mitglieder und damit fast das gesamte HSK-Kollegium aus. Aufgrund der fehlenden Unabhängigkeit ist die Mitgliedschaft des HSK als Beobachter im „European Network of Councils for the Judiciary“ seit Ende 2016 ruhend gestellt (ÖB 30.11.2021, S. 7f).Seit der Verfassungsänderung werden vier der 13 HSK-Mitglieder durch den Staatspräsidenten ernannt und sieben mit qualifizierter Mehrheit durch das Parlament. Die verbleibenden zwei Sitze im HSK gehen ex officio an den ebenfalls vom Präsidenten ernannten Justizminister und seinen Stellvertreter. Keines seiner Mitglieder wird folglich durch die Richterschaft bzw. die Staatsanwälte selbst bestimmt (ÖB 30.11.2021, S. 7f; vergleiche SCF 3.2021, S. 46), wie dies vor 2017 noch der Fall war (SCF 3.2021, S.46). Im Mai 2021 tauschten Präsident und Parlament insgesamt elf HSK-Mitglieder und damit fast das gesamte HSK-Kollegium aus. Aufgrund der fehlenden Unabhängigkeit ist die Mitgliedschaft des HSK als Beobachter im „European Network of Councils for the Judiciary“ seit Ende 2016 ruhend gestellt (ÖB 30.11.2021, S. 7f).
Selbst über die personelle Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofes und des Kassationsgerichtes entscheidet primär der Staatspräsident, der auch zwölf der 15 Mitglieder des Verfassungsgerichts ernennt (ÖB 30.11.2021, S. 7f). Mit Stand Juni 2021 verdankten bereits acht der 15 Mitglieder des Verfassungsgerichts ihre Ernennung Präsident Erdogan. Fünf Richter hat sein Vorgänger Abdullah Gül ernannt, zwei hatte 2010 das damals noch demokratisch agierende Parlament gewählt. Die alte kemalistische Elite hat keinen Repräsentanten mehr am Gericht (SWP 10.6.2021, S. 3). Dennoch hat das Verfassungsgericht in den letzten Jahren eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt und ausgewählte politische Urteile aufgehoben (FH 28.2.2022, F1). Siehe hierzu Beispiele in diversen Kapiteln!
Die Massenentlassungen und häufige Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten haben negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit und insbesondere die Qualität und Effizienz der Justiz. Für die aufgrund der Entlassungen notwendig gewordenen Nachbesetzungen steht keine ausreichende Zahl entsprechend ausgebildeter Richter und Staatsanwälte zur Verfügung. In vielen Fällen spiegelt sich der Qualitätsverlust in einer schablonenhaften Entscheidungsfindung ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall wider. In massenhaft abgewickelten Verfahren, wie etwa betreffend Terrorismus-Vorwürfen, leidet die Qualität der Urteile und Beschlüsse häufig unter mangelhaften rechtlichen Begründungen sowie lückenhafter und wenig glaubwürdiger Beweisführung. Zudem wurden in einigen Fällen Beweise der Verteidigung bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt (ÖB 30.11.2021, S. 8).
Aufbau des Justizsystems
Das türkische Justizsystem besteht aus zwei Säulen: der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Straf- und Zivilgerichte) und der außerordentlichen Gerichtsbarkeit (Verwaltungs- und Verfassungsgerichte). Mit dem Verfassungsreferendum vom April 2017 wurden die Militärgerichte abgeschafft. Deren Kompetenzen wurden auf die Straf- und Zivilgerichte sowie Verwaltungsgerichte übertragen. Letztinstanzliche Gerichte sind gemäß der Verfassung das Verfassungsgericht (Verfassungsgerichtshof bzw. Anayasa Mahkemesi), der Staatsrat (Dani§tay) [Anm.: entspricht etwa dem hiesigen Verwaltungsgerichtshof], der Kassationgerichtshof (Yargitay) [auch als Oberstes Berufungs- bzw. Appellationsgericht bezeichnet] und das Kompetenzkonfliktgericht (Uyu§mazlik Mahkemesi) (ÖB 30.11.2021, S. 6).
2014 wurden alle Sondergerichte sowie die Friedensgerichte (Sulh Ceza Mahkemleri) abgeschafft. Ihre Jurisdiktion für die Entscheidung wurde im Wesentlichen auf Strafgerichte übertragen. Stattdessen wurde die Institution des Friedensrichters in Strafsachen (Sulh Ceza Hakimligi) eingeführt, der das strafrechtliche Ermittlungsverfahren begleitet und überwacht. Im Gegensatz zu den abgeschafften Friedensgerichten entscheiden Friedensrichter nicht in der Sache, doch kommen ihnen während des Verfahrens weitreichende Befugnisse zu, wie z.B. die Ausstellung von Durchsuchungsbefehlen, Anhalteanordnungen, Blockierung von Websites sowie die Beschlagnahmung von Vermögen. Der Kritik am Umstand, dass Einsprüche gegen Anordnungen eines Friedensrichters nicht von einem Gericht, sonder wiederum von einem Friedensrichter geprüft wurde, wurde allerdings Rechnung getragen. Das Parlament beschloss im Rahmen des am 8.7.2021 verabschiedeten vierten Justizreformpakets, wonach Einsprüche gegen Entscheidungen der Friedensrichter nunmehr durch Strafgerichte erster Instanz behandelt werden. Da die Friedensrichter allesamt als von der Regierung ausgewählt und als ihr unbedingt loyal ergeben gelten, werden sie als das wahrscheinlich wichtigste Instrument der Regierung gesehen, welches die ihr wichtigen Strafsachen bereits in diesem Stadium im Sinne der Regierung beeinflusst. Die Venedig-Kommission forderte 2017 die Übertragung der Kompetenzen der Friedensrichter an ordentliche Richter bzw. eine Reform (ÖB 30.11.2021, S. 6f). Die Urteile der Friedensrichter für Strafsachen weichen zunehmend von der Rechtsprechung des EGMR ab und bieten selten eine ausreichend individualisierte Begründung. Der Zugang von Verteidigern zu den Gerichtsakten ihrer Mandanten ist für einen bestimmten Katalog von Straftaten bis zur Anklageerhebung eingeschränkt. Manchmal dauert das mehr als ein Jahr (EC 29.5.2019, S. 24).
Rolle des Verfassungsgerichts
Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Verfassungsgericht (AA28.7.2022, S. 6), eingeführt u. a. mit dem Ziel, die Fallzahlen am Europäischen Gericht für Menschenrechte zu verringern (HDN 18.1.2021). Letzteres bestätigt auch die Statistik des türkischen Verfassungsgerichts. Seit der Gewährung des Individualbeschwerderechts 2012 bis Ende 2021 sind beim Verfassungsgericht 361.159 Einzelanträge eingelangt. In 302.429 Fällen wurde eine Entscheidung getroffen. Das Gericht befand 261.681 Anträge für unzulässig, was 86,5 % seiner Entscheidungen entspricht, und stellte in 25.857 Fällen mindestens einen Verstoß fest. Alleinig im Jahr 2021 erhielt das Gericht 66.121 Anträge und bearbeitete 45.321 davon, wobei in 11.880 Fällen mindestens ein Grundrechtsverstoß festgestellt wurde, zum weitaus überwiegenden Teil betraf dies die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (TM 18.1.2022).
Infolge der teilweise sehr lang dauernden Verfahren setzt die Justiz vermehrt auf alternative Streitbeilegungsmechanismen, die den Gerichtsverfahren vorgelagert sind. Ferner waren bereits 2016 neun regionale Berufungsgerichte (Bölge idare Mahkemeleri) in Betrieb genommen worden, die insbesondere das Kassationsgericht entlasten. Allerdings liegt der Anteil der Erledigungen der regionalen Berufungsgerichte unter 100 % (ÖB 30.11.2021, S. 7).
Untergeordnete Gerichte ignorieren oder verzögern die Umsetzung von Entscheidungen des Verfassungsgerichts mitunter erheblich, wobei die Regierung selten die Entscheidungen des EGMR umsetzt, trotz der Verpflichtung als Mitgliedsstaat des Europarates (USDOS 12.4.2022, S. 16.). So hat das Verfassungsgericht uneinheitliche Urteile zu Fällen der Meinungsfreiheit gefällt. Wo sich das Höchstgericht im Einklang mit den Standards des EGMR sah, welches etwa eine Untersuchungshaft in Fällen der freien Meinungsäußerung nur bei Hassreden oder dem Aufruf zur Gewalt als gerechtfertigt betrachtet, stießen die Urteile in den unteren Instanzen auf Widerstand und Behinderung (IPI 18.11.2019).
Zur neuesten Rechtssprechung des Verfassungsgerichts hinsichtlich der Meinungs- und Pressefreiheitsiehe auch das Kapitel Meinungs- und Pressefreiheit / Internet.
Die 2017 durch ein Referendum angenommenen Änderungen der türkischen Verfassung verleihen dem Präsidenten der Republik die Befugnis, Präsidentendekrete zu erlassen. Das Präsidentendekret ist ein Novum in der türkischen Verfassungsgeschichte, da es sich um eine Art von Gesetzgebung handelt, die von der Exekutive erlassen wird, ohne dass eine vorherige Befugnisübertragung durch die Legislative oder eine anschließende Genehmigung durch die Legislative erforderlich ist, und es muss nicht auf die Anwendung eines Gesetzgebungsakts beschränkt sein, wie dies bei gewöhnlichen Verordnungen der Exekutivorgane der Fall ist. Die Befugnis zum Erlass von Präsidentenverordnungen ist somit eine direkte Regelungsbefugnis der Exekutive, die zuvor nur der Legislative vorbehalten war. [Siehe auch Kapitel: Politische Lage] Allerdings wurden im Juni 2021 im Amtsblatt drei Entscheidungen des türkischen Verfassungsgerichts veröffentlicht, in denen gewisse Bestimmungen von Präsidentendekreten aus verfassungsrechtlichen Gründen aufgehoben wurden (LoC 6.2021).
Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft
Laut aktuellem Anti-Terrorgesetz soll eine in Polizeigewahrsam befindliche Person spätestens nach vier Tagen einem Richter zur Entscheidung über die Verhängung einer Untersuchungshaft oder Verlängerung des Polizeigewahrsams vorgeführt werden. Eine Verlängerung des Polizeigewahrsams ist nur auf begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft, etwa bei Fortführung weiterer Ermittlungsarbeiten oder Auswertung von Mobiltelefondaten, zulässig. Eine Verlängerung ist zweimal (für je vier Tage) möglich. Der Polizeigewahrsam kann daher maximal zwölf Tage dauern (ÖB 30.11.2021, S. 9). Die Regelung verstößt gegen die Spruchpraxis des EGMR, welcher ein Maximum von vier Tagen Polizeihaft vorsieht (EC 19.10.2021, S. 31).
Die Untersuchungshaft kann gemäß Art. 102 (1) StPO bei Straftaten, die nicht in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern fallen, für höchstens ein Jahr verhängt werden. Aufgrund besonderer Umstände kann sie um weitere sechs Monate verlängert werden. Nach Art. 102 (2) StPO beträgt die Dauer der Untersuchungshaft bis zu zwei Jahre, wenn es sich um Straftaten handelt, die in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern (Agir Ceza Mahkemeleri) fallen. Das sind Straftaten, die mindestens eine zehnjährige Freiheitsstrafe vorsehen. Aufgrund von besonderen Umständen kann diese Dauer um ein weiteres Jahr verlängert werden, insgesamt höchstens drei Jahre. Bei Straftaten, die das Anti-Terrorgesetz Nr. 3713 betreffen, beträgt die maximale Dauer der Untersuchungshaft sieben Jahre (zwei Jahre und mögliche Verlängerung um weitere fünf Jahre) (ÖB 30.11.2021, S. 9).Die Untersuchungshaft kann gemäß Artikel 102, (1) StPO bei Straftaten, die nicht in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern fallen, für höchstens ein Jahr verhängt werden. Aufgrund besonderer Umstände kann sie um weitere sechs Monate verlängert werden. Nach Artikel 102, (2) StPO beträgt die Dauer der Untersuchungshaft bis zu zwei Jahre, wenn es sich um Straftaten handelt, die in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern (Agir Ceza Mahkemeleri) fallen. Das sind Straftaten, die mindestens eine zehnjährige Freiheitsstrafe vorsehen. Aufgrund von besonderen Umständen kann diese Dauer um ein weiteres Jahr verlängert werden, insgesamt höchstens drei Jahre. Bei Straftaten, die das Anti-Terrorgesetz Nr. 3713 betreffen, beträgt die maximale Dauer der Untersuchungshaft sieben Jahre (zwei Jahre und mögliche Verlängerung um weitere fünf Jahre) (ÖB 30.11.2021, S. 9).
Beschwerdekommission zu den Notstandsmaßnahmen (OHAL)
Während des seit dem Putschversuch bestehenden Ausnahmezustands bis zum 19.7.2018 wurden insgesamt 36 Dekrete erlassen, die insbesondere eine weitreichende Säuberung staatlicher Einrichtungen von angeblich Gülen-nahen Personen sowie die Schließung privater Einrichtungen mit Gülen-Verbindungen zum Ziel hatten. Der Regierung und Exekutive wurden weitreichende Befugnisse für Festnahmen und Hausdurchsuchungen eingeräumt. Die unter dem Ausnahmezustand erlassenen Dekrete konnten nicht beim Verfassungsgerichtshof ange- fochten werden. Zudem kam es laut offiziellen Angaben zur unehrenhaften Entlassung oder Suspendierung per Dekret von 125.678 öffentlich Bediensteten, darunter ein Drittel aller Richter und Staatsanwälte. Deren Namen wurden im Amtsblatt veröffentlicht (ÖB 30.11.2021, S. 15).
Die mittels Präsidentendekret zur individuellen Überprüfung der Entlassungen und Suspendierungen aus dem Staatsdienst eingerichtete Beschwerdekommission [türkische Abk.: OHAL] begann im Dezember 2017 mit ihrer Arbeit. Das Durchlaufen des Verfahrens vor der Beschwerdekommission und weiter im innerstaatlichen Weg ist eine der vom EGMR festgelegten Voraussetzungen zur Erhebung einer Klage vor dem EGMR (ÖB 30.11.2021, S.15). Mit Ende Mai 2022 waren laut Kommission die Klassifizierung, Registrierung und Archivierung von insgesamt fast einer halben Million Akten, darunter Personalakten, die von ihren Institutionen übernommen wurden, Gerichtsakten und frühere Bewerbungen, abgeschlossen. Bis zum 27.5.2022 waren 127.130 Anträge gestellt worden. Davon hat die Untersuchungskommission 124.235 bearbeitet, wobei lediglich 17.265 positiv gelöst wurden. 2.895 Fälle waren Ende Mai 2022 noch anhängig. 61 positive Entscheidungen betrafen einst geschlossene Vereine, Stiftungen und Fernsehstationen (ICSEM 27.5.2022). Die Bearbeitungsrate der Anträge gibt laut Europäischer Kommission
Anlass zur Sorge, ob jeder Fall einzeln geprüft wird (EC 19.10.2021; S. 20). Am 21.1.2022 wurde die Funktionsdauer der Kommission mittels Präsidentendekret um ein Jahr verlängert (Ahval 23.1.2022).
Die Beschwerdekommission steht in der internationalen Kritik, da es ihr an genuiner institutioneller Unabhängigkeit mangelt. Sämtliche Mitglieder werden von der Regierung ernannt (ÖB 30.11.2021 S.15). Betroffene haben keine Möglichkeit, Vorwürfe ihrer angeblich illegalen Aktivität zu widerlegen, da sie nicht mündlich aussagen, keine Zeugen benennen dürfen und vor Stellung ihres Antrags an die Kommission keine Einsicht in die gegen sie erhobenen Anschuldigungen bzw. diesbezüglich namhaft gemachten Beweise erhalten. In Fällen, in denen die erfolgte Entlassung aufrecht erhalten wird, stützt sich die Beschwerdekommission oftmals auf schwache Beweise und zieht an sich rechtmäßige Handlungen zum Beweis für angeblich rechtswidrige Aktivitäten heran (ÖB 30.11.2021, S. 15; vgl. EC 19.10.2021, S. 20). Die Beweislast für eine Widerlegung von Verbindungen zu verbotenen Gruppen liegt beim Antragsteller (Beweislastumkehr). Zudem bleibt in der Entscheidungsfindung unberücksichtigt, dass die getätigten Handlungen im Zeitpunkt ihrer Vornahme rechtmäßig waren. Schließlich wird auch das langwierige Berufungsverfahren mit Wartezeiten von zehn Monaten bei den bereits entschiedenen Fällen (einige warten nach über einem Jahr immer noch auf eine Entscheidung) kritisiert (ÖB 30.11.2021 S. 15).Die Beschwerdekommission steht in der internationalen Kritik, da es ihr an genuiner institutioneller Unabhängigkeit mangelt. Sämtliche Mitglieder werden von der Regierung ernannt (ÖB 30.11.2021 S.15). Betroffene haben keine Möglichkeit, Vorwürfe ihrer angeblich illegalen Aktivität zu widerlegen, da sie nicht mündlich aussagen, keine Zeugen benennen dürfen und vor Stellung ihres Antrags an die Kommission keine Einsicht in die gegen sie erhobenen Anschuldigungen bzw. diesbezüglich namhaft gemachten Beweise erhalten. In Fällen, in denen die erfolgte Entlassung aufrecht erhalten wird, stützt sich die Beschwerdekommission oftmals auf schwache Beweise und zieht an sich rechtmäßige Handlungen zum Beweis für angeblich rechtswidrige Aktivitäten heran (ÖB 30.11.2021, S. 15; vergleiche EC 19.10.2021, S. 20). Die Beweislast für eine Widerlegung von Verbindungen zu verbotenen Gruppen liegt beim Antragsteller (Beweislastumkehr). Zudem bleibt in der Entscheidungsfindung unberücksichtigt, dass die getätigten Handlungen im Zeitpunkt ihrer Vornahme rechtmäßig waren. Schließlich wird auch das langwierige Berufungsverfahren mit Wartezeiten von zehn Monaten bei den bereits entschiedenen Fällen (einige warten nach über einem Jahr immer noch auf eine Entscheidung) kritisiert (ÖB 30.11.2021 S. 15).
Quellen:
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Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 20.09.2022
Die Polizei und die „Jandarma“ (Gendarmerie), die dem Innenministerium unterstellt sind, sind für die Sicherheit in städtischen Gebieten respektive in ländlichen und Grenzgebieten zuständig (USDOS 12.4.2022, S. 1, ÖB 30.11.2021, S. 16). Das Militär trägt die Gesamtverantwortung für die Bewachung der Grenzen (USDOS 12.4.2022, S. 1). Die Polizei weist eine stark zentralisierte Struktur auf. Durch die polizeiliche Rechenschaftspflicht gegenüber dem Innenministerium untersteht sie der Kontrolle der jeweiligen Regierungspartei (BICC 7.2022, S. 2). Die Jandarma mit einer Stärke von - je nach Quelle - zwischen 152.100 und 186.170 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB 30.11.2021, S. 16; vgl. BICC 7.2022, S. 26). Selbiges gilt für die 4.700 Mann starke Küstenwache (BICC 7.2022, S. 17, 25). Die Verantwortung für die Jandarma wird jedoch in Kriegszeiten dem Verteidigungsministerium übergeben (BICC 7.2022, S. 18). Es gab Berichte, dass Jandarma-Kräfte, die zeitweise eine paramilitärische Rolle spielen und manchmal als Grenzschutz fungieren, auf Asylsuchende syrischer und anderer Nationalitäten schossen, die versuchten, die Grenze zu überqueren, was zu Tötungen oder Verletzungen von Zivilisten führte (USDOS 11.3.2020). Die Jandarma beaufsichtigt auch die sogenannten „Sicherheitskräfte“ [Güvenlik Köy Koruculari], die vormaligen „Dorfschützer“, eine zivile Miliz, die zusätzlich für die lokale Sicherheit im Südosten des Landes sorgen soll, vor allem als Reaktion auf die terroristische Bedrohung durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (USDOS 13.3.2019). Die Polizei, zunehmend mit schweren Waffen ausgerüstet, nimmt immer mehr militärische Aufgaben wahr. Dies untermauert sowohl deren Einsatz in den kurdisch dominierten Gebieten im Südosten der Türkei als auch, gemeinsam mit der Jandarma, im Rahmen von Militäroperationen im Ausland, wie während der Intervention in der syrischen Provinz Afrin im Jänner 2018 (BICC 7.2022 S. 19). Polizei, Jandarma und auch der Nationale Nachrichtendienst (MillT istihbarat Te§kiläti - MiT) haben unter der Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) an Einfluss gewonnen (AA 28.7.2022, S. 6).Die Polizei und die „Jandarma“ (Gendarmerie), die dem Innenministerium unterstellt sind, sind für die Sicherheit in städtischen Gebieten respektive in ländlichen und Grenzgebieten zuständig (USDOS 12.4.2022, S. 1, ÖB 30.11.2021, S. 16). Das Militär trägt die Gesamtverantwortung für die Bewachung der Grenzen (USDOS 12.4.2022, S. 1). Die Polizei weist eine stark zentralisierte Struktur auf. Durch die polizeiliche Rechenschaftspflicht gegenüber dem Innenministerium untersteht sie der Kontrolle der jeweiligen Regierungspartei (BICC 7.2022, S. 2). Die Jandarma mit einer Stärke von - je nach Quelle - zwischen 152.100 und 186.170 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB 30.11.2021, S. 16; vergleiche BICC 7.2022, S. 26). Selbiges gilt für die 4.700 Mann starke Küstenwache (BICC 7.2022, S. 17, 25). Die Verantwortung für die Jandarma wird jedoch in Kriegszeiten dem Verteidigungsministerium übergeben (BICC 7.2022, S. 18). Es gab Berichte, dass Jandarma-Kräfte, die zeitweise eine paramilitärische Rolle spielen und manchmal als Grenzschutz fungieren, auf Asylsuchende syrischer und anderer Nationalitäten schossen, die versuchten, die Grenze zu überqueren, was zu Tötungen oder Verletzungen von Zivilisten führte (USDOS 11.3.2020). Die Jandarma beaufsichtigt auch die sogenannten „Sicherheitskräfte“ [Güvenlik Köy Koruculari], die vormaligen „Dorfschützer“, eine zivile Miliz, die zusätzlich für die lokale Sicherheit im Südosten des Landes sorgen soll, vor allem als Reaktion auf die terroristische Bedrohung durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (USDOS 13.3.2019). Die Polizei, zunehmend mit schweren Waffen ausgerüstet, nimmt immer mehr militärische Aufgaben wahr. Dies untermauert sowohl deren Einsatz in den kurdisch dominierten Gebieten im Südosten der Türkei als auch, gemeinsam mit der Jandarma, im Rahmen von Militäroperationen im Ausland, wie während der Intervention in der syrischen Provinz Afrin im Jänner 2018 (BICC 7.2022 S. 19). Polizei, Jandarma und auch der Nationale Nachrichtendienst (MillT istihbarat Te§kiläti - MiT) haben unter der Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) an Einfluss gewonnen (AA 28.7.2022, S. 6).
Die 2008 abgeschaffte „Nachtwache" (Bekgi) wurde 2016 nach dem gescheiterten Putschversuch wiedereingeführt. Seitdem wurden mehr als 29.000 junge Männer (TM 28.11.2020) mit nur kurzer Ausbildung als Nachtwache eingestellt. Angehörige der Nachtwache trugen ehemals nur Schlagstöcke und Pfeifen, mit denen sie Einbrecher und Kleinkriminelle anhielten (BI 10.6.2020). Mit einer Gesetzesänderung im Juni 2020 wurden ihre Befugnisse erweitert (BI 10.6.2020; vgl. Spiegel 9.6.2020). Das neue Gesetz gibt ihnen die Befugnis, Schusswaffen zu tragen und zu benutzen, Identitätskontrollen durchzuführen, Personen und Autos zu durchsuchen sowie Verdächtige festzunehmen und der Polizei zu übergeben (NL-MFA 18.3.2021; S. 19). Sie sollen für öffentliche Sicherheit in ihren eigenen Stadtteilen sorgen, werden von Regierungskritikern aber als „AKP-Miliz" kritisiert, und sollen für ihre Aufgaben kaum ausgebildet sein (AA 28.7.2022, S. 6; vgl. BI 10.6.2020, Spiegel 9.6.2020). Den Einsatz im eigenen Wohnviertel sehen Kritiker als Beleg dafür, dass die Hilfspolizei der Bekgi die eigene Nachbarschaft nicht schützen, sondern viel mehr bespitzeln soll (Spiegel 9.6.2020). Human Rights Watch kritisierte, dass angesichts der weitverbreiteten Kultur der polizeilichen Straffreiheit die Aufsicht über die Beamten der Nachtwache noch unklarer und vager als bei der regulären Polizei sei (Guardian 8.6.2020). So hätte es glaubwürdige Hinweise gegeben, dass die türkische Polizei und Beamte der sog. Nachtwache bei sechs Vorfällen im Sommer 2020 in Diyarbakir und Istanbul mindestens vierzehn Menschen schwer misshandelten. In vier der Fälle hätten die Behörden die Missbrauchsvorwürfe zurückgewiesen oder bestritten, anstatt sich zu einer Untersuchung der Vorwürfe zu entschließen (HRW 29.7.2020). Im August 2021 wurden drei Journalisten von Mitgliedern der Nachtwache attackiert, weil sie über das nächtliche Verschwinden eines, später tot aufgefundenen, Kleinkindes im Istanbuler Ortsteil Beylikdüzü berichteten (SCF 19.8.2021). Im Mai 2022 wurde angeblich eine 16-Jährige durch Angehörige der Nachtwache in Istanbul verhaftet und sexuell belästigt (SCF 11.5.2022). Und Mitte Juli 2022 wurden drei Transfrauen in der westtürkischen Provinz Izmir von Mitgliedern der Nachtwache im Rahmen einer Ausweiskontrolle mit Tränengas besprüht, geschlagen und in Handschellen auf die Polizeistation gebracht (Duvar 18.7.2022).Die 2008 abgeschaffte „Nachtwache" (Bekgi) wurde 2016 nach dem gescheiterten Putschversuch wiedereingeführt. Seitdem wurden mehr als 29.000 junge Männer (TM 28.11.2020) mit nur kurzer Ausbildung als Nachtwache eingestellt. Angehörige der Nachtwache trugen ehemals nur Schlagstöcke und Pfeifen, mit denen sie Einbrecher und Kleinkriminelle anhielten (BI 10.6.2020). Mit einer Gesetzesänderung im Juni 2020 wurden ihre Befugnisse erweitert (BI 10.6.2020; vergleiche Spiegel 9.6.2020). Das neue Gesetz gibt ihnen die Befugnis, Schusswaffen zu tragen und zu benutzen, Identitätskontrollen durchzuführen, Personen und Autos zu durchsuchen sowie Verdächtige festzunehmen und der Polizei zu übergeben (NL-MFA 18.3.2021; S. 19). Sie sollen für öffentliche Sicherheit in ihren eigenen Stadtteilen sorgen, werden von Regierungskritikern aber als „AKP-Miliz" kritisiert, und sollen für ihre Aufgaben kaum ausgebildet sein (AA 28.7.2022, S. 6; vergleiche BI 10.6.2020, Spiegel 9.6.2020). Den Einsatz im eigenen Wohnviertel sehen Kritiker als Beleg dafür, dass die Hilfspolizei der Bekgi die eigene Nachbarschaft nicht schützen, sondern viel mehr bespitzeln soll (Spiegel 9.6.2020). Human Rights Watch kritisierte, dass angesichts der weitverbreiteten Kultur der polizeilichen Straffreiheit die Aufsicht über die Beamten der Nachtwache noch unklarer und vager als bei der regulären Polizei sei (Guardian 8.6.2020). So hätte es glaubwürdige Hinweise gegeben, dass die türkische Polizei und Beamte der sog. Nachtwache bei sechs Vorfällen im Sommer 2020 in Diyarbakir und Istanbul mindestens vierzehn Menschen schwer misshandelten. In vier der Fälle hätten die Behörden die Missbrauchsvorwürfe zurückgewiesen oder bestritten, anstatt sich zu einer Untersuchung der Vorwürfe zu entschließen (HRW 29.7.2020). Im August 2021 wurden drei Journalisten von Mitgliedern der Nachtwache attackiert, weil sie über das nächtliche Verschwinden eines, später tot aufgefundenen, Kleinkindes im Istanbuler Ortsteil Beylikdüzü berichteten (SCF 19.8.2021). Im Mai 2022 wurde angeblich eine 16-Jährige durch Angehörige der Nachtwache in Istanbul verhaftet und sexuell belästigt (SCF 11.5.2022). Und Mitte Juli 2022 wurden drei Transfrauen in der westtürkischen Provinz Izmir von Mitgliedern der Nachtwache im Rahmen einer Ausweiskontrolle mit Tränengas besprüht, geschlagen und in Handschellen auf die Polizeistation gebracht (Duvar 18.7.2022).
Nachrichtendienstliche Belange werden bei der Türkischen Nationalpolizei (TNP) durch den polizeilichen Nachrichtendienst (istihbarat Dairesi Ba§kanligi - IDB) abgedeckt. Dessen Schwerpunkt liegt auf Terrorbekämpfung, Kampf gegen Organisierte Kriminalität und Zusammenarbeit mit anderen türkischen Nachrichtendienststellen. Ebenso unterhält die Jandarma einen auf militärische Belange ausgerichteten Nachrichtendienst. Ferner existiert der Nationale Nachrichtendienst MiT, der seit September 2017 direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist (zuvor dem Amt des Premierministers) und dessen Aufgabengebiete der Schutz des Territoriums, des Volkes, der Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, der Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung sind. Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem MiT erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. MiT-Agenten besitzen eine erweiterte gesetzliche Immunität. Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren sind für Personen, die Geheiminformation veröffentlichen, vorgesehen. Auch Personen, die dem MiT Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft (ÖB 30.11.2021, S. 18).
Der Polizei wurden im Zuge der Abänderung des Sicherheitsgesetzes im März 2015 weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht seitdem den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder Ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen (NZZ 27.3.2015; vgl. FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Leiters der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (Anadolu 27.3.2015).Der Polizei wurden im Zuge der Abänderung des Sicherheitsgesetzes im März 2015 weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht seitdem den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder Ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen (NZZ 27.3.2015; vergleiche FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Leiters der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (Anadolu 27.3.2015).
Die Transparenz und Rechenschaftspflicht von Militär, Polizei und Nachrichtendiensten sind nach wie vor sehr eingeschränkt. Die Kultur der Straflosigkeit ist weiterhin verbreitet. Das Sicherheitspersonal genießt in Fällen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung weiterhin einen erheblichen gerichtlichen und administrativen Schutz. Im Juni 2021 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, mit dem Rechtsschutz und Ausnahmen für das Militärpersonal eingeführt wurden. Mit Ausnahme der Fälle von in flagranti begangenen Straftaten unterliegt die Untersuchung von Straftaten, die von Militärangehörigen begangen wurden, einer vorherigen Genehmigung. Die parlamentarische Aufsicht über die Sicherheitsbehörden ist unwirksam (EC 19.10.2021, S. 15).
Seit dem 6.1.2021 können die Nationalpolizei (EGM) und der Nationale Nachrichtendienst (MiT) im Falle von Terroranschlägen und zivilen Unruhen Waffen und Ausrüstung der türkischen Streitkräfte (TSK) nutzen. Gemäß der Verordnung dürfen die TSK, EGM, MiT, das Gendarmeriekommando und das Kommando der Küstenwache in Fällen von Terrorismus und zivilen Unruhen alle Arten von Waffen und Ausrüstungen untereinander übertragen (SCF 8.1.2021; vgl. Ahval 7.1.2021). Das Europäische Parlament zeigte sich über die neuen Rechtsvorschriften besorgt (EP 19.5.2021, S. 15, Pt. 38).Seit dem 6.1.2021 können die Nationalpolizei (EGM) und der Nationale Nachrichtendienst (MiT) im Falle von Terroranschlägen und zivilen Unruhen Waffen und Ausrüstung der türkischen Streitkräfte (TSK) nutzen. Gemäß der Verordnung dürfen die TSK, EGM, MiT, das Gendarmeriekommando und das Kommando der Küstenwache in Fällen von Terrorismus und zivilen Unruhen alle Arten von Waffen und Ausrüstungen untereinander übertragen (SCF 8.1.2021; vergleiche Ahval 7.1.2021). Das Europäische Parlament zeigte sich über die neuen Rechtsvorschriften besorgt (EP 19.5.2021, S. 15, Pt. 38).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022.pdf, Zugriff am 24.8.2022
•Ahval (7.1.2021): Turkish police and intelligence allowed to use military weapons domestically, https://ahvalnews.com/police-violence/turkish-police-and-intelligence-allowed-use-military-weapo ns-domestically , Zugriff 15.2.2022
•Anadolu - Anadolu Agency (27.3.2015): Turkey: Parliament approves domestic security package, http://www.aa.com.tr/en/s/484662--turkey-parliament-approves-domestic-security-package , Zugriff 15.2.2022
•BI - Balkan Insight (10.6.2020): Turkey Opposition Condemns Move to Arm Night Watchmen, https://balkaninsight.com/2020/06/10/turkey-opposition-condemns-move-to-arm-night-watchmen/ , Zugriff 15.2.2022
•BICC - Internationales Konversionszentrum Bonn/ Bonn International Center for Conversion (7.2022): Länderinformation - Türkei, https://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberi chte/tuerkei/2022_Tuerkei.pdf, Zugriff 26.7.2022
•Duvar (18.7.2022): Turkish watchmen batter trans women in western izmir, https://www.duvarengli sh.com/turkish-watchmen-batter-trans-women-in-western-izmir-news-61038, Zugriff 11.8.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 15.2.2022
•EP - Europäisches Parlament (19.5.2021): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Mai 2021 zu den Berichten 2019-2020 der Kommission über die Türkei, https://www.europarl.eur opa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0243_DE.pdf, Zugriff 15.2.2022
•FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.3.2015): Die Polizei bekommt mehr Befugnisse, http: //www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/tuerkei/tuerkei-mehr-befugnisse-fuer-polizei-gegen-d emonstranten-13509122.html , Zugriff 15.2.2022
•Guardian - The Guardian (8.6.2020): Alarm at Turkish plan to expand powers of nightwatchmen, https://www.theguardian.com/world/2020/jun/08/alarm-at-turkish-plan-to-expand-powers-of-night watchmen , Zugriff 15.2.2022
•HDN - Hürriyet Daily News (27.3.2015): Turkish main opposition CHP to appeal for the annulment of the security package, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-main-opposition-chp-to-appea l-for-the-annulment-of-the-security-package-.aspx?pageID=238&nID=80261&NewsCatID=338 , Zugriff 15.2.2022
•HRW - Human Rights Watch (29.7.2020): Turkey: Police, Watchmen Involved in Torture, Ill-Treat- ment, https://www.hrw.org/news/2020/07/29/turkey-police-watchmen-involved-torture-ill-treatme nt, Zugriff 15.2.2022
•NL-MFA- Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (18.3.2021): General Country of Origin Information Report
Turkey, https://www.government.nl/binaries/government/documents/reports/2021/03/18/general-c ountry-of-origin-information-report-turkey/vertaling-aab-turkije.pdf, Zugriff 11.6.2021
•NZZ - Neue Zürcher Zeitung (27.3.2015): Mehr Befugnisse für die Polizei; Ankara zieht die Schraube an, http://www.nzz.ch/international/europa/ankara-zieht-die-schraube-an-1.18511712 , Zugriff 15.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf , Zugriff 3.2.2022
•SCF - Stockholm Center for Freedom (11.5.2022): Neighborhood watchmen allegedly harass 16- year-old girl in Istanbul, https://stockholmcf.org/neighborhood-watchmen-allegedly-harass-16-yea r-old-girl-in-istanbul/, Zugriff 20.5.2022
•SCF - Stockholm Center for Freedom (19.8.2021): Watchmen attack journalists reporting on miss- ing toddler in istanbul, https://stockholmcf.org/watchmen-attack-journalists-reporting-on-missing-t oddler-in-istanbul/, Zugriff 20.5.2022
•SCF - Stockholm Center for Freedom (8.1.2021): Turkish police and intelligence agency authorized to use military weaponry in event of civil unrest, https://stockholmcf.org/turkish-police-and-intellige nce-agency-authorized-to-use-military-weaponry-in-event-of-civil-unrest/, Zugriff 15.2.2022
•Spiegel (9.6.2020): Erdogans Parallel-Polizei, https://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-nac hbarschaftswache-recep-tayyip-erdogans-parallel-polizei-a-ece122d1-5df6-4fb9-bd24-fa44b68 7e5fd , Zugriff 15.2.2022
•TM - Turkish Minute (28.11.2020): Erdogan's army, https://www.turkishminute.com/2020/11/28/e rdogans-army/, Zugriff 30.11.2020
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 20.4.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019-Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 15.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018-Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html , Zugriff 15.2.2022
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 20.09.2022
Die Türkei ist Vertragspartei des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe von 1987 (AA 28.7.2022, S. 16). Sie hat das Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter (OPCAT) im September 2005 unterzeichnet und 2011 ratifiziert (ÖB 30.11.2021, S. 31).
Glaubhafte Berichte von Menschenrechtsorganisationen, der Anwaltskammer Ankara, der Opposition sowie von Betroffenen über Fälle von Folterungen, Entführungen und die Existenz informeller Anhaltezentren gibt es weiterhin (ÖB 30.11.2021, S. 31). Immer noch kommen Folter und Misshandlung in Haftzentren der Polizei, Gendarmerie, des Militärs sowie Gefängnissen, aber auch in informellen Hafteinrichtungen, beim Transport und auf der Straße vor (NL-MFA 18.3.2021, S. 34; vgl. EC 19.10.2021, S. 16; iHD 4.10.2021, S. 11, iHD/OMCT/CiSST/HRFT 9.12.2021. Menschenrechtsgruppen behaupten, dass Personen, denen eine Verbindung zur PKK oder zur Gülen-Bewegung nachgesagt wird, mit größerer Wahrscheinlichkeit misshandelt, missbraucht oder möglicherweise gefoltert werden. Zudem sind derartige Übergriffe seitens der Polizei im Süd-Osten des Landes häufiger (USDOS 12.4.2022, S. 4f.). Der Europarat konnte jedoch die Existenz informeller Anhaltezentren nicht bestätigen. Die Häufigkeit der Vorfälle liegt auf einem besorgniserregenden Niveau. Allerdings hat die Schwere der Misshandlungen durch Polizeibeamte abgenommen. Von systematischer Anwendung von Folter kann dennoch nicht die Rede sein (ÖB 30.11.2021, S. 31). Die Zahl der Vorkommnisse stieg insbesondere nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016, wobei das Fehlen einer Verurteilung durch höhere Amtsträger und die Bereitschaft, Anschuldigungen zu vertuschen, anstatt sie zu untersuchen, zu einer weitverbreiteten Straffreiheit für die Sicherheitskräfte geführt hat (SCF 6.1.2022). Dies ist überdies auf die Verletzung von Verfahrensgarantien, langen Haftzeiten und vorsätzlicher Fahrlässigkeit zurückzuführen, die auf verschiedenen Ebenen des Staates zur gängigen Praxis geworden sind (iHD/OMCT/CiSST/HRFT 9.12.2021). Davon abgesehen kommt es zu extremen und unverhältnismäßigen Interventionen der Strafverfolgungsbehörden bei Versammlungen und Demonstrationen, die dem Ausmaß von Folter entsprechen (iHD 4.10.2021, S. 11; vgl. TiHV 6.2021 S. 13). Die Zunahme von Vorwürfen über Folter, Misshandlung und grausame und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Polizeigewahrsam und Gefängnissen in den letzten Jahren hat die früheren Fortschritte der Türkei in diesem Bereich zurückgeworfen (HRW 13.1.2021 vgl. iHD/OMCT/CiSST/HRFT 9.12.2021). Betroffen sind sowohl Personen, welche wegen politischer als auch gewöhnlicher Straftaten angeklagt sind (HRW 13.1.2021). In einer Entschließung vom 7.6.2022 wiederholte das Europäische Parlament (EP) „seine Besorgnis darüber, dass sich die Türkei weigert, die Empfehlungen des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe umzusetzen“ und „fordert die Türkei auf, bei Folter eine Null-Toleranz-Politik walten zu lassen und anhaltenden und glaubwürdigen Berichten über Folter, Misshandlung und unmenschliche oder entwürdigende Behandlung in Gewahrsam, bei Verhören oder in Haft umfassend nachzugehen, um der Straflosigkeit ein Ende zu setzen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“ (EP 7.6.2022, S.19, Pt.32). Es gab wenige Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft bei der Untersuchung der in den letzten Jahren vermehrt erhobenen Vorwürfe von Folter und Misshandlung in Polizeigewahrsam und Gefängnissen Fortschritte gemacht hätte. Nur wenige derartige Vorwürfe führen zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Sicherheitskräfte, und es herrscht nach wie vor eine weitverbreitete Kultur der Straflosigkeit (HRW 13.1.2022). Laut der „Menschenrechtsstiftung der Türkei" (TiHV) sollen zwischen 2018 und 2021 in der Türkei mindestens 13.965 Menschen unter Folter und Misshandlung festgenommen worden sein. Von diesen gewaltsamen Verhaftungen erfolgten 3.997 im Jahr 2018, 4.253 im Jahr 2019, 2.014 im Jahr 2020 und 3.701 im Jahr 2021 (Duvar 22.3.2022).Glaubhafte Berichte von Menschenrechtsorganisationen, der Anwaltskammer Ankara, der Opposition sowie von Betroffenen über Fälle von Folterungen, Entführungen und die Existenz informeller Anhaltezentren gibt es weiterhin (ÖB 30.11.2021, S. 31). Immer noch kommen Folter und Misshandlung in Haftzentren der Polizei, Gendarmerie, des Militärs sowie Gefängnissen, aber auch in informellen Hafteinrichtungen, beim Transport und auf der Straße vor (NL-MFA 18.3.2021, S. 34; vergleiche EC 19.10.2021, S. 16; iHD 4.10.2021, S. 11, iHD/OMCT/CiSST/HRFT 9.12.2021. Menschenrechtsgruppen behaupten, dass Personen, denen eine Verbindung zur PKK oder zur Gülen-Bewegung nachgesagt wird, mit größerer Wahrscheinlichkeit misshandelt, missbraucht oder möglicherweise gefoltert werden. Zudem sind derartige Übergriffe seitens der Polizei im Süd-Osten des Landes häufiger (USDOS 12.4.2022, S. 4f.). Der Europarat konnte jedoch die Existenz informeller Anhaltezentren nicht bestätigen. Die Häufigkeit der Vorfälle liegt auf einem besorgniserregenden Niveau. Allerdings hat die Schwere der Misshandlungen durch Polizeibeamte abgenommen. Von systematischer Anwendung von Folter kann dennoch nicht die Rede sein (ÖB 30.11.2021, S. 31). Die Zahl der Vorkommnisse stieg insbesondere nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016, wobei das Fehlen einer Verurteilung durch höhere Amtsträger und die Bereitschaft, Anschuldigungen zu vertuschen, anstatt sie zu untersuchen, zu einer weitverbreiteten Straffreiheit für die Sicherheitskräfte geführt hat (SCF 6.1.2022). Dies ist überdies auf die Verletzung von Verfahrensgarantien, langen Haftzeiten und vorsätzlicher Fahrlässigkeit zurückzuführen, die auf verschiedenen Ebenen des Staates zur gängigen Praxis geworden sind (iHD/OMCT/CiSST/HRFT 9.12.2021). Davon abgesehen kommt es zu extremen und unverhältnismäßigen Interventionen der Strafverfolgungsbehörden bei Versammlungen und Demonstrationen, die dem Ausmaß von Folter entsprechen (iHD 4.10.2021, S. 11; vergleiche TiHV 6.2021 S. 13). Die Zunahme von Vorwürfen über Folter, Misshandlung und grausame und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Polizeigewahrsam und Gefängnissen in den letzten Jahren hat die früheren Fortschritte der Türkei in diesem Bereich zurückgeworfen (HRW 13.1.2021 vergleiche iHD/OMCT/CiSST/HRFT 9.12.2021). Betroffen sind sowohl Personen, welche wegen politischer als auch gewöhnlicher Straftaten angeklagt sind (HRW 13.1.2021). In einer Entschließung vom 7.6.2022 wiederholte das Europäische Parlament (EP) „seine Besorgnis darüber, dass sich die Türkei weigert, die Empfehlungen des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe umzusetzen“ und „fordert die Türkei auf, bei Folter eine Null-Toleranz-Politik walten zu lassen und anhaltenden und glaubwürdigen Berichten über Folter, Misshandlung und unmenschliche oder entwürdigende Behandlung in Gewahrsam, bei Verhören oder in Haft umfassend nachzugehen, um der Straflosigkeit ein Ende zu setzen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“ (EP 7.6.2022, S.19, Pt.32). Es gab wenige Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft bei der Untersuchung der in den letzten Jahren vermehrt erhobenen Vorwürfe von Folter und Misshandlung in Polizeigewahrsam und Gefängnissen Fortschritte gemacht hätte. Nur wenige derartige Vorwürfe führen zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Sicherheitskräfte, und es herrscht nach wie vor eine weitverbreitete Kultur der Straflosigkeit (HRW 13.1.2022). Laut der „Menschenrechtsstiftung der Türkei" (TiHV) sollen zwischen 2018 und 2021 in der Türkei mindestens 13.965 Menschen unter Folter und Misshandlung festgenommen worden sein. Von diesen gewaltsamen Verhaftungen erfolgten 3.997 im Jahr 2018, 4.253 im Jahr 2019, 2.014 im Jahr 2020 und 3.701 im Jahr 2021 (Duvar 22.3.2022).
Allerdings urteilte das Verfassungsgericht 2021 mindestens in fünf Fällen zugunsten von Klägern, die von Folter und Misshandlungen betroffen waren (SCF 17.11.2021). In zwei Urteilen vom Mai 2021 stellte das Verfassungsgericht Verstöße gegen das Misshandlungsverbot fest und ordnete neue Ermittlungen hinsichtlich der Beschwerden an, die von der Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt ihrer Einreichung im Jahr 2016 abgewiesen worden waren (HRW 13.1.2022). Betroffen waren ein ehemaliger Lehrer, der im Gefängnis in der Provinz Antalya gefoltert wurde, sowie ein Mann, der in Polizeigewahrsam in der Provinz Afyon geschlagen und sexuell missbraucht wurde. Beide wurden 2016 wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung verhaftet. Das Höchstgericht ordnete in beiden Fällen Schadenersatzzahlungen an (SCF 15.9.2021, SCF 22.9.2021). Ebenfalls im Sinne dreier Kläger (der Brüder Qelik und ihres Cousins), die 2016 von den bulgarischen an die türkischen Behörden ausgeliefert wurden, und welche Misshandlungen sowie die Verweigerung medizinischer Hilfe beklagten, entschied das Verfassungsgericht, dass die Staatsanwaltschaft die Anhörung von Gefängnisinsassen als Zeugen im Verfahren verabsäumt hätte. Das Höchstgericht wies die Behörden an, eine Schadenersatzzahlung zu leisten und eine Untersuchung gegen die Täter einzuleiten (SCF 17.11.2021). Überdies wurde im Fall eines privaten Sicherheitsbediensteten, der am 5.6.2021 in Istanbul in Polizeigewahrsam starb, ein stellvertretender Polizeichef inhaftiert, der zusammen mit elf weiteren Polizeibeamten vor Gericht steht, nachdem die Medien Wochen zuvor Aufnahmen veröffentlicht hatten, auf denen zu sehen war, wie die Polizei den Wachmann schlug (HRW 13.1.2022).
Opfer von Misshandlungen und Folter haben formal die Möglichkeit, sich bei verschiedenen Stellen zu beschweren, darunter bei der Ombudsstelle und der Institution für Menschenrechte und Gleichstellung der Türkei (Türkiye insan Haklari ve E§itlik Kurumu - HREI). Beide Behörden stehen jedoch unter der Kontrolle der Regierung und sind nicht dafür bekannt, dass sie effizient gegen Missbräuche durch Regierungsmitarbeiter vorgehen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen haben viele Opfer von Misshandlungen und Folter wenig oder kein Vertrauen in die beiden genannten Institutionen. Es überwiegt die Angst, dass sie erneut Misshandlungen und Folter ausgesetzt werden, wenn die Gendarmen, Polizisten und/oder Gefängniswärter herausfinden, dass sie eine Beschwerde eingereicht haben. In Anbetracht dessen erstatten die meisten Opfer von Misshandlungen und Folter keine Anzeige (NL-MFA 18.3.2021, S.34). Kommt es dennoch zu Beschwerden von Gefangenen über Folter und Misshandlung stellen die Behörden keine Rechtsverletzungen fest, die Untersuchungen bleiben ergebnislos. Hierdurch hat die Motivation der Gefangenen, Rechtsmittel einzulegen, abgenommen, was wiederum zu einem Rückgang der Beschwerden geführt hat (CiSST 26.3.2021, S.30). Die Regierungsstellen haben keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen, um diese Anschuldigungen zu untersuchen oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurden Beschwerden bezüglich Folter von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf die Notstandsverordnung (Art. 9 des Dekrets Nr. 667) abgewiesen, die Beamte von einer strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand freispricht. Die Tatsache, dass die Behörden es versäumt haben, Folter und Misshandlung öffentlich zu verurteilen und das allgemeine Verbot eines solchen Missbrauchs in der täglichen Praxis durchzusetzen, fördert ein Klima der Straffreiheit, welches dieses Verbot und letztendlich die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergräbt (OHCHR 27.2.2018; vgl. EC 29.5.2019).Opfer von Misshandlungen und Folter haben formal die Möglichkeit, sich bei verschiedenen Stellen zu beschweren, darunter bei der Ombudsstelle und der Institution für Menschenrechte und Gleichstellung der Türkei (Türkiye insan Haklari ve E§itlik Kurumu - HREI). Beide Behörden stehen jedoch unter der Kontrolle der Regierung und sind nicht dafür bekannt, dass sie effizient gegen Missbräuche durch Regierungsmitarbeiter vorgehen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen haben viele Opfer von Misshandlungen und Folter wenig oder kein Vertrauen in die beiden genannten Institutionen. Es überwiegt die Angst, dass sie erneut Misshandlungen und Folter ausgesetzt werden, wenn die Gendarmen, Polizisten und/oder Gefängniswärter herausfinden, dass sie eine Beschwerde eingereicht haben. In Anbetracht dessen erstatten die meisten Opfer von Misshandlungen und Folter keine Anzeige (NL-MFA 18.3.2021, S.34). Kommt es dennoch zu Beschwerden von Gefangenen über Folter und Misshandlung stellen die Behörden keine Rechtsverletzungen fest, die Untersuchungen bleiben ergebnislos. Hierdurch hat die Motivation der Gefangenen, Rechtsmittel einzulegen, abgenommen, was wiederum zu einem Rückgang der Beschwerden geführt hat (CiSST 26.3.2021, S.30). Die Regierungsstellen haben keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen, um diese Anschuldigungen zu untersuchen oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurden Beschwerden bezüglich Folter von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf die Notstandsverordnung (Artikel 9, des Dekrets Nr. 667) abgewiesen, die Beamte von einer strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand freispricht. Die Tatsache, dass die Behörden es versäumt haben, Folter und Misshandlung öffentlich zu verurteilen und das allgemeine Verbot eines solchen Missbrauchs in der täglichen Praxis durchzusetzen, fördert ein Klima der Straffreiheit, welches dieses Verbot und letztendlich die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergräbt (OHCHR 27.2.2018; vergleiche EC 29.5.2019).
Anlässlich eines Besuchs des Anti-Folter-Komitees des Europarats (CPT) im Mai 2019 erhielt dieses wie bereits während des CPT-Besuchs 2017 eine beträchtliche Anzahl von Vorwürfen über exzessive Gewaltanwendung und/oder körperliche Misshandlung durch Polizei-/Gendar- meriebeamte von Personen, die kürzlich in Gewahrsam genommen worden waren, darunter Frauen und Jugendliche. Ein erheblicher Teil der Vorwürfe bezog sich auf Schläge während des Transports oder innerhalb von Strafverfolgungseinrichtungen, offenbar mit dem Ziel, Geständnisse zu erpressen oder andere Informationen zu erlangen, oder schlicht als Strafe. In einer Reihe von Fällen wurden die Behauptungen über körperliche Misshandlungen durch medizinische Beweise belegt. Insgesamt hatte das CPT den Eindruck gewonnen, dass die Schwere der angeblichen polizeilichen Misshandlungen im Vergleich zu 2017 abgenommen hat. Die Häufigkeit der Vorwürfe bleibt jedoch gemäß CPT auf einem besorgniserregenden Niveau (CoE-CPT 5.8.2020).
Nach Angaben der iHD wurden im Jahr 2020 776 Menschen in offiziellen oder informellen Hafteinrichtungen gefoltert oder misshandelt und 358 weitere in den Gefängnissen. 2.980 Demonstranten wurden während rund 850 Interventionen von Sicherheitskräften geschlagen oder verwundet (iHD 4.10.2021, S.11). Sezgin Tanrikulu, Parlamentsabgeordneter der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) zählt in seinem Jahresbericht für 2020 3.534 Vorfälle von Folter oder Misshandlung, von denen 1.855 in Gefängnissen stattfanden (TM 16.1.2021). Laut einer Statistik der türkischen Civil Society in the Penal System Association aus dem Jahr 2019 waren überwiegend politische Gefangene Opfer von Folter und Gewalt - 92 von 150. In der Mehrheit waren die Täter Gefängnisaufseher (308 von 471), aber auch Angehörige des Verwaltungspersonals (114 von 471) (CiSST 26.3.2021, S.26).
Beispiele:
Infolge bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und der PKK in Urfa wurden 47 Personen verhaftet. Nach Angaben ihrer Anwälte und ausgehend von vorliegenden Fotografien wurden einige der Inhaftierten in der dortigen Gendarmeriewache von BozovaYaylak gefoltert oder anderweitig misshandelt (AI 13.6.2019). Die Rechtsanwaltsvereinigung Ankara berichtete auf der Basis von Interviews mit einigen der 249 ehemaligen türkischen Diplomaten, die wegen Terroranschuldigungen verhaftet wurden, dass diese gefoltert oder misshandelt wurden (ABA/HRD 26.5.2019; vgl. WE 3.6.2019). Die Anwaltsvereinigung Diyarbakir berichtete nach Interviews mit Betroffenen, dass vermeintlich 20 Häftlinge in einer Justizvollzugsanstalt in Elazig durch das Wachpersonal systematisch gefoltert wurden (SCF 19.8.2019). Laut Human Rights Watch bestünden glaubwürdige Beweise, dass im Sommer 2020 die Polizei sowie Mitglieder der sog. Nachtwache bei sechs Vorfällen in Diyarbakir und Istanbul schwere Misshandlungen an mindestens vierzehn Personen begangen haben (HRW 29.7.2020). Ebenfalls in Diyarbakir wurde Ende Juni 2020 die Frauenaktivistin und ehemalige Bürgermeisterin der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Edremit, Rojbin Sevil Qetin, im Zuge der Erstürmung ihres Hauses angeblich physischer und sexueller Folter, verbunden mit Todesdrohungen ausgesetzt. Nachdem Cetins Anwalt Fotos von ihren Verletzungen der Presse übermittelte, wurde gegen ihn, den Anwalt, eine Untersuchung eingeleitet (AM 8.7.2020).Infolge bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und der PKK in Urfa wurden 47 Personen verhaftet. Nach Angaben ihrer Anwälte und ausgehend von vorliegenden Fotografien wurden einige der Inhaftierten in der dortigen Gendarmeriewache von BozovaYaylak gefoltert oder anderweitig misshandelt (AI 13.6.2019). Die Rechtsanwaltsvereinigung Ankara berichtete auf der Basis von Interviews mit einigen der 249 ehemaligen türkischen Diplomaten, die wegen Terroranschuldigungen verhaftet wurden, dass diese gefoltert oder misshandelt wurden (ABA/HRD 26.5.2019; vergleiche WE 3.6.2019). Die Anwaltsvereinigung Diyarbakir berichtete nach Interviews mit Betroffenen, dass vermeintlich 20 Häftlinge in einer Justizvollzugsanstalt in Elazig durch das Wachpersonal systematisch gefoltert wurden (SCF 19.8.2019). Laut Human Rights Watch bestünden glaubwürdige Beweise, dass im Sommer 2020 die Polizei sowie Mitglieder der sog. Nachtwache bei sechs Vorfällen in Diyarbakir und Istanbul schwere Misshandlungen an mindestens vierzehn Personen begangen haben (HRW 29.7.2020). Ebenfalls in Diyarbakir wurde Ende Juni 2020 die Frauenaktivistin und ehemalige Bürgermeisterin der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Edremit, Rojbin Sevil Qetin, im Zuge der Erstürmung ihres Hauses angeblich physischer und sexueller Folter, verbunden mit Todesdrohungen ausgesetzt. Nachdem Cetins Anwalt Fotos von ihren Verletzungen der Presse übermittelte, wurde gegen ihn, den Anwalt, eine Untersuchung eingeleitet (AM 8.7.2020).
Quellen:
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•ABA/HRD-Ankara Bar Association Center For Attorney Rights / Penal Institution Board And Center For Human Rights (26.5.2019): Report Regarding Claims Of Torture In Ankara Provincial Police Headquarters Investigation Department Of Financial Crimes. In: HRD - Human Rights Defenders (29.5.2019): Bar Association Report: Former diplomats sexually abused with batons and tortured, https://humanrights-ev.com/bar-association-report-former-diplomats-sexually-abused-with-baton s-and-tortured/, Zugriff 21.2.2022
•AI - Amnesty International (13.6.2019): Nicht mehr in Foltergefahr; UA-Nr: UA-074/2019-1 [EUR 44/0525/2019], https://www.amnesty.de/sites/default/files/2019-06/074-1_2019_DE_T%C3%Bcrk ei.pdf, Zugriff 21.2.2022
•AM - Al Monitor (8.7.2020): Complaints of torture on rise in Turkey’s Kurdish southeast, https: //www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/07/turkey-torture-complaints-in-kurdish-southeast-are -on-rise.html , Zugriff 21.2.2022
•CoE-CPT - Council of Europe - European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (5.8.2020): Report to the Turkish Government on the visit to Turkey carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 6 to 17 May 2019 [CPT/Inf (2020) 24], https: //rm.coe.int/16809f20a1, Zugriff 21.2.2022
•CiSST-Ceza infaz Sisteminde Sivil Toplum Dernegi-Civil Society in the Penal System Association (26.3.2021): Annual Report 2019, http://cisst.org.tr/en/wp-content/uploads/2020/11/cisst_2019_an nual_report_rev08-1.pdf, 21.2.2022
•Duvar (22.3.2022): Over 13,000 people detained under torture in last four years in Turkey, https: //www.duvarenglish.com/over-13000-people-detained-under-torture-in-last-four-years-in-turke y-news-60696 , Zugriff 8.8.2022
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•EP - Europäisches Parlament (7.6.2022): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni 2022 zu dem Bericht 2021 der Kommission über die Türkei (2021/2250(INI)), https://www.europarl .europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0222_DE.pdf, Zugriff 8.8.2022
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•TiHV - Türkiye insan Haklari Vakfi/ HRFT - Human Rights Foundation Turkey (6.2021): Treatment and Rehabilitation Centres Report 2020, https://en.tihv.org.tr/wpcontent/uploads/2021/10/00TedaviRaporu2020I%CC%87NGI%CC%87LI%CC%87ZCE_TU%CC%88M_BASKI.pdf, Zugriff 19.1.2022
•TM - Turkish Minute (16.1.2021): 3,362 people killed, 3,534 mistreated or tortured in Turkey in 2020, opposition MP says, https://www.turkishminute.com/2021/01/16/3362-people-killed-3534-m istreated-or-tortured-in-turkey-in-2020-opposition-mp-says/, Zugriff 21.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 20.4.2022
•WE - Washington Examiner (3.6.2019): A new phase in Turkey’s crackdown: Torturing diplomats, https://www.washingtonexaminer.com/opinion/op-eds/a-new-phase-in-turkeys-crackdown-as-rec ep-tayyip-erdogan-tortures-diplomats , Zugriff 21.2.2022
Entführungen und Verschwindenlassen im In- und Ausland
Letzte Änderung: 20.09.2022
Zu unterscheiden ist zwischen den Entführungen in der Türkei selbst und jenen türkischer Staatsbürger im Ausland, um sie in ihr Heimatland zurückzubringen. In Bezug auf Erstere bestreitet die Türkei konsequent jede Beteiligung, in Bezug auf Letztere gibt sie offen zu, diese Entführungen durchgeführt zu haben. In beiden Fällen ist der Ablauf der Ereignisse identisch: (Vermeintliche)
Gegner der Regierung werden entführt und verschwinden in der Folge von der Bildfläche, einige sind bis heute vermisst (Turkey Tribunal 7.2021, S. 2). Die meisten von ihnen tauchen jedoch nach ein paar Monaten, z. B. in bestimmten Polizeistationen wieder auf (Turkey Tribunal 7.2021, S. 2; vgl. FR 15.2.2021, TM 10.9.2021). Im September 2021 wurde beispielsweise bekannt, dass sich Hüseyin Galip Kügüközyigit, der neun Monate lang vermisst worden war, im Gefängnis von Ankara befand. Wo er sich all die Zeit befand, ist bislang unbekannt. Die Behörden hatten bestritten, dass sich der ehemalige Rechtsberater des Ministerpräsidenten, dem Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wurden, in Gewahrsam befand (AI 29.3.2022; vgl. Duvar 14.9.2021). - Offenkundig eingeschüchtert, schweigen die meisten nach ihrem Wiederauftauchen (TM 10.9.2021). Entführungen und gewaltsames Verschwinden von Personen werden jedenfalls weiterhin vermeldet und nicht ordnungsgemäß untersucht (HRW 13.1.2022).Gegner der Regierung werden entführt und verschwinden in der Folge von der Bildfläche, einige sind bis heute vermisst (Turkey Tribunal 7.2021, S. 2). Die meisten von ihnen tauchen jedoch nach ein paar Monaten, z. B. in bestimmten Polizeistationen wieder auf (Turkey Tribunal 7.2021, S. 2; vergleiche FR 15.2.2021, TM 10.9.2021). Im September 2021 wurde beispielsweise bekannt, dass sich Hüseyin Galip Kügüközyigit, der neun Monate lang vermisst worden war, im Gefängnis von Ankara befand. Wo er sich all die Zeit befand, ist bislang unbekannt. Die Behörden hatten bestritten, dass sich der ehemalige Rechtsberater des Ministerpräsidenten, dem Verbindungen zur Gülen-Bewegung vorgeworfen wurden, in Gewahrsam befand (AI 29.3.2022; vergleiche Duvar 14.9.2021). - Offenkundig eingeschüchtert, schweigen die meisten nach ihrem Wiederauftauchen (TM 10.9.2021). Entführungen und gewaltsames Verschwinden von Personen werden jedenfalls weiterhin vermeldet und nicht ordnungsgemäß untersucht (HRW 13.1.2022).
Gemeinsame Recherchen des ZDFs und acht internationaler Medien, koordiniert von dem gemeinnützigen Recherchezentrum Corrective, basierend auf Überwachungsvideos, internen Dokumenten, Augenzeugen und befragten Opfern, ergaben, dass ein Entführungsprogramm existiert, bei dem der Nationale Nachrichtendienst MillT istihbarat Te§kiläti (MiT) nach politischen Gegnern, meist Gülen-Anhängern, sucht, die dann in Geheimgefängnisse verschleppt - auch aus dem Ausland - und gefoltert werden, um etwa belastende Aussagen gegen Dritte zu erwirken (ZDF 11.12.2018; vgl. Correctiv 11.12.2018, Ha’aretz 11.12.2018). Laut Menschenrechtsorganisationen und Oppositionspolitikern gab es seit 2016 Dutzende mutmaßliche Fälle von Entführungen und des „gewaltsamen Verschwindenlassens“ (EC 19.10.2021, S.31; vgl. FR 15.2.2021, AM 17.9.2021) durch Sicherheits- oder Geheimdienste in mehreren Provinzen, ohne dass angemessene Ermittlungen durchgeführt wurden (EC 19.10.2021, S. 31; vgl. AM 17.9.2021 NL-MFA 18.3.2021, S. 35), untermauert durch Aussagen von Augenzeugen, Familienmitglieder, wieder aufgetauchten Entführten sowie vereinzelt durch Videoaufnahmen (Turkey Tribunal 7.2021, S. 3; vgl. HRW 29.4.2020).Gemeinsame Recherchen des ZDFs und acht internationaler Medien, koordiniert von dem gemeinnützigen Recherchezentrum Corrective, basierend auf Überwachungsvideos, internen Dokumenten, Augenzeugen und befragten Opfern, ergaben, dass ein Entführungsprogramm existiert, bei dem der Nationale Nachrichtendienst MillT istihbarat Te§kiläti (MiT) nach politischen Gegnern, meist Gülen-Anhängern, sucht, die dann in Geheimgefängnisse verschleppt - auch aus dem Ausland - und gefoltert werden, um etwa belastende Aussagen gegen Dritte zu erwirken (ZDF 11.12.2018; vergleiche Correctiv 11.12.2018, Ha’aretz 11.12.2018). Laut Menschenrechtsorganisationen und Oppositionspolitikern gab es seit 2016 Dutzende mutmaßliche Fälle von Entführungen und des „gewaltsamen Verschwindenlassens“ (EC 19.10.2021, S.31; vergleiche FR 15.2.2021, AM 17.9.2021) durch Sicherheits- oder Geheimdienste in mehreren Provinzen, ohne dass angemessene Ermittlungen durchgeführt wurden (EC 19.10.2021, S. 31; vergleiche AM 17.9.2021 NL-MFA 18.3.2021, S. 35), untermauert durch Aussagen von Augenzeugen, Familienmitglieder, wieder aufgetauchten Entführten sowie vereinzelt durch Videoaufnahmen (Turkey Tribunal 7.2021, S. 3; vergleiche HRW 29.4.2020).
Es gibt immer noch kein umfassendes, kohärentes Konzept in Bezug auf vermisste Personen, die Exhumierung von Massengräbern oder die unabhängige Untersuchung aller mutmaßlichen Fälle von außergerichtlicher Tötung durch Sicherheits- und Strafverfolgungsbeamte. Die meisten Ermittlungen in Fällen von gewaltsamem Verschwindenlassen aus den 1990er Jahren sind nach 20 Jahren verjährt. In den mehr als 1.400 Fällen vermisster Personen wurden nur 16 Gerichtsverfahren eingeleitet (EC 19.10.2021, S. 17). Laut der „UN-Arbeitsgruppe gegen gewaltsames und unfreiwilliges Verschwindenlassen“ (UN Working Group against Enforced and Involuntary Disappearances - UN-WGEID) galten mit Stand 2020 von fast 250 Fällen, die seit 1980 registriert wurden, noch immer fast 90 als ungelöst (OHCHR 4.8.2021, S. 12, 24). Ömer Faruk Gergerliog- lu, Menschenrechtsaktivist und Abgeordneter der pro-kurdischen HDP geht davon aus, dass seit 2016 mindestens 30 Menschen in der Türkei „verschwunden“ sind. In vielen Fällen handle es sich um ehemalige Staatsbedienstete (FR 15.2.2021; vgl. TM 10.9.2021) oder um Anhänger der Gülen-Bewegung und Kurden (AM 17.9.2021; vgl. Turkey Tribunal 7.2021, S. 50, TM 10.9.2021). Einige der Entführten werden Berichten zufolge immer noch vermisst. In jüngster Zeit wurden nach Angaben der türkischen Menschenrechtsstiftung (TiHV) neben HDP-Mitgliedern auch mehrere Aktivisten marxistischer Gruppen auf ähnliche Weise verschleppt. Dies bekräftigten auch die vermeintlich entführten Mitglieder der HDP und linker Organisationen selbst (AM 17.9.2021). Fast alle Entführten gaben an, dass sie unter Druck gesetzt wurden, ihre Organisationen zu verraten. Einige gaben an, sie seien schwer gefoltert worden (AM 17.9.2021; vgl. Turkey Tribunal 7.2021, S. 2). Die Entführten werden auch unter Druck gesetzt, sich nicht umfassend zu verteidigen, und gezwungen, Beschwerden über Folter und Misshandlung zurückzuziehen. Außerdem ist es ihnen untersagt, unabhängige Ärzte zu konsultieren, um ihre Verletzungen zu bescheinigen (Turkey Tribunal 7.2021, S. 2). Vielfach wurden die Betroffenen wegen Spionage angeklagt (FR 15.2.2021). Trotz mehrerer Anfragen von Abgeordneten der Opposition und Journalisten hat sich bisher kein Regierungsvertreter öffentlich zu den Entführungsvorwürfen geäußert (FR 15.2.2021; vgl. AM 17.9.2021). Laut Gülseren Yoleri vom türkischen Menschenrechtsverband iHD habe Letztere in allen Entführungsfällen Strafanzeige erstattet, doch all diese Fälle seien eingestellt worden. Ein Gesetz, das die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes (MiT) vor Strafverfolgung schützt, sei ein wichtiger Faktor hierbei. Wenn die Entführung eine MiT-Aktivität ist, könne die Staatsanwaltschaft nicht ermitteln, so Yoleri (AM 17.9.2021). Die türkischen Behörden haben laut Human Rights Watch noch keinen einzigen Fall wirksam untersucht, sodass mehrere Familien sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt haben (HRW 29.4.2020).Es gibt immer noch kein umfassendes, kohärentes Konzept in Bezug auf vermisste Personen, die Exhumierung von Massengräbern oder die unabhängige Untersuchung aller mutmaßlichen Fälle von außergerichtlicher Tötung durch Sicherheits- und Strafverfolgungsbeamte. Die meisten Ermittlungen in Fällen von gewaltsamem Verschwindenlassen aus den 1990er Jahren sind nach 20 Jahren verjährt. In den mehr als 1.400 Fällen vermisster Personen wurden nur 16 Gerichtsverfahren eingeleitet (EC 19.10.2021, S. 17). Laut der „UN-Arbeitsgruppe gegen gewaltsames und unfreiwilliges Verschwindenlassen“ (UN Working Group against Enforced and Involuntary Disappearances - UN-WGEID) galten mit Stand 2020 von fast 250 Fällen, die seit 1980 registriert wurden, noch immer fast 90 als ungelöst (OHCHR 4.8.2021, S. 12, 24). Ömer Faruk Gergerliog- lu, Menschenrechtsaktivist und Abgeordneter der pro-kurdischen HDP geht davon aus, dass seit 2016 mindestens 30 Menschen in der Türkei „verschwunden“ sind. In vielen Fällen handle es sich um ehemalige Staatsbedienstete (FR 15.2.2021; vergleiche TM 10.9.2021) oder um Anhänger der Gülen-Bewegung und Kurden (AM 17.9.2021; vergleiche Turkey Tribunal 7.2021, S. 50, TM 10.9.2021). Einige der Entführten werden Berichten zufolge immer noch vermisst. In jüngster Zeit wurden nach Angaben der türkischen Menschenrechtsstiftung (TiHV) neben HDP-Mitgliedern auch mehrere Aktivisten marxistischer Gruppen auf ähnliche Weise verschleppt. Dies bekräftigten auch die vermeintlich entführten Mitglieder der HDP und linker Organisationen selbst (AM 17.9.2021). Fast alle Entführten gaben an, dass sie unter Druck gesetzt wurden, ihre Organisationen zu verraten. Einige gaben an, sie seien schwer gefoltert worden (AM 17.9.2021; vergleiche Turkey Tribunal 7.2021, S. 2). Die Entführten werden auch unter Druck gesetzt, sich nicht umfassend zu verteidigen, und gezwungen, Beschwerden über Folter und Misshandlung zurückzuziehen. Außerdem ist es ihnen untersagt, unabhängige Ärzte zu konsultieren, um ihre Verletzungen zu bescheinigen (Turkey Tribunal 7.2021, S. 2). Vielfach wurden die Betroffenen wegen Spionage angeklagt (FR 15.2.2021). Trotz mehrerer Anfragen von Abgeordneten der Opposition und Journalisten hat sich bisher kein Regierungsvertreter öffentlich zu den Entführungsvorwürfen geäußert (FR 15.2.2021; vergleiche AM 17.9.2021). Laut Gülseren Yoleri vom türkischen Menschenrechtsverband iHD habe Letztere in allen Entführungsfällen Strafanzeige erstattet, doch all diese Fälle seien eingestellt worden. Ein Gesetz, das die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes (MiT) vor Strafverfolgung schützt, sei ein wichtiger Faktor hierbei. Wenn die Entführung eine MiT-Aktivität ist, könne die Staatsanwaltschaft nicht ermitteln, so Yoleri (AM 17.9.2021). Die türkischen Behörden haben laut Human Rights Watch noch keinen einzigen Fall wirksam untersucht, sodass mehrere Familien sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt haben (HRW 29.4.2020).
Entführungen und Verschwindenlassen im Ausland
Was die Entführungen türkischer Staatsbürger aus dem Ausland betrifft, so zeigte sich die UN-Arbeitsgruppe gegen gewaltsames und unfreiwilliges Verschwindenlassen zutiefst besorgt darüber, dass eine Reihe von Staaten, namentlich auch die Türkei weiterhin extra-territoriale Entführungen und Zwangsrückführungen unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und des Schutzes der nationalen Sicherheit rechtfertigen. Die Situation in der Türkei sei besonders besorgniserregend, da mindestens 100 türkische Staatsangehörige aus zahlreichen Staaten in die Türkei zwangsrückgeführt worden sein sollen, weil sie im Verdacht stehen, Mitglieder einer angeblichen terroristischen Organisation zu sein oder mit ihr zu sympathisieren (OHCHR 7.8.2020, S. 16). 40 von den 100 entführten Personen verschwanden unter Gewaltanwendung, meist von der Straße, oder sie wurden aus ihren Häusern und Wohnungen in der ganzen Welt entführt, in mehreren Fällen zusammen mit ihren Kindern (OHCHR 5.5.2020, S. 2). In seiner Entschließung vom Juni 2022 verurteilt das Europäischen Parlament „aufs Schärfste die Entführung türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz außerhalb der Türkei und deren Auslieferung in die Türkei, was eine Verletzung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit und der grundlegenden Menschenrechte darstellt“ (EP 7.6.2022, S. 19, Pt. 31).
Wenn es den türkischen Behörden nicht gelingt, die Auslieferung auf legalem Wege zu erwirken, greifen sie in Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden von Drittländern, einschließlich Geheimdiensten und Polizei, auf verdeckte Operationen zurück. Dazu gehören in erster Linie rasche illegale Aktionen, um gefährdete Personen dem Schutz des Gesetzes zu entziehen und sie anschließend zu überstellen (OHCHR 5.5.2020, S. 3; vgl. FH 2.2021,S. 10). In einigen Fällen haben diese Handlungen direkt gegen gerichtliche Anordnungen gegen illegale Abschiebungen verstoßen. Angesichts des zunehmenden Drucks seitens der Türkei führen die Aufnahmestaaten eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung durch, gefolgt von Hausdurchsuchungen und willkürlichen Verhaftungen in verdeckten Operationen. Die Namen der Personen werden mit vorbereiteten Listen abgeglichen, bevor sie gewaltsam zu nicht gekennzeichneten Fahrzeugen gebracht werden. Sie bleiben bis zu mehreren Wochen in geheimer oder Isolationshaft verschwunden, bevor sie in die Türkei abgeschoben werden. Während dieser Zeit sind sie häufig Zwang, Folter und erniedrigender Behandlung ausgesetzt, um ihre Zustimmung zu einer freiwilligen Rückkehr zu erlangen und Geständnisse zu erpressen, die bei der Ankunft in der Türkei zur Strafverfolgung dienen sollen. In dieser Phase wird den Betroffenen der Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtsbeistand verwehrt, und sie können die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung nicht vor einem zuständigen Gericht anfechten, sodass sie de facto außerhalb des Schutzes des Gesetzes stehen. Ihre Familienangehörigen sind über ihr Schicksal und ihren Verbleib nicht informiert. Den Zeugenaussagen zufolge haben die Opfer dieser Operationen von unverminderten Misshandlungen durch Geheimdienstmitarbeiter berichtet, die vor allem darauf abzielen, ein Geständnis zu erzwingen. Zu den gängigsten Formen der Folter gehören Nahrungs- und Schlafentzug, Schläge, Waterboarding und Elektroschocks (OHCHR 5.5.2020, S. 3). Was die Entführungen außerhalb des Hoheitsgebiets betrifft, so hat die Türkei durch mehrere ihrer höchsten Vertreter, inklusive Staatspräsident Erdogan, die Verantwortung dafür übernommen (Turkey Tribunal 7.2021, S. 50; vgl. FH 2.2021, S. 39f) und hierbei insbesondere die Rolle des Geheimdienstes MiT hervorgestrichen, beispielsweise anlässlich der Entführung von sechs Lehrern aus dem Kosovo (FH 2.2021, S. 39f). Die Entführungen werden in der Türkei öffentlich verkündet und von den Regierungsmedien gefeiert; die Opfer werden beispielsweise in Handschellen öffentlich präsentiert, bevor sie im Kerker verschwinden (DF 22.6.2021).Wenn es den türkischen Behörden nicht gelingt, die Auslieferung auf legalem Wege zu erwirken, greifen sie in Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden von Drittländern, einschließlich Geheimdiensten und Polizei, auf verdeckte Operationen zurück. Dazu gehören in erster Linie rasche illegale Aktionen, um gefährdete Personen dem Schutz des Gesetzes zu entziehen und sie anschließend zu überstellen (OHCHR 5.5.2020, S. 3; vergleiche FH 2.2021,S. 10). In einigen Fällen haben diese Handlungen direkt gegen gerichtliche Anordnungen gegen illegale Abschiebungen verstoßen. Angesichts des zunehmenden Drucks seitens der Türkei führen die Aufnahmestaaten eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung durch, gefolgt von Hausdurchsuchungen und willkürlichen Verhaftungen in verdeckten Operationen. Die Namen der Personen werden mit vorbereiteten Listen abgeglichen, bevor sie gewaltsam zu nicht gekennzeichneten Fahrzeugen gebracht werden. Sie bleiben bis zu mehreren Wochen in geheimer oder Isolationshaft verschwunden, bevor sie in die Türkei abgeschoben werden. Während dieser Zeit sind sie häufig Zwang, Folter und erniedrigender Behandlung ausgesetzt, um ihre Zustimmung zu einer freiwilligen Rückkehr zu erlangen und Geständnisse zu erpressen, die bei der Ankunft in der Türkei zur Strafverfolgung dienen sollen. In dieser Phase wird den Betroffenen der Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtsbeistand verwehrt, und sie können die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung nicht vor einem zuständigen Gericht anfechten, sodass sie de facto außerhalb des Schutzes des Gesetzes stehen. Ihre Familienangehörigen sind über ihr Schicksal und ihren Verbleib nicht informiert. Den Zeugenaussagen zufolge haben die Opfer dieser Operationen von unverminderten Misshandlungen durch Geheimdienstmitarbeiter berichtet, die vor allem darauf abzielen, ein Geständnis zu erzwingen. Zu den gängigsten Formen der Folter gehören Nahrungs- und Schlafentzug, Schläge, Waterboarding und Elektroschocks (OHCHR 5.5.2020, S. 3). Was die Entführungen außerhalb des Hoheitsgebiets betrifft, so hat die Türkei durch mehrere ihrer höchsten Vertreter, inklusive Staatspräsident Erdogan, die Verantwortung dafür übernommen (Turkey Tribunal 7.2021, S. 50; vergleiche FH 2.2021, S. 39f) und hierbei insbesondere die Rolle des Geheimdienstes MiT hervorgestrichen, beispielsweise anlässlich der Entführung von sechs Lehrern aus dem Kosovo (FH 2.2021, S. 39f). Die Entführungen werden in der Türkei öffentlich verkündet und von den Regierungsmedien gefeiert; die Opfer werden beispielsweise in Handschellen öffentlich präsentiert, bevor sie im Kerker verschwinden (DF 22.6.2021).
Die UN-Arbeitsgruppe wiederholte 2021 ihre Besorgnis über die fortgesetzte Rechtfertigung von extra-territorialen Entführungen und Zwangsrückführungen unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und des Schutzes der nationalen Sicherheit. In diesem Zusammenhang fordert die Arbeitsgruppe die türkische Regierung auf, das gewaltsame Verschwindenlassen zu unterbinden bzw. zu beenden, wie es in Artikel 2 der Erklärung über den Schutz aller Personen vor dem gewaltsamen Verschwindenlassen vorgesehen ist (OHCHR 4.8.2021, S. 26).
Vergleiche hierzu auch das Kapitel zu: Gülen- oder Hizmet-Bewegung
Quellen:
•AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Türkei 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070315.html , Zugriff 30.3.2022
•AM - Al Monitor (17.9.2021): Turkish civic groups protest abductions, forced disappearances, https://www.al-monitor.com/originals/2021/09/turkish-civic-groups-protest-abductions-forced-dis appearances , Zugriff 21.2.2022
•Corrective - Recherchen für die Gesellschaft (11.12.2018): BlackSitesTurkey, https://correctiv.org/ top-stories/2018/12/06/black-sites/, Zugriff 21.2.2022
•DF - Deutschlandfunk (22.6.2021): Türkei entführt systematisch Oppositionelle aus dem Ausland, https://www.deutschlandfunk.de/der-lange-arm-ankaras-tuerkei-entfuehrt-systematisch.795.de.h tml?dram:article_id=499152 , Zugriff 21.2.2022
•Duvar (14.9.2021): Turkish man missing since December 2020 turns up in Ankara prison, https: //www.duvarenglish.com/turkish-man-missing-since-december-2020-turns-up-in-ankara-prison-n ews-58810 , Zugriff 30.3.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 21.2.2022
•EP - Europäisches Parlament (7.6.2022): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni 2022 zu dem Bericht 2021 der Kommission über die Türkei (2021/2250(INI)), https://www.eu roparl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0222_DE.pdf, Zugriff 26.8.2022
•FH - Freedom House (2.2021): Out of Sight, not out of Reach: the Global Scale and Scope of Transnational Repression, https://freedomhouse.org/sites/default/files/2021-02/Complete_FH_TransnationalRepressionReport2021_rev020221.pdf, Zugriff 21.2.2022
•FR - Frankfurter Rundschau (15.2.2021): Mysteriöse Vermisstenfälle in der Türkei: Was hat Er- dogans Regierung damit zu tun?, https://www.fr.de/politik/tuerkei-recep-tayyip-erdogan-vermisste -gewaltsames-verschwindenlassen-putsch-90204396.html, Zugriff 21.2.2022
•Ha'aretz (11.12.2018): Kidnapped, Escaped, and Survived to Tell the Tale: How Erdogan's Regime Tried to Make Us Disappear, https://www.haaretz.com/middle-east-news/turkey/.premium.MAGAZINE-how-erdogan-s-loyalists-try-to-make-us-disappear-1.6729331, Zugriff 21.2.2022
•HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/do kument/2066478.html , Zugriff 21.1.2022
•HRW - Human Rights Watch (29.4.2020): Turkey: Enforced Disappearances, Torture, https://www. hrw.org/news/2020/04/29/turkey-enforced-disappearances-torture , 21.2.2022
•NL-MFA- Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (18.3.2021): General Country of Origin Information Report
Turkey, https://www.government.nl/binaries/government/documents/reports/2021/03/18/general-country-of-origin-information-report-turkey/vertaling-aab-turkije.pdf, Zugriff 21.2.20221
•OHCHR (4.8.2021): 2021 report of the Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances, https://undocs.org/AZHRC/48/57 , Zugriff 21.2.2022
•OHCHR (7.8.2020): 2020 report of the Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances, https://undocs.org/A/HRC/45/13 , Zugriff 21.2.2022
•OHCHR (5.5.2020): Mandates of the Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances; the Special Rapporteur on the human rights of migrants; the Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism; and the Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment [letter to the Turkish Government], (AL TUR 5/2020), https://spcommreports.ohchr.org/TMResult sBase/DownLoadPublicCommunicationFile?gId=25209 , Zugriff 21.2.2022
•TM - Turkish Minute (10.9.2021): Turkish couple in exile protests enforced disappearances in front of European rights court, https://www.turkishminute.com/2021/09/10/kishcouple-in-exile-protests-enforced-disappearances-in-front-of-european-rights-court/, Zugriff 21.2.2022
•Turkish Tribunal [Heymans Johan] (7.2021): Abductions in Turkey Today, https://turkeytribunal.org /wp-content/uploads/2021/11/AbductionsinTurkey_Turkey-Tribunal-Report_FINAL.pdf, Zugriff 21.2.2022
•ZDF-Zweiten Deutsches Fernsehen (11.12.2018): Kidnapping im Auftrag Erdogans, https://www. zdf.de/politik/frontal-21/die-verschleppten-100.html, Zugriff 21.2.2022
Korruption
Letzte Änderung: 20.09.2022
Die Türkei ist ein Vertragsstaat der UN-Konvention gegen Korruption, der OECD-Konvention gegen Bestechung, des Strafrechtsübereinkommens und des Zivilrechtsübereinkommens des Europarates über Korruption. Der Rechtsrahmen zur Korruptionsbekämpfung ist in mehreren nationalen Gesetzen enthalten (DFAT 10.9.2020).Nichtsdestotrotz ist Korruption im öffentlichen und privaten Sektor der Türkei weit verbreitet (EP 19.5.2021, S. 16, Pt. 43; vgl. BACP 6.2020, DFAT 10.9.2020), auch auf den höchsten Ebenen der Regierung (FH 28.2.2022, C2). Öffentliche Aufträge und Bauprojekte sind besonders anfällig für Korruption. Häufig werden Bestechungsgelder verlangt. Das türkische Strafgesetzbuch kriminalisiert verschiedene Formen korrupter Aktivitäten, darunter aktive und passive Bestechung, Korruptionsversuche, Erpressung, Bestechung eines ausländischen Beamten, Geldwäsche und Amtsmissbrauch (BACP 6.2020; vgl. DFAT 10.9.2020, FH 3.3.2021). Die Strafe für Bestechung kann eine Freiheitsstrafe von bis zu zwölf Jahren umfassen. Unternehmen müssen mit der Beschlagnahme von Vermögenswerten und dem Entzug staatlicher Betriebsgenehmigungen rechnen (USDOS 13.3.2019).Die Türkei ist ein Vertragsstaat der UN-Konvention gegen Korruption, der OECD-Konvention gegen Bestechung, des Strafrechtsübereinkommens und des Zivilrechtsübereinkommens des Europarates über Korruption. Der Rechtsrahmen zur Korruptionsbekämpfung ist in mehreren nationalen Gesetzen enthalten (DFAT 10.9.2020).Nichtsdestotrotz ist Korruption im öffentlichen und privaten Sektor der Türkei weit verbreitet (EP 19.5.2021, S. 16, Pt. 43; vergleiche BACP 6.2020, DFAT 10.9.2020), auch auf den höchsten Ebenen der Regierung (FH 28.2.2022, C2). Öffentliche Aufträge und Bauprojekte sind besonders anfällig für Korruption. Häufig werden Bestechungsgelder verlangt. Das türkische Strafgesetzbuch kriminalisiert verschiedene Formen korrupter Aktivitäten, darunter aktive und passive Bestechung, Korruptionsversuche, Erpressung, Bestechung eines ausländischen Beamten, Geldwäsche und Amtsmissbrauch (BACP 6.2020; vergleiche DFAT 10.9.2020, FH 3.3.2021). Die Strafe für Bestechung kann eine Freiheitsstrafe von bis zu zwölf Jahren umfassen. Unternehmen müssen mit der Beschlagnahme von Vermögenswerten und dem Entzug staatlicher Betriebsgenehmigungen rechnen (USDOS 13.3.2019).
Es bestehen keine Anzeichen für Fortschritte bei der Beseitigung der zahlreichen Lücken im türkischen Rechtsrahmen zur Korruptionsbekämpfung (EP 19.5.2021, S. 16, Pt. 43). Ein grundlegendes Problem ist das Fehlen einer unabhängigen und präventiven Korruptionsbekämpfungsstelle sowie einer interinstitutionellen Koordinierung der Korruptionsbekämpfung (BS 23.2.2022, S. 35). Die Durchsetzung der Anti-Korruptionsgesetze ist inkonsistent. Die vorhandenen türkischen Anti-Korruptionsbehörden sind im Allgemeinen ineffektiv und tragen zu einer Kultur der Straflosigkeit bei (FH 28.2.2022, C2; vgl. BACP 6.2020). Offizielle Aufsichtsorgane wie der Rechnungshof und die Ombudsperson veröffentlichen Berichte oft verspätet und decken nur selten Korruptionsvorwürfe ab (DFAT 10.9.2020).Es bestehen keine Anzeichen für Fortschritte bei der Beseitigung der zahlreichen Lücken im türkischen Rechtsrahmen zur Korruptionsbekämpfung (EP 19.5.2021, S. 16, Pt. 43). Ein grundlegendes Problem ist das Fehlen einer unabhängigen und präventiven Korruptionsbekämpfungsstelle sowie einer interinstitutionellen Koordinierung der Korruptionsbekämpfung (BS 23.2.2022, S. 35). Die Durchsetzung der Anti-Korruptionsgesetze ist inkonsistent. Die vorhandenen türkischen Anti-Korruptionsbehörden sind im Allgemeinen ineffektiv und tragen zu einer Kultur der Straflosigkeit bei (FH 28.2.2022, C2; vergleiche BACP 6.2020). Offizielle Aufsichtsorgane wie der Rechnungshof und die Ombudsperson veröffentlichen Berichte oft verspätet und decken nur selten Korruptionsvorwürfe ab (DFAT 10.9.2020).
Sorge besteht hinsichtlich der Unparteilichkeit der Justiz in der Handhabe von Korruptionsfällen (USDOS 12.4.2022, S. 63; vgl. BACP 6.2020). Zudem gibt es ein hohes Korruptionsrisiko im Umgang mit der Justiz selbst (BACP 6.2020). So haben beispielsweise die neuen CHP- Bürgermeister von Istanbul und Ankara Korruptionsermittlungen gegen die früheren lokalen AKP-Regierungen eingeleitet und eine Reihe von Änderungen vorgenommen, um die Transparenz in der kommunalen Verwaltung zu fördern. Das eigentliche Hindernis für die Versuche der Oppositionsbürgermeister, Korruptionsermittlungen einzuleiten, bleibt jedoch die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz (BS 23.2.2022, S. 13).Sorge besteht hinsichtlich der Unparteilichkeit der Justiz in der Handhabe von Korruptionsfällen (USDOS 12.4.2022, S. 63; vergleiche BACP 6.2020). Zudem gibt es ein hohes Korruptionsrisiko im Umgang mit der Justiz selbst (BACP 6.2020). So haben beispielsweise die neuen CHP- Bürgermeister von Istanbul und Ankara Korruptionsermittlungen gegen die früheren lokalen AKP-Regierungen eingeleitet und eine Reihe von Änderungen vorgenommen, um die Transparenz in der kommunalen Verwaltung zu fördern. Das eigentliche Hindernis für die Versuche der Oppositionsbürgermeister, Korruptionsermittlungen einzuleiten, bleibt jedoch die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz (BS 23.2.2022, S. 13).
Bestechungsgelder und Zahlungen als Gegenleistung für günstige Gerichtsurteile werden von den durch das Business Anti-Corruption Portal (BACP) befragten Unternehmen als recht häufig eingeschätzt. Etwa ein Drittel der Bevölkerung empfindet Richter und Gerichtsvollzieher als korrupt. Politische Einflussnahme, langsame Verfahren und ein überlastetes Gerichtssystem stellen ein hohes Risiko für Korruption in der türkischen Justiz dar. Korruption in der türkischen Polizei ist ein mittelgradiges Risiko (BACP 6.2020).
Laut Europäischer Kommission macht die Korruptionsbekämpfung keine Fortschritte. Dem Land fehle es nach wie vor an präventiv agierenden Antikorruptionsbehörden. Die Mängel des gesetzlichen Rahmens und der institutionellen Architektur ermöglichten eine ungebührliche politische Einflussnahme in der Ermittlungs- und Verfolgungsphase von Korruptionsfällen. Rechenschaftspflicht und Transparenz der öffentlichen Institutionen müssen, so die Kommission, verbessert werden. Das Fehlen einer Antikorruptionsstrategie und eines Aktionsplans deute auf den mangelnden politischen Willen hin, Korruption entschieden zu bekämpfen. Insgesamt ist Korruption weit verbreitet. Die meisten Empfehlungen der Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) des Europarates wurden noch nicht umgesetzt (EC 19.10.2021, S. 5, 25). GRECO bemängelte insbesondere, dass innert zehn Jahren nur eine von neun Empfehlungen in Bezug auf die Transparenz der politischen Finanzierung, auch im Zusammenhang mit Wahlen, umgesetzt wurde (CoE-GRECO 18.3.2021).
Eine Handvoll Holdinggesellschaften erhält einen großen Teil der öffentlichen Ausschreibungen, auch für Erdogans Megaprojekte, und dieselben Unternehmen kontrollieren ebenso die meisten türkischen Mediennetzwerke. Darüber hinaus hat die Regierung seit 2016 Hunderte von Unternehmen und NGOs beschlagnahmt und Treuhänder für die Verwaltung von Vermögenswerten in Milliardenhöhe ernannt (FH 28.2.2022, C2).
Die Schattenwirtschaft bleibt eine zentrale Herausforderung für die Türkei (EC 19.10.2021, S. 95). Die Schattenwirtschaft soll in den letzten Jahren enorm expandiert sein. Der Anstieg der illegalen Einnahmen stammt nicht nur aus dem Untergrundsektor wie Prostitution, Drogenhandel und Kraftstoffschmuggel, sondern auch aus der Einflussnahme durch Bestechung bei öffentlichen Ausschreibungen und Schmiergeldzahlungen ausländischer Unternehmen, die in der Türkei Geschäfte machen wollen. Nach dem Putschversuch im Jahr 2016 ist der Fluss illegaler Gelder um einen weiteren Aspekt erweitert worden. Im Rahmen der Säuberungsaktionen wurden Unternehmen, die sich im Besitz von Gülenisten befanden, beschlagnahmt und dann verkauft, meist an AKP-Kumpane. Wie sich später herausstellte, zahlten viele Geschäftsleute, denen Verbindungen zu den Gülenisten nachgesagt wurden, hohe Bestechungsgelder, um einer Untersuchung oder einem Prozess zu entgehen (AM 21.5.2021).
Die Regierung bestraft Strafverfolgungsbeamte, Richter und Staatsanwälte, die korruptionsbezogene Ermittlungen oder Fälle gegen Regierungsbeamte eingeleitet haben, und behauptet, dass Erstere dies auf Veranlassung der Gülen-Bewegung taten. Journalisten, denen vorgeworfen wird, die Korruptionsvorwürfe veröffentlicht zu haben, werden ebenfalls strafrechtlich verfolgt. Gerichte und der Oberste Radio- und Fernsehrat (RTÜK) blockierten regelmäßig den Zugang zu Presseberichten über Korruptionsvorwürfe (USDOS 12.4.2022, S. 63f.).
Transparency International reihte die Türkei im Korruptionswahrnehmungsindex 2021 mit einem Punktewert von 38 von 100 (bester Wert) auf Platz 96 von 180 untersuchten Ländern und Territorien ein (TI 25.1.2022), was einer Verschlechterung, verglichen zum Vorjahr, um zehn Ränge bzw. zwei Basispunkte entsprach (TI 2021).
Quellen:
•AM - Al Monitor (21.5.2021): Erdogan in hot spot as Turks question ’mafiazation’ of politics, https: //www.al-monitor.com/originals/2021/05/erdogan-hot-spot-turks-question-mafiazation-politics , Zugriff 21.2.2022
•BACP - GAN-Business Anti-Corruption Portal (6.2020): Turkey Country Profile, Business Corrupti- on in Turkey, https://www.ganintegrity.com/portal/country-profiles/turkey/, Zugriff 5.11.2020
•BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/ file/local/2069612/country_report_2022_TUR.pdf, Zugriff 21.3.2022
•CoE-GRECO - Council of Europe - Group of States Against Corruption (18.3.2021): Third Evaluation Round, Second Addendum to the Second Compliance Report on Turkey - "Incriminations (ETS 173 and 191, GPC 2)", "Transparency of Party Funding" [GrecoRC3 (2020)5], https://rm.coe .int/third-evaluation-round-second-addendum-to-the-second-compliance-report/1680a1cac1 , Zugriff 21.2.2022
•DFAT- Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 21.2.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 21.2.2022
•EP - Europäisches Parlament (19.5.2021): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Mai 2021 zu den Berichten 2019-2020 der Kommission über die Türkei, https://www.europarl.eur opa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0243_DE.pdf, Zugriff 21.2.2022
•FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2068831.html , Zugriff am 24.8.2022
•FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2046544.html , Zugriff 21.2.2022
•TI - Transparency International (25.1.2022): Corruption Perceptions Index 2021, https://www.tran sparency.org/en/countries/turkey, Zugriff 21.2.2022
•TI - Transparency International (2021): Corruption Perceptions Index 2020, https://www.transpar ency.org/en/cpi/2020/index/tur, Zugriff 21.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 20.4.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018-Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html , Zugriff 21.2.2022
Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Letzte Änderung: 20.09.2022
Zivilgesellschaftliche Organisationen stehen im Mittelpunkt des Demokratisierungsprozesses in der Türkei. Mit Stand Oktober 2021 gab es über 121.920 Vereine und 5.906 Stiftungen sowie zahlreiche informelle Organisationen wie Plattformen, Initiativen und Gruppen. Ihre Arbeitsbereiche konzentrieren sich vor allem auf gesellschaftliche Solidarität, soziale Dienste, Bildung, Gesundheit und verschiedene Rechtsthemen (ICNL 20.11.2021).
Die Beteiligung der Zivilgesellschaft am politischen Prozess ist weiter zurückgegangen, und die die Zivilgesellschaft betreffenden Rechtsvorschriften wurden in den letzten Jahren immer restriktiver. Während die Ressourcen, die Aktivitäten und die Sichtbarkeit regierungsfreundlicher zivilgesellschaftlicher Organisationen weiter zugenommen haben, sind regierungskritische NGOs, insbesondere Menschenrechtsorganisationen und demokratiefördernde NGOs, systematischen Einschüchterungen ausgesetzt. Sie wurden mitunter zur Schließung gezwungen und ihre Mitglieder verhaftet. Sowohl nationale als auch internationale NGOs leiden unter restriktiven Einschränkungen. Im Allgemeinen sind kritische NGOs von einer echten Konsultation zur Gesetzgebung ausgeschlossen. Insgesamt ist die zivilgesellschaftliche Kultur in der Türkei nach wie vor schwach, und die Abhängigkeit vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen von ausländischer Finanzierung macht sie zur Zielscheibe für von der Regierung geförderte Verschwörungstheorien (BS 23.2.2022, S. 16, 37).
Menschenrechtsverteidiger, etwa der türkischen „Menschenrechtsvereinigung“ (iHD) sowie zivilgesellschaftliche Akteure werden in der Türkei seit Langem von Regierungsvertretern und regierungsnahen Medien als Verfechter ausländischer Interessen porträtiert, welche eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen und/oder die Ziele „terroristischer Organisationen“ fördern (FIDH/OMCT/iHD 5.2021, S. 11). Seit 2016 hat die Regierung mehr als 1.500 Stiftungen und Vereine geschlossen. Im Dezember 2021 fror die Regierung das Vermögen von 770
NGOs mit der Begründung der Terrorismusfinanzierung ein. Leiter von NGOs - insbesondere diejenigen, die sich mit Menschenrechten befassen - sind wegen der Ausübung ihrer Tätigkeit mit Schikanen, Verhaftungen und strafrechtlicher Verfolgung konfrontiert (FH 28.2.2022, E2). Im kurdisch geprägten Südosten des Landes sind die Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen durch vermehrt ausgeübten Druck staatlicher Stellen noch wesentlich stärker eingeschränkt als im Rest des Landes (AA 28.7.2022, S. 6).
Menschenrechtsorganisationen, beispielsweise solche, die sich für Frauen- und Kinderrechte einsetzen, werden gegenüber regierungsnahen Organisationen benachteiligt. Zahlreiche NGOs mit Schwerpunkt auf Menschenrechten berichten, dass sie nicht in den Genuss öffentlicher Förderungen kommen. Sie sehen sich auch bürokratischen Hürden bei der Spendensammlung und der Finanzierung durch EU-Gelder ausgesetzt (ÖB 30.11.2021, S. 30). Laut offiziellen Zahlen waren mit Stand Juli 2021 von allen eingetragenen Vereinigungen nur 1,22 % (1.488 Vereinigungen) in den Bereichen Menschenrechte und Anwaltschaft aktiv (ICNL 20.11.2021).
Obwohl die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Türkei mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) übereinstimmen, weist der Rechtsrahmen noch zahlreiche Unvereinbarkeiten mit internationalen Standards auf. Darüber hinaus bestehen trotz der verbesserten Gesetzgebung zu Vereinen und Stiftungen in den Jahren 2004 bzw. 2008 weiterhin Herausforderungen und Zwänge, insbesondere im Hinblick auf die Sekundärgesetzgebung und deren Umsetzung. Tatsächlich wurden seit 2008 keine weitreichenden Reformen durchgeführt. Eine Gesetzesänderung vom März 2020 verlangt die Registrierung aller Mitglieder einer Vereinigung unter Angabe personenbezogener Daten sowie auch die Verständigung über einen Ausschluss oder Ausscheiden der Person binnen 30 Tagen (ICNL 20.11.2021).
Menschenrechtsorganisationen können gegründet und betrieben werden, unterliegen jedoch wie alle Vereine nach Maßgabe des Vereinsgesetzes der rechtlichen Aufsicht durch das Innenministerium. Ihre Aktivitäten werden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet. Einige Menschenrechtsorganisationen und ihre Mitglieder sind (Ermittlungs-)Verfahren mit zum Teil fragwürdiger rechtlicher Grundlage ausgesetzt (AA 28.7.2022; S. 6). Allgemein fehlen transparente und objektive Kriterien und Verfahren in Bezug auf die öffentliche Finanzierung, die Konsultation von und die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie für deren Inspektion und Überprüfung (CoE-CommDH 19.2.2020).
Am 27.12.2020 wurde ein Gesetz verabschiedet, das angeblich der Bekämpfung der Terrorfinanzierung dienen soll (AP 27.12.2020, vgl. DW 27.12.2020, NZZ 30.12.2020). Das Gesetz Nr. 7262 war offiziell geschaffen worden, um konkreten Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) nachzukommen, einer internationalen Organisation zum Monitoring von Geldwäsche und Terrorfinanzierung, deren Mitglied die Türkei ist (FNS 17.5.2022). Dieses erlaubt dem Innenministerium, NGOs ohne Gerichtsbeschluss jährlich zu inspizieren und Mitglieder von Vereinen zu ersetzen, wenn gegen sie wegen Terrorismus ermittelt wird. Per Gerichtsbeschluss können Aktivitäten eines Vereins suspendiert und der Zugang zu Online-Spendenak- tionen, so keine Genehmigung vorliegt, gesperrt werden (AP 27.12.2020, vgl. DW 27.12.2020, NZZ 30.12.2020). Das Innenministerium und die Provinz-Gouverneure sind außerdem befugt, die Spendensammlungen der NGOs zu überwachen, und Strafen für nicht genehmigte Kampagnen zu verhängen (EC 19.10.2021, S. 36). Dem Innenminister und den Provinzgouverneuren werden weitreichende Kompetenzen bei der Kontrolle von NGOs eingeräumt. Der Innenminister kann durch Verwaltungsentscheidung ohne vorhergehende Gerichtsverfahren die Tätigkeiten von NGOs suspendieren sowie Vereinsorgane ihrer Funktion entheben und durch Treuhänder ersetzen, wenn der Verdacht bestimmter Verbrechen vorliegt (ÖB 30.11.2021, S. 30). Darüber hinaus werden alle Vereinigungen und Stiftungen verpflichtet, das Ministerium über Spenden aus dem Ausland zu informieren. Nach der Verabschiedung des Gesetzes sahen sich viele NGOs mit Prüfungen durch das Ministerium konfrontiert, insbesondere diejenigen, die ausländische Mittel erhalten (EC 19.10.2021, S. 36). Das Strafausmaß gegen Gesetzesverstöße wurde drastisch von einst maximal 700 auf bis zu 200.000 Lira erhöht (Independent 27.12.2020). Die Einschätzung, dass es sich beim Gesetz Nr. 7262 in erster Linie um eine Maßnahme zur Einschränkung der Zivilgesellschaft handelt, teilt auch die FATF. Sie setzte die Türkei 2021 auf eine „graue Liste" und ermahnte sie, legitim arbeitende zivilgesellschaftliche Organisationen nicht unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorfinanzierung unverhältnismäßig zu beschränken (FNS 17.5.2022).Am 27.12.2020 wurde ein Gesetz verabschiedet, das angeblich der Bekämpfung der Terrorfinanzierung dienen soll (AP 27.12.2020, vergleiche DW 27.12.2020, NZZ 30.12.2020). Das Gesetz Nr. 7262 war offiziell geschaffen worden, um konkreten Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) nachzukommen, einer internationalen Organisation zum Monitoring von Geldwäsche und Terrorfinanzierung, deren Mitglied die Türkei ist (FNS 17.5.2022). Dieses erlaubt dem Innenministerium, NGOs ohne Gerichtsbeschluss jährlich zu inspizieren und Mitglieder von Vereinen zu ersetzen, wenn gegen sie wegen Terrorismus ermittelt wird. Per Gerichtsbeschluss können Aktivitäten eines Vereins suspendiert und der Zugang zu Online-Spendenak- tionen, so keine Genehmigung vorliegt, gesperrt werden (AP 27.12.2020, vergleiche DW 27.12.2020, NZZ 30.12.2020). Das Innenministerium und die Provinz-Gouverneure sind außerdem befugt, die Spendensammlungen der NGOs zu überwachen, und Strafen für nicht genehmigte Kampagnen zu verhängen (EC 19.10.2021, S. 36). Dem Innenminister und den Provinzgouverneuren werden weitreichende Kompetenzen bei der Kontrolle von NGOs eingeräumt. Der Innenminister kann durch Verwaltungsentscheidung ohne vorhergehende Gerichtsverfahren die Tätigkeiten von NGOs suspendieren sowie Vereinsorgane ihrer Funktion entheben und durch Treuhänder ersetzen, wenn der Verdacht bestimmter Verbrechen vorliegt (ÖB 30.11.2021, S. 30). Darüber hinaus werden alle Vereinigungen und Stiftungen verpflichtet, das Ministerium über Spenden aus dem Ausland zu informieren. Nach der Verabschiedung des Gesetzes sahen sich viele NGOs mit Prüfungen durch das Ministerium konfrontiert, insbesondere diejenigen, die ausländische Mittel erhalten (EC 19.10.2021, S. 36). Das Strafausmaß gegen Gesetzesverstöße wurde drastisch von einst maximal 700 auf bis zu 200.000 Lira erhöht (Independent 27.12.2020). Die Einschätzung, dass es sich beim Gesetz Nr. 7262 in erster Linie um eine Maßnahme zur Einschränkung der Zivilgesellschaft handelt, teilt auch die FATF. Sie setzte die Türkei 2021 auf eine „graue Liste" und ermahnte sie, legitim arbeitende zivilgesellschaftliche Organisationen nicht unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorfinanzierung unverhältnismäßig zu beschränken (FNS 17.5.2022).
Inzwischen wurde das Gesetz Nr. 7262 um einen Artikel zur Risikoanalyse in Organisationen erweitert. Seit März 2022 erhielten etliche NGOs Briefe vom „Generaldirektorat für die Beziehungen mit der Zivilgesellschaft", die sie zu zusätzlichen Maßnahmen der Selbstkontrolle aufforderten. Die Schreiben gingen an Organisationen, de facto vor allem an jene im Menschenrechtsbereich, denen nach unbekannten Kriterien ein „mittleres" oder „hohes Risiko" zugeschrieben wird. Die NGOs werden gedrängt, innerhalb einer vorgegebenen Frist „notwendige" Untersuchungen zu ihren Finanzierungsquellen, ihren Mitarbeitern und ihren institutionellen Partnern durchzuführen, um ihren sog. Risikostatus festzustellen (FNS 17.5.2022).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022.pdf, Zugriff am 24.8.2022
•AP - Associated Press (27.12.2020):Turkish lawmakers pass bill monitoring civil society groups, https://apnews.com/article/turkey-recep-tayyip-erdogan-terrorism-bills-europe-d4e48ebdbba7691 1dc6fb2a94b201ffd , Zugriff 2.2.2021
•BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/ file/local/2069612/country_report_2022_TUR.pdf, Zugriff 21.3.2022
•CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Commissioner for human rights of the Council of Europe Dunja Mijatovic (19.2.2020): Report following her visit to Turkey from 1 to 5 July 2019 [CommDH(2020)1], https://www.ecoi.net/en/file/local/2024837/CommDH% 282020%291+-++Report+on+Turkey_EN.docx.pdf, Zugriff 21.2.2022
•DW - Deutsche Welle (27.12.2020): Umstrittenes NGO-Gesetz in der Türkei beschlossen, https: //www.dw.com/de/umstrittenes-ngo-gesetz-in-der-t%C3%BCrkei-beschlossen/a-56068756 , Zugriff 21.2.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 21.2.2022
•FIDH/ OMCT/ iHD - International Federation for Human Rights/ World Organisation Against Torture/ insan Haklari Dernegi - Human Rights Association (5.2021): TURKEY PART II - Turkey’s CivilFIDH/ OMCT/ iHD - International Federation for Human Rights/ World Organisation Against Torture/ insan Haklari Dernegi - Human Rights Association (5.2021): TURKEY PART römisch II - Turkey’s Civil
Society on the Line: AShrinking Space for Freedom of Association, https://ihd.org.tr/en/wp-conte nt/uploads/2021/05/OBS-%C4%B0HD-TURKEY.pdf, Zugriff 7.2.2022
•FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2068831.html , Zugriff am 24.8.2022
•FNS - Friedrich Naumann Stiftung (17.5.2022): Zivilgesellschaft unter Druck, https://www.freiheit .org/de/tuerkei/zivilgesellschaft-unter-druck, Zugriff 30.5.2022
•ICNL-The International Center for Not-for-Profit-Law (20.11.2021): Civic Freedom Monitor: Turkey, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/turkey#resources , Zugriff 4.2.2022
•Independent (27.12.2020): Turkish human rights groups face being shut down as Erdogan passes law stifling NGOs, https://www.independent.co.uk/news/world/europe/turkey-oversight-law-ngo s-b1779231.html , Zugriff 21.2.2022
•NZZ - Neue Zürcher Zeitung (30.12.2020): Neues Gesetz alarmiert türkische Zivilgesellschaft, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-neues-gesetz-alarmiert-die-zivilgesellschaft-ld.1594276 , Zugriff 21.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft-Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 4.2.2022
Ombudsperson und die Nationale Institution für Menschenrechte und Gleichstellung
Letzte Änderung: 20.09.2022
Seit 2012 verfügt die Türkei über das Amt einer Ombudsperson (Kamu Denetgiligi Kurumu/ Ombudsmanlik), das organisatorisch beim türkischen Parlament verortet ist. Gemäß Eigendefinition besteht die Hauptaufgabe des Amtes der Ombudsperson darin, sich für Einzelpersonen gegenüber der Verwaltung einzusetzen sowie die Menschenrechte zu schützen und zu fördern. Explizit außerhalb der Zuständigkeit des Organs sind Handlungen, die die Ausübung der gesetzgebenden und justiziellen Gewalt betreffen, sowie die Handlungen der türkischen Streitkräfte, die rein militärischer Natur sind (OI o.D.).
Trotz des Anstiegs der Fallzahlen blieb die Institution bei politisch heiklen Fragen, die die Grundrechte betreffen, stumm. Die Ombudsperson ist immer noch nicht befugt, von Amts wegen Untersuchungen einzuleiten und in Fällen mit Rechtsbehelfen zu intervenieren (EC 19.10.2021, S. 12). Die Ombudsperson behandelt lediglich Beschwerden hinsichtlich des Vorgehens der öffentlichen Verwaltung (EC 19.10.2021, S. 29), insbesondere bei Menschenrechtsproblemen und Personalfragen. Entlassungen aufgrund von Notstandsdekreten fallen allerdings nicht in ihren Zuständigkeitsbereich (USDOS 12.4.2022, S. 66).
Die 2012 gegründete Menschenrechtsinstitution der Türkei (Insan Haklari Kurumu) wurde 2016 durch die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung (Human Rights and Equality Institution of Turkey - HREI; Insan Haklari ve Egitlik Kurumu) ersetzt. Die Institution besteht aus elf Mitgliedern, die vom Staatspräsidenten bestimmt werden. Ihr kommt die Rolle des „Nationalen Präventionsmechanismus“ gemäß OPCAT zu. Menschenrechtsorganisationen werfen der Institution fehlende Unabhängigkeit vor (AA 28.7.2022, S. 6). Einige HREI-Mitglieder zeigten eine negative Haltung gegenüber den grundlegenden Menschenrechten, einschließlich der Gleichstellung der Geschlechter, der Rechte der Frauen und der Rechte von sexuellen Minderheiten. Zudem sprachen sie sich für den Austritt aus der Istanbul-Konvention aus. All dies widerspricht den erklärten Zielen dieser Institution (EC 19.10.2021, S. 29).
Weder die Ombudsperson noch die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung sind operativ, strukturell oder finanziell unabhängig. Ihre Mitglieder sind nicht nach den Pariser Prinzipien akkreditiert. Bislang hat die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung keine Akkreditierung bei der globalen Allianz für nationale Menschenrechtsinstitutionen beantragt und sie entspricht nicht der Empfehlung der Europäischen Kommission hinsichtlich der Standards für Gleichbehandlungsstellen. Beide Institutionen zeigten sich hinsichtlich ihrer Effektivität bei der Behandlung von Anträgen als begrenzt (EC 19.10.2021, S. 29).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022.pdf, Zugriff am 24.8.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 3.11.2021
•OI - Ombudsman Institution of the Republic of Turkey (o.D.): About The Institution, https://www.om budsman.gov.tr/English/about-the-institution , Zugriff 7.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 27.4.2022
Wehrdienst
Letzte Änderung: 20.09.2022
In den Artikeln 2, 25 und 26 des türkischen Wehrdienstgesetzes heißt es, dass jeder Mann in der Türkei zur Einberufung verpflichtet ist und sich ab dem 1. Jänner des Jahres, in dem er zwanzig Jahre alt wird, anmelden muss. Der Militärdienst gilt nicht für Frauen. Wehrpflichtiger bleibt man bis zum 1. Jänner des Jahres, in dem man 41 wird. Im Falle einer Mobilmachung können Männer bis zu ihrem 65. Lebensjahr zum Militärdienst einberufen werden (MFA-NL 11.7.2019). Im Ausland lebende türkische/doppelte Staatsangehörige sind vom 20. Lebensjahr bis zum Ende des 35. Lebensjahres verpflichtet, den Wehrdienst abzuleisten oder diesen mittels Antrag beim zuständigen türkischen Konsulat bis zum Ende des 35. Lebensjahres aufschieben zu lassen (Artikel 38). Sie haben auch die Möglichkeit, sich gegen Bezahlung von der Wehrpflicht frei zu kaufen. Sie müssen dann lediglich eine Fernausbildung absolvieren (ÖB 30.11.2021, S. 18). Männer, die sich freiwillig zur Teilnahme an den Streitkräften melden, können dies ab dem Alter von 18 Jahren tun. Die türkischen Gesetze und Verordnungen sehen nur für Kranke oder Behinderte und für Einberufungspflichtige, deren Bruder, während des Militärdienstes im Kampf gestorben ist, eine Ausnahme vom Militärdienst vor. Darüber hinaus ist es in der Praxis möglich, eine Ausnahmeregelung zu erhalten, indem man erklärt, dass man homosexuell ist. Die Verschiebung des Militärdienstes kann auf Grundlage des Gesetzes 1111, Artikel 35, erfolgen: Ein diesbezüglicher Antrag kann aus Gründen der Unentbehrlichkeit für jemanden eingereicht werden, der für die Regierung, die (Verteidigungs-)Industrie oder als Berufssportler arbeitet; wenn die Person noch studiert (Universitäten übermitteln eine standardisierte Aufschiebung für ihre Studenten); wenn die Person im Ausland arbeitet; und bei schlechter Gesundheit (mit ärztlicher
Bestätigung). Eine Verschiebung des Militärdienstes kann auch wegen Inhaftierung beantragt werden. In der Regel wird eine Verschiebung um ein Jahr gewährt. Diese kann bei Vorlage der richtigen Unterlagen um ein Jahr verlängert werden. Das türkische Wehrgesetz erlaubt es Studenten, die zum Militärdienst einberufen werden, zunächst ihre Universitätsausbildung (bis zu dem Jahr, in dem sie 30 Jahre alt werden) oder ihre Postdoc-Ausbildung und Forschung (bis zu dem Jahr, in dem sie 36 Jahre alt werden) abzuschließen (MFA-NL 11.7.2019). Der Einsatzort für den Wehrdienst wird durch das Los bestimmt (ÖB 30.11.2021, S. 21). Die Armee hat vor einigen Jahren den Einsatz von Wehrpflichtigen im Kampf eingestellt (MFA-NL 11.7.2019).
Mit dem Gesetz 7179 vom Juni 2019 wurde der Wehrdienst auf sechs Monate verkürzt. Es sieht die Möglichkeit des Freikaufs vom Wehrdienst für alle Wehrpflichtigen vor (ÖB 30.11.2021, S. 18). Dem Staatspräsidenten obliegt es, die Dauer festzulegen. Allerdings dürfen die sechs Monate nicht unterschritten werden (HDN 25.6.2019). Nach dem Freikauf aus dem Wehrdienst muss lediglich eine Grundausbildung von 21 Tagen abgeleistet werden. Wehrpflichtige Auslandstürken absolvieren statt dieser verkürzten Grundausbildung einen Fernkurs gemäß den Vorgaben des Verteidigungsministeriums und müssen nicht mehr einrücken. Die Höhe der im Hinblick auf den Freikauf zu bezahlenden Summe beläuft sich mit Stand November 2021 auf rund 3.900 Euro (ÖB 30.11.2021, S. 18). Für im Ausland lebende türkische Staatsbürger gilt als Voraussetzung, dass sie seit mindestens drei Jahren im Ausland arbeiten, exklusive der Zeit, die sie im Inland verbracht haben. Dies gilt auch für Doppelstaatsbürger - für sie gilt ebenfalls die türkische Wehrpflicht - jedoch auch ohne Arbeitsverhältnis als Bedingung (ÖB 30.11.2021, S. 19). Nebst Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, und Deserteuren (DFAT 10.9.2020) sind u. a. auch jene im Ausland lebenden Staatsbürger von der Freikaufsoption ausgeschlossen, die eine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis infolge eines Asylantrages erhalten haben (ÖB 30.11.2021, S. 20).
Gemäß Bestimmungen der Disziplinarordnung sowie der Gesundheitsrichtlinie des türkischen Militärs fällt Homosexualität immer noch unter „fortgeschrittene psychosexuelle Störungen". Angehörige sexueller Minderheiten gelten als untauglich bzw. werden bei Bekanntwerden ihrer Orientierung aus der Armee entfernt. Ein Gesetz vom Januar 2018 über Disziplinarmaßnahmen für Sicherheitskräfte sah vor, dass „abnormale bzw. perverse" Handlungen für das gesamte Sicherheitspersonal ein Grund zur Entlassung sind (ÖB 30.11.2021, S. 36; vgl. EC 6.10.2020, S. 40). Die Homosexualität oder Transsexualität muss dabei durch psychologische Tests und Behandlungen sowie manchmal durch visuelle „Beweismittel" nachgewiesen werden (ÖB 30.11.2021, S. 36; vgl. AA 28.7.2022, S. 13).Gemäß Bestimmungen der Disziplinarordnung sowie der Gesundheitsrichtlinie des türkischen Militärs fällt Homosexualität immer noch unter „fortgeschrittene psychosexuelle Störungen". Angehörige sexueller Minderheiten gelten als untauglich bzw. werden bei Bekanntwerden ihrer Orientierung aus der Armee entfernt. Ein Gesetz vom Januar 2018 über Disziplinarmaßnahmen für Sicherheitskräfte sah vor, dass „abnormale bzw. perverse" Handlungen für das gesamte Sicherheitspersonal ein Grund zur Entlassung sind (ÖB 30.11.2021, S. 36; vergleiche EC 6.10.2020, S. 40). Die Homosexualität oder Transsexualität muss dabei durch psychologische Tests und Behandlungen sowie manchmal durch visuelle „Beweismittel" nachgewiesen werden (ÖB 30.11.2021, S. 36; vergleiche AA 28.7.2022, S. 13).
Einige Wehrpflichtige sind Berichten zufolge schweren Schikanen, körperlichen Misshandlungen und Folter ausgesetzt, die mitunter zum Tod oder Selbstmord führen. Menschenrechtsgruppen berichten über verdächtige Todesfälle beim Militär, insbesondere unter Wehrpflichtigen, die der alevitischen und kurdischen Minderheit angehören. Die Regierung hat solche Vorfälle nicht systematisch untersucht und gibt auch keine Daten darüber heraus. Die türkische Menschenrechtsvereinigung (iHD) und die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TiHV) meldeten für die ersten elf Monate des Jahres 2021 mindestens 13 Todesfälle, entweder durch Unfälle oder infolge dubioser Umstände (USDOS 12.4.2022, S. 6f.).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022) https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022.pdf, Zugriff am 24.8.2022
•DFAT- Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 22.2.2022
•EC - European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 22.2.2022
•HDN - Hürriyet Daily News (25.6.2019): Parliament adopts bill reducing conscription, making paid military service exemption permanent, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-parliament-ratifie s-new-military-service-law-144475 , Zugriff 22.2.2022
•MFA-NL - The Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands (11.7.2019): Thematic Country of Origin Information Report Turkey: Military service, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksove rheid/documenten/ambtsberichten/2019/07/11/thematisch-ambtsbericht-dienstplicht-turkije-jul i-2019/EN+Tab+Turkije+dienstplicht+4+juli+2019+zonder+vertrouwelijke+bronnen.pdf, Zugriff 22.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft-Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 3.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 27.4.2022
Kurdisch-stämmige Rekruten in der Armee
Letzte Änderung: 10.03.2022
Das Gesetz in der Türkei macht keinen Unterschied zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Dies gilt auch für die Vorschriften über den Militärdienst und die Rekrutierung (MFA-NL 11.7.2019). Daher ist es möglich, dass ein türkischer Wehrpflichtiger kurdischer Herkunft in einer Provinz eingesetzt wird, in der die Mehrheit der Bevölkerung kurdisch ist. Es gibt keine politische Intention, türkisch-kurdische Wehrpflichtige gegen türkisch-kurdische Kämpfer einzusetzen (MFA-NL 11.7.2019).
Nach vorliegenden Informationen besteht keine Systematik in der Diskriminierung von Minderheiten im Militär, weder der kurdischen noch der alevitischen. Es gibt aber Einzelfälle. Zudem ist ein Aufstieg im System für Angehörige von Minderheiten schwierig (ÖB 30.11.2021, S.21). Während der Direktor der türkischen Menschenrechtsorganisation Hafiza Merkez in einem Interview mit dem UK Home Office meinte, dass der Militärdienst im Allgemeinen schon nicht schön, aber für Kurden noch schwieriger sei, sah ein Menschenrechtsanwalt den Militärdienst als Erniedrigung für Kurden, da der kurdische Alltag von vielen Zwischenfällen mit der Armee und der Polizei geprägt sei. Im Unterschied zu den Türken ist der Militärdienst für die Kurden nicht mit Stolz verbunden (UKHO 10.2019). Auch laut Kontaktpersonen der NGO Schweizerische Flüchtlingshilfe sei es schwierig, zu sagen, ob Minderheiten im Militärdienst systematisch misshandelt würden, jedoch gebe es zahlreiche Beispiele für Misshandlungen von Angehörigen von Minderheiten in der Armee. Der Militärdienst sei jedenfalls ein gefährliches Umfeld für Angehörige von Minderheiten (SFH 16.9.2020). So wurde ein kurdischsprachiger Wehrpflichtiger von seinen Vorgesetzten in der Provinz Van im Mai 2018 schwer misshandelt, nachdem er auf Kurdisch gesungen hatte. Er erlitt schwere Verletzungen an seinem Gesicht und seinen inneren Organen. Bei einem weiteren Vorfall in der Provinz Gaziantep wurde ein Soldat von anderen Soldaten angegriffen, weil er ein Foto von Selahattin Demirta§ auf seinem Smartphone hatte, dem inhaftierten Führer der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) (MFA-NL 11.7.2019). Mitte August 2020 wurde ein kurdisch-stämmiger Rekrut von seinen türkischen Kameraden zusammengeschlagen und als Terrorist beschimpft, nachdem dieser zuerst Kurdisch sprach und hernach die Verwendung des Kurdischen im Bildungssystem propagierte (Mezopotamya 14.9.2020). In einer Anfrage an den türkischen Verteidigungsminister anlässlich der Misshandlungsfälle erklärte der HDP-Parlamentarier Lezgin Botan, dass Wehrpflichtige Gefahr laufen, festgenommen, inhaftiert, Gewalt ausgesetzt, schikaniert, beleidigt oder diskriminiert zu werden, nur weil sie kurdische Musik hören, auf Kurdisch singen oder sprechen oder mit Familienmitgliedern telefonieren, die kein Türkisch sprechen (MFA-NL 11.7.2019; vgl. K24 10.5.2018).Nach vorliegenden Informationen besteht keine Systematik in der Diskriminierung von Minderheiten im Militär, weder der kurdischen noch der alevitischen. Es gibt aber Einzelfälle. Zudem ist ein Aufstieg im System für Angehörige von Minderheiten schwierig (ÖB 30.11.2021, S.21). Während der Direktor der türkischen Menschenrechtsorganisation Hafiza Merkez in einem Interview mit dem UK Home Office meinte, dass der Militärdienst im Allgemeinen schon nicht schön, aber für Kurden noch schwieriger sei, sah ein Menschenrechtsanwalt den Militärdienst als Erniedrigung für Kurden, da der kurdische Alltag von vielen Zwischenfällen mit der Armee und der Polizei geprägt sei. Im Unterschied zu den Türken ist der Militärdienst für die Kurden nicht mit Stolz verbunden (UKHO 10.2019). Auch laut Kontaktpersonen der NGO Schweizerische Flüchtlingshilfe sei es schwierig, zu sagen, ob Minderheiten im Militärdienst systematisch misshandelt würden, jedoch gebe es zahlreiche Beispiele für Misshandlungen von Angehörigen von Minderheiten in der Armee. Der Militärdienst sei jedenfalls ein gefährliches Umfeld für Angehörige von Minderheiten (SFH 16.9.2020). So wurde ein kurdischsprachiger Wehrpflichtiger von seinen Vorgesetzten in der Provinz Van im Mai 2018 schwer misshandelt, nachdem er auf Kurdisch gesungen hatte. Er erlitt schwere Verletzungen an seinem Gesicht und seinen inneren Organen. Bei einem weiteren Vorfall in der Provinz Gaziantep wurde ein Soldat von anderen Soldaten angegriffen, weil er ein Foto von Selahattin Demirta§ auf seinem Smartphone hatte, dem inhaftierten Führer der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) (MFA-NL 11.7.2019). Mitte August 2020 wurde ein kurdisch-stämmiger Rekrut von seinen türkischen Kameraden zusammengeschlagen und als Terrorist beschimpft, nachdem dieser zuerst Kurdisch sprach und hernach die Verwendung des Kurdischen im Bildungssystem propagierte (Mezopotamya 14.9.2020). In einer Anfrage an den türkischen Verteidigungsminister anlässlich der Misshandlungsfälle erklärte der HDP-Parlamentarier Lezgin Botan, dass Wehrpflichtige Gefahr laufen, festgenommen, inhaftiert, Gewalt ausgesetzt, schikaniert, beleidigt oder diskriminiert zu werden, nur weil sie kurdische Musik hören, auf Kurdisch singen oder sprechen oder mit Familienmitgliedern telefonieren, die kein Türkisch sprechen (MFA-NL 11.7.2019; vergleiche K24 10.5.2018).
Quellen:
•K24 - Kurdistan 24 (10.5.2018): Middle East Conscript in Turkish army ’lynched’ for singing in Kurdish, MPs say, https://web.archive.org/web/20190203005959/http7/www.kurdistan24.net: 80/en/culture/e9b13521-081d-402b-9ea4-20f41eea9bb5 , Zugriff 22.2.2022 [Der Originallink ist nicht mehr verfügbar.]
•Mezopotamya (14.9.2020): Kurdish soldier attacked at military post: I have no life safety, http: //mezopotamyaajansi35.com/en/search/content/view/109378?page=1Mezopotamya (14.9.2020): Kurdish soldier attacked at military post: römisch eins have no life safety, http: //mezopotamyaajansi35.com/en/search/content/view/109378?page=1&key=3b84e1dcd1d3fd2e3 c8d8d7731ad0653 , Zugriff 22.2.2022
•MFA-NL - The Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands (11.7.2019): Thematic Country of Origin Information Report Turkey: Military service, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksove rheid/documenten/ambtsberichten/2019/07/11/thematisch-ambtsbericht-dienstplicht-turkije-jul i-2019/EN+Tab+Turkije+dienstplicht+4+juli+2019+zonder+vertrouwelijke+bronnen.pdf, Zugriff
22.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf , Zugriff 7.2.2022
•SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (16.9.2020): Türkei: Situation von kurdischen Personen im Militärdienst, https://www.fluechtlingshilfe.ch/fileadmin/user_upload/Publikationen/Herkunftslaenderberichte/Europa/Tuerkei/200915_TUR_Kurden_im_Militaerdienst.pdf, Zugriff 22.2.2022
•UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (10.2019): Report of a Home Office Fact- Finding Mission Turkey: Kurds, the HDP and the PKK; Conducted 17 June to 21 June 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2020297/TURKEY_FFM_REPORT_2019.odt , Zugriff am
22.2.2022
Wehrersatzdienst / Wehrdienstverweigerung / Desertion
Letzte Änderung: 20.09.2022
Das türkische Recht sieht die Möglichkeit eines Ersatzdienstes für Wehrdienstverweigerer nicht vor (AA28.7.2022, S. 13, vgl. MFA-NL 11.7.2019, DFAT 10.9.2020), trotz deutlicher Mahnungen des Ministerkomitees des Europarats (AA 28.7.2022, S. 13). Eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist nicht möglich und wird mit einer Haftstrafe geahndet. Danach muss der Wehrdienst nachgeholt werden (ÖB 30.11.2021, S. 18). Strafen werden solange ausgesprochen, solange sich der Wehrpflichtige der Ableistung des Militärdienstes entzieht. Die Strafe steigt, je länger man sich dem Dienst entzieht (DFAT 10.9.2020). Das Gesetz unterscheidet zwischen drei Arten der Umgehung des Militärdienstes: Umgehung der Registrierung/Sichtung (yoklama kagakgiligi), Nichtmeldung für den tatsächlichen Dienst (bakaya) und Desertion (firar) (MFA- NL 11.7.2019). Seit Änderung von Art. 63 des türkischen Militärstrafgesetzbuches ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Verwaltungsstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich (AA 28.7.2022, S. 13; vgl. DFAT 10.9.2020). Ein diesbezüglich publik gewordener Fall ist jener des ehemaligen Leiters der Zweigstelle Siirt des türkischen Menschenrechtsvereins iHD, Zana Aksu. Im September 2021 verurteilte das erstinstanzliche Strafgericht von Eruh (Provinz Siirt) den Militärdienstverweigerer wegen „Desertion" sogar zu 18 Monaten Haft und einer Geldstrafe von 10.000 Lira (ca. 700 Euro) (Ende 2021 war der Fall noch vor dem regionalen Berufungsgericht in Diyarbakir anhängig), obwohl Aksu bereits 2018 in diesem Anklagepunkt für schuldig befunden und 2020 in einem gesonderten Verfahren wegen nicht zulässiger Doppelbestrafung freigesprochen worden war (AI 29.3.2022; vgl. KTVU 20.9.2021). Die Nichtzahlung von Geldstrafen kann theoretisch zur Beschlagnahme von Vermögenswerten und zur Einbehaltung von Gehältern und Renten führen. In der Praxis gibt es sehr viele Wehrpflichtige, welche der Wehrpflicht entfliehen, und der Staat ist in den meisten Fällen nicht in der Lage, diese weiterzuverfolgen (DFAT 10.9.2020). Die Verjährungsfrist beträgt bis zu acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtige werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen, jedoch meldet das Verteidigungsministerium nach Art. 26 dem Innenministerium, wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, damit diese festgenommen werden können (AA 28.7.2022, S. 13).Das türkische Recht sieht die Möglichkeit eines Ersatzdienstes für Wehrdienstverweigerer nicht vor (AA28.7.2022, S. 13, vergleiche MFA-NL 11.7.2019, DFAT 10.9.2020), trotz deutlicher Mahnungen des Ministerkomitees des Europarats (AA 28.7.2022, S. 13). Eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist nicht möglich und wird mit einer Haftstrafe geahndet. Danach muss der Wehrdienst nachgeholt werden (ÖB 30.11.2021, S. 18). Strafen werden solange ausgesprochen, solange sich der Wehrpflichtige der Ableistung des Militärdienstes entzieht. Die Strafe steigt, je länger man sich dem Dienst entzieht (DFAT 10.9.2020). Das Gesetz unterscheidet zwischen drei Arten der Umgehung des Militärdienstes: Umgehung der Registrierung/Sichtung (yoklama kagakgiligi), Nichtmeldung für den tatsächlichen Dienst (bakaya) und Desertion (firar) (MFA- NL 11.7.2019). Seit Änderung von Artikel 63, des türkischen Militärstrafgesetzbuches ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Verwaltungsstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich (AA 28.7.2022, S. 13; vergleiche DFAT 10.9.2020). Ein diesbezüglich publik gewordener Fall ist jener des ehemaligen Leiters der Zweigstelle Siirt des türkischen Menschenrechtsvereins iHD, Zana Aksu. Im September 2021 verurteilte das erstinstanzliche Strafgericht von Eruh (Provinz Siirt) den Militärdienstverweigerer wegen „Desertion" sogar zu 18 Monaten Haft und einer Geldstrafe von 10.000 Lira (ca. 700 Euro) (Ende 2021 war der Fall noch vor dem regionalen Berufungsgericht in Diyarbakir anhängig), obwohl Aksu bereits 2018 in diesem Anklagepunkt für schuldig befunden und 2020 in einem gesonderten Verfahren wegen nicht zulässiger Doppelbestrafung freigesprochen worden war (AI 29.3.2022; vergleiche KTVU 20.9.2021). Die Nichtzahlung von Geldstrafen kann theoretisch zur Beschlagnahme von Vermögenswerten und zur Einbehaltung von Gehältern und Renten führen. In der Praxis gibt es sehr viele Wehrpflichtige, welche der Wehrpflicht entfliehen, und der Staat ist in den meisten Fällen nicht in der Lage, diese weiterzuverfolgen (DFAT 10.9.2020). Die Verjährungsfrist beträgt bis zu acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtige werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen, jedoch meldet das Verteidigungsministerium nach Artikel 26, dem Innenministerium, wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, damit diese festgenommen werden können (AA 28.7.2022, S. 13).
Der EGMR hat die Türkei bereits in einigen Fällen im Zusammenhang mit der Nichtanerkennung von Gewissensgründen für Wehrdienstverweigerung verurteilt (ÖB 30.11.2021, S. 18). Der Europarat, insbesondere dessen Ministerkomitee kritisiert die wiederholten Verurteilungen und Inhaftierungen von Kriegsdienstverweigerern wegen Verweigerung des Wehrdienstes; das Fehlen eines wirksamen und zugänglichen Verfahrens zur Feststellung des Status als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen und das Fehlen einer Alternative zum obligatorischen Militärdienst in der Türkei (CoE 27.9.2021, S. 3).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022.pdf, Zugriff am 24.8.2022
•AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Türkei 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070315.html , Zugriff 30.3.2022
•CoE - Council of Europe (Department For The Execution Of Judgments Of The European Court Of Human Rights) (27.9.2021): Turkey - main issues before the Committee of Ministers - ongoing supervision, https://rm.coe.int/mi-turkey-eng/1680a23cae#page=1&zoom=auto,-275,848 , Zugriff
22.2.2022
•DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 22.2.2022
•KTVU - Keep The Volume Up - For Human Rights Defenders (20.9.2021): Zana Aksu, https: //www.sessizkalma.org/en/defender/zana-aksu/, Zugriff 30.3.2022
•MFA-NL - The Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands (11.7.2019): Thematic Country of Origin Information Report Turkey: Military service, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/do cumenten/ambtsberichten/2019/07/11/thematisch-ambtsbericht-dienstplicht-turkije-juli-2019/EN +Tab+Turkije+dienstplicht+4+juli+2019+zonder+vertrouwelijke+bronnen.pdf, Zugriff 22.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft-Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 7.2.2022
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 20.09.2022
Das Jahr 2021 war durch eine weitere Verschlechterung der Menschenrechtslage und der Grundfreiheiten in der Türkei gekennzeichnet. Weitreichende Beschränkungen für die Tätigkeit von Journalisten, Schriftstellern, Rechtsanwälten, Akademikern, Menschenrechtsverteidigern und kritischen Stimmen wirkten sich weiterhin negativ auf die Ausübung ihrer Freiheiten aus und führten zu Selbstzensur. Die Weigerung der Türkei, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umzusetzen, insbesondere in den Fällen Selahattin Demirta§ und Osman Kavala, verstärkte die Bedenken hinsichtlich der Einhaltung internationaler und europäischer Standards durch die Justiz. Die Verbreitung oppositioneller Stimmen und das Recht auf freie Meinungsäußerung wurden durch den zunehmenden Druck und die restriktiven Maßnahmen negativ beeinflusst. Es kam zu Rückschritten im Bereich der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit angesichts wiederholter Verbote, unverhältnismäßiger Eingriffe und übermäßiger Gewaltanwendung bei friedlichen Demonstrationen, Ermittlungen, Bußgeldern und strafrechtlicher Verfolgung von Demonstranten unter dem Vorwurf terroristischer Aktivitäten (EU 30.3.2022 S. 16f.; vgl. AI 29.3.2022). Der durch den Ausnahmezustand verursachte Schaden in Bezug auf die Grundrechte und die damit zusammenhängenden, verabschiedeten Rechtsvorschriften wurde nicht behoben. Es kam nebst den bereits genannten Rückschritten, überdies zu solchen in Bezug auf das Recht auf ein faires Verfahren und die Wahrung von Verfahrensrechten sowie der Verletzung des Rechts auf Freiheit von Misshandlung und Folter, insbesondere in Gefängnissen (EC 19.10.2021, S. 18, 21, 28, 31, 36, 40). Viele Menschenrechtsverletzungen werden zudem nicht geahndet und die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen (ÖB 30.11.2021 S. 30). Der Aktionsraum für die Zivilgesellschaft wird eingeschränkt (EP 21.1.2021; vgl. EC 19.10.2021, S. 4, 13, AI 29.3.2022). Sie „und ihre Organisationen sind bei ihren Tätigkeiten anhaltendem Druck ausgesetzt und arbeiten in einem zunehmend schwierigen Umfeld" (EU-Rat 14.12.2021, S. 16, Pt.34). Menschenrechtsverteidiger sehen sich zunehmendem Druck durch Einschüchterung, gerichtliche Verfolgung, gewalttätige Angriffe, Drohungen, Überwachung, längere willkürliche Inhaftierung und Misshandlung ausgesetzt (EC 19.10.2021, S. 29f). Besorgniserregend ist laut Menschenrechtskommissarin des Europarates der zunehmend virulente und negative politische Diskurs, Menschenrechtsverteidiger als Terroristen ins Visier zu nehmen und als solche zu bezeichnen, was häufig zu voreingenommenen Maßnahmen der Verwaltungsbehörden und der Justiz führt (CoE-CommDH 19.2.2020). Daraus schlussfolgernd bekräftigte der Rat der Europäischen Union Mitte Dezember 2021, dass der systembedingte Mangel an Unabhängigkeit und der unzulässige Druck auf die Justiz nicht hingenommen werden können, genauso wenig wie die anhaltenden Restriktionen, Festnahmen, Inhaftierungen und sonstigen Maßnahmen, die sich gegen Journalisten, Akademiker, Mitglieder politischer Parteien - auch Parlamentsabgeordnete -, Anwälte, Menschenrechtsverteidiger, Nutzer von sozialen Medien und andere Personen, die ihre Grundrechte und Freiheiten ausüben, richten (EU-Rat 14.12.2021 S. 16, Pt.34). Zuletzt zeigte sich Anfang Mai 2022 das Europäische Parlament „zutiefst besorgt über die anhaltende Verschlechterung der Grundrechte und Grundfreiheiten sowie der Lage der Rechtsstaatlichkeit“ und „fordert[e] die Staatsorgane der Türkei auf, der gerichtlichen Schikanierung von Menschenrechtsverteidigern, Wissenschaftlern, Journalisten, geistlichen Führern und Rechtsanwälten ein Ende zu setzen“ (EP 5.5.2022, Pt.4).Das Jahr 2021 war durch eine weitere Verschlechterung der Menschenrechtslage und der Grundfreiheiten in der Türkei gekennzeichnet. Weitreichende Beschränkungen für die Tätigkeit von Journalisten, Schriftstellern, Rechtsanwälten, Akademikern, Menschenrechtsverteidigern und kritischen Stimmen wirkten sich weiterhin negativ auf die Ausübung ihrer Freiheiten aus und führten zu Selbstzensur. Die Weigerung der Türkei, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umzusetzen, insbesondere in den Fällen Selahattin Demirta§ und Osman Kavala, verstärkte die Bedenken hinsichtlich der Einhaltung internationaler und europäischer Standards durch die Justiz. Die Verbreitung oppositioneller Stimmen und das Recht auf freie Meinungsäußerung wurden durch den zunehmenden Druck und die restriktiven Maßnahmen negativ beeinflusst. Es kam zu Rückschritten im Bereich der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit angesichts wiederholter Verbote, unverhältnismäßiger Eingriffe und übermäßiger Gewaltanwendung bei friedlichen Demonstrationen, Ermittlungen, Bußgeldern und strafrechtlicher Verfolgung von Demonstranten unter dem Vorwurf terroristischer Aktivitäten (EU 30.3.2022 S. 16f.; vergleiche AI 29.3.2022). Der durch den Ausnahmezustand verursachte Schaden in Bezug auf die Grundrechte und die damit zusammenhängenden, verabschiedeten Rechtsvorschriften wurde nicht behoben. Es kam nebst den bereits genannten Rückschritten, überdies zu solchen in Bezug auf das Recht auf ein faires Verfahren und die Wahrung von Verfahrensrechten sowie der Verletzung des Rechts auf Freiheit von Misshandlung und Folter, insbesondere in Gefängnissen (EC 19.10.2021, S. 18, 21, 28, 31, 36, 40). Viele Menschenrechtsverletzungen werden zudem nicht geahndet und die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen (ÖB 30.11.2021 S. 30). Der Aktionsraum für die Zivilgesellschaft wird eingeschränkt (EP 21.1.2021; vergleiche EC 19.10.2021, S. 4, 13, AI 29.3.2022). Sie „und ihre Organisationen sind bei ihren Tätigkeiten anhaltendem Druck ausgesetzt und arbeiten in einem zunehmend schwierigen Umfeld" (EU-Rat 14.12.2021, S. 16, Pt.34). Menschenrechtsverteidiger sehen sich zunehmendem Druck durch Einschüchterung, gerichtliche Verfolgung, gewalttätige Angriffe, Drohungen, Überwachung, längere willkürliche Inhaftierung und Misshandlung ausgesetzt (EC 19.10.2021, S. 29f). Besorgniserregend ist laut Menschenrechtskommissarin des Europarates der zunehmend virulente und negative politische Diskurs, Menschenrechtsverteidiger als Terroristen ins Visier zu nehmen und als solche zu bezeichnen, was häufig zu voreingenommenen Maßnahmen der Verwaltungsbehörden und der Justiz führt (CoE-CommDH 19.2.2020). Daraus schlussfolgernd bekräftigte der Rat der Europäischen Union Mitte Dezember 2021, dass der systembedingte Mangel an Unabhängigkeit und der unzulässige Druck auf die Justiz nicht hingenommen werden können, genauso wenig wie die anhaltenden Restriktionen, Festnahmen, Inhaftierungen und sonstigen Maßnahmen, die sich gegen Journalisten, Akademiker, Mitglieder politischer Parteien - auch Parlamentsabgeordnete -, Anwälte, Menschenrechtsverteidiger, Nutzer von sozialen Medien und andere Personen, die ihre Grundrechte und Freiheiten ausüben, richten (EU-Rat 14.12.2021 S. 16, Pt.34). Zuletzt zeigte sich Anfang Mai 2022 das Europäische Parlament „zutiefst besorgt über die anhaltende Verschlechterung der Grundrechte und Grundfreiheiten sowie der Lage der Rechtsstaatlichkeit“ und „fordert[e] die Staatsorgane der Türkei auf, der gerichtlichen Schikanierung von Menschenrechtsverteidigern, Wissenschaftlern, Journalisten, geistlichen Führern und Rechtsanwälten ein Ende zu setzen“ (EP 5.5.2022, Pt.4).
Regierungsmitglieder haben Mitglieder sexueller Minderheiten offen mit homophoben Äußerungen angegriffen. Vor dem Hintergrund einer zunehmend flüchtlingsfeindlichen Rhetorik haben tätliche Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten zugenommen (AI 29.3.2022). Entführungen und gewaltsames Verschwinden von Personen werden weiterhin gemeldet aber nicht ordnungsgemäß untersucht. Hiervon sind vor allem mutmaßliche Mitglieder der Gülenbewegung betroffen (HRW 13.1.2022; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 31).Regierungsmitglieder haben Mitglieder sexueller Minderheiten offen mit homophoben Äußerungen angegriffen. Vor dem Hintergrund einer zunehmend flüchtlingsfeindlichen Rhetorik haben tätliche Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten zugenommen (AI 29.3.2022). Entführungen und gewaltsames Verschwinden von Personen werden weiterhin gemeldet aber nicht ordnungsgemäß untersucht. Hiervon sind vor allem mutmaßliche Mitglieder der Gülenbewegung betroffen (HRW 13.1.2022; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 31).
Die Menschenrechtslage von Minderheiten jeglicher Art sowie von Frauen und Kindern drückt sich in der Forderung des Europäischen Parlaments vom Mai 2021 an die türkische Regierung aus, wonach „die Rechte von Minderheiten und besonders gefährdeten Gruppen wie etwa Frauen und Kinder, LGBTI-Personen, Flüchtlinge, ethnische Minderheiten wie Roma, türkische Bürger griechischer und armenischer Herkunft und religiöse Minderheiten wie Christen zu schützen [sind]; [das EP] fordert die Türkei daher auf, dringend umfassende Gesetze zur Bekämpfung der Diskriminierung, einschließlich des Verbots der Diskriminierung wegen ethnischen Herkunft, Religion, Sprache, Staatsangehörigkeit, sexueller Ausrichtung und Geschlechtsidentität, zu verabschieden und Maßnahmen gegen Rassismus, Homophobie und Transphobie zu treffen“ (EP 19.5.2021 S. 17, Pt.45).
Zentrale Rechtfertigung für die Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte bleibt der Kampf gegen den Terrorismus. In der Praxis sind die meisten Einschränkungen der Grundrechte auf den weit ausgelegten Terrorismusbegriff in der Anti-Terror-Gesetzgebung sowie einzelne Artikel des türkischen StGB (z. B. Art. 301 - Verunglimpfung/Herabsetzung des türkischen Staates und seiner Institutionen; Art. 299 - Beleidigung des Staatsoberhauptes) zurückzuführen. Diese Bestimmungen werden extensiv herangezogen (ÖB 30.11.2021, S. 30) und die missbräuchliche Verwendung von Terrorismusvorwürfen im großen Umfang hält an. Neben Tausenden Personen, gegen die wegen Terrorismusvorwürfen ermittelt wird, da sie vermeintlich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung stehen [siehe Kapitel Gülen- oder Hizmet-Bewegung], befinden sich, nachdem keine neuen Zahlen veröffentlicht wurden, schätzungsweise mindestens 8.500 Personen - darunter gewählte Politiker und Journalisten - wegen angeblicher Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) entweder in Untersuchungshaft oder nach einer Verurteilung in Haft (HRW 13.1.2021).Zentrale Rechtfertigung für die Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte bleibt der Kampf gegen den Terrorismus. In der Praxis sind die meisten Einschränkungen der Grundrechte auf den weit ausgelegten Terrorismusbegriff in der Anti-Terror-Gesetzgebung sowie einzelne Artikel des türkischen StGB (z. B. Artikel 301, - Verunglimpfung/Herabsetzung des türkischen Staates und seiner Institutionen; Artikel 299, - Beleidigung des Staatsoberhauptes) zurückzuführen. Diese Bestimmungen werden extensiv herangezogen (ÖB 30.11.2021, S. 30) und die missbräuchliche Verwendung von Terrorismusvorwürfen im großen Umfang hält an. Neben Tausenden Personen, gegen die wegen Terrorismusvorwürfen ermittelt wird, da sie vermeintlich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung stehen [siehe Kapitel Gülen- oder Hizmet-Bewegung], befinden sich, nachdem keine neuen Zahlen veröffentlicht wurden, schätzungsweise mindestens 8.500 Personen - darunter gewählte Politiker und Journalisten - wegen angeblicher Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) entweder in Untersuchungshaft oder nach einer Verurteilung in Haft (HRW 13.1.2021).
Der Rechtsrahmen umfasst zwar allgemeine Garantien für die Achtung der Menschen- und Grundrechte, aber die Gesetzgebung und die Praxis müssen noch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Einklang gebracht werden (EC 19.10.2021, S. 5). Obgleich die
EMRK aufgrund Art. 90 der Verfassung gegenüber nationalem Recht vorrangig und direkt anwendbar ist, werden Konvention und Rechtsprechung des EGMR bislang von der innerstaatlichen Justiz nicht vollumfänglich berücksichtigt (AA 28.7.2022, S. 16), denn mehrere gesetzliche Bestimmungen verhindern nach wie vor den umfassenden Zugang zu den Menschenrechten und Grundfreiheiten, die in der Verfassung und in den internationalen Verpflichtungen des Landes verankert sind (EC 6.10.2020, S. 10).EMRK aufgrund Artikel 90, der Verfassung gegenüber nationalem Recht vorrangig und direkt anwendbar ist, werden Konvention und Rechtsprechung des EGMR bislang von der innerstaatlichen Justiz nicht vollumfänglich berücksichtigt (AA 28.7.2022, S. 16), denn mehrere gesetzliche Bestimmungen verhindern nach wie vor den umfassenden Zugang zu den Menschenrechten und Grundfreiheiten, die in der Verfassung und in den internationalen Verpflichtungen des Landes verankert sind (EC 6.10.2020, S. 10).
Auch das Verfassungsgericht ist in letzter Zeit in Einzelfällen von seiner menschenrechtsfreundlichen Urteilspraxis abgewichen (AA 24.8.2020; S. 20). Wiederholt befasste sich das Ministerkomitee des Europarats aufgrund nicht umgesetzter Urteile mit der Türkei. Zuletzt sorgte die Weigerung der Türkei, die EGMR-Urteile in den Fällen des HDP-Politikers Selahattin Demirta§ (1. Instanz: November 2018; rechtskräftig: Dezember 2020) sowie des Mäzens Osman Kavala (1. Instanz: Dezember 2019; rechtskräftig: Mai 2020) für Kritik. In beiden Fällen wurde ein Verstoß gegen Art. 18 EMRK festgestellt und die Freilassung gefordert (AA 28.7.2022, S.16). Die Türkei entzieht sich der Umsetzung dieser Urteile entweder durch Verurteilung in einem anderen Verfahren (Demirta§) oder durch Aufnahme eines weiteren Verfahrens (Kavala). Das Ministerkomitee des Europarates forderte die Türkei im März 2021 zur Umsetzung der beiden EGMR-Urteile auf (AA 3.6.2021; S. 16f). Der Europarat setzte der Türkei im Dezember 2021 eine Frist, Kavala bis 19.1.2022 freizulassen oder eine Begründung für seine Inhaftierung vorzulegen. Ein Gericht in Istanbul lehnte dem zum Trotz die Enthaftung Kavalas ab (DW 17.1.2022). Nachdem das Ministerkomitee des Europarats im Dezember 2021 die Türkei förmlich von seiner Absicht in Kenntnis gesetzt hatte, den EGMR mit der Frage zu befassen (CoE 3.12.2021), verwies dieses nach andauernder Weigerung der Türkei der Freilassung Kavalas nachzukommen, den Fall Anfang Februar 2022 tatsächlich an den EGMR, um festzustellen, ob die Türkei ihrer Verpflichtung zur Umsetzung des Urteils des Gerichtshofs nicht nachgekommen sei, wie es in Artikel 46.4 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgesehen ist (CoE 3.2.2022). Schlussendlich wurde Kavala am 25.4.2022 im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 wegen „Umsturzversuches“ zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. Neben Kavala wurden sieben weitere Angeklagte wegen Beihilfe zum Umsturzversuch zu 18 Jahren Haft verurteilt (FR 25.4.2022; vgl. DW 25.4.2022). Weil die Türkei das Urteil des EGMR aus dem Jahr 2019 zur sofortigen Freilassung Kavalas jedoch missachtet hatte, verurteilte der EGMR Mitte Juli 2022 die Türkei zu einer Geldstrafe von 7.500 Euro, zu zahlen an Kavala, und das vom Ministerkomitee des Europarates im Dezember 2021 eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren läuft weiter (DW 11.7.2022).Auch das Verfassungsgericht ist in letzter Zeit in Einzelfällen von seiner menschenrechtsfreundlichen Urteilspraxis abgewichen (AA 24.8.2020; S. 20). Wiederholt befasste sich das Ministerkomitee des Europarats aufgrund nicht umgesetzter Urteile mit der Türkei. Zuletzt sorgte die Weigerung der Türkei, die EGMR-Urteile in den Fällen des HDP-Politikers Selahattin Demirta§ (1. Instanz: November 2018; rechtskräftig: Dezember 2020) sowie des Mäzens Osman Kavala (1. Instanz: Dezember 2019; rechtskräftig: Mai 2020) für Kritik. In beiden Fällen wurde ein Verstoß gegen Artikel 18, EMRK festgestellt und die Freilassung gefordert (AA 28.7.2022, S.16). Die Türkei entzieht sich der Umsetzung dieser Urteile entweder durch Verurteilung in einem anderen Verfahren (Demirta§) oder durch Aufnahme eines weiteren Verfahrens (Kavala). Das Ministerkomitee des Europarates forderte die Türkei im März 2021 zur Umsetzung der beiden EGMR-Urteile auf (AA 3.6.2021; S. 16f). Der Europarat setzte der Türkei im Dezember 2021 eine Frist, Kavala bis 19.1.2022 freizulassen oder eine Begründung für seine Inhaftierung vorzulegen. Ein Gericht in Istanbul lehnte dem zum Trotz die Enthaftung Kavalas ab (DW 17.1.2022). Nachdem das Ministerkomitee des Europarats im Dezember 2021 die Türkei förmlich von seiner Absicht in Kenntnis gesetzt hatte, den EGMR mit der Frage zu befassen (CoE 3.12.2021), verwies dieses nach andauernder Weigerung der Türkei der Freilassung Kavalas nachzukommen, den Fall Anfang Februar 2022 tatsächlich an den EGMR, um festzustellen, ob die Türkei ihrer Verpflichtung zur Umsetzung des Urteils des Gerichtshofs nicht nachgekommen sei, wie es in Artikel 46.4 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgesehen ist (CoE 3.2.2022). Schlussendlich wurde Kavala am 25.4.2022 im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 wegen „Umsturzversuches“ zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. Neben Kavala wurden sieben weitere Angeklagte wegen Beihilfe zum Umsturzversuch zu 18 Jahren Haft verurteilt (FR 25.4.2022; vergleiche DW 25.4.2022). Weil die Türkei das Urteil des EGMR aus dem Jahr 2019 zur sofortigen Freilassung Kavalas jedoch missachtet hatte, verurteilte der EGMR Mitte Juli 2022 die Türkei zu einer Geldstrafe von 7.500 Euro, zu zahlen an Kavala, und das vom Ministerkomitee des Europarates im Dezember 2021 eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren läuft weiter (DW 11.7.2022).
Anfang Juli 2022 hat das türkische Verfassungsgericht den Antrag im Zusammenhang mit dem Tod mehrerer Menschen abgelehnt, die während der 2015 und 2016 verhängten Ausgangssperren im Bezirk Cizre in der mehrheitlich kurdisch bewohnten südöstlichen Provinz §irnak ums Leben kamen. Das Verfassungsgericht erklärte, dass Artikel 17 der Verfassung über das „Recht auf Leben“ nicht verletzt worden sei. Die Betroffenen werden vor den EGMR ziehen (Duvar 8.7.2022). Mit Stand 30.11.2021 waren 14.950 Verfahren beim EGMR aus der Türkei, das waren 21,4 % aller am EGMR anhängigen Fälle (ECHR 30.11.2021), was neuerlich eine Steigerung zum Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutete, als mit Stand 30.11.2020 11.150 Verfahren aus der Türkei, das waren damals 18,1 % aller am EGMR anhängigen Fälle, stammten (ECHR 30.11.2020). Im Jahr 2020 stellte der EGMR in 97 Fällen (von 104) Verletzungen der EMRK fest (EC 19.10.2021, S. 28). Hiervon betrafen 31 Urteile das Recht auf freie Meinungsäußerung, 21 Urteile das Recht auf ein faires Verfahren und 16 das Recht auf Freiheit und Sicherheit (ECHR 17.2.2021).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.7.2022.pdf, Zugriff am 25.8.2022
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.6.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: April 2021), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2053305/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_April_2021%29%2C_03.06.2 021.pdf, Zugriff am 28.2.2022
•AA-Auswärtiges Amt [Deutschaland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/DeutschlandA
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•AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Türkei 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070315.html , Zugriff 30.3.2022
•CoE - Council of Europe (3.2.2022): Committee of Ministers refers Kavala v. Turkey case to the European Court of Human Rights, https://www.coe.int/en/web/portal/-/committee-of-ministers-ref ers-kavala-v-turkey-case-to-the-european-court-of-human-rights , 28.2.2022
•CoE - Council of Europe (3.12.2021): Implementing ECHR judgments: Council of Europe ministers serve formal notice on Turkey in the Kavala case [Ref. DC 224(2021)], https://search.coe.int/cm/ Pages/result_details.aspx?0bjectId=0900001680a4c19d , Zugriff 21.1.2022
•CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Commissioner for human rights of the Council of Europe Dunja Mijatovic (19.2.2020): Report following her visit to Turkey from 1 to 5 July 2019 [CommDH(2020)1], https://www.ecoi.net/en/file/local/2024837/CommDH% 282020%291+-++Report+on+Turkey_EN.docx.pdf, Zugriff 28.2.2022
•Duvar (8.7.2022): Top Turkish court finds no rights violation in death of Cizre curfew victims, https: //www.duvarenglish.com/top-turkish-court-finds-no-rights-violation-in-death-of-cizre-curfew-victi ms-news-61010 , Zugriff 11.8.2022
•DW - Deutsche Welle (11.7.2022):Europäischer Gerichtshof verurteilt Türkei wegen Haft von Os- man Kavala, https://www.dw.com/de/europ%C3%A4ischer-gerichtshof-verurteilt-t%C3%BCrkei-w egen-haft-von-osman-kavala/a-62437290 , Zugriff 11.8.2022
•DW - Deutsche Welle (25.4.2022): Türkischer Kulturförderer Osman Kavala zu lebenslanger Haft verurteilt, https://www.dw.com/de/t%C3%BCrkischer-kulturf%C3%B6rderer-osman-kavala-zu-leb enslanger-haft-verurteilt/a-59870684 , Zugriff 26.4.2022
•DW - Deutsche Welle (17.1.2022): Türkei ignoriert Frist zur Freilassung von Kavala, https://ww w.dw.com/de/t%C3%BCrkei-ignoriert-frist-zur-freilassung-von-kavala/a-60455412 , Zugriff 21.1.2022
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•EC - European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 28.2.2022
•ECHR - European Court of Human Rights (30.11.2021): Pending Applications Allocated To A Judicial Formation 30/11/2021, https://www.echr.coe.int/Documents/Stats_pending_month_2021_ BIL.PDF , Zugriff 21.1.2022
•ECHR - European Court of Human Rights (17.2.2021): Violations by Article and by State, https: //www.echr.coe.int/Documents/Stats_violation_2020_ENG.pdf, Zugriff 21.1.2022
•ECHR - European Court of Human Rights (30.11.2020): Pending Applications Allocated To A Judicial Formation 30/11/2020, https://www.echr.coe.int/Documents/Stats_pending_month_2020_ BIL.PDF , Zugriff 21.1.2022
•EP - Europäisches Parlament (5.5.2022): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. Mai 2022 zu dem Fall von Osman Kavala in der Türkei (2022/2656(RSP)), https://www.europarl.europ a.eu/doceo/document/TA-9-2022-0199_DE.pdf, Zugriff 6.5.2022
•EP - Europäisches Parlament (19.5.2021): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Mai 2021 zu den Berichten 2019-2020 der Kommission über die Türkei, https://www.europarl.eur opa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0243_DE.pdf, Zugriff 28.2.2022
•EP - European Parliament (21.1.2021): Human rights situation in Turkey, in particular the case of Selahattin Demirta§ and other prisoners of conscience [(2021/2506(RSP)], https://www.europarl.e uropa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0028_EN.pdf, Zugriff 28.2.2022
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•FR - Frankfurter Rundschau (25.4.2022): Türkei: Lebenslange Haft für Kulturförderer Kavala, https: //www.fr.de/politik/tuerkei-lebenslange-haft-fuer-kulturfoerderer-kavala-zr-91500881.html , Zugriff 26.4.2022
•HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/do kument/2066478.html , Zugriff 7.2.2022
•HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/do kument/2043511.html , Zugriff 7.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft-Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 7.2.2022
Meinungs- und Pressefreiheit / Internet
Letzte Änderung: 20.09.2022
Medien- und Pressefreiheit
Alle großen landesweiten Nachrichtenagenturen stehen der Regierungspartei nahe. 90 % der türkischen Medien (Print, Rundfunk, Fernsehen) sind personell und/oder finanziell mit der Regierungspartei AKP verbunden. Die restlichen 10 % werden finanziell ausgehungert, indem ihnen staatliche Werbeanzeigen entzogen werden (AA 28.7.2022, S. 9; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 33, USDOS 12.4.2022, S. 31, FH 28.2.2022, D1). Die Mainstream-Medien, insbesondere die Fernsehsender, spiegeln die Positionen der Regierung wider und bringen routinemäßig identische Schlagzeilen. Obwohl einige unabhängige Zeitungen und Websites weiterhin tätig sind, stehen sie unter enormen politischen Druck, werden routinemäßig strafrechtlich verfolgt (FH 28.2.2022 D1; vgl. HRW 13.1.2022, BS 23.2.2022, S. 10) oder deren Inhalte werden entfernt. Dies gilt insbesondere bei Nachrichten, die sich kritisch über hochrangige Regierungsmitglieder und Mitglieder der Familie von Präsident Erdogan äußern, oder die nach dem äußerst restriktiven Anti-Terror-Gesetz als strafbar gelten (HRW 13.1.2022). Der Druck auf Journalisten dauert an. Sie sehen sich Einschüchterungen, Festnahmen, Anklagen und Entlassungen ausgesetzt. Auch werden immer wieder gewaltsame Übergriffe gegen Journalisten verzeichnet, welche jedoch oftmals nicht geahndet werden (ÖB 30.11.2021, S. 33; vgl. BS 23.2.2022; S. 10, USDOS 12.4.2022, S. 31f.).Alle großen landesweiten Nachrichtenagenturen stehen der Regierungspartei nahe. 90 % der türkischen Medien (Print, Rundfunk, Fernsehen) sind personell und/oder finanziell mit der Regierungspartei AKP verbunden. Die restlichen 10 % werden finanziell ausgehungert, indem ihnen staatliche Werbeanzeigen entzogen werden (AA 28.7.2022, S. 9; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 33, USDOS 12.4.2022, S. 31, FH 28.2.2022, D1). Die Mainstream-Medien, insbesondere die Fernsehsender, spiegeln die Positionen der Regierung wider und bringen routinemäßig identische Schlagzeilen. Obwohl einige unabhängige Zeitungen und Websites weiterhin tätig sind, stehen sie unter enormen politischen Druck, werden routinemäßig strafrechtlich verfolgt (FH 28.2.2022 D1; vergleiche HRW 13.1.2022, BS 23.2.2022, S. 10) oder deren Inhalte werden entfernt. Dies gilt insbesondere bei Nachrichten, die sich kritisch über hochrangige Regierungsmitglieder und Mitglieder der Familie von Präsident Erdogan äußern, oder die nach dem äußerst restriktiven Anti-Terror-Gesetz als strafbar gelten (HRW 13.1.2022). Der Druck auf Journalisten dauert an. Sie sehen sich Einschüchterungen, Festnahmen, Anklagen und Entlassungen ausgesetzt. Auch werden immer wieder gewaltsame Übergriffe gegen Journalisten verzeichnet, welche jedoch oftmals nicht geahndet werden (ÖB 30.11.2021, S. 33; vergleiche BS 23.2.2022; S. 10, USDOS 12.4.2022, S. 31f.).
Der Oberste Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK), eine Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk, wurde zu einem Überwachungs- und Kontrollinstrument umfunktioniert. Lizenzen und Genehmigungen, die von Medien beantragt werden, müssen vom RTÜK abgesegnet werden (DW 4.5.2021). Die Mitglieder des RTÜK werden vom Parlament ernannt und sind fast ausschließlich Mitglieder der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) oder ihres politischen Verbündeten, der ultra-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) (FH 3.3.2021). Das Europäische Parlament zeigte sich 2021 „zutiefst besorgt über die mangelnde Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von öffentlichen Einrichtungen wie dem Obersten Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK) und der staatlichen Werbeagentur (BiK), die als Instrument benutzt werden, um als regierungskritisch geltende Medien willkürlich auszusetzen, zu verbieten, mit Geldstrafen zu belegen oder durch die Auferlegung finanzieller Bürden in ihrer Arbeit zu behindern, was ihr eine fast vollständige Kontrolle der Massenmedien ermöglicht“ (EP 19.5.2021,
S. 12, Pt. 27; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 33).S. 12, Pt. 27; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 33).
Im Juni 2022 forderte das EP den Vorsitzenden des RTÜK auf, „die übermäßige Verhängung von Geldbußen und Sendeverboten, mit denen die legitime Meinungsfreiheit von Journalisten und Rundfunksender aus der Türkei eingeschränkt wird, einzustellen“ (EP 7.6.2022, S. 11, Pt. 14). Beispielsweise belegte der RTÜK Ende Mai 2022 vier Fernsehsender (Tele1, KRT, Flash und Halk TV) mit einer Geldstrafe im Ausmaß von 3 % ihrer Jahreseinnahmen, weil sie die Rede des Vorsitzenden der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kiligdaroglu, ausgestrahlt hatten, in der er behauptete, Präsident Erdogan bereite sich darauf vor, im Falle einer Wahlniederlage mit seinen Familienangehörigen aus der Türkei zu fliehen (Duvar 30.5.2022). Der Pressewerberat (BiK), der staatliche Werbeaufträge vergibt, und die Präsidialdirektion für Kommunikation (CIB), die Presseausweise ausstellt, wenden eindeutig diskriminierende Praktiken an, um die Medienkritiker des Regimes zu marginalisieren und zu kriminalisieren (RSF 4.2021). Von Dezember 2018 bis Dezember 2020 wurden z. B. 1.239 Pressekarten türkischer Journalisten annulliert. Ausländische Journalisten, die jährlich eine neue Pressekarte beantragen müssen, warten zum Teil mehrere Monate auf deren Ausstellung (ÖB 30.11.2021, S. 34).
Das Verfassungsgericht, allerdings, das mehrere Klagen der Zeitungen Sözcü, Cumhuriyet, Bir- Gün und Evrensel bewertete, entschied in seinem Piloturteil vom August 2022, dass die von der öffentlichen Werbeagentur (BiK) verhängten Strafen gegen die Meinungs- und Pressefreiheit verstoßen. Den betroffenen Zeitungen müssen jeweils 10.000 Lira [ca. 550 Euro] Entschädigung gezahlt werden. Das Verfassungsgericht stellte zudem fest, dass die Verhängung von Geldstrafen für Werbung durch erstinstanzliche Gerichte ein systematisches Problem darstelle, und forderte infolgedessen das Parlament auf, sich mit dem entsprechenden Gesetzesartikel zu befassen, um dieses grundlegende Problem zu lösen (EI 13.8.2022). Die unverhältnismäßige Umsetzung der restriktiven Maßnahmen wirkt sich weiterhin negativ auf die freie Meinungsäußerung und die Verbreitung der Stimmen der Opposition aus. Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung, insbesondere die Bestimmungen zur nationalen Sicherheit und zur Terrorismusbekämpfung, verstoßen nach wie vor gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und andere internationale Standards und weichen von der Rechtsprechung des EGMR ab. Strafverfahren und Verurteilungen von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern, Anwälten, Schriftstellern und Nutzern sozialer Medien finden weiterhin statt (EC 19.10.2021, S.5, 32; vgl. PACE 3.1.2020). Die Staatsanwälte klagen Journalisten am häufigsten wegen terroristischer Verbindungen oder Aktivitäten an (USDOS 12.4.2022, S.31). Laut einer Umfrage von MetroPOLL im Juli 2020 betrachteten 62% die Medien des Landes als „nicht frei" (USDOS 30.3.2021, S.28f.). Die Türkei verbesserte sich im World Press Freedom Index 2022 im Vergleich zum Vorjahr [1. Rang = bester Rang] relativ innerhalb der Rangordnung der angeführten 180 Länder um vier Plätze, von Rang 153 auf 149. Allerdings verschlechterte sich der absolute Wert von 50,21 auf 41,25 [100 ist der beste, statistisch zu erreichende Wert] (RSF 3.5.2022).Das Verfassungsgericht, allerdings, das mehrere Klagen der Zeitungen Sözcü, Cumhuriyet, Bir- Gün und Evrensel bewertete, entschied in seinem Piloturteil vom August 2022, dass die von der öffentlichen Werbeagentur (BiK) verhängten Strafen gegen die Meinungs- und Pressefreiheit verstoßen. Den betroffenen Zeitungen müssen jeweils 10.000 Lira [ca. 550 Euro] Entschädigung gezahlt werden. Das Verfassungsgericht stellte zudem fest, dass die Verhängung von Geldstrafen für Werbung durch erstinstanzliche Gerichte ein systematisches Problem darstelle, und forderte infolgedessen das Parlament auf, sich mit dem entsprechenden Gesetzesartikel zu befassen, um dieses grundlegende Problem zu lösen (EI 13.8.2022). Die unverhältnismäßige Umsetzung der restriktiven Maßnahmen wirkt sich weiterhin negativ auf die freie Meinungsäußerung und die Verbreitung der Stimmen der Opposition aus. Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung, insbesondere die Bestimmungen zur nationalen Sicherheit und zur Terrorismusbekämpfung, verstoßen nach wie vor gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und andere internationale Standards und weichen von der Rechtsprechung des EGMR ab. Strafverfahren und Verurteilungen von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern, Anwälten, Schriftstellern und Nutzern sozialer Medien finden weiterhin statt (EC 19.10.2021, S.5, 32; vergleiche PACE 3.1.2020). Die Staatsanwälte klagen Journalisten am häufigsten wegen terroristischer Verbindungen oder Aktivitäten an (USDOS 12.4.2022, S.31). Laut einer Umfrage von MetroPOLL im Juli 2020 betrachteten 62% die Medien des Landes als „nicht frei" (USDOS 30.3.2021, S.28f.). Die Türkei verbesserte sich im World Press Freedom Index 2022 im Vergleich zum Vorjahr [1. Rang = bester Rang] relativ innerhalb der Rangordnung der angeführten 180 Länder um vier Plätze, von Rang 153 auf 149. Allerdings verschlechterte sich der absolute Wert von 50,21 auf 41,25 [100 ist der beste, statistisch zu erreichende Wert] (RSF 3.5.2022).
Der EGMR hat am 13.4.2021 im Sinne zweier prominenter Journalisten, Ahmet Altan und Murat Aksoy, entschieden, dass deren Inhaftierung unter anderem einen Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung, Freiheit und Sicherheit darstelle, und die Türkei beiden Männern eine Entschädigung zahlen müsse, denn in beiden Fällen habe es keine konkreten Beweise für die zur Last gelegten Straftaten gegeben (DW 13.4.2021; vgl. ECHR 13.4.2021). Das Gericht stellte im Falle Aksoy, der nach dem Putschversuch wegen angeblicher Verbindung zur Gülen-Bewe- gung bis 2017 - bzw. neuerlich bis Jänner 2019 - in Haft saß, fest, dass es keine plausiblen Gründe für die Inhaftierung gegeben hätte. Altan wurde hingegen wegen Unterstützung des Putschversuches zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach einem Freispruch durch das Oberste Berufungsgericht (Kassationsgericht) wurde er 2019 wegen „Unterstützung einer Terrorgruppe“ zu zehneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt (DW 13.4.2021; vgl. bianet 13.4.2021). Der EGMR stellte in seinem Urteil fest, dass kein „hinreichender Verdacht“ vorlag, dass Altan vom Putschversuch im Vorhinein wusste, weshalb dessen Inhaftierung unbegründet war (DW 13.4.2021; vgl. ECHR 13.4.2021). Bereits tags darauf, am 14.4.2021 wurde Altan freigelassen, da das Kassationsgericht die bestehende Verurteilung mit der Begründung aufhob, dass Artikel 220/7 des Strafgesetzbuches, der eine Strafminderung vorsieht, ignoriert wurde bzw. die bereits verbüßte Haft ausreiche (Duvar 14.4.2021; vgl. SDZ 14.4.2021). Zudem hätte es für die Altan zur Last gelegten Straftaten wie Terrorunterstützung keine Beweise gegeben (DW 14.4.2021).Der EGMR hat am 13.4.2021 im Sinne zweier prominenter Journalisten, Ahmet Altan und Murat Aksoy, entschieden, dass deren Inhaftierung unter anderem einen Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung, Freiheit und Sicherheit darstelle, und die Türkei beiden Männern eine Entschädigung zahlen müsse, denn in beiden Fällen habe es keine konkreten Beweise für die zur Last gelegten Straftaten gegeben (DW 13.4.2021; vergleiche ECHR 13.4.2021). Das Gericht stellte im Falle Aksoy, der nach dem Putschversuch wegen angeblicher Verbindung zur Gülen-Bewe- gung bis 2017 - bzw. neuerlich bis Jänner 2019 - in Haft saß, fest, dass es keine plausiblen Gründe für die Inhaftierung gegeben hätte. Altan wurde hingegen wegen Unterstützung des Putschversuches zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach einem Freispruch durch das Oberste Berufungsgericht (Kassationsgericht) wurde er 2019 wegen „Unterstützung einer Terrorgruppe“ zu zehneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt (DW 13.4.2021; vergleiche bianet 13.4.2021). Der EGMR stellte in seinem Urteil fest, dass kein „hinreichender Verdacht“ vorlag, dass Altan vom Putschversuch im Vorhinein wusste, weshalb dessen Inhaftierung unbegründet war (DW 13.4.2021; vergleiche ECHR 13.4.2021). Bereits tags darauf, am 14.4.2021 wurde Altan freigelassen, da das Kassationsgericht die bestehende Verurteilung mit der Begründung aufhob, dass Artikel 220/7 des Strafgesetzbuches, der eine Strafminderung vorsieht, ignoriert wurde bzw. die bereits verbüßte Haft ausreiche (Duvar 14.4.2021; vergleiche SDZ 14.4.2021). Zudem hätte es für die Altan zur Last gelegten Straftaten wie Terrorunterstützung keine Beweise gegeben (DW 14.4.2021).
Strafverfahren gegen Journalisten werden oft mit Beleidigung des Staatspräsidenten und der türkischen Nation, mit Terrorpropaganda oder „provokativen Inhalten“ begründet. Darüber hinaus gibt es Druck insbesondere gegen Journalistinnen und Journalisten, die etwa negativ über nationalistische Gruppieren recherchieren oder (AA 28.7.2022, S. 9) oder zu Korruption berichten (AA 28.7.2022, S. 9; vgl FH 28.2.2022, D1). Journalisten wurden auch wegen der Berichterstattung über Proteste strafrechtlich verfolgt (FH 28.2.2022, D1). Selbstzensur ist weit verbreitet aus Angst, dass die Kritik an der Regierung zu Vergeltungsmaßnahmen führen könnte (USDOS 12.4.2022, S. 30; vgl. BS 23.2.2022, S. 10). Journalisten und Medienmitarbeiter befinden sich in Untersuchungshaft oder verbüßen Strafen, da deren journalistische Tätigkeiten als terrorismusbezogene Vergehen gewertet wurden (HRW 13.1.2022; vgl. IPI 30.11.2020). - Human Rights Watch zählte Anfang 2022 58 Journalisten und Medienmitarbeiter, welche wegen ihrer journalistischen Arbeit in Untersuchungshaft waren oder Strafen wegen Terrorismusdelikten verbüßten (HRW 13.1.2022). - Hinzukommt meist ein Reiseverbot (IPI 30.11.2020). Journalisten, die für kurdische Medien in der Türkei arbeiten, werden weiterhin unverhältnismäßig stark ins Visier genommen. Eine kritische Berichterstattung aus dem Südosten des Landes ist stark eingeschränkt (HRW 14.1.2020). (Befristete) Publikationsverbote mit Verweis auf die „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ oder „Gefährdung der nationalen Einheit" treffen, mitunter wiederholt, vor allem kurdische Zeitungen oder solche des linken politischen Spektrums (AA 28.7.2022, S. 9). Mehr als ein Jahr vor dem Prozess im Gefängnis zu verbringen, ist die neue Norm, und lange Gefängnisstrafen sind üblich, in einigen Fällen bis zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit einer Begnadigung (RSF 2020). Beweise zur Rechtfertigung von Untersuchungshaft und terroristischer Anschuldigungen bestehen in erster Linie aus Produkten journalistischer Arbeit, einschließlich veröffentlichter Artikel und Fotos, Kontakten zu Quellen, Social Media-Posts oder TV-Auftritten (SCF 3.1.2022).Strafverfahren gegen Journalisten werden oft mit Beleidigung des Staatspräsidenten und der türkischen Nation, mit Terrorpropaganda oder „provokativen Inhalten“ begründet. Darüber hinaus gibt es Druck insbesondere gegen Journalistinnen und Journalisten, die etwa negativ über nationalistische Gruppieren recherchieren oder (AA 28.7.2022, S. 9) oder zu Korruption berichten (AA 28.7.2022, S. 9; vergleiche FH 28.2.2022, D1). Journalisten wurden auch wegen der Berichterstattung über Proteste strafrechtlich verfolgt (FH 28.2.2022, D1). Selbstzensur ist weit verbreitet aus Angst, dass die Kritik an der Regierung zu Vergeltungsmaßnahmen führen könnte (USDOS 12.4.2022, S. 30; vergleiche BS 23.2.2022, S. 10). Journalisten und Medienmitarbeiter befinden sich in Untersuchungshaft oder verbüßen Strafen, da deren journalistische Tätigkeiten als terrorismusbezogene Vergehen gewertet wurden (HRW 13.1.2022; vergleiche IPI 30.11.2020). - Human Rights Watch zählte Anfang 2022 58 Journalisten und Medienmitarbeiter, welche wegen ihrer journalistischen Arbeit in Untersuchungshaft waren oder Strafen wegen Terrorismusdelikten verbüßten (HRW 13.1.2022). - Hinzukommt meist ein Reiseverbot (IPI 30.11.2020). Journalisten, die für kurdische Medien in der Türkei arbeiten, werden weiterhin unverhältnismäßig stark ins Visier genommen. Eine kritische Berichterstattung aus dem Südosten des Landes ist stark eingeschränkt (HRW 14.1.2020). (Befristete) Publikationsverbote mit Verweis auf die „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ oder „Gefährdung der nationalen Einheit" treffen, mitunter wiederholt, vor allem kurdische Zeitungen oder solche des linken politischen Spektrums (AA 28.7.2022, S. 9). Mehr als ein Jahr vor dem Prozess im Gefängnis zu verbringen, ist die neue Norm, und lange Gefängnisstrafen sind üblich, in einigen Fällen bis zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit einer Begnadigung (RSF 2020). Beweise zur Rechtfertigung von Untersuchungshaft und terroristischer Anschuldigungen bestehen in erster Linie aus Produkten journalistischer Arbeit, einschließlich veröffentlichter Artikel und Fotos, Kontakten zu Quellen, Social Media-Posts oder TV-Auftritten (SCF 3.1.2022).
Journalisten, welche vormalige Aktionen der Regierung, die angeblich der Unterstützung des sogenannten Islamischen Staates dienten - z. B. Waffenlieferungen nach Syrien - oder Missstände bei den Sicherheitskräften untersuchen, werden systematisch der „Spionage“, der „terroristischen Propaganda“, der „Diffamierung“ des Justizsystems oder der Sicherheitskräfte oder sogar des „Angriffs auf einen Anti-Terror-Agenten“ beschuldigt (RSF 15.6.2021). Im Allgemeinen kann öffentliche Kritik an Themen, die für die Regierung sensibel sind, strafrechtlich verfolgt werden. Journalisten, die z. B. über die militärischen Aktivitäten der Türkei in Syrien oder Libyen berichteten, wurden einer Reihe von Verbrechen angeklagt, darunter Verstöße gegen das Geheimhaltungsgesetz oder das Schüren von Hass (IPI 30.11.2020). Auch die Kritik an der Wirtschaftspolitik kann zur Verhaftung führen. Am 12.12.2021 wurden drei Youtube-Journalisten in der türkischen Provinz Antalya verhaftet, nachdem sie Passanten auf der Straße zu deren Meinung zur Wirtschaftskrise in der Türkei interviewt hatten. Bei Razzien in ihren Wohnungen wurden Mobiltelefone und Computer beschlagnahmt. Den festgenommenen Personen wird vorgeworfen, „den Staat und die Regierung zu verunglimpfen“. Sie wurden zwischenzeitlich wieder freigelassen, jedoch unter Hausarrest gestellt (BAMF 20.12.2021, S. 12; vgl. Independent 13.12.2021).Journalisten, welche vormalige Aktionen der Regierung, die angeblich der Unterstützung des sogenannten Islamischen Staates dienten - z. B. Waffenlieferungen nach Syrien - oder Missstände bei den Sicherheitskräften untersuchen, werden systematisch der „Spionage“, der „terroristischen Propaganda“, der „Diffamierung“ des Justizsystems oder der Sicherheitskräfte oder sogar des „Angriffs auf einen Anti-Terror-Agenten“ beschuldigt (RSF 15.6.2021). Im Allgemeinen kann öffentliche Kritik an Themen, die für die Regierung sensibel sind, strafrechtlich verfolgt werden. Journalisten, die z. B. über die militärischen Aktivitäten der Türkei in Syrien oder Libyen berichteten, wurden einer Reihe von Verbrechen angeklagt, darunter Verstöße gegen das Geheimhaltungsgesetz oder das Schüren von Hass (IPI 30.11.2020). Auch die Kritik an der Wirtschaftspolitik kann zur Verhaftung führen. Am 12.12.2021 wurden drei Youtube-Journalisten in der türkischen Provinz Antalya verhaftet, nachdem sie Passanten auf der Straße zu deren Meinung zur Wirtschaftskrise in der Türkei interviewt hatten. Bei Razzien in ihren Wohnungen wurden Mobiltelefone und Computer beschlagnahmt. Den festgenommenen Personen wird vorgeworfen, „den Staat und die Regierung zu verunglimpfen“. Sie wurden zwischenzeitlich wieder freigelassen, jedoch unter Hausarrest gestellt (BAMF 20.12.2021, S. 12; vergleiche Independent 13.12.2021).
Am 8.4.2021 hob das türkische Verfassungsgericht einen Artikel eines Regierungsdekrets auf, das nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 erlassen wurde und zur Schließung von Dutzenden von Medienhäusern führte. Die Begründung hierfür und die anschließende Beschlagnahmung des Eigentums war die „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ (PACE 22.4.2021, S. 4; vgl. CCRT 8.4.2021, TM 8.4.2021). Unbenommen der rechtlich möglichen Einschränkungen der Grundfreiheiten während des Ausnahmezustandes sah das Verfassungsgericht infolge der Beendigung des Letzteren, die verfassungsmäßig garantierten grundlegenden Freiheiten ab diesem Zeitpunkt als verletzt an (CCRT 8.4.2021). Das Urteil könnte laut Aussagen von Juristen für mehr als zehn Medien positive rechtliche Konsequenzen haben, nicht jedoch für jene Medienhäuser, denen meist ein Naheverhältnis zur Gülen-Bewegung unterstellt wurde, die namentlich im Dekret genannt werden (TM 8.4.2021).Am 8.4.2021 hob das türkische Verfassungsgericht einen Artikel eines Regierungsdekrets auf, das nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 erlassen wurde und zur Schließung von Dutzenden von Medienhäusern führte. Die Begründung hierfür und die anschließende Beschlagnahmung des Eigentums war die „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ (PACE 22.4.2021, S. 4; vergleiche CCRT 8.4.2021, TM 8.4.2021). Unbenommen der rechtlich möglichen Einschränkungen der Grundfreiheiten während des Ausnahmezustandes sah das Verfassungsgericht infolge der Beendigung des Letzteren, die verfassungsmäßig garantierten grundlegenden Freiheiten ab diesem Zeitpunkt als verletzt an (CCRT 8.4.2021). Das Urteil könnte laut Aussagen von Juristen für mehr als zehn Medien positive rechtliche Konsequenzen haben, nicht jedoch für jene Medienhäuser, denen meist ein Naheverhältnis zur Gülen-Bewegung unterstellt wurde, die namentlich im Dekret genannt werden (TM 8.4.2021).
Meinungsfreiheit
Das Europäische Parlament (EP) bekräftigte im Mai 2022 seine ernste Besorgnis über die unverhältnismäßigen und willkürlichen Maßnahmen die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken (EP 7.6.2022, S. 10, Pt.13). In vielen Fällen können Einzelpersonen den Staat oder die Regierung nicht öffentlich kritisieren, ohne das Risiko zivil- oder strafrechtlicher Klagen bzw. Ermittlungen in Kauf zu nehmen. Die Regierung schränkt die Meinungsfreiheit von Personen ein, die bestimmten religiösen, politischen oder kulturellen Standpunkten wohlwollend gegenüberstehen. Sich zu heiklen Themen oder in regierungskritischer Weise zu äußern, zieht mitunter Ermittlungen, Geldstrafen, strafrechtliche Anklagen, Arbeitsplatzverlust und Haftstrafen nach sich. Auf regierungskritische Äußerungen reagiert die Regierung häufig mit Strafanzeigen wegen angeblicher Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppen, Terrorismus oder sonstiger Gefährdung des Staates. Die Regierung hat Hunderte von Personen wegen der Ausübung ihrer Meinungsfreiheit verurteilt und bestraft (USDOS 12.4.2022, S. 30). Im Jahr 2021 betrafen laut Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte allein 31 von insgesamt 76 Fällen von Verletzungen der EMRK durch die Türkei das Recht auf freie Meinungsäußerung (ECHR 1.2022).
Die Rückschritte im Bereich Meinungsfreiheit sind Ausfluss des weit ausgelegten Terrorismusbegriffs in der Anti-Terror-Gesetzgebung sowie einzelner Artikel des türkischen Strafgesetzbuches (ÖB 30.11.2021, S. 32). Die geltenden Gesetze zur Terrorismusbekämpfung, zum Internet, zu den Nachrichtendiensten und das Strafgesetzbuch behindern die freie Meinungsäußerung und stehen im Widerspruch zu europäischen Standards (EC 19.10.2021, S. 33). Problematisch ist die sehr weite Auslegung des Terrorismusbegriffs durch die Gerichte. So können etwa öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den kurdisch geprägten Gebieten der Südosttürkei oder das Teilen von Beiträgen mit PKK-Bezug in den sozialen Medien bei entsprechender Auslegung bereits den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 28.7.2022, S. 9). Laut Parlamentarischer Versammlung des Europarates (PACE) gab es keine Fortschritte bei der Auslegung der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung. Letztere stimmt nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) überein (PACE 22.4.2021, S. 3). Zwar stellt nunmehr Art. 7 Abs. 2 des Antiterrorgesetzes klar, dass Meinungsäußerungen, welche die Grenze der Berichterstattung nicht überschreiten, keine Straftat darstellen, doch dies hat die politische Verfolgung unliebsamer Äußerungen in der Praxis nicht eingeschränkt (AA 28.7.2022, S. 9).Die Rückschritte im Bereich Meinungsfreiheit sind Ausfluss des weit ausgelegten Terrorismusbegriffs in der Anti-Terror-Gesetzgebung sowie einzelner Artikel des türkischen Strafgesetzbuches (ÖB 30.11.2021, S. 32). Die geltenden Gesetze zur Terrorismusbekämpfung, zum Internet, zu den Nachrichtendiensten und das Strafgesetzbuch behindern die freie Meinungsäußerung und stehen im Widerspruch zu europäischen Standards (EC 19.10.2021, S. 33). Problematisch ist die sehr weite Auslegung des Terrorismusbegriffs durch die Gerichte. So können etwa öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den kurdisch geprägten Gebieten der Südosttürkei oder das Teilen von Beiträgen mit PKK-Bezug in den sozialen Medien bei entsprechender Auslegung bereits den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 28.7.2022, S. 9). Laut Parlamentarischer Versammlung des Europarates (PACE) gab es keine Fortschritte bei der Auslegung der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung. Letztere stimmt nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) überein (PACE 22.4.2021, S. 3). Zwar stellt nunmehr Artikel 7, Absatz 2, des Antiterrorgesetzes klar, dass Meinungsäußerungen, welche die Grenze der Berichterstattung nicht überschreiten, keine Straftat darstellen, doch dies hat die politische Verfolgung unliebsamer Äußerungen in der Praxis nicht eingeschränkt (AA 28.7.2022, S. 9).
Eines der prominentesten Beispiele war die Verurteilung von vier Menschenrechtsverteidigern, darunter der ehemalige Vorsitzende von Amnesty International Türkei, Taner Kilig, wegen der Unterstützung einer terroristischen Organisation im Juli 2020 (FH 3.3.2021). Die Behörden hatten Kilic im Juni 2017 unter dem Vorwurf festgenommen, Verbindungen zu Fethullah Gülen zu unterhalten. Der EGMR entschied Ende Mai 2022 einstimmig (inklusive des türkischen Richters), dass die Türkei bei der Inhaftierung von Kilig rechtswidrig gehandelt hatte. Das Gericht fand keine Beweise dafür, dass Kilic eine Straftat begangen hat. Das Gericht entschied außerdem, dass seine spätere Verurteilung wegen anderer Anschuldigungen in direktem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger stehe und sein Recht auf freie Meinungsäußerung beeinträchtigt werde (DW 31.5.2022; vgl. AP 31.5.2022).Eines der prominentesten Beispiele war die Verurteilung von vier Menschenrechtsverteidigern, darunter der ehemalige Vorsitzende von Amnesty International Türkei, Taner Kilig, wegen der Unterstützung einer terroristischen Organisation im Juli 2020 (FH 3.3.2021). Die Behörden hatten Kilic im Juni 2017 unter dem Vorwurf festgenommen, Verbindungen zu Fethullah Gülen zu unterhalten. Der EGMR entschied Ende Mai 2022 einstimmig (inklusive des türkischen Richters), dass die Türkei bei der Inhaftierung von Kilig rechtswidrig gehandelt hatte. Das Gericht fand keine Beweise dafür, dass Kilic eine Straftat begangen hat. Das Gericht entschied außerdem, dass seine spätere Verurteilung wegen anderer Anschuldigungen in direktem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger stehe und sein Recht auf freie Meinungsäußerung beeinträchtigt werde (DW 31.5.2022; vergleiche AP 31.5.2022).
Die Behörden klagen Bürger, darunter auch Minderjährige, wegen Beleidigung der Staatsführung und Verunglimpfung des „Türkentums“ an. Fürsprecher der Meinungsfreiheit wiesen darauf hin, dass führende Politiker und Abgeordnete von Oppositionsparteien zwar regelmäßig mehrfach wegen solcher Beleidigungen angeklagt wurden, im umgekehrten Falle (Beleidigung von Oppositionellen) AKP-Mitglieder und Regierungsbeamte nur selten strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 12.4.2022, S. 36). Jüngstes Beispiel einer Verurteilung einer Journalistin wegen Präsidentenbeleidigung ereignete sich im März 2022. - Ein Istanbuler Gericht sprach Sedef Kabas wegen Präsidentenbeleidigung schuldig und verurteilte sie zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Die Journalistin hatte während einer Fernsehsendung unter anderem das harte Vorgehen der türkischen Regierung gegen Kritiker angeprangert. Dort und später auf Twitter zitierte sie ein Sprichwort: „Wenn ein Ochse in einen Palast geht, wird er kein König, sondern der Palast wird zum Stall.“ (DW 11.3.2022; vgl. Ahval 11.3.2022).Die Behörden klagen Bürger, darunter auch Minderjährige, wegen Beleidigung der Staatsführung und Verunglimpfung des „Türkentums“ an. Fürsprecher der Meinungsfreiheit wiesen darauf hin, dass führende Politiker und Abgeordnete von Oppositionsparteien zwar regelmäßig mehrfach wegen solcher Beleidigungen angeklagt wurden, im umgekehrten Falle (Beleidigung von Oppositionellen) AKP-Mitglieder und Regierungsbeamte nur selten strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 12.4.2022, S. 36). Jüngstes Beispiel einer Verurteilung einer Journalistin wegen Präsidentenbeleidigung ereignete sich im März 2022. - Ein Istanbuler Gericht sprach Sedef Kabas wegen Präsidentenbeleidigung schuldig und verurteilte sie zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Die Journalistin hatte während einer Fernsehsendung unter anderem das harte Vorgehen der türkischen Regierung gegen Kritiker angeprangert. Dort und später auf Twitter zitierte sie ein Sprichwort: „Wenn ein Ochse in einen Palast geht, wird er kein König, sondern der Palast wird zum Stall.“ (DW 11.3.2022; vergleiche Ahval 11.3.2022).
Auch gegen Rechtsanwälte wird vorgegangen. - Im Jänner 2021 erteilte das Justizministerium die Genehmigung zur Einleitung von Ermittlungen gegen zwölf Mitglieder der Anwaltskammer von Ankara. Die Anwälte wurden der „Beleidigung eines Amtsträgers“ beschuldigt, weil sie homophobe und diskriminierende Äußerungen des Präsidenten der staatlichen Religionsbehörde Diyanet, geäußert während eines Freitagsgebets, kritisiert hatten. Im April 2021 akzeptierte das zuständige Gericht in Ankara die Anklage. Im Juli 2021 wurden auch Ermittlungen gegen Mitglieder der Anwaltskammern von Istanbul und Izmir wegen „Beleidigung religiöser Werte“ genehmigt (AI 29.3.2022).
Soziale Medien
Alles, vom banalen Teilen bis hin zum Liken von Inhalten in sozialen Medien, die von anderen, z. B. auf Facebook, geteilt werden, kann zu strafrechtlichen Ermittlungen und/oder einer Strafverfolgung etwa wegen Beleidigung des Präsidenten führen (Article19 8.4.2022). Die Internetfreiheit hat weiter abgenommen. Hunderte von Websites wurden gesperrt, in einigen Fällen aufgrund eines neuen Gesetzes über soziale Medien. Online-Inhalte, die als kritisch gegenüber der regierenden AKP oder Präsident Erdogan angesehen wurden, wurden von Webseiten und Social-Media-Plattformen entfernt. Online-Aktivisten, Journalisten und Social-Media-Nut- zer wurden sowohl physisch als auch online wegen ihrer Social-Media-Beiträge schikaniert. Staatlich geförderte Medien und die Manipulation von Inhalten sozialer Medien durch die Regierung haben sich negativ auf die Online-Informationslandschaft ausgewirkt. Insbesondere die Medienberichterstattung über die kurdisch besiedelte südöstliche Region wird stark von der Regierung beeinflusst (FH 21.9.2021, B5). Die Sperrung und Löschung von Online-Inhal- ten ohne gerichtliche Anordnung aus einer unangemessen breiten Palette von Gründen, die sich auf das Internetgesetz und den allgemeinen Rechtsrahmen stützen, wurde fortgesetzt. Die derzeitige Gesetzgebung zur Terrorismusbekämpfung, zum Internet, zu den Nachrichtendiensten sowie das Strafgesetzbuch behindern die Meinungsfreiheit und stehen im Widerspruch zu europäischen Standards (EC 19.10.2021, S. 32f).
Die Generaldirektion für Sicherheit teilte mit, dass im Jahr 2021 insgesamt 106.000 Social-Me- dia-Konten in der Türkei aufgrund von Beiträgen untersucht wurden, die von den Behörden als problematisch eingestuft wurden. Die behördlichen Untersuchungen der Accounts richteten sich gegen Beleidigungen des Präsidenten, Verbreitung terroristischer Propaganda oder Aufstachelung zu Feindschaft und Hass unter der Bevölkerung, wobei diesbezüglich 46.646 Nutzer identifiziert wurden (TM 15.3.2022). Anderen Angaben des Innenministeriums zufolge verdoppelten sich 2021 die Zahlen der untersuchten Konten sowie der Verfahren verglichen mit 2020. - 146.167 Konten in sozialen Medien wurden untersucht und rechtliche Schritte gegen 60.051 Personen eingeleitet. In der Folge wurden 1.911 Personen festgenommen und 73 inhaftiert (Article 19 8.4.2022).
Das Europäische Parlament brachte im Jänner 2021 seine ernste Besorgnis über die Überwachung von Social-Media-Plattformen zum Ausdruck und verurteilte die Schließung von SocialMedia-Konten durch die türkischen Behörden. Es betrachtete dies als eine weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit und als ein Instrument zur Unterdrückung der Zivilgesellschaft (EP 21.1.2021). Freedom House sah die Türkei 2021 nur mehr bei 34 von 100 möglichen Punkten hinsichtlich der Freiheit im Internet (FH 21.9.2021).
Staatspräsident Erdogan bezeichnete im Dezember 2021 die sozialen Medien als eine der größten Bedrohungen für die Demokratie und verkündete, dass die Regierung eine Gesetzgebung plane, um die Verbreitung von Fake News und Desinformationen im Internet zu kriminalisieren. Kritiker jedoch sahen die vorgeschlagenen Änderungen als Verschärfung der Einschränkung der Meinungsfreiheit (AP 11.12.2021; vgl. AM 13.12.2021).Staatspräsident Erdogan bezeichnete im Dezember 2021 die sozialen Medien als eine der größten Bedrohungen für die Demokratie und verkündete, dass die Regierung eine Gesetzgebung plane, um die Verbreitung von Fake News und Desinformationen im Internet zu kriminalisieren. Kritiker jedoch sahen die vorgeschlagenen Änderungen als Verschärfung der Einschränkung der Meinungsfreiheit (AP 11.12.2021; vergleiche AM 13.12.2021).
Am 1.10.2020 trat in der Türkei das Gesetz Nr. 7253 über die Beschränkung von sozialen Medien in Kraft. Es zwingt Betreiber von Plattformen mit mehr als einer Million Nutzer täglich, mindestens einen Repräsentanten in der Türkei zu ernennen. Dieser muss türkischer Staatsbürger sein und seine Daten müssen auf der Webseite angegeben sein. Bei Nicht-Einhaltung der Vorgaben drohen Geldstrafen, Bandbreitenreduktion oder auch Verbot von Werbeanzeigen. Bei Anträgen von Einzelnen betreffend die Entfernung von Inhalten oder Zugriffsblockierung wegen Verletzungen der Privatsphäre muss der Provider dem Antragsteller innerhalb von längstens 48 Stunden antworten, andernfalls kann die Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologie eine Strafe von fünf Mio. Lira verhängen. Das Gesetz fordert, dass Unternehmen alle Daten türkischer Kunden in der Türkei speichern müssen (ÖB 30.11.2021, S. 32). Als Verstoß gegen das Gesetz zählen zum Beispiel die Verletzung von Persönlichkeitsrechten, die Förderung des Terrorismus sowie Gewalt, die Störung der öffentlichen Ordnung, Fluchen sowie der Missbrauch von Frauen und Kindern (FNS 25.11.2020). Die betroffenen Online-Plattformen sind gezwungen, Berichte an die türkische Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologien (BTK) über ihre Reaktion auf Anfragen von Verwaltungs- oder Justizbehörden hinsichtlich Zensur oder Sperrung des Zugangs zu Online-Inhalten zu senden. Auf Anordnung eines Richters oder der BTK wird die Union der Zugangsanbieter (ESB) auch verpflichtet sein, Internet-Hosts oder Suchmaschinen anzuweisen, Entscheidungen über Zugangssperren innerhalb von vier Stunden unter Androhung einer Verwaltungsstrafe zu vollstrecken. Empfindliche Geldstrafen drohen auch, wenn die Internet-Plattformen Benutzerdaten nicht speichern (RSF 1.10.2020). Trotz durchaus begrüßenswerter Bestimmungen zum Schutz persönlicher Rechte ist zu befürchten, dass - vor allem angesichts der fehlenden Unabhängigkeit der Justiz - durch das neue Gesetz die Regierung die Kontrolle über die Medienlandschaft weiter ausbauen und die Möglichkeiten zur Meinungsäußerung reduzieren wird. Kritik in sozialen Medien soll eingeschränkt und die Identität von anonymen Nutzern schnell ausfindig gemacht werden können (ÖB 30.11.2021, S. 32). Bereits einen Monat nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen wurden jeweils 10 Millionen Lira (1,17 Mio. US-Dollar) an Bußgeldern gegen Social Media-Giganten wie Facebook, Twitter, Instagram, TikTok und YouTube verhängt, weil sie gegen das Gesetz verstoßen hatten (TM 4.11.2020), gefolgt von einer erneuten Strafe im Ausmaß von 30 Mio. Lira, weil die Firmen immer noch keinen offiziellen Repräsentanten, wie vom Gesetz verlangt, ernannt hatten (BI 11.12.2020).
Klagen gegen Internetzensur vor dem Verfassungsgericht werden meist zugunsten der Kläger entschieden, jedoch fällt das Verfassungsgericht jährlich nur wenige Urteile. Darüber hinaus besteht das Problem darin, dass der vom Verfassungsgericht entwickelte prinzipielle Ansatz im Sinne der Meinungs- und Pressefreiheit von den Friedensrichtern in Strafsachen in deren Rechtssprechung ignoriert wird. Diese verhängen Sperren regelmäßig so, als ob das Verfassungsgericht kein Urteil zu irgendeiner Praxis in dieser Angelegenheit erlassen hätte (IFÖD 10.2021, S. 101-104; vgl. LoC 7.1.2022).Klagen gegen Internetzensur vor dem Verfassungsgericht werden meist zugunsten der Kläger entschieden, jedoch fällt das Verfassungsgericht jährlich nur wenige Urteile. Darüber hinaus besteht das Problem darin, dass der vom Verfassungsgericht entwickelte prinzipielle Ansatz im Sinne der Meinungs- und Pressefreiheit von den Friedensrichtern in Strafsachen in deren Rechtssprechung ignoriert wird. Diese verhängen Sperren regelmäßig so, als ob das Verfassungsgericht kein Urteil zu irgendeiner Praxis in dieser Angelegenheit erlassen hätte (IFÖD 10.2021, S. 101-104; vergleiche LoC 7.1.2022).
Die Generalversammlung des Verfassungsgerichts stellte allerdings am 7.1.2022 fest, dass die Regierung das verfassungsmäßige Recht auf freie Meinungsäußerung und das verfassungsmäßige Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf betreffend die Sperrung des Zugangs zu Online-Nachrichten-Webseiten durch untergeordnete Gerichte verletzt hatte. Das Verfassungsgericht konsolidierte neun Fälle, in denen insgesamt 129 URL-Adressen durch Entscheidungen von Friedensrichtern gemäß Artikel 9 des Gesetzes Nr. 5651 gesperrt worden waren. In allen neun Fällen hatten die Richter den Zugang zu den betreffenden Nachrichtenartikeln aufgrund von Beschwerden jener Personen gesperrt, die Gegenstand der Nachrichtenartikel waren und die geltend machten, dass bestimmte Aussagen in den Nachrichtenartikeln ihren Ruf und ihr Ansehen unrechtmäßig schädigten. - Die Problematik des Artikels 9, u. a. von der Venedig Kommission des Europarates beanstandet, liegt darin, dass eine diesbezügliche Sperrung durch den Spruch eines Friedensrichters, zeitlich unbegrenzt und ohne Anhörung, erfolgt, nur auf Einspruch hin von einem anderen Friedensrichter überprüft, jedoch nicht bei höheren Gerichten angefochten werden kann. Der einzige Rechtsbehelf ist eine Individualbeschwerde vor dem Verfassungsgericht (LoC 7.1.2022). In seinem Urteil stellte das Verfassungsgericht nicht nur einen offensichtlichen Eingriff in die durch Artikel 26 und 28 der Verfassung geschützte Meinungs- und Pressefreiheit durch die Sperrung des Zugangs zu den betroffenen Nachrichtenseiten fest, sondern auch die unverhältnismäßige und unbegründete Blockierung der Inhalte auf unbestimmte Zeit sowie die Nicht-Beachtung der verfassungsrechtlichen Grundsätze durch die Vorinstanzen. Außerdem beklagte das Verfassungsgericht den Mangel an Rechtsmitteln. In Anbetracht der Tatsache, so das Verfassungsgericht, dass die Entscheidungen der untergeordneten Gerichte auf das Vorhandensein eines systematischen Problems hinweisen, das unmittelbar durch eine gesetzliche Bestimmung verursacht wurde, ist es offensichtlich, dass das derzeitige System überdacht werden muss, um ähnliche Verstöße zu verhindern. Deshalb wurde seitens des Gerichts ein sogenanntes Pilotverfahren (pilot judgment) beschlossen (CCRT 7.1.2022). - Das Verfahren wird angewandt, wenn das Gericht feststellt, dass die Verletzung eines Grundrechts in einem bestimmten Fall auf ein strukturelles Problem zurückzuführen ist, das bereits zu anderen Anträgen geführt hat und von dem zu erwarten ist, dass es in Zukunft zu weiteren Anträgen führen wird. Wenn das Gericht beschließt, über einen Antrag im Rahmen des Piloturteilsverfahrens zu entscheiden, kann es alle anderen bei ihm anhängigen Verfahren, die dasselbe strukturelle Problem betreffen, aussetzen. Sobald ein Piloturteil ergangen ist, müssen die Verwaltungsbehörden das Urteil in den entsprechenden Anträgen, die bei ihnen eingereicht werden, anwenden, oder bei Fällen, die das Verfassungsgericht erreichen, kann das Gericht die Fälle zusammenfassen und im Einklang mit dem Piloturteil entscheiden (LoC 7.1.2022).
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
Anlässlich der Corona-Krise hat die Regierung versucht, die öffentliche Debatte über das Virus zu kontrollieren. Dies ging so weit, dass Personen wegen kritischer, laut Regierung „grundloser und provokativer" Beiträge in den sozialen Medien verhaftet wurden (AM 24.3.2020) und der RTÜK Bußgelder gegen Medien verhängte, die den Umgang der Regierung mit der Pandemie kritisiert hatten (BS 23.2.2022, S. 11). So teilte das türkische Innenministerium am 21.5.2020 mit, dass in den 65 Tagen zuvor 510 Personen wegen „haltloser" und „provokativer" Beiträge im Netz, betreffend COVID-19, festgenommen worden wären. 10.111 Social Media Accounts wären überprüft, und dabei 1.105 Verdächtige identifiziert worden. Von diesen wären wiederum 510 festgenommen worden (ÖB 30.11.2021, S. 32). Zu den Betroffenen gehörten auch Mediziner, die in ihren Beiträgen die Bürger über grundlegende Gesundheitsvorkehrungen informierten, und vor der Unzulänglichkeit staatlich empfohlener Maßnahmen warnten (POMED17.4.2020).
Im Herbst 2020 standen medizinische Vereinigungen, wie die Türkische Ärztekammer (TTB), im Schussfeld der Kritik seitens der Staatsspitze, da sie die Maßnahmen der Regierung zur Bewältigung der Corona-Krise ebenso kritisierten, wie etwa die mangelnde Daten-Transparenz des Gesundheitsministeriums. Mitte Oktober 2020 verlangte Staatspräsident Erdogan den Einfluss der Ärztekammer und anderer Berufsverbände gesetzlich einzuschränken, da diese seiner Meinung nach in einem unerträglichen Ausmaß gegen die Verfassung handelten. Überdies warf der Staatspräsident der Spitze der Ärztekammer die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vor. Der Vorsitzende der ultra-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), Regierungspartner der AKP, Davlet Bahgeli, beschuldigte die Ärztekammer, „den Terrorismus zu preisen" (AM 15.10.2020; vgl. BI 14.10.2020).Im Herbst 2020 standen medizinische Vereinigungen, wie die Türkische Ärztekammer (TTB), im Schussfeld der Kritik seitens der Staatsspitze, da sie die Maßnahmen der Regierung zur Bewältigung der Corona-Krise ebenso kritisierten, wie etwa die mangelnde Daten-Transparenz des Gesundheitsministeriums. Mitte Oktober 2020 verlangte Staatspräsident Erdogan den Einfluss der Ärztekammer und anderer Berufsverbände gesetzlich einzuschränken, da diese seiner Meinung nach in einem unerträglichen Ausmaß gegen die Verfassung handelten. Überdies warf der Staatspräsident der Spitze der Ärztekammer die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vor. Der Vorsitzende der ultra-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), Regierungspartner der AKP, Davlet Bahgeli, beschuldigte die Ärztekammer, „den Terrorismus zu preisen" (AM 15.10.2020; vergleiche BI 14.10.2020).
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Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Letzte Änderung: 20.09.2022
Die Verfassung enthält umfassende Garantien grundlegender Menschenrechte, einschließlich der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. In der Praxis sind diese Rechte jedoch stark beschränkt. Die Freiheit, auch ohne vorherige Genehmigung unbewaffnet und gewaltfrei Versammlungen abzuhalten, unterliegt Einschränkungen, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Vorbeugung von Straftaten bzw. die allgemeine Gesundheit oder Moral betroffen sind (AA 28.7.2022, S. 8; vgl. DFAT 10.9.2020, S. 16, 27). Restriktive und vage formulierte Gesetze erlauben es den Behörden, unverhältnismäßige Maßnahmen zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit zu verhängen und sogar die legitime Ausübung dieses Rechts durch einen Diskurs zu stigmatisieren, der Demonstranten immer wieder mit Extremismus und gewalttätigen Gruppen in Verbindung bringt (FIDH/OMCT/iHD 7.2020).Die Verfassung enthält umfassende Garantien grundlegender Menschenrechte, einschließlich der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. In der Praxis sind diese Rechte jedoch stark beschränkt. Die Freiheit, auch ohne vorherige Genehmigung unbewaffnet und gewaltfrei Versammlungen abzuhalten, unterliegt Einschränkungen, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Vorbeugung von Straftaten bzw. die allgemeine Gesundheit oder Moral betroffen sind (AA 28.7.2022, S. 8; vergleiche DFAT 10.9.2020, S. 16, 27). Restriktive und vage formulierte Gesetze erlauben es den Behörden, unverhältnismäßige Maßnahmen zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit zu verhängen und sogar die legitime Ausübung dieses Rechts durch einen Diskurs zu stigmatisieren, der Demonstranten immer wieder mit Extremismus und gewalttätigen Gruppen in Verbindung bringt (FIDH/OMCT/iHD 7.2020).
Im Bereich der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gab es weitere gravierende Rückschritte angesichts wiederholter Verbote, unverhältnismäßiger Eingriffe und übermäßiger Gewaltanwendung bei friedlichen Demonstrationen, Ermittlungen, Bußgelder und strafrechtlicher Verfolgung von Demonstranten unter dem Vorwurf terrorismusbezogener Aktivitäten. Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung stehen nicht im Einklang mit der türkischen Verfassung, den europäischen Standards und den internationalen Konventionen (EC 19.10.2021, S. 5; vgl. EP 7.6.2022, S. 9, Pt. 12). Infolgedessen haben viele Menschen in der Türkei Angst davor, den öffentlichen Raum für die Ausübung ihres Rechts auf friedliche Versammlung zu beanspruchen (FIDH/OMCT/iHD 7.2020). Beispielsweise wurden, laut einem Bericht der größten Oppositionspartei, der Republikanischen Volkspartei - CHP, alleine im April 2022 bei Polizeiinterventionen gegen 45 Demonstrationen 288 Personen festgenommen. Im selben Monat wurden in den kurdisch-dominierten Städten Mardin, Van und Hakkari, im Südosten des Landes alle Demonstrationen verboten (Duvar 16.5.2022).Im Bereich der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gab es weitere gravierende Rückschritte angesichts wiederholter Verbote, unverhältnismäßiger Eingriffe und übermäßiger Gewaltanwendung bei friedlichen Demonstrationen, Ermittlungen, Bußgelder und strafrechtlicher Verfolgung von Demonstranten unter dem Vorwurf terrorismusbezogener Aktivitäten. Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung stehen nicht im Einklang mit der türkischen Verfassung, den europäischen Standards und den internationalen Konventionen (EC 19.10.2021, S. 5; vergleiche EP 7.6.2022, S. 9, Pt. 12). Infolgedessen haben viele Menschen in der Türkei Angst davor, den öffentlichen Raum für die Ausübung ihres Rechts auf friedliche Versammlung zu beanspruchen (FIDH/OMCT/iHD 7.2020). Beispielsweise wurden, laut einem Bericht der größten Oppositionspartei, der Republikanischen Volkspartei - CHP, alleine im April 2022 bei Polizeiinterventionen gegen 45 Demonstrationen 288 Personen festgenommen. Im selben Monat wurden in den kurdisch-dominierten Städten Mardin, Van und Hakkari, im Südosten des Landes alle Demonstrationen verboten (Duvar 16.5.2022).
Polizeiliche Gewalt richtet sich gegen unterschiedliche Gruppen. Einige Beispiele der letzten Monate: Ende September 2021 schritt die Polizei gewaltsam gegen friedliche Proteste von Studenten gegen hohe Studentenheimgebühren und Mieten in den Istanbuler Stadtteilen Kadiköy und in izmir ein. 50 Studenten in Istanbul und 30 in Izmir wurden zum Teil verprügelt und temporär festgenommen (Bianet 28.9.2021). Als mehrere Tausend Menschen, vor allem Frauen, Ende November 2021 im Stadtzentrum Istanbuls gegen Gewalt gegen Frauen protestierten, wobei einige „Regierung zurücktreten“ skandierten, feuerte die Polizei Pfeffergas ab und lieferte sich ein Handgemenge mit den DemonstrantInnen (Reuters 25.11.2021). Die Polizeigewalt setzte sich auch 2022 fort. So setzte die Polizei in der südlichen Provinz Adana im März 2022 Schlagstöcke, Plastikgeschosse und Pfefferspray ein, um die Mitglieder der regierungskritischen, religiösen Furkan-Stiftung von einer friedlichen Demonstration abzuhalten. Hunderte von Mitgliedern der Gruppe hatten sich versammelt, um eine Presseerklärung abzugeben und gegen die fortgesetzte Untersuchungshaft gegen acht Mitglieder zu protestieren (TM 21.3.2022; vgl. Ahval 21.3.2022). Die Türkische Rechtsanwaltskammer (TTB) sah das verfassungsmäßige Versammlungsrecht verletzt und kündigte rechtliche Schritte gegen die beteiligten Polizisten an (Ahval 21.3.2022). Bei Demonstrationen anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes, Newroz, vermeldeten pro-kurdische Medien, dass die Polizei in Diyarbakir über 650 Personen festgenommen hatte, darunter viele Kinder, wobei es zur Anwendung von Gewalt sowohl bei den Festnahmen als auch in Polizeigewahrsam kam (Medya News 22.3.2022; vgl. Rudaw 22.3.2022). Empfindlich reagieren die Behörden bei Demonstrationen für den sich seit 1999 in Isolation befindlichen Führer der PKK, Abdullah Öcalan. - So wurden Mitte Juni 2022 zahlreiche politische Aktivisten in Istanbul festgenommen, als die Polizei versuchte, einen Marsch zum westtürkischen Hafen Gemlik zu behindern, um gegen die strenge Isolierung Öcalans zu protestieren. Ersten Berichten zufolge wurden etwa 20 Personen festgenommen (Medya News 12.6.2022). Im selben Zusammenhang wurden am 16.6.2022 neun (gemäß einer zweiten Quelle zehn) Personen, darunter Mitglieder und Führungskräfte der HDP, bei Hausdurchsuchungen in Istanbul vorübergehend festgenommen (TiHV 20.6.2022; vgl. TM 16.6.2022).Polizeiliche Gewalt richtet sich gegen unterschiedliche Gruppen. Einige Beispiele der letzten Monate: Ende September 2021 schritt die Polizei gewaltsam gegen friedliche Proteste von Studenten gegen hohe Studentenheimgebühren und Mieten in den Istanbuler Stadtteilen Kadiköy und in izmir ein. 50 Studenten in Istanbul und 30 in Izmir wurden zum Teil verprügelt und temporär festgenommen (Bianet 28.9.2021). Als mehrere Tausend Menschen, vor allem Frauen, Ende November 2021 im Stadtzentrum Istanbuls gegen Gewalt gegen Frauen protestierten, wobei einige „Regierung zurücktreten“ skandierten, feuerte die Polizei Pfeffergas ab und lieferte sich ein Handgemenge mit den DemonstrantInnen (Reuters 25.11.2021). Die Polizeigewalt setzte sich auch 2022 fort. So setzte die Polizei in der südlichen Provinz Adana im März 2022 Schlagstöcke, Plastikgeschosse und Pfefferspray ein, um die Mitglieder der regierungskritischen, religiösen Furkan-Stiftung von einer friedlichen Demonstration abzuhalten. Hunderte von Mitgliedern der Gruppe hatten sich versammelt, um eine Presseerklärung abzugeben und gegen die fortgesetzte Untersuchungshaft gegen acht Mitglieder zu protestieren (TM 21.3.2022; vergleiche Ahval 21.3.2022). Die Türkische Rechtsanwaltskammer (TTB) sah das verfassungsmäßige Versammlungsrecht verletzt und kündigte rechtliche Schritte gegen die beteiligten Polizisten an (Ahval 21.3.2022). Bei Demonstrationen anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes, Newroz, vermeldeten pro-kurdische Medien, dass die Polizei in Diyarbakir über 650 Personen festgenommen hatte, darunter viele Kinder, wobei es zur Anwendung von Gewalt sowohl bei den Festnahmen als auch in Polizeigewahrsam kam (Medya News 22.3.2022; vergleiche Rudaw 22.3.2022). Empfindlich reagieren die Behörden bei Demonstrationen für den sich seit 1999 in Isolation befindlichen Führer der PKK, Abdullah Öcalan. - So wurden Mitte Juni 2022 zahlreiche politische Aktivisten in Istanbul festgenommen, als die Polizei versuchte, einen Marsch zum westtürkischen Hafen Gemlik zu behindern, um gegen die strenge Isolierung Öcalans zu protestieren. Ersten Berichten zufolge wurden etwa 20 Personen festgenommen (Medya News 12.6.2022). Im selben Zusammenhang wurden am 16.6.2022 neun (gemäß einer zweiten Quelle zehn) Personen, darunter Mitglieder und Führungskräfte der HDP, bei Hausdurchsuchungen in Istanbul vorübergehend festgenommen (TiHV 20.6.2022; vergleiche TM 16.6.2022).
Seit 2015 gab es im Bereich der Versammlungsfreiheit Rückschritte, insbesondere durch die während des Ausnahmezustands erfolgte Ausweitung der Befugnisse der Gouverneure, öffentliche Versammlungen untersagen zu können. Der breite Ermessensspielraum der Gouverneure wird für weitere Einschränkungen genutzt, sodass mittlerweile auch bekanntermaßen friedliche Kundgebungen mit langer Tradition verboten werden. Zahlreiche Demonstrationen und Zusammenkünfte werden entweder mit einem Blanko-Bann von vornherein untersagt bzw. unter Anwendung von Polizeigewalt aufgelöst (ÖB 30.11.2021, S. 34; vgl. EC 19.10.2021, S. 16, 37). Die seit langem bestehenden Versammlungsverbote im Südosten des Landes blieben auch 2021 in Kraft. Das ganze Jahr 2021 über haben die Gouverneure von Van, Tunceli, Mu§, Häk- kari und mehreren anderen Provinzen öffentliche Proteste, Demonstrationen, Versammlungen jeglicher Art und die Verteilung von Broschüren verboten (USDOS 12.4.2022, S. 46). Im Jahr 2020 wurden 253 Mal pauschale und 115 Mal gezielte Versammlungsverbote verhängt (EC 19.10.2021, S. 37).Seit 2015 gab es im Bereich der Versammlungsfreiheit Rückschritte, insbesondere durch die während des Ausnahmezustands erfolgte Ausweitung der Befugnisse der Gouverneure, öffentliche Versammlungen untersagen zu können. Der breite Ermessensspielraum der Gouverneure wird für weitere Einschränkungen genutzt, sodass mittlerweile auch bekanntermaßen friedliche Kundgebungen mit langer Tradition verboten werden. Zahlreiche Demonstrationen und Zusammenkünfte werden entweder mit einem Blanko-Bann von vornherein untersagt bzw. unter Anwendung von Polizeigewalt aufgelöst (ÖB 30.11.2021, S. 34; vergleiche EC 19.10.2021, S. 16, 37). Die seit langem bestehenden Versammlungsverbote im Südosten des Landes blieben auch 2021 in Kraft. Das ganze Jahr 2021 über haben die Gouverneure von Van, Tunceli, Mu§, Häk- kari und mehreren anderen Provinzen öffentliche Proteste, Demonstrationen, Versammlungen jeglicher Art und die Verteilung von Broschüren verboten (USDOS 12.4.2022, S. 46). Im Jahr 2020 wurden 253 Mal pauschale und 115 Mal gezielte Versammlungsverbote verhängt (EC 19.10.2021, S. 37).
In der Praxis werden bei regierungskritischen politischen Versammlungen regelmäßig dem Veranstaltungszweck zuwiderlaufende Auflagen bezüglich Ort und Zeit gemacht und zum Teil aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen Verbote ausgesprochen (AA 28.7.2022, S. 8). Während regierungsfreundliche Kundgebungen stattfinden dürfen, werden regierungskritische Versammlungen routinemäßig verboten. Die Stadt Ankara schränkte 2021 Feierlichkeiten zum 1. Mai ebenso ein wie Studentenproteste (FH 2.2022, E1). Versammlungen von linken und gewerkschaftlichen Gruppen, Proteste von Opfern staatlicher Säuberungen, Parteiversammlungen der Opposition wurden ebenso verboten wie Demonstrationen oder Festivitäten von Kurden (FH 3.3.2021, E1; vgl. BS 23.2.2022, S. 10). Einschränkungen der Versammlungsfreiheit betreffen nicht selten Frauen und besonders vulnerable Gruppen wie LGBTI-Personen und Minderheiten (ÖB 30.11.2021, S. 34; vgl. FH 2.2022, E1, BS 23.2.2022, S. 10). Auch Proteste für politische und sozioökonomische Rechte wurden in mehreren Provinzen immer wieder verboten. Demonstrationen entlassener Beamter, die ihre Wiedereinstellung forderten, und von Arbeitnehmern, die für ihre Gesundheitsrechte demonstrierten, wurden unterbunden (EC 19.10.2021, S. 36). Demonstrationen von Umweltaktivisten oder solche, welche die militärischen Interventionen der Türkei in Syrien zum Thema hatten, sowie Proteste gegen die Absetzung von Bürgermeistern meist der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) bzw. die Ernennung von Regierungssachwaltern an deren Stelle, wurden von den Behörden aus Sicherheitsgründen verboten (EC 6.10.2020, S. 37).In der Praxis werden bei regierungskritischen politischen Versammlungen regelmäßig dem Veranstaltungszweck zuwiderlaufende Auflagen bezüglich Ort und Zeit gemacht und zum Teil aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen Verbote ausgesprochen (AA 28.7.2022, S. 8). Während regierungsfreundliche Kundgebungen stattfinden dürfen, werden regierungskritische Versammlungen routinemäßig verboten. Die Stadt Ankara schränkte 2021 Feierlichkeiten zum 1. Mai ebenso ein wie Studentenproteste (FH 2.2022, E1). Versammlungen von linken und gewerkschaftlichen Gruppen, Proteste von Opfern staatlicher Säuberungen, Parteiversammlungen der Opposition wurden ebenso verboten wie Demonstrationen oder Festivitäten von Kurden (FH 3.3.2021, E1; vergleiche BS 23.2.2022, S. 10). Einschränkungen der Versammlungsfreiheit betreffen nicht selten Frauen und besonders vulnerable Gruppen wie LGBTI-Personen und Minderheiten (ÖB 30.11.2021, S. 34; vergleiche FH 2.2022, E1, BS 23.2.2022, S. 10). Auch Proteste für politische und sozioökonomische Rechte wurden in mehreren Provinzen immer wieder verboten. Demonstrationen entlassener Beamter, die ihre Wiedereinstellung forderten, und von Arbeitnehmern, die für ihre Gesundheitsrechte demonstrierten, wurden unterbunden (EC 19.10.2021, S. 36). Demonstrationen von Umweltaktivisten oder solche, welche die militärischen Interventionen der Türkei in Syrien zum Thema hatten, sowie Proteste gegen die Absetzung von Bürgermeistern meist der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) bzw. die Ernennung von Regierungssachwaltern an deren Stelle, wurden von den Behörden aus Sicherheitsgründen verboten (EC 6.10.2020, S. 37).
Nach den vom Justizministerium veröffentlichten offiziellen Zahlen wurden 2020 Ermittlungen gegen 6.770 Personen wegen Verstoßes gegen das Gesetz Nr. 2911 über Versammlungen und Kundgebungen eingeleitet, während gegen 3.171 dieser Personen Strafanzeige erstattet wurde (iHD 4.10.2021, S. 28). Unabhängigen Angaben zufolge nahmen die Behörden bei mindestens 320 friedlichen Versammlungen mindestens 2.123 Demonstranten wegen des Verdachts der „Aufstachelung zum Hass", des „Verstoßes gegen das Demonstrationsgesetz“ und des „Widerstands gegen polizeiliche Anordnungen“ fest (EC 19.10.2021, S. 34).
Das Sicherheitsgesetz vom 23.5.2015 klassifiziert Steinschleudern, Stahlkugeln und Feuerwerkskörper als Waffen und sieht eine Gefängnisstrafe von bis zu vier Jahren vor, so deren Besitz im Rahmen einer Demonstration nachgewiesen wird oder Demonstranten ihr Gesicht teilweise oder zur Gänze vermummen. Bis zu drei Jahre Haft drohen Demonstrationsteilnehmern für die Zurschaustellung von Emblemen, Abzeichen oder Uniformen illegaler Organisationen (HDN 27.3.2015). Teilweise oder gänzlich vermummte Teilnehmer von Demonstrationen, die in einen „Propagandamarsch“ für terroristische Organisationen münden, können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden (Anadolu 27.3.2015). Das Gesetz erlaubt es der Polizei, nicht nur gefärbtes Wasser zur späteren Identifikation von Demonstranten anzuwenden, sondern auch Personen ohne Genehmigung eines Staatsanwalts in „Schutzhaft“ zu nehmen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass sie eine Bedrohung für sich selbst oder die öffentliche Ordnung darstellen (USDOS 12.4.2022, S. 43).
Am 30.4.2021 erließ das Innenministerium ein Verbot der Sprach- und Filmaufnahme von Polizeibeamten während Protesten und Demonstrationen. Verstöße gegen das Verbot sollten künftig strafrechtlich geahndet werden (BAMF 3.5.2021, S. 12; vgl. BI 30.4.2021). Allerdings entschied der Staatsrat [Verwaltungsgerichtshof] am 15.12.2021 infolge einer Klage der Media and Law Studies Association (MLSA), dass der Vollzug des Rundschreibens auszusetzen sei, weil dieses die Informations- und Pressefreiheit einschränke. Der Staatsrat wies in seinem Urteil darauf hin, dass Einschränkungen der Grundrechte nur in vom Gesetzgeber vorgesehenen Fällen verhängt werden können. Außerdem verstoße das Rundschreiben gegen Artikel 7 der türkischen Verfassung, nach dem jegliche Handlungen verboten sind, die keine Grundlage in der Verfassung haben, sowie gegen Artikel 13, der die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger schützt (FNS 1.2.2022). Im Mai 2022 wies die Verwaltungskammer des Staatsrates letztendlich den Einspruch des Innenministeriums und der Generaldirektion für Sicherheit gegen die Entscheidung des Staatsrates, den Vollzug des Rundschreibens auszusetzen, zurück (MLSA 10.5.2022).Am 30.4.2021 erließ das Innenministerium ein Verbot der Sprach- und Filmaufnahme von Polizeibeamten während Protesten und Demonstrationen. Verstöße gegen das Verbot sollten künftig strafrechtlich geahndet werden (BAMF 3.5.2021, S. 12; vergleiche BI 30.4.2021). Allerdings entschied der Staatsrat [Verwaltungsgerichtshof] am 15.12.2021 infolge einer Klage der Media and Law Studies Association (MLSA), dass der Vollzug des Rundschreibens auszusetzen sei, weil dieses die Informations- und Pressefreiheit einschränke. Der Staatsrat wies in seinem Urteil darauf hin, dass Einschränkungen der Grundrechte nur in vom Gesetzgeber vorgesehenen Fällen verhängt werden können. Außerdem verstoße das Rundschreiben gegen Artikel 7 der türkischen Verfassung, nach dem jegliche Handlungen verboten sind, die keine Grundlage in der Verfassung haben, sowie gegen Artikel 13, der die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger schützt (FNS 1.2.2022). Im Mai 2022 wies die Verwaltungskammer des Staatsrates letztendlich den Einspruch des Innenministeriums und der Generaldirektion für Sicherheit gegen die Entscheidung des Staatsrates, den Vollzug des Rundschreibens auszusetzen, zurück (MLSA 10.5.2022).
Die extensive Auslegung des unklar formulierten Art. 220 des Strafgesetzbuches hinsichtlich krimineller Vereinigungen durch den Kassationsgerichtshof führte zur Kriminalisierung von Teilnehmern an Demonstrationen, bei denen auch PKK-Symbole gezeigt wurden bzw. zu denen durch die PKK aufgerufen wurde, unabhängig davon, ob dieser Aufruf bzw. die Nutzung dem Betroffenen bekannt war. Teilnehmer müssen, auch bei Demonstrationen im Ausland, mit einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechnen (AA 28.7.2022).Die extensive Auslegung des unklar formulierten Artikel 220, des Strafgesetzbuches hinsichtlich krimineller Vereinigungen durch den Kassationsgerichtshof führte zur Kriminalisierung von Teilnehmern an Demonstrationen, bei denen auch PKK-Symbole gezeigt wurden bzw. zu denen durch die PKK aufgerufen wurde, unabhängig davon, ob dieser Aufruf bzw. die Nutzung dem Betroffenen bekannt war. Teilnehmer müssen, auch bei Demonstrationen im Ausland, mit einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechnen (AA 28.7.2022).
Im September 2019 kam das Verfassungsgericht in seinem Urteil zur Demonstration am 1.5.2009 zu dem Schluss, dass die Versammlungsfreiheit der Demonstranten verletzt wurde. Dies war das erste innerstaatliche Urteil des Gerichtshofs zur willkürlichen Verhinderung der Gedenkfeiern zum 1. Mai (EC 6.10.2020, S. 37). In einem weiteren Fall urteile das Verfassungsgericht am 8.9.2021, dass das vom Gouverneursamt verhängte Verbot aller Proteste in der südöstlichen Stadt Kahramanmara§ das verfassungsmäßige Recht der Kläger auf Versammlung und Demonstration verletzt habe. Das Verfassungsgericht ordnete zudem eine Schadensersatzzahlung an jeden der vier Kläger an, welche eine Klage beim Verfassungsgericht einbrachten, nachdem andere Rechtsmittel nicht dazu geführt hatten, dass die Entscheidung des Gouverneursamtes von Kahramanmara§, alle Proteste in der Stadt für einen Monat zu verbieten und anschließend viermal zu verlängern, aufgehoben wurde (BAMF 13.9.2021, S. 16f; vgl. TM 8.9.2021).Im September 2019 kam das Verfassungsgericht in seinem Urteil zur Demonstration am 1.5.2009 zu dem Schluss, dass die Versammlungsfreiheit der Demonstranten verletzt wurde. Dies war das erste innerstaatliche Urteil des Gerichtshofs zur willkürlichen Verhinderung der Gedenkfeiern zum 1. Mai (EC 6.10.2020, S. 37). In einem weiteren Fall urteile das Verfassungsgericht am 8.9.2021, dass das vom Gouverneursamt verhängte Verbot aller Proteste in der südöstlichen Stadt Kahramanmara§ das verfassungsmäßige Recht der Kläger auf Versammlung und Demonstration verletzt habe. Das Verfassungsgericht ordnete zudem eine Schadensersatzzahlung an jeden der vier Kläger an, welche eine Klage beim Verfassungsgericht einbrachten, nachdem andere Rechtsmittel nicht dazu geführt hatten, dass die Entscheidung des Gouverneursamtes von Kahramanmara§, alle Proteste in der Stadt für einen Monat zu verbieten und anschließend viermal zu verlängern, aufgehoben wurde (BAMF 13.9.2021, S. 16f; vergleiche TM 8.9.2021).
Ein türkisches Gericht in der östlichen Provinz Erzincan hat im Oktober 2021 15 Angeklagte zu insgesamt 93 Jahren und 10 Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie an den massiven regierungsfeindlichen Demonstrationen von 2013, den sogenannten Gezi-Protesten, teilgenommen hatten. Die Angeklagten bekamen Haftstrafen zwischen sechs Jahren und acht Monaten und zweieinhalb Jahren wegen der Teilnahme an einer illegalen Demonstration, Widerstand gegen einen diensthabenden Polizeibeamten und Beschädigung öffentlichen Eigentums (Ahval 27.10.2021)
[Anm.: Zum Thema Versammlungsfreiheit siehe auch die Kapitel „Frauen“ sowie „Sexuelle Minderheiten“]
Vereinigungsfreiheit
Das Gesetz sieht zwar die Vereinigungsfreiheit vor, doch die Regierung schränkt dieses Recht weiterhin ein. Die Regierung nutzt Bestimmungen desAnti-Terror-Gesetzes, um die Wiedereröffnung von Vereinen und Stiftungen zu verhindern, die sie zuvor wegen angeblicher Bedrohung der nationalen Sicherheit geschlossen hatte (USDOS 12.4.2022, S. 46).
Die Verordnung von 2018 und das geänderte Gesetz, das im März 2020 im Rahmen eines Omnibus-Gesetzes verabschiedet wurde, machen es für alle Vereinigungen zur Pflicht, alle ihre Mitglieder und nicht nur ihre Vorstandsmitglieder im Informationssystem des Innenministeriums zu registrieren. Diese gesetzliche Verpflichtung steht nicht im Einklang mit den Richtlinien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hinsichtlich der Vereinigungsfreiheit (EC 6.10.2020, S. 15). Diese Gesetzesänderung verpflichtet die Vereine, die lokalen Verwaltungsbehörden innerhalb von 30 Tagen über Änderungen in der Mitgliedschaft zu informieren, sonst drohen Strafen (USDOS 30.3.2021, S. 44).
Gesetze und Verordnungen erlegen Vereinigungen zahlreiche administrative Anforderungen auf. Komplexe Bestimmungen, die unterschiedlich ausgelegt werden können und über verschiedene Rechtsvorschriften verstreut sind, sowie der Mangel an Fachleuten, die sich mit diesem Bereich befassen, führen dazu, dass Vereinigungen in ihrem Bemühen um die Einhaltung der Gesetze in einem Zustand der Unsicherheit verharren. Die Vereinigungen unterliegen der Prüfung durch mehrere Behörden, darunter das Finanzamt, die Nationale Bildungsdirektion, die zuständigen Gouvernements sowie die Direktion für Zivilgesellschaft, zuständig für Vereinigungen im Innenministerium sowie die Generaldirektion für Stiftungen im Kulturministerium (FIDH/OMCT/iHD 5.2021, S. 26).
Die Kommissarin für Menschenrechte des Europarates stellte in ihrem 2020 veröffentlichten Bericht zu ihrem Besuch der Türkei 2019 fest, dass die völlige Schließung einer großen Zahl von NGOs sowie die Liquidation ihres Vermögens durch Notverordnungen, und zwar durch eine einfache Entscheidung der Exekutive ohne jegliche gerichtliche Entscheidung oder Kontrolle, ein besonderes Vermächtnis des Ausnahmezustands war. Trotz des dringenden Aufrufs bereits des vormaligen Kommissars gleich zu Beginn des Ausnahmezustands, diese Praxis unverzüglich zu beenden, schlossen die Behörden, ohne Erklärung oder Begründung, 1.410 Vereine, 109 Stiftungen und 19 Gewerkschaften (CoE-CommDH 19.2.2020). Laut Bericht der Berufungskommission zum Ausnahmezustand [türk. OHAL] waren mit Jahresende 2020 von 1.598 Vereinigungen, welche durch die Notstandsdekrete aufgelöst wurden, 188 wieder zugelassen worden. Von den 129 aufgelösten Stiftungen waren 20 rehabilitiert, während keine der 19 Gewerkschaften und 23 Föderationen bzw. Konföderationen wieder zugelassen wurde (ICSEM 31.12.2021b, S. 9 Tab.). Berufungsverfahren von Einrichtungen, die Rechtsmittel gegen die Schließung einlegten, verlaufen intransparent und bleiben unwirksam (USDOS 12.4.2022, S. 46).
Gewerkschaftsaktivitäten, einschließlich des Streikrechts, sind gesetzlich und in der Praxis eingeschränkt. Gewerkschaftsfeindliche Aktivitäten der Arbeitgeber sind weit verbreitet, und der gesetzliche Schutz wird nur unzureichend durchgesetzt. Gewerkschaften und Berufsverbände haben unter Massenverhaftungen und Entlassungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand 2016-18 und dem allgemeinen Zusammenbruch der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gelitten (FH 2.2022, E3; vgl. EP 7.6.2022, S. 21, Pt. 34). Das Gesetz verlangt von den Gewerkschaften zudem, dass sie ihre Versammlungen oder Kundgebungen, die in offiziell ausgewiesenen Bereichen stattfinden müssen, bei der Regierung anmelden, und erlaubt es Regierungsvertretern, Gewerkschaftsversammlungen beizuwohnen und deren Verlauf aufzuzeichnen (USDOS 12.4.2022, S. 87).Gewerkschaftsaktivitäten, einschließlich des Streikrechts, sind gesetzlich und in der Praxis eingeschränkt. Gewerkschaftsfeindliche Aktivitäten der Arbeitgeber sind weit verbreitet, und der gesetzliche Schutz wird nur unzureichend durchgesetzt. Gewerkschaften und Berufsverbände haben unter Massenverhaftungen und Entlassungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand 2016-18 und dem allgemeinen Zusammenbruch der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gelitten (FH 2.2022, E3; vergleiche EP 7.6.2022, S. 21, Pt. 34). Das Gesetz verlangt von den Gewerkschaften zudem, dass sie ihre Versammlungen oder Kundgebungen, die in offiziell ausgewiesenen Bereichen stattfinden müssen, bei der Regierung anmelden, und erlaubt es Regierungsvertretern, Gewerkschaftsversammlungen beizuwohnen und deren Verlauf aufzuzeichnen (USDOS 12.4.2022, S. 87).
Laut Gesetz müssen Personen, die eine Vereinigung organisieren, die Behörden nicht vorher benachrichtigen, aber eine Vereinigung muss die Behörden verständigen, bevor sie mit internationalen Organisationen in Kontakt tritt oder finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhält, und sie muss detaillierte Dokumente über solche Aktivitäten vorlegen (USDOS 12.4.2022, S. 46).
Siehe auch Kapitel: Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
Pandemie-bedingte Regeln zur sozialen Abstandsregelung sind oft selektiv angewandt worden, um die Auflösung von nicht genehmigten Demonstrationen im Jahr 2020 zu rechtfertigen (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021, S. 41). So haben, unter dem Vorwand von Covid-19, Provinzgouverneure friedliche Proteste von Frauenrechtsaktivisten, Studenten, Arbeitern, Oppositionsparteien, und Vertretern sexueller Minderheiten verboten (HRW 13.1.2022).Pandemie-bedingte Regeln zur sozialen Abstandsregelung sind oft selektiv angewandt worden, um die Auflösung von nicht genehmigten Demonstrationen im Jahr 2020 zu rechtfertigen (FH 3.3.2021; vergleiche USDOS 30.3.2021, S. 41). So haben, unter dem Vorwand von Covid-19, Provinzgouverneure friedliche Proteste von Frauenrechtsaktivisten, Studenten, Arbeitern, Oppositionsparteien, und Vertretern sexueller Minderheiten verboten (HRW 13.1.2022).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022.pdf, Zugriff am 24.8.2022
•Ahval (21.3.2022): Police brutality against opposition Islamist group in southern Turkey sparks ire, https://ahvalnews.com/furkan-foundation/police-brutality-against-opposition-islamist-group-south ern-turkey-sparks-ire , Zugriff 28.3.2022
•Ahval (27.10.2021): Eight-year-long Gezi trial ends in 93 year sentence for 15 defendants, https: //ahvalnews.com/gezi-protests/eight-year-long-gezi-trial-ends-93-year-sentence-15-defendants , Zugriff 1.3.2022
•Anadolu -Anadolu Agency (27.3.2015): Turkey: Parliament approves domestic security package, http://www.aa.com.tr/en/s/484662--turkey-parliament-approves-domestic-security-package , Zugriff 1.3.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (13.9.2021): Briefing Notes, KW 37/2021, Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs gegen Demonstrationsverbot https://www.ba mf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnoteskw372021.pdf?blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 1.3.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes KW 18,
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?blob=publicationFile&v=4 , Zugriff 1.3.2022
•Bianet (28.9.2021): Police violence against students protesting for affordable housing in istanbul, izmir, https://iri.bianet.org/english/huiTian-rights/250956-police-violence-against-students-protest ing-for-affordable-housing-in-istanbul-izmir, Zugriff 28.3.2022
•BI - Balkan Insight (30.4.2021): Turkey Bans Citizens From Filming Police at Protests, https: //balkaninsight.com/2021/04/30/turkey-bans-citizens-from-filming-police-at-protests/, Zugriff 1.3.2022
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•Medya News (22.3.2022): Turkey: Police detains at least 100 children in Newroz celebrations in Diyarbakir, https://medyanews.net/turkey-police-detains-at-least-100-children-in-newroz-celebra tions-in-diyarbakir/, Zugriff 29.3.2022
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•TM -Turkish Minute (16.6.2022): 10 members, executives of pro-Kurdish HDP detained in morning raids in istanbul, https://www.turkishminute.com/2022/06/16/mbers-executives-of-pro-kurdish-h dp-detained-in-morning-raids-in-istanbul/, Zugriff 11.8.2022
•TM - Turkish Minute (21.3.2022): Police violence against members of anti-gov't religious group sparks outrage, https://www.turkishminute.com/2022/03/21/ice-violence-against-members-of-ant i-govt-religious-group-sparks-outrage/, Zugriff 28.3.2022
•TM - Turkish Minute (8.9.2021): Turkey's top court rules blanket ban violated rights of protestors, https://www.turkishminute.com/2021/09/08/urkeystop-court-rules-blanket-ban-violated-rights-of-p rotestors/, Zugriff 1.3.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.5.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/TURKEY-2020-HUM AN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 1.3.2022
Opposition
Letzte Änderung: 20.09.2022
Obwohl Verfassung und Gesetze den Bürgern die Möglichkeit bieten, ihre Regierung durch Wahlen zu wechseln, schränkt die Regierung den fairen politischen Wettbewerb ein. Unter anderem werden die Aktivitäten oppositioneller politischer Parteien und deren Anführer und Funktionäre eingeschränkt. Dies geschieht auch durch die Begrenzungen der grundlegenden Versammlungs- und Meinungsfreiheit, aber auch durch Verhaftungen. Mehrere Parlamentarier sind nach der Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität im Jahr 2016 weiterhin der Gefahr einer möglichen Strafverfolgung ausgesetzt (USDOS 12.4.2022, S. 58). Das Europäische Parlament zeigte sich wie schon im Juli 2021 (EP 8.7.2021; Pt. 1) auch in einer Entschließung vom 7.6.2022 „zutiefst besorgt über die anhaltenden Übergriffe auf die Oppositionsparteien, insbesondere auf die [...] HDP und andere Parteien, einschließlich der [...] CHP, indem etwa Druck auf sie ausgeübt, ihre Auflösung erzwungen und ihre Mitglieder inhaftiert werden, wodurch das ordnungsgemäße Funktionieren des demokratischen Systems untergraben wird" (EP 7.6.2022, S. 16f., Pt. 22).
Während die Mitglieder der Demokratischen Partei der Völker (HDP) mit den größten Schwierigkeiten konfrontiert sind, haben auch andere Oppositionsführer politisch motivierte Verfolgung und gewalttätige Angriffe erlebt. Auch Abgeordnete der Republikanischen Volkspartei (CHP) wurden verhaftet und aus dem Parlament verwiesen und deren Parteivorsitzender wurde bei Kundgebungen tätlich angegriffen. Im August 2021 wurde die Vorsitzende der iyi-Partei, Meral Ak§ener, während einer politischen Kundgebung in Sivas attackiert (FH 2.2022, B1). Die Justiz geht auch systematisch gegen Parlamentarier der Oppositionsparteien vor, weil sie angeblich terroristische Straftaten begangen haben (EC 19.10.2021, S. 11; vgl. BI 1.2.2022). Am 4.1.2021 hat das Büro des Parlamentspräsidenten 40 neue Verfahren zur Aufhebung der Immunität von 28 Oppositionsabgeordneten eingeleitet, davon allein 26 HDP-Parlamentarier (einer hiervon aus den Reihen der regionalen Schwesterpartei DBP), inklusive der HDP-Ko-Vorsitzenden Pervin Buldan (Duvar 4.1.2022; vgl. HDN 4.1.2022).Während die Mitglieder der Demokratischen Partei der Völker (HDP) mit den größten Schwierigkeiten konfrontiert sind, haben auch andere Oppositionsführer politisch motivierte Verfolgung und gewalttätige Angriffe erlebt. Auch Abgeordnete der Republikanischen Volkspartei (CHP) wurden verhaftet und aus dem Parlament verwiesen und deren Parteivorsitzender wurde bei Kundgebungen tätlich angegriffen. Im August 2021 wurde die Vorsitzende der iyi-Partei, Meral Ak§ener, während einer politischen Kundgebung in Sivas attackiert (FH 2.2022, B1). Die Justiz geht auch systematisch gegen Parlamentarier der Oppositionsparteien vor, weil sie angeblich terroristische Straftaten begangen haben (EC 19.10.2021, S. 11; vergleiche BI 1.2.2022). Am 4.1.2021 hat das Büro des Parlamentspräsidenten 40 neue Verfahren zur Aufhebung der Immunität von 28 Oppositionsabgeordneten eingeleitet, davon allein 26 HDP-Parlamentarier (einer hiervon aus den Reihen der regionalen Schwesterpartei DBP), inklusive der HDP-Ko-Vorsitzenden Pervin Buldan (Duvar 4.1.2022; vergleiche HDN 4.1.2022).
Die Regierung hat die Suspendierungen demokratisch gewählter Bürgermeister, basierend auf deren angeblicher Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppen, fortgesetzt, und diese durch staatliche „Treuhänder" ersetzt. Dieses Vorgehen richtet sich am häufigsten gegen Politiker und Politikerinnen der HDP und ihrer lokalen Schwesterpartei, der Demokratischen Partei der Regionen (DBP). Seit 2016 wurden 88 % der gewählten HDP-Vertreter entfernt (USDOS 12.4.2022, S. 62). Laut Innenminister Soylu wurden seit 2014 151 Bürgermeister (zusammengerechnet in den beiden Perioden nach den Lokalwahlen 2014 und 2019), fast alle aus den Reihen der HDP, wegen Terrorismus-Verbindungen entlassen und durch Treuhänder ersetzt. 73 der 151 ehemaligen Bürgermeister wurden in Summe zu 778 Jahren Gefängnis verurteilt (TM 26.11.2020). 48 HDP-Bürgermeister wurden seit den letzten Lokalwahlen 2019 wegen angeblicher terrorismusbezogener Aktivitäten ihres Amtes enthoben. Außerdem wurde ein Bürgermeister der Republikanischen Volkspartei (CHP) in der Region Izmir wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung abberufen (EC 19.10.2021, S. 13).
Fallweise werden auch andere (parlamentarische) Oppositionsparteien - als die HDP - sowie deren Vertreter in die Nähe des Terrorismus gerückt und mitunter verfolgt. So bezeichnete Staatspräsident Erdogan am 5.11.2021 in einer öffentlichen Rede sowohl die größte Oppositionspartei CHP und ihren Vorsitzenden Kiligdaroglu als auch die rechts-konservative oppositionelle iYi- Partei als Unterstützer der PKK (Duvar 5.11.2021). Canan Kaftancioglu, die Vorsitzende der CHP in Istanbul, wurde im September 2019 zu fast zehn Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem sie wegen Beleidigung des Präsidenten, Verbreitung terroristischer Propaganda (FH 3.3.2021), Herabwürdigung des türkischen Staates, Beamtenbeleidigung und Volksverhetzung verurteilt worden war. Die Anklage stützte sich auf Twitter-Nachrichten aus den Jahren 2012 bis 2017 (ZO 23.6.2020; vgl. FH 3.3.2021). Zudem wurde gegen sie im Dezember 2020 eine weitere Anklage wegen „Anstiftung zu einer Straftat" und wegen des „Lobens einer Straftat und eines Verbrechers" erhoben (Duvar 14.12.2020). Am 12.5.2022 bestätigte der Kassationsgerichtshof die Verurteilung in drei Anklagepunkten - „Beleidigung eines Beamten", „Beleidigung des Präsidenten" und „Beleidigung des türkischen Staates" - die zu einer Haftstrafe von vier Jahren, elf Monaten und 20 Tagen führten. Anklagen wegen Terrorpropaganda und Volksverhetzung wurden jedoch fallen gelassen (Ahval 12.5.2022; vgl. BAMF 16.5.2022, S. 12f.). Als Reaktion demonstrierten in Istanbul Tausende Menschen am 21.5.2022 gegen das Urteil (ZO 22.5.2022). Kaftancioglu wurde am 31.5.2022 ins Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul gebracht, jedoch noch am selben Tage wieder freigelassen. Sie darf jedoch bei den kommenden Wahlen nicht antreten (FAZ 1.6.2022; vgl. MEE 31.5.2022). Ein anderes Beispiel ist der Oppositionspolitiker Metin Gürcan. Gürcan, Mitbegründers der oppositionellen Demokratie- und Fortschrittspartei (DEVA), ist am 13.5.2022, einen Tag nach seiner Freilassung, wegen Spionagevorwürfen erneut verhaftet worden. Ihm drohen bis zu 35 Jahre Haft. Dem Politiker und Militäranalysten wird vorgeworfen, mutmaßlich geheime Informationen an ausländische Diplomaten verkauft zu haben (BAMF 16.5.2022, S. 12f.).Fallweise werden auch andere (parlamentarische) Oppositionsparteien - als die HDP - sowie deren Vertreter in die Nähe des Terrorismus gerückt und mitunter verfolgt. So bezeichnete Staatspräsident Erdogan am 5.11.2021 in einer öffentlichen Rede sowohl die größte Oppositionspartei CHP und ihren Vorsitzenden Kiligdaroglu als auch die rechts-konservative oppositionelle iYi- Partei als Unterstützer der PKK (Duvar 5.11.2021). Canan Kaftancioglu, die Vorsitzende der CHP in Istanbul, wurde im September 2019 zu fast zehn Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem sie wegen Beleidigung des Präsidenten, Verbreitung terroristischer Propaganda (FH 3.3.2021), Herabwürdigung des türkischen Staates, Beamtenbeleidigung und Volksverhetzung verurteilt worden war. Die Anklage stützte sich auf Twitter-Nachrichten aus den Jahren 2012 bis 2017 (ZO 23.6.2020; vergleiche FH 3.3.2021). Zudem wurde gegen sie im Dezember 2020 eine weitere Anklage wegen „Anstiftung zu einer Straftat" und wegen des „Lobens einer Straftat und eines Verbrechers" erhoben (Duvar 14.12.2020). Am 12.5.2022 bestätigte der Kassationsgerichtshof die Verurteilung in drei Anklagepunkten - „Beleidigung eines Beamten", „Beleidigung des Präsidenten" und „Beleidigung des türkischen Staates" - die zu einer Haftstrafe von vier Jahren, elf Monaten und 20 Tagen führten. Anklagen wegen Terrorpropaganda und Volksverhetzung wurden jedoch fallen gelassen (Ahval 12.5.2022; vergleiche BAMF 16.5.2022, S. 12f.). Als Reaktion demonstrierten in Istanbul Tausende Menschen am 21.5.2022 gegen das Urteil (ZO 22.5.2022). Kaftancioglu wurde am 31.5.2022 ins Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul gebracht, jedoch noch am selben Tage wieder freigelassen. Sie darf jedoch bei den kommenden Wahlen nicht antreten (FAZ 1.6.2022; vergleiche MEE 31.5.2022). Ein anderes Beispiel ist der Oppositionspolitiker Metin Gürcan. Gürcan, Mitbegründers der oppositionellen Demokratie- und Fortschrittspartei (DEVA), ist am 13.5.2022, einen Tag nach seiner Freilassung, wegen Spionagevorwürfen erneut verhaftet worden. Ihm drohen bis zu 35 Jahre Haft. Dem Politiker und Militäranalysten wird vorgeworfen, mutmaßlich geheime Informationen an ausländische Diplomaten verkauft zu haben (BAMF 16.5.2022, S. 12f.).
Vorgehen gegen die HDP
Angesichts des Wiederaufflammens des Konflikts mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) begannen 2016 Staatspräsident Erdogan und seine Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) vermehrt die HDP zu bezichtigen, der verlängerte Arm der PKK zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt (NZZ 7.1.2016). Beispielsweise bezeichnete Erdogan im November 2020 den inhaftierten Ex-Ko-Vorsitzenden, Selahattin Demirtag, als Terrorist (TM 25.11.2020) und Anfang November 2021 als Marionette der PKK (Ahval 6.11.2021). Innenminister Süleyman Soylu bezichtigte die HDP, dass sie ihre Parteibüros als Rekrutierungsstellen für die PKK nütze und mit dieser in stetem Kontakt stünde (DS 30.12.2019). Dazu beigetragen hat, dass sich Vertreter der HDP sowohl gegen das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte in den Kurdenregionen der Türkei als auch gegen die ersten militärischen Interventionen in Syrien 2016 (Operation Euphratschild) und später 2018 (Operation Olivenzweig) geäußert hatten. Die Behörden leiteten infolgedessen Ermittlungen gegen HDP-Politiker ein und begannen erstere systematisch aus ihren politischen Ämtern zu entfernen (MEI 3.2.2020).
Der permanente Druck auf die HDP beschränkt sich nicht auf Strafverfolgung und Inhaftierung. Die Partei, ihre Funktionäre und Mitglieder sind einer systematischen Kampagne der Verleumdung und des Hasses ausgesetzt. Sie werden als Terroristen, Verräter und Spielfiguren ausländischer Regierungen dargestellt (SCF 1.2018). Regierungsnahe Medien, wie beispielsweise die Tageszeitung „Daily Sabah“, stellen, auch unter Berufung auf Regierungsvertreter, die HDP und ihre gewählten Vertreter als Unterstützer der PKK und terroristischer Aktivitäten dar (DS 8.12.2021; vgl. DS 24.1.2021). Während des Wahlkampfes zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2018 präsentierten laut Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nationale Fernsehsender die HDP und ihren inhaftierten Präsidentschaftskandidaten Demirta§ überwiegend in einem negativen Ton, wobei oft beide mit einer terroristischen Organisation gleichgesetzt wurden (OSCE 21.9.2018). Wenn die HDP im Fernsehen erwähnt wird, dann in Bezug auf Kriminalität oder die PKK (UKHO 1.10.2019, S. 69). Das Europäische Parlament „fordert[e] die türkischen Staatsorgane auf, davon Abstand zu nehmen, zur Aufwiegelung gegen die HDP weiter anzustacheln“ (EP 8.7.2021, Pt. 5). Mehr als 15.000 HDP-Mitglieder wurden inhaftiert und etwa 5.000 befinden sich noch immer in Haft (MedyaNews 3.7.2022, vgl. NL-MFA 2.3.2022, S. 46, AA 28.7.2022, S. 8). Demnach sitzen rund 12 % aller HDP-Mitglieder im Gefängnis, denn laut offiziellen Zahlen des Kassationsgerichtes hatte die HDP mit Stand 4.10.2021 genau 41.022 Mitglieder (NL-MFA 2.3.2022, S. 46f.) Davon abgesehen leben Tausende HDP-Mitglieder im Ausland, darunter Abgeordnete und ehemalige Ko-Bürgermeister, die nach HDP-Angaben vor politisch motivierten Haftbefehlen der AKP-nahen Justiz fliehen mussten (HDP 18.5.2021; vgl. MedyaNews 3.7.2022).Der permanente Druck auf die HDP beschränkt sich nicht auf Strafverfolgung und Inhaftierung. Die Partei, ihre Funktionäre und Mitglieder sind einer systematischen Kampagne der Verleumdung und des Hasses ausgesetzt. Sie werden als Terroristen, Verräter und Spielfiguren ausländischer Regierungen dargestellt (SCF 1.2018). Regierungsnahe Medien, wie beispielsweise die Tageszeitung „Daily Sabah“, stellen, auch unter Berufung auf Regierungsvertreter, die HDP und ihre gewählten Vertreter als Unterstützer der PKK und terroristischer Aktivitäten dar (DS 8.12.2021; vergleiche DS 24.1.2021). Während des Wahlkampfes zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2018 präsentierten laut Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nationale Fernsehsender die HDP und ihren inhaftierten Präsidentschaftskandidaten Demirta§ überwiegend in einem negativen Ton, wobei oft beide mit einer terroristischen Organisation gleichgesetzt wurden (OSCE 21.9.2018). Wenn die HDP im Fernsehen erwähnt wird, dann in Bezug auf Kriminalität oder die PKK (UKHO 1.10.2019, S. 69). Das Europäische Parlament „fordert[e] die türkischen Staatsorgane auf, davon Abstand zu nehmen, zur Aufwiegelung gegen die HDP weiter anzustacheln“ (EP 8.7.2021, Pt. 5). Mehr als 15.000 HDP-Mitglieder wurden inhaftiert und etwa 5.000 befinden sich noch immer in Haft (MedyaNews 3.7.2022, vergleiche NL-MFA 2.3.2022, S. 46, AA 28.7.2022, S. 8). Demnach sitzen rund 12 % aller HDP-Mitglieder im Gefängnis, denn laut offiziellen Zahlen des Kassationsgerichtes hatte die HDP mit Stand 4.10.2021 genau 41.022 Mitglieder (NL-MFA 2.3.2022, S. 46f.) Davon abgesehen leben Tausende HDP-Mitglieder im Ausland, darunter Abgeordnete und ehemalige Ko-Bürgermeister, die nach HDP-Angaben vor politisch motivierten Haftbefehlen der AKP-nahen Justiz fliehen mussten (HDP 18.5.2021; vergleiche MedyaNews 3.7.2022).
Siehe auch die Kapitel: Haftbedingungen und Kurden
Vorgehen gegen einfache HDP-Mitglieder und deren Umfeld
Eine Mitgliedschaft in der HDP allein ist jedoch kein Grund für die Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen. Die Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen ist immer einzelfallabhängig (AA 28.7.2022, S. 8; vgl. NL-MFA 2.3.2022, S.47). Die Entscheidung, allerdings, welche HDP-Mitglieder verhaftet und inhaftiert werden und welche nicht, wird demzufolge zufällig und willkürlich getroffen. Diese Willkür diene laut Quellen wahrscheinlich dem Zweck, Angst und Unsicherheit zu verbreiten und die Menschen davon abzuhalten, aktiv für die HDP zu arbeiten. Aus vertraulichen Quellen des niederländischen Außenministeriums geht hervor, dass eine Reihe von Umständen und Aktivitäten in der Praxis eine Rolle bei Festnahmen, Inhaftierungen, strafrechtlichen Ermittlungen und Verurteilungen spielen können. Dies bedeutet nicht, dass diese Umstände und Aktivitäten bei allen HDP-Mitgliedern, Mitarbeitern, Aktivisten und/oder Sympathisanten zu persönlichen Problemen mit den türkischen Behörden führen. Faktoren, die zu negativer Aufmerksamkeit seitens der türkischen Behörden führen können (Die Liste ist keineswegs als erschöpfend anzusehen): die HDP-Mitgliedschaft an sich; die Wahlbeobachtungen; die Teilnahme an HDP-Demonstrationen, an HDP-Pressekonferenzen, an HDP-Wahlkampagnen, an HDP-Versammlungen; das Posten und Teilen von Pro-HDP-Posts in sozialen Medien (z. B. das Posten von Bildern des inhaftierten HDP-Vorsitzenden Demirta§); der Besitz und die Verteilung von HDP-Pamphleten; der Besitz bestimmter Arten von Literatur (z. B. Bücher über „Konföderalismus“, d. h., das Streben nach Selbstverwaltung und Autonomie für die Kurden).Eine Mitgliedschaft in der HDP allein ist jedoch kein Grund für die Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen. Die Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen ist immer einzelfallabhängig (AA 28.7.2022, S. 8; vergleiche NL-MFA 2.3.2022, S.47). Die Entscheidung, allerdings, welche HDP-Mitglieder verhaftet und inhaftiert werden und welche nicht, wird demzufolge zufällig und willkürlich getroffen. Diese Willkür diene laut Quellen wahrscheinlich dem Zweck, Angst und Unsicherheit zu verbreiten und die Menschen davon abzuhalten, aktiv für die HDP zu arbeiten. Aus vertraulichen Quellen des niederländischen Außenministeriums geht hervor, dass eine Reihe von Umständen und Aktivitäten in der Praxis eine Rolle bei Festnahmen, Inhaftierungen, strafrechtlichen Ermittlungen und Verurteilungen spielen können. Dies bedeutet nicht, dass diese Umstände und Aktivitäten bei allen HDP-Mitgliedern, Mitarbeitern, Aktivisten und/oder Sympathisanten zu persönlichen Problemen mit den türkischen Behörden führen. Faktoren, die zu negativer Aufmerksamkeit seitens der türkischen Behörden führen können (Die Liste ist keineswegs als erschöpfend anzusehen): die HDP-Mitgliedschaft an sich; die Wahlbeobachtungen; die Teilnahme an HDP-Demonstrationen, an HDP-Pressekonferenzen, an HDP-Wahlkampagnen, an HDP-Versammlungen; das Posten und Teilen von Pro-HDP-Posts in sozialen Medien (z. B. das Posten von Bildern des inhaftierten HDP-Vorsitzenden Demirta§); der Besitz und die Verteilung von HDP-Pamphleten; der Besitz bestimmter Arten von Literatur (z. B. Bücher über „Konföderalismus“, d. h., das Streben nach Selbstverwaltung und Autonomie für die Kurden).
Zum Vorgehen seitens der türkischen Behörden gehören auch nächtliche, mit unter gewaltsame Razzien am Wohnort (NL-MFA 2.3.2022, S. 447).
Auch Angehörige von HDP-Mitgliedern, die selbst nicht formell der HDP angehören, werden von den türkischen Behörden misstrauisch beäugt, was in Folge zu diversen Problemen führen kann. Zum Beispiel können Angehörigen von HDP-Mitgliedern bestimmte Dienstleistungen verweigertwerden, wie zum Beispiel ein Kredit, ein Bankkonto, eine Baugenehmigung oder eine Subvention. Es kann auch vorkommen, dass der Passantrag eines Angehörigen eines HDP-Mit- glieds absichtlich verzögert wird, und in einigen Fällen können Angehörige von HDP-Mitgliedern ihren Arbeitsplatz verlieren bzw. keinen bekommen, nur, weil ihr Verwandter für die HDP aktiv ist (NL-MFA 2.3.2022, S. 49). Laut dem Direktor einer türkischen Organisation mit Sitz im Vereinigten Königreich sind Angehörige von HDP-Mitgliedern gefährdet, wenn sie sich für das Gerichtsverfahren ihres Verwandten interessieren, sich in den sozialen Medien politisch äußern oder an politischen Kundgebungen teilnehmen. Handelt es sich um ein HDP-Mitglied mit hohem Bekanntheitsgrad, nehmen die Behörden zuerst das schwächste Familienmitglied ins Visier, um dann, wenn nötig, zu einem anderen Familienmitglied überzugehen. Ist das HDP-Mitglied unauffällig, kann versucht werden, einen Verwandten zu zwingen, ein Informant für die Behörden zu werden; weigert er sich, wird er mitunter inhaftiert oder ist physischer Gewalt ausgesetzt. Ein Menschenrechtsanwalt bestätigte das behördliche Vorgehen, wonach Familienmitglieder von Menschen, die der Regierung kritisch gegenüberstehen, ins Visier genommen werden. Und so die Polizei die gesuchte Person nicht findet, nimmt sie ein anderes Familienmitglied mit. Dies war während des Notstands sehr häufig der Fall. Die Familien wurden telefonisch bedroht und ihre Häuser wurden durchsucht (UKHO 1.10.2019, S. 20).
Behördliches Vorgehen gegen gewählte HDP-Mandatare auf lokaler Ebene
Bei den letzten Lokalwahlen Ende März 2019 wurden im ersten Fall HDP-Kandidaten, die aufgrund eines Notstandsdekretes zuvor aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen wurden, nachträglich als nicht wählbar betrachtet, obwohl ihre Kandidatur für die eigentliche Wahl zunächst als gültig erklärt worden war (CoE 19.6.2020). Dies betraf auch schon vor der Wahl 2019 abgesetzte Bürgermeister, die zugelassen und dann wiedergewählt wurden. Die lokalen Wahlräte verweigerten einer Reihe von Wahlsiegern der HDP die Ernennung zum Bürgermeister und ernannten stattdessen die zweitplatzierten Kandidaten, meist der AKP, zu Bürgermeistern (AA 28.7.2022, S.7f.). Im zweiten Fall wurden nach der Wahl Bürgermeister auf der Grundlage von Gesetzesänderungen, die durch das Gesetz über Notstandsverordnungen eingeführt wurden, wegen Terrorismus-bedingter Anschuldigungen suspendiert, obwohl sie zum Zeitpunkt der Wahlen als wählbar galten, als viele der Ermittlungen oder Anklagen gegen sie bereits eingeleitet worden waren (CoE 19.6.2020; vgl. AA 14.6.2019, HDP 18.11.2019).Bei den letzten Lokalwahlen Ende März 2019 wurden im ersten Fall HDP-Kandidaten, die aufgrund eines Notstandsdekretes zuvor aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen wurden, nachträglich als nicht wählbar betrachtet, obwohl ihre Kandidatur für die eigentliche Wahl zunächst als gültig erklärt worden war (CoE 19.6.2020). Dies betraf auch schon vor der Wahl 2019 abgesetzte Bürgermeister, die zugelassen und dann wiedergewählt wurden. Die lokalen Wahlräte verweigerten einer Reihe von Wahlsiegern der HDP die Ernennung zum Bürgermeister und ernannten stattdessen die zweitplatzierten Kandidaten, meist der AKP, zu Bürgermeistern (AA 28.7.2022, S.7f.). Im zweiten Fall wurden nach der Wahl Bürgermeister auf der Grundlage von Gesetzesänderungen, die durch das Gesetz über Notstandsverordnungen eingeführt wurden, wegen Terrorismus-bedingter Anschuldigungen suspendiert, obwohl sie zum Zeitpunkt der Wahlen als wählbar galten, als viele der Ermittlungen oder Anklagen gegen sie bereits eingeleitet worden waren (CoE 19.6.2020; vergleiche AA 14.6.2019, HDP 18.11.2019).
Die ersten prominenten, gewählten HDP-Bürgermeister waren jene von Mardin und Van sowie der Millionenstadt Diyarbakir im Südosten des Landes. Sie wurden am 19.8.2019 ihrer Ämter enthoben. Gegen die drei Bürgermeister wurde wegen der Verbreitung von Terrorpropaganda und der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation ermittelt (ZO 19.8.2019; vgl. DW 20.8.2019). Der Bürgermeister von Diyarbakir, Selguk Mizrakli, wurde im Frühjahr 2020 zu neun Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt (Bianet 9.3.2020), ehe er Ende September 2021 vom Vorwurf der „Propaganda für eine Terrororganisation“ freigesprochen wurde (Bianet 30.9.2021). Die entlassenen Bürgermeister wurden alle durch staatlich ernannte Treuhänder ersetzt (MEE 19.8.2019). Zudem wurde die Absetzung der kurdischen Ortsvorsteher von einer groß angelegten Polizeirazzia gegen HDP-Mitglieder in Mardin, Van, Diyarbakir und 26 weiteren Provinzen begleitet, bei der mindestens 418 Personen festgenommen wurden (FR 21.8.2019). Als es Anfang 2020 zu mehrtägigen Protesten gegen die Entlassung von kurdischen Bürgermeistern kam, ging die Bereitschaftspolizei in Diyarbakir gegen die Demonstranten mit Plastikgeschossen, Tränengas und Knüppeln vor. Mehrere Journalisten, die über die Vorkommnisse berichteten, wurden von der Polizei misshandelt (AM 21.1.2020). Fälle polizeilicher Gewaltanwendung gegenüber Mitgliedern und Funktionären der HDP kommen weiterhin vor. So griff die Polizei in die von der HDP und dem Demokratischen Volkskongress (HDK) organisierte Presseerklärung am 18.4.2022 im Istanbuler Stadtteil Beyoglu zum bevorstehenden 1. Mai ein und nahm 26 Personen, darunter die Ko-Vorsitzende der HDP und die Ko-Sprecher des HDK, unter Anwendung körperlicher Gewalt fest (Die festgenommenen Personen wurden noch am selben Tag wieder freigelassen). Zudem wandte die Polizei körperliche Gewalt gegenüber Journalisten an, um diese Vorort zu vertreiben (TiHV 19.4.2022). In Folge setzten sich die Festnahmen und Amtsenthebungen von gewählten HDP-Bürgermeis- tern ebenso fort wie die Verhaftungen und Anklagen gegen andere Vertreter der HDP. Im März 2020 haben die türkischen Behörden beispielsweise acht Bürgermeister der HDP wegen Terrorvorwürfen abgesetzt. Betroffen waren die Bezirke der Provinzen Batman, Diyarbakir, Bitlis, Siirt und Igdir (ZO 24.3.2020). Als fünf Bürgermeister der HDP Mitte Mai 2020 wegen vermeintlicher Verbindungen zur PKK festgenommen, ihres Amtes enthoben und durch Treuhänder der Regierung ersetzt wurden, nannte Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, dies einen scheinbar politisch motivierten Schritt (Duvar 19.5.2020). Im Juli 2020 wurden mehr als 50 Personen in den Provinzen Diyarbakir und Gaziantep festgenommen, darunter auch die Ko-Vorsitzende der HDP in der Provinz Gaziantep. Den Verdächtigen, bei denen es sich zumeist um Frauen handelte, wurdenVerbindungen zur PKK vorgeworfen (AM 14.7.2020).Die ersten prominenten, gewählten HDP-Bürgermeister waren jene von Mardin und Van sowie der Millionenstadt Diyarbakir im Südosten des Landes. Sie wurden am 19.8.2019 ihrer Ämter enthoben. Gegen die drei Bürgermeister wurde wegen der Verbreitung von Terrorpropaganda und der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation ermittelt (ZO 19.8.2019; vergleiche DW 20.8.2019). Der Bürgermeister von Diyarbakir, Selguk Mizrakli, wurde im Frühjahr 2020 zu neun Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt (Bianet 9.3.2020), ehe er Ende September 2021 vom Vorwurf der „Propaganda für eine Terrororganisation“ freigesprochen wurde (Bianet 30.9.2021). Die entlassenen Bürgermeister wurden alle durch staatlich ernannte Treuhänder ersetzt (MEE 19.8.2019). Zudem wurde die Absetzung der kurdischen Ortsvorsteher von einer groß angelegten Polizeirazzia gegen HDP-Mitglieder in Mardin, Van, Diyarbakir und 26 weiteren Provinzen begleitet, bei der mindestens 418 Personen festgenommen wurden (FR 21.8.2019). Als es Anfang 2020 zu mehrtägigen Protesten gegen die Entlassung von kurdischen Bürgermeistern kam, ging die Bereitschaftspolizei in Diyarbakir gegen die Demonstranten mit Plastikgeschossen, Tränengas und Knüppeln vor. Mehrere Journalisten, die über die Vorkommnisse berichteten, wurden von der Polizei misshandelt (AM 21.1.2020). Fälle polizeilicher Gewaltanwendung gegenüber Mitgliedern und Funktionären der HDP kommen weiterhin vor. So griff die Polizei in die von der HDP und dem Demokratischen Volkskongress (HDK) organisierte Presseerklärung am 18.4.2022 im Istanbuler Stadtteil Beyoglu zum bevorstehenden 1. Mai ein und nahm 26 Personen, darunter die Ko-Vorsitzende der HDP und die Ko-Sprecher des HDK, unter Anwendung körperlicher Gewalt fest (Die festgenommenen Personen wurden noch am selben Tag wieder freigelassen). Zudem wandte die Polizei körperliche Gewalt gegenüber Journalisten an, um diese Vorort zu vertreiben (TiHV 19.4.2022). In Folge setzten sich die Festnahmen und Amtsenthebungen von gewählten HDP-Bürgermeis- tern ebenso fort wie die Verhaftungen und Anklagen gegen andere Vertreter der HDP. Im März 2020 haben die türkischen Behörden beispielsweise acht Bürgermeister der HDP wegen Terrorvorwürfen abgesetzt. Betroffen waren die Bezirke der Provinzen Batman, Diyarbakir, Bitlis, Siirt und Igdir (ZO 24.3.2020). Als fünf Bürgermeister der HDP Mitte Mai 2020 wegen vermeintlicher Verbindungen zur PKK festgenommen, ihres Amtes enthoben und durch Treuhänder der Regierung ersetzt wurden, nannte Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, dies einen scheinbar politisch motivierten Schritt (Duvar 19.5.2020). Im Juli 2020 wurden mehr als 50 Personen in den Provinzen Diyarbakir und Gaziantep festgenommen, darunter auch die Ko-Vorsitzende der HDP in der Provinz Gaziantep. Den Verdächtigen, bei denen es sich zumeist um Frauen handelte, wurdenVerbindungen zur PKK vorgeworfen (AM 14.7.2020).
Der Kobane-Massenprozess
Ende September 2020 hat der Generalstaatsanwalt von Ankara Haftbefehle gegen 82 Politiker der HDP ausgestellt und danach angekündigt, die Aufhebung der Immunität von sieben HDP-Ab- geordneten zu beantragen. Die Generalstaatsanwaltschaft begründet die Festnahmen und das Vorgehen gegen die Abgeordneten mit den Protesten vom Oktober 2014, die sie rückwirkend, sechs Jahre nach den Ereignissen als „Terrorakte“ einstuft. Damals drohte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die umzingelte syrisch-kurdische Stadt Kobane einzunehmen. Die HDP hatte dem türkischen Staat vorgeworfen, nichts zur Rettung von Kobane zu unternehmen und den IS zu unterstützen, und rief daher zu Solidaritätskundgebungen auf. Vom 6. bis 8.10.2014 wurden bei blutigen Zusammenstößen rund 40 Menschen getötet (FAZ 27.9.2020; vgl. HRW 2.10.2020). Ein Gericht in Ankara bestätigte am 7.1.2021 die Anklage gegen 108 Personen, darunter gegen die inhaftierten ehemaligen HDP-Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirta§ und Figen Yüksekdag (für die dies eine erneute Anklage darstellt), im Zusammenhang mit den Kobane-Protesten 2014. Die Anklageschrift beschuldigt die 108 Personen des Mordes und der Untergrabung der Einheit und territorialen Integrität des Staates. Das geforderte Strafausmaß für die Angeklagten beträgt 38 Mal lebenslänglich für jeden von ihnen (Duvar 7.1.2021; vgl. SDZ 7.1.2021). Ende Februar 2022 fand die zehnte Anhörung statt (Bianet 28.2.2022). Am 12.4.2022 ordneten die Behörden die Verhaftung von weiteren 91 Personen im Zusammenhang mit den Kobane-Protesten an, darunter auch Mitglieder der HDP. Sie wurden beschuldigt an der finanziellen Organisierung der Vorfälle beteiligt gewesen zu sein und den Familien von toten oder verletzten PKK-Mitgliedern finanzielle Unterstützung zukommen gelassen zu haben (BI 12.4.2022).Ende September 2020 hat der Generalstaatsanwalt von Ankara Haftbefehle gegen 82 Politiker der HDP ausgestellt und danach angekündigt, die Aufhebung der Immunität von sieben HDP-Ab- geordneten zu beantragen. Die Generalstaatsanwaltschaft begründet die Festnahmen und das Vorgehen gegen die Abgeordneten mit den Protesten vom Oktober 2014, die sie rückwirkend, sechs Jahre nach den Ereignissen als „Terrorakte“ einstuft. Damals drohte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die umzingelte syrisch-kurdische Stadt Kobane einzunehmen. Die HDP hatte dem türkischen Staat vorgeworfen, nichts zur Rettung von Kobane zu unternehmen und den IS zu unterstützen, und rief daher zu Solidaritätskundgebungen auf. Vom 6. bis 8.10.2014 wurden bei blutigen Zusammenstößen rund 40 Menschen getötet (FAZ 27.9.2020; vergleiche HRW 2.10.2020). Ein Gericht in Ankara bestätigte am 7.1.2021 die Anklage gegen 108 Personen, darunter gegen die inhaftierten ehemaligen HDP-Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirta§ und Figen Yüksekdag (für die dies eine erneute Anklage darstellt), im Zusammenhang mit den Kobane-Protesten 2014. Die Anklageschrift beschuldigt die 108 Personen des Mordes und der Untergrabung der Einheit und territorialen Integrität des Staates. Das geforderte Strafausmaß für die Angeklagten beträgt 38 Mal lebenslänglich für jeden von ihnen (Duvar 7.1.2021; vergleiche SDZ 7.1.2021). Ende Februar 2022 fand die zehnte Anhörung statt (Bianet 28.2.2022). Am 12.4.2022 ordneten die Behörden die Verhaftung von weiteren 91 Personen im Zusammenhang mit den Kobane-Protesten an, darunter auch Mitglieder der HDP. Sie wurden beschuldigt an der finanziellen Organisierung der Vorfälle beteiligt gewesen zu sein und den Familien von toten oder verletzten PKK-Mitgliedern finanzielle Unterstützung zukommen gelassen zu haben (BI 12.4.2022).
Aktuelle Beispiele für Verhaftungen und Verurteilungen von HDP-Funktionären und einfachen HDP-Mitgliedern
Mitte Februar 2021 wurden als Reaktion auf die vermeintliche Exekution von 13 PKK-Geiseln während einer Operation der türkischen Armee im Nordirak über 700, darunter führende Vertreter der HDP festgenommen (DW 15.2.2021; vgl. Duvar 15.2.2021). Laut Angaben der HDP wurden mindestens 139 ihrer Funktionäre und Mitglieder in diversen Provinzen verhaftet (HDP 17.2.2021) . Vertreter der Regierung stellten hierbei die HDP als Unterstützerin der PKK dar (National 15.2.2021). Im Februar 2021 wurde die 2019 aus ihrem Amt enthobene Ko-Bürger- meisterin von Sur in der Provinz Diyarbakir, Filiz Buluttekin, zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation verurteilt (Ahval 22.2.2021). Die EU zeigte sich in einer Stellungnahme vom 23.2.2021 zutiefst besorgt ob des anhaltenden Drucks gegen die HDP und mehrere ihrer Mitglieder, der sich in letzter Zeit in Form von Verhaftungen, dem Ersetzen gewählter Bürgermeister, offensichtlich politisch motivierten Gerichtsverfahren und dem Versuch der Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Mitgliedern der Großen Nationalversammlung manifestiert hat. Hinzukommt die Weigerung, dem Urteil des EGMR zur Freilassung von Selahattin Demirtag nachzukommen (EU 23.2.2021). Nichtsdestotrotz verurteilte ein Strafgericht in Van im Oktober 2021 den ehemaligen kurdischen HDP-Bürgermeister des Bezirks Özalp, Yakup Almag, wegen „Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation“ zu acht Jahren und sechs Monaten Gefängnis (WKI 12.10.2021; vgl. KN 12.10.2021). Im Dezember 2021 wurden laut dem HDP-Bürgermeister von Cizre zwölf HDP-Mitglieder bzw. -Anhänger bei einer Polizeiaktion in Cizre und Silopi (Provinz §irnak) im Südosten des Landes verhaftet (Rudaw 11.12.2021). In diesem Zusammenhang soll es laut Angaben des HDP-Parlaments- abgeordneten, Hüseyin Kagmaz, zu vermehrten Festnahmen gekommen sein. Laut Berichten pro-kurdischer Medien sollen innerhalb von drei Monaten bis Jänner 2022 in der Provinz §irnak 160 HDP-Anhänger festgenommenen und hiervon 67 inhaftiert (bzw. 93 wieder freigelassen) worden sein, und zwar meist auf der Basis anonymer Anzeigen meist im Vorfeld von lokalen HDP-Kongressen (Mezopotamya 21.1.2022). Am 19.5.2022 wurden 13 Personen, darunter HDP-Führungskräfte und Mitglieder der HDP-Jugendorganisation, bei Hausdurchsuchungen in Diyarbakir festgenommen. Zehn von ihnen wurden per Gerichtsentscheid inhaftiert, die restlichen bedingt freigelassen (TiHV 23.5.2022). Anfang Juni erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen 42 Personen im Umfeld der HDP, darunter befanden sich u.a. die HDP-Provinzchefs von Istanbul, Bingöl und Edirne (Duvar 3.6.2022). Mitte desselben Monats wurden im Zuge einer Polizeirazzia zehn Mitglieder der HDP in Istanbul festgenommen (Ahval 16.6.2022).Mitte Februar 2021 wurden als Reaktion auf die vermeintliche Exekution von 13 PKK-Geiseln während einer Operation der türkischen Armee im Nordirak über 700, darunter führende Vertreter der HDP festgenommen (DW 15.2.2021; vergleiche Duvar 15.2.2021). Laut Angaben der HDP wurden mindestens 139 ihrer Funktionäre und Mitglieder in diversen Provinzen verhaftet (HDP 17.2.2021) . Vertreter der Regierung stellten hierbei die HDP als Unterstützerin der PKK dar (National 15.2.2021). Im Februar 2021 wurde die 2019 aus ihrem Amt enthobene Ko-Bürger- meisterin von Sur in der Provinz Diyarbakir, Filiz Buluttekin, zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation verurteilt (Ahval 22.2.2021). Die EU zeigte sich in einer Stellungnahme vom 23.2.2021 zutiefst besorgt ob des anhaltenden Drucks gegen die HDP und mehrere ihrer Mitglieder, der sich in letzter Zeit in Form von Verhaftungen, dem Ersetzen gewählter Bürgermeister, offensichtlich politisch motivierten Gerichtsverfahren und dem Versuch der Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Mitgliedern der Großen Nationalversammlung manifestiert hat. Hinzukommt die Weigerung, dem Urteil des EGMR zur Freilassung von Selahattin Demirtag nachzukommen (EU 23.2.2021). Nichtsdestotrotz verurteilte ein Strafgericht in Van im Oktober 2021 den ehemaligen kurdischen HDP-Bürgermeister des Bezirks Özalp, Yakup Almag, wegen „Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation“ zu acht Jahren und sechs Monaten Gefängnis (WKI 12.10.2021; vergleiche KN 12.10.2021). Im Dezember 2021 wurden laut dem HDP-Bürgermeister von Cizre zwölf HDP-Mitglieder bzw. -Anhänger bei einer Polizeiaktion in Cizre und Silopi (Provinz §irnak) im Südosten des Landes verhaftet (Rudaw 11.12.2021). In diesem Zusammenhang soll es laut Angaben des HDP-Parlaments- abgeordneten, Hüseyin Kagmaz, zu vermehrten Festnahmen gekommen sein. Laut Berichten pro-kurdischer Medien sollen innerhalb von drei Monaten bis Jänner 2022 in der Provinz §irnak 160 HDP-Anhänger festgenommenen und hiervon 67 inhaftiert (bzw. 93 wieder freigelassen) worden sein, und zwar meist auf der Basis anonymer Anzeigen meist im Vorfeld von lokalen HDP-Kongressen (Mezopotamya 21.1.2022). Am 19.5.2022 wurden 13 Personen, darunter HDP-Führungskräfte und Mitglieder der HDP-Jugendorganisation, bei Hausdurchsuchungen in Diyarbakir festgenommen. Zehn von ihnen wurden per Gerichtsentscheid inhaftiert, die restlichen bedingt freigelassen (TiHV 23.5.2022). Anfang Juni erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen 42 Personen im Umfeld der HDP, darunter befanden sich u.a. die HDP-Provinzchefs von Istanbul, Bingöl und Edirne (Duvar 3.6.2022). Mitte desselben Monats wurden im Zuge einer Polizeirazzia zehn Mitglieder der HDP in Istanbul festgenommen (Ahval 16.6.2022).
Aktuelle Beispiele für Entscheidungen des Europäische Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) und des türkischen Verfassungsgerichts
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am 1.2.2022, dass die Türkei das Recht auf freie Meinungsäußerung von Abgeordneten der HDP verletzt hatte, indem sie deren parlamentarische Immunität vor Strafverfolgung aufgehoben hatte. Der Beschluss zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität von 40 Abgeordneten der HDP (im Mai 2016), darunter die ehemaligen Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirta§ und Figen Yüksekdag, verstößt laut EGMR gegen die türkische Verfassung (BI 1.2.2022; vgl. Evrensel 2.2.2022). Schon zuvor verlangte das Ministerkomitee des Europarates im Dezember 2021 die unverzügliche Freilassung von Demirta§ (CoE-CM 2.12.2021). Nach 2021 forderte auch das Europäische Parlament (EP) im Juni 2022 neuerlich auf Basis des EGMR-Urteils das Fallenlassen aller Anklagepunkte und die sofortige Freilassung sowohl von Demirta§ als auch von Yüksekdag sowie auch anderer HDP-Mitglieder, die sich seit November 2016 in Haft befinden (EP 7.6.2022, S. 16, Pt. 23, EP 19.5.2021, S. 13, Pt. 33). Zudem verurteilte das EP die Entscheidung des 46. Strafgerichtshofs erster Instanz in Istanbul, Selahattin Demirta§ zur maximalen Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren für die angebliche Beleidigung des Präsidenten zu bestrafen (EP 19.5.2021, S. 13, Pt. 33). Dieses Urteil wurde im Februar 2022 durch ein Gericht in Istanbul bekräftigt (Duvar 21.2.2022).Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am 1.2.2022, dass die Türkei das Recht auf freie Meinungsäußerung von Abgeordneten der HDP verletzt hatte, indem sie deren parlamentarische Immunität vor Strafverfolgung aufgehoben hatte. Der Beschluss zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität von 40 Abgeordneten der HDP (im Mai 2016), darunter die ehemaligen Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirta§ und Figen Yüksekdag, verstößt laut EGMR gegen die türkische Verfassung (BI 1.2.2022; vergleiche Evrensel 2.2.2022). Schon zuvor verlangte das Ministerkomitee des Europarates im Dezember 2021 die unverzügliche Freilassung von Demirta§ (CoE-CM 2.12.2021). Nach 2021 forderte auch das Europäische Parlament (EP) im Juni 2022 neuerlich auf Basis des EGMR-Urteils das Fallenlassen aller Anklagepunkte und die sofortige Freilassung sowohl von Demirta§ als auch von Yüksekdag sowie auch anderer HDP-Mitglieder, die sich seit November 2016 in Haft befinden (EP 7.6.2022, S. 16, Pt. 23, EP 19.5.2021, S. 13, Pt. 33). Zudem verurteilte das EP die Entscheidung des 46. Strafgerichtshofs erster Instanz in Istanbul, Selahattin Demirta§ zur maximalen Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren für die angebliche Beleidigung des Präsidenten zu bestrafen (EP 19.5.2021, S. 13, Pt. 33). Dieses Urteil wurde im Februar 2022 durch ein Gericht in Istanbul bekräftigt (Duvar 21.2.2022).
Am 14.9.2021 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Türkei wegen der unrechtmäßigen Amtsenthebung und Inhaftierung des Bürgermeisters von Siirt, Tuncer Bakirhan, zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 10.000 EUR und einer Aufwandsentschädigung von 3.000 EUR. Das Gericht erklärte die Amtsenthebung und Verhaftung im November 2016 sei unverhältnismäßig gewesen und eine Verletzung seiner Freiheit (Art. 5 EMRK) und seines Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK). Bakirhan, ein Mitglied der pro-kurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP), der Vorgängerin der HDP, wurde beschuldigt, der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) anzugehören, und saß zwei Jahre und acht Monate in Untersuchungshaft. Im Oktober 2019 wurde er zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt (ECHR 14.9.2021; vgl. BAMF 20.9.2021, S. 141).Am 14.9.2021 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Türkei wegen der unrechtmäßigen Amtsenthebung und Inhaftierung des Bürgermeisters von Siirt, Tuncer Bakirhan, zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von 10.000 EUR und einer Aufwandsentschädigung von 3.000 EUR. Das Gericht erklärte die Amtsenthebung und Verhaftung im November 2016 sei unverhältnismäßig gewesen und eine Verletzung seiner Freiheit (Artikel 5, EMRK) und seines Rechts auf freie Meinungsäußerung (Artikel 10, EMRK). Bakirhan, ein Mitglied der pro-kurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP), der Vorgängerin der HDP, wurde beschuldigt, der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) anzugehören, und saß zwei Jahre und acht Monate in Untersuchungshaft. Im Oktober 2019 wurde er zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt (ECHR 14.9.2021; vergleiche BAMF 20.9.2021, S. 141).
Am 22.3.2022 wies das Verfassungsgericht den Antrag der HDP-Abgeordneten Semra Güzel ab, die Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität wegen Terrorvorwürfen rückgängig zu machen. Güzel wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in zwei Fällen angeklagt, nachdem Fotos in den Medien erschienen waren, auf denen sie mit einem PKK- Mitglied mutmaßlich in einem Lager der Gruppe posierte (BAMF 28.3.2022, S. 9; vgl. Ahval 24.3.2022). Der 75-jährige, ehemalige Abgeordnete der HDP, Halil Aksoy, wurde in einem Fall, in dem er vor 13 Jahren freigesprochen worden war, am 26.4.2022 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Entgegen dem damaligen Freispruch verurteilte dasselbe 11. Hohe Strafgericht Gericht in Istanbul Aksoy wegen Propaganda für eine terroristische Organisation. Das Gericht lehnte auch einen Aufschub seiner Strafe ab (Mezopotamya 27.4.2022). Entlassen hingegen wurde nach fünf Jahren Anfang Jänner 2022 der ehemalige HDP-Abgeordnete Abdullah Zeydan, nachdem das Oberste Berufungsgericht die Haftstrafe von acht Jahren und 45 Tagen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Verbreitung terroristischer Propaganda aufgehoben hatte (BAMF 10.1.2022, S. 15; vgl. Ahval 6.1.2022).Am 22.3.2022 wies das Verfassungsgericht den Antrag der HDP-Abgeordneten Semra Güzel ab, die Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität wegen Terrorvorwürfen rückgängig zu machen. Güzel wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in zwei Fällen angeklagt, nachdem Fotos in den Medien erschienen waren, auf denen sie mit einem PKK- Mitglied mutmaßlich in einem Lager der Gruppe posierte (BAMF 28.3.2022, S. 9; vergleiche Ahval 24.3.2022). Der 75-jährige, ehemalige Abgeordnete der HDP, Halil Aksoy, wurde in einem Fall, in dem er vor 13 Jahren freigesprochen worden war, am 26.4.2022 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Entgegen dem damaligen Freispruch verurteilte dasselbe 11. Hohe Strafgericht Gericht in Istanbul Aksoy wegen Propaganda für eine terroristische Organisation. Das Gericht lehnte auch einen Aufschub seiner Strafe ab (Mezopotamya 27.4.2022). Entlassen hingegen wurde nach fünf Jahren Anfang Jänner 2022 der ehemalige HDP-Abgeordnete Abdullah Zeydan, nachdem das Oberste Berufungsgericht die Haftstrafe von acht Jahren und 45 Tagen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Verbreitung terroristischer Propaganda aufgehoben hatte (BAMF 10.1.2022, S. 15; vergleiche Ahval 6.1.2022).
Siehe auch das Kapitel: Terroristische Gruppierungen: PKK - Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)
Verbotsverfahren gegen die HDP
Am 17.3.2021 gab der Generalstaatsanwalt des Obersten Kassationsgerichtes, Bekir §ahin, bekannt, dass er beim Verfassungsgericht ex officio den Antrag auf ein Verbot und die Auflösung der HDP gestellt habe (ÖB 18.3.2021; vgl. DS 18.3.2021). Der amtierende Generalstaatsanwalt wurde erst 2020 von Staatspräsident Erdogan ernannt (SWP 10.6.2021; S. 3). In der Anklageschrift werden Parteiführung und -mitglieder u. a. beschuldigt, durch ihre Handlungen gegen Gesetzte zu verstoßen, das Ziel verfolgend, die staatliche und nationale Integrität zu unterminieren und dabei mit der verbotenen PKK zu konspirieren (BAMF 22.3.2021; vgl. DS 18.3.2021). In ihrem umstrittensten Aspekt kriminalisiert die Anklageschrift jedoch den zweijährigen Friedensprozess zwischen Ankara und den Kurden, der 2015 zusammenbrach. An den Gesprächen waren der inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan, die in den Qandil-Bergen im Nordirak ansässige PKK-Führung, Regierungsbeamte und HDP-Mitglieder beteiligt, die meist als Vermittler auftraten. Anhand von Protokollen der Treffen zwischen HDP-Mitgliedern und Öcalan stellte die Anklage die Bemühungen der HDP-Mitglieder als kriminelle Handlungen dar, für die die Partei verboten werden sollte, obwohl die Friedensinitiative von der regierenden AKP gestartet und unterstützt wurde (AM 9.4.2021). Der Generalstaatsanwalt beantragte den Ausschluss von jeglicher staatlichen finanziellen Unterstützung (DS 18.3.2021) und die Beschlagnahme des gesamten Parteivermögens der HDP, um die Gründung einer Nachfolgepartei zu verhindern. Darüber hinaus forderte er ein dauerhaftes Politikverbot für 687 HDP-Mitglieder. Darunter befinden sich Abgeordnete und Mitglieder des Vorstands (DW 20.3.2021; vgl. Duvar 18.3.2021).Am 17.3.2021 gab der Generalstaatsanwalt des Obersten Kassationsgerichtes, Bekir §ahin, bekannt, dass er beim Verfassungsgericht ex officio den Antrag auf ein Verbot und die Auflösung der HDP gestellt habe (ÖB 18.3.2021; vergleiche DS 18.3.2021). Der amtierende Generalstaatsanwalt wurde erst 2020 von Staatspräsident Erdogan ernannt (SWP 10.6.2021; S. 3). In der Anklageschrift werden Parteiführung und -mitglieder u. a. beschuldigt, durch ihre Handlungen gegen Gesetzte zu verstoßen, das Ziel verfolgend, die staatliche und nationale Integrität zu unterminieren und dabei mit der verbotenen PKK zu konspirieren (BAMF 22.3.2021; vergleiche DS 18.3.2021). In ihrem umstrittensten Aspekt kriminalisiert die Anklageschrift jedoch den zweijährigen Friedensprozess zwischen Ankara und den Kurden, der 2015 zusammenbrach. An den Gesprächen waren der inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan, die in den Qandil-Bergen im Nordirak ansässige PKK-Führung, Regierungsbeamte und HDP-Mitglieder beteiligt, die meist als Vermittler auftraten. Anhand von Protokollen der Treffen zwischen HDP-Mitgliedern und Öcalan stellte die Anklage die Bemühungen der HDP-Mitglieder als kriminelle Handlungen dar, für die die Partei verboten werden sollte, obwohl die Friedensinitiative von der regierenden AKP gestartet und unterstützt wurde (AM 9.4.2021). Der Generalstaatsanwalt beantragte den Ausschluss von jeglicher staatlichen finanziellen Unterstützung (DS 18.3.2021) und die Beschlagnahme des gesamten Parteivermögens der HDP, um die Gründung einer Nachfolgepartei zu verhindern. Darüber hinaus forderte er ein dauerhaftes Politikverbot für 687 HDP-Mitglieder. Darunter befinden sich Abgeordnete und Mitglieder des Vorstands (DW 20.3.2021; vergleiche Duvar 18.3.2021).
In der ersten Reaktion der Regierung auf die Anklageschrift sagte Erdogans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun, dass es eine unbestreitbare Tatsache sei, dass die HDP organische Verbindungen zur PKK habe (Reuters 18.3.2021). Die Vorgabe des Narrativs von höchster staatlicher Stelle möchte den Ausgang des Verfahrens weitgehend vorwegnehmen und bezeugt neuerlich, dass die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei nicht mehr gewährleistet ist (ÖB 18.3.2021). Die EU erklärte, dass die Schließung der zweitgrößten Oppositionspartei die Rechte von Millionen von Wählern in der Türkei verletzen würde. Zudem verstärke dies die Besorgnis der EU über den Rückschritt bei den Grundrechten in der Türkei und untergrübe die Glaubwürdigkeit des erklärten Engagements der türkischen Behörden für Reformen (EU 18.3.2021).
Nachdem das Verfassungsgericht am 31.3.2021 die Anklageschrift wegen Formalfehler zur Überarbeitung an die Generalstaatsanwaltschaft zurück (ZO 31.3.2021; vgl. AM 9.4.2021) verwiesen hatte, erfolgte am 7.6.2021 ein neuer Antrag zwecks Verbot der HDP, der Konfiszierung der Bankkonten der Partei sowie zwecks eines Politikverbots für mehrere Hundert Mitglieder der HDP (FAZ 8.6.2021; vgl. Duvar 7.6.2021). Die 843-seitige Anklageschrift des Generalstaatsanwaltes forderte, dass nunmehr 451 Personen aus der Politik verbannt werden. Außerdem sind 69 HDP-Mitglieder wegen ihrer vermeintlichen Pro-Terror-Aussagen in der Anklageschrift namentlich aufgeführt (HDN 10.6.2021). Am 21.6.2021 nahm das Verfassungsgericht einstimmig die Anklage an, ohne jedoch dem Begehr der Generalstaatsanwaltschaft nach Schließung der HDP-Parteikonten nachzukommen (Duvar 21.6.2021). Bei der Erörterung des Antrags der HDP auf Verlängerung der Verteidigungsfrist beschloss das Verfassungsgericht Mitte Februar 2022 der Partei weitere 60 Tage zu gewähren. Nach Ablauf der 60-Tage-Frist muss die Verteidigung in der Sache abgeschlossen und dem Gericht vorgelegt werden (247NewsBulletin 16.2.2022). Wie bereits im Juli 2021 (EP 8.7.2021, Pt. 2) verurteilte das Europäische Parlament „aufs Schärfste die vom Generalstaatsanwalt des Kassationshofs der Türkei eingereichte und vom Verfassungsgericht der Türkei im Juni 2021 einstimmig angenommene Anklageschrift, mit der die Auflösung der Partei HDP und der Ausschluss von 451 Personen vom politischen Leben, darunter die meisten derzeitigen Mitglieder der Führungsebene der HDP, angestrebt werden und durch die die betroffenen Personen daran gehindert werden, in den nächsten fünf Jahren irgendeiner politischen Tätigkeit nachzugehen“ (EP 7.6.2022, S. 16, Pt. 23).Nachdem das Verfassungsgericht am 31.3.2021 die Anklageschrift wegen Formalfehler zur Überarbeitung an die Generalstaatsanwaltschaft zurück (ZO 31.3.2021; vergleiche AM 9.4.2021) verwiesen hatte, erfolgte am 7.6.2021 ein neuer Antrag zwecks Verbot der HDP, der Konfiszierung der Bankkonten der Partei sowie zwecks eines Politikverbots für mehrere Hundert Mitglieder der HDP (FAZ 8.6.2021; vergleiche Duvar 7.6.2021). Die 843-seitige Anklageschrift des Generalstaatsanwaltes forderte, dass nunmehr 451 Personen aus der Politik verbannt werden. Außerdem sind 69 HDP-Mitglieder wegen ihrer vermeintlichen Pro-Terror-Aussagen in der Anklageschrift namentlich aufgeführt (HDN 10.6.2021). Am 21.6.2021 nahm das Verfassungsgericht einstimmig die Anklage an, ohne jedoch dem Begehr der Generalstaatsanwaltschaft nach Schließung der HDP-Parteikonten nachzukommen (Duvar 21.6.2021). Bei der Erörterung des Antrags der HDP auf Verlängerung der Verteidigungsfrist beschloss das Verfassungsgericht Mitte Februar 2022 der Partei weitere 60 Tage zu gewähren. Nach Ablauf der 60-Tage-Frist muss die Verteidigung in der Sache abgeschlossen und dem Gericht vorgelegt werden (247NewsBulletin 16.2.2022). Wie bereits im Juli 2021 (EP 8.7.2021, Pt. 2) verurteilte das Europäische Parlament „aufs Schärfste die vom Generalstaatsanwalt des Kassationshofs der Türkei eingereichte und vom Verfassungsgericht der Türkei im Juni 2021 einstimmig angenommene Anklageschrift, mit der die Auflösung der Partei HDP und der Ausschluss von 451 Personen vom politischen Leben, darunter die meisten derzeitigen Mitglieder der Führungsebene der HDP, angestrebt werden und durch die die betroffenen Personen daran gehindert werden, in den nächsten fünf Jahren irgendeiner politischen Tätigkeit nachzugehen“ (EP 7.6.2022, S. 16, Pt. 23).
Für ein Verbot der HDP ist eine Zweidrittelmehrheit der 15 Richter erforderlich (FAZ 8.6.2021; vgl. 247NewsBulletin 16.2.2022). Das Gericht kann je nach Schwere der Verstöße ein Verbot aussprechen oder davon absehen. Im zweiten Fall kann es anordnen, die Unterstützung im Rahmen der staatlichen Parteienfinanzierung teilweise oder vollständig zu versagen. Funktionären, wie in der Anklageschrift angestrebt, darf nur im Falle eines Parteiverbots untersagt werden, sich politisch zu betätigen (SWP 10.6.2021, S. 4).Für ein Verbot der HDP ist eine Zweidrittelmehrheit der 15 Richter erforderlich (FAZ 8.6.2021; vergleiche 247NewsBulletin 16.2.2022). Das Gericht kann je nach Schwere der Verstöße ein Verbot aussprechen oder davon absehen. Im zweiten Fall kann es anordnen, die Unterstützung im Rahmen der staatlichen Parteienfinanzierung teilweise oder vollständig zu versagen. Funktionären, wie in der Anklageschrift angestrebt, darf nur im Falle eines Parteiverbots untersagt werden, sich politisch zu betätigen (SWP 10.6.2021, S. 4).
Gewaltakte nicht-staatlicher Akteure gegen die HDP und ihre Vertreter
In Izmir hat ein Angreifer Mitte Juni 2021 ein Büro der Oppositionspartei HDP gestürmt und dabei eine Mitarbeiterin erschossen. Zur Tatzeit hätten sich eigentlich 40 Politiker darin befinden sollen. Der HDP-Ko-Vorsitzende Mithat Sancar sah auch die Regierung in der Verantwortung, weil diese durch ihre Daueranschuldigungen, wonach die HDP ein nationales Sicherheitsrisiko und verlängerter Arm der PKK sei, die Stimmung angeheizt hätte. Der Angriff kam kurz vor einem möglichen Verbotsverfahren gegen die HDP (AM 17.6.2021, vgl. ZO 17.6.2021). Am 14.7.2021 verübte ein später festgenommener Täter in der Stadt Marmaris mit einem Schrotgewehr einen Anschlag auf das HDP-Büro. Der Täter hatte 2018 schon einmal das HDP-Büro angegriffen (Bianet 14.7.2021; vgl. AsiaNews 15.7.2021). In Istanbul hat ein bewaffneter Mann Ende Dezember 2021 ein HDP-Büro angegriffen. Dabei seien laut HDP zwei Mitglieder der Partei verletzt worden. Der Angreifer wurde festgenommen (ZO 28.12.2021; vgl. Bianet 28.12.2021). Nicht identifizierte Personen verübten im Februar 2022 einen Angriff mit einem Molotowcocktail auf das Gebäude der HDP-Bezirksorganisation Yüregir in Adana (Duvar 17.2.2022; Bianet 17.2.2022). Am 27.3.2022 gab es einen bewaffneten Angriff auf das Büro der HDP im Bezirk Erdemli in Mersin von einer oder mehreren unbekannten Personen, der Sachschaden im Büro verursachte (TiHV 28.3.2022). Am 17.4.2022 wurde von Unbekannten ein Anschlag auf das HDP-Büro im Bezirk Qukurova in Adana verübt, bei dem Sachschaden entstand (TiHV 18.4.2022). Mitunter kommt es zu physischen Attacken auf Vertreter und Vertreterinnen der HDP. So wurde im September 2021 die HDP-Abgeordnete Tülay Hatimogullari in Ankara angegriffen, als zwei Männer sich als „Zivilpolizisten“ ausgaben und versuchten, in ihr Haus einzubrechen. In einer Pressekonferenz sagte Hatimogullari, die Staatsanwaltschaft habe ihren Fall vor Gericht nicht anerkannt (WKI 28.9.2021).In Izmir hat ein Angreifer Mitte Juni 2021 ein Büro der Oppositionspartei HDP gestürmt und dabei eine Mitarbeiterin erschossen. Zur Tatzeit hätten sich eigentlich 40 Politiker darin befinden sollen. Der HDP-Ko-Vorsitzende Mithat Sancar sah auch die Regierung in der Verantwortung, weil diese durch ihre Daueranschuldigungen, wonach die HDP ein nationales Sicherheitsrisiko und verlängerter Arm der PKK sei, die Stimmung angeheizt hätte. Der Angriff kam kurz vor einem möglichen Verbotsverfahren gegen die HDP (AM 17.6.2021, vergleiche ZO 17.6.2021). Am 14.7.2021 verübte ein später festgenommener Täter in der Stadt Marmaris mit einem Schrotgewehr einen Anschlag auf das HDP-Büro. Der Täter hatte 2018 schon einmal das HDP-Büro angegriffen (Bianet 14.7.2021; vergleiche AsiaNews 15.7.2021). In Istanbul hat ein bewaffneter Mann Ende Dezember 2021 ein HDP-Büro angegriffen. Dabei seien laut HDP zwei Mitglieder der Partei verletzt worden. Der Angreifer wurde festgenommen (ZO 28.12.2021; vergleiche Bianet 28.12.2021). Nicht identifizierte Personen verübten im Februar 2022 einen Angriff mit einem Molotowcocktail auf das Gebäude der HDP-Bezirksorganisation Yüregir in Adana (Duvar 17.2.2022; Bianet 17.2.2022). Am 27.3.2022 gab es einen bewaffneten Angriff auf das Büro der HDP im Bezirk Erdemli in Mersin von einer oder mehreren unbekannten Personen, der Sachschaden im Büro verursachte (TiHV 28.3.2022). Am 17.4.2022 wurde von Unbekannten ein Anschlag auf das HDP-Büro im Bezirk Qukurova in Adana verübt, bei dem Sachschaden entstand (TiHV 18.4.2022). Mitunter kommt es zu physischen Attacken auf Vertreter und Vertreterinnen der HDP. So wurde im September 2021 die HDP-Abgeordnete Tülay Hatimogullari in Ankara angegriffen, als zwei Männer sich als „Zivilpolizisten“ ausgaben und versuchten, in ihr Haus einzubrechen. In einer Pressekonferenz sagte Hatimogullari, die Staatsanwaltschaft habe ihren Fall vor Gericht nicht anerkannt (WKI 28.9.2021).
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
Die türkische Regierung nutzte die Corona-Krise, um noch stärker gegen die Opposition vorzugehen. Sie verbot mehrere kommunale Spendenkampagnen der Opposition und leitete Ermittlungen gegen die Bürgermeister von Istanbul und Ankara ein, die Spenden für Pandemie-Opfer sammelten (AI 7.4.2021). Die Regierung verbietet weiterhin selektiv, auch unter Hinweis auf die COVID-19-Pandemie, regierungskritische Demonstrationen und Versammlungen. So wurden mehr als 200 Demonstranten, vor allem in Istanbul, unter Verweis auf die Verletzung der Ausgangsbeschränkungen im Zuge der COVID-19-Pandemie, am 1.5.2021 festgenommen (USDOS 12.4.2022, S. 45).
Quellen:
•247NewsBulletin (16.2.2022): New development in the HDP closure case: additional delay from AYM, https://247newsbuNetin.com/politics/123510.html , Zugriff 18.2.2022
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022.pdf, Zugriff am 26.8.2022
•AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T %C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 2.3.2022
•Ahval (16.6.2022): 10 pro-Kurdish HDP officials, members detained in Istanbul raids, https://ahva lnews.com/hdp/10-pro-kurdish-hdp-officials-members-detained-istanbul-raids , Zugriff 29.6.2022
•Ahval (12.5.2022): Top Turkish court upholds jail term for opposition Istanbul chairwoman, https: //ahvalnews.com/canan-kaftancioglu/top-turkish-court-upholds-jail-term-opposition-istanbul-chair woman , Zugriff 20.5.2022
•Ahval (6.1.2022): Former HDP MP released after 5 years in jail, https://ahvalnews.com/kurdish-p oliticians/turkish-court-orders-release-kurdish-former-deputy, Zugriff 9.5.2022
•Ahval (24.3.2022): Turkey issues arrest warrant for pro-Kurdish HDP deputy Semra Güzel, https: //ahvalnews.com/hdp/turkey-issues-arrest-warrant-pro-kurdish-hdp-deputy-semra-guzel, Zugriff 29.3.2022
•Ahval (6.11.2021): Erdogan vows to save Turkey from 'PKK puppet' pro-Kurdish HDP, https://ahva lnews.com/hdp/erdogan-vows-save-turkey-pkk-puppet-pro-kurdish-hdp , Zugriff 2.3.2022
•Ahval (22.2.2021): Turkey sentences dismissed Kurdish mayor to prison over terror links, https: //ahvalnews.com/hdp/turkey-sentences-dismissed-kurdish-mayor-prison-over-terror-links, Zugriff 2.3.2022
•AI - Amnesty International (7.4.2021): Türkei 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048610.h tml , Zugriff 2.3.2022
•AM - Al Monitor (17.6.2021):Gunman kills woman volunteering for Turkey's pro-Kurdish party, https://www.al-monitor.com/originals/2021/06/gunman-kills-woman-volunteering-turkeys-pro-kur dish-party , Zugriff 2.3.2022
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•AM - Al Monitor (14.7.2020): Another pro-Kurdish mayor replaced as detentions continue in sou- theast Turkey, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/07/hdp-mayor-replace-turkey-sou theast.html, Zugriff 2.3.2022
•AM - Al Monitor (21.1.2020): Turkey attacks Kurdish protesters as world shrugs https://www.almonitor.com/pulse/originals/2019/08/protests-turkey-kurdish-mayors-police-bmtality.html , Zugriff 2.3.2022
•AsiaNews (15.7.2021): Second opposition Kurdish HDP office targeted, http://www.asianews.it/ne ws-en/Second-opposition-Kurdish-HDP-office-targeted-53646.html , Zugriff 2.3.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (16.5.2022): Briefing Notes, Urteil im Fall der
CHP-Politikerin Kaftancioglu/ DEVA-Politiker Gürcan erneut verhaftet, KW 20, https://www.bamf.d e/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw20-2022.pdf?blob=publicationFile&v=4 , Zugriff 20.5.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.1.2022): Briefing Notes, Verfahren zur Aufhebung der Immunität von Abgeordneten,KW2,https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw02-2022.pdf?blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 9.5.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (28.3.2022): Briefing Notes, Urteil des Verfassungsgerichtshofs im Fall der Abgeordneten Semra Güze, KW 13, https://www.bamf.de/Shared Docs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw13-2022.pdf?blob=publicationFile&v=2 ,Zugriff 29.3.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.9.2021): Briefing Notes, KW38, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw38-2021.pdf? blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 2.3.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.3.2021): Briefing Notes KW 12, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2 021/briefingnoteskw12-2021.pdf?blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 2.3.2022
•BI - Balkan Insight (12.4.2022): Kurdish Politicians among Dozens Sought by Turkey over 2014 Protests, https://balkaninsight.com/2022/04/12/kurdish-politicians-among-dozens-sought-by-tur key-over-2014-protests/, Zugriff 15.4.2022
BI - Balkan Insight (1.2.2022): Turkey Violated Pro-Kurdish MPs' Rights, European Court Rules, https://balkaninsight.com/2022/02/01/turkey-violated-pro-kurdish-mps-rights-european-court-rules/ , Zugriff 18.2.2022
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•Bianet (17.2.2022): Armed attack on HDP Yüregir office in Adana, https://bianet.org/english/politic s/257859-armed-attack-on-hdp-yuregir-office-in-adana, Zugriff 18.2.2022
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•Bianet (9.3.2020): Ousted Diyarbakir Mayor Selguk Mizrakli Handed Prison Sentence on 'Terrorism' Charges, https://Bianet.org/english/politics/221145-ousted-diyarbakir-mayor-selcuk-mizrakli-han ded-prison-sentence-on-terrorism-charges , Zugriff 2.3.2022
•CoE-CM - Council of Europe - Committee of Ministers (2.12.2021): Interim Resolution CM/ResDH(2021)428 Selahattin Demirtag v. Turkey (No. 2) Execution of the judgment of the European Court of Human Rights, https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?0bjectID=0900001680a4b407 , Zugriff 2.3.2022
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•DS - Daily Sabah (8.12.2021): Parliament penalizes HDP MP for shouting 'Freedom for Kurdistan', https://www.dailysabah.com/politics/war-on-terror/parliament-penalizes-hdp-mp-for-shouting-freedom-for-kurdistan, Zugriff 28.2.2022
•DS - Daily Sabah (18.3.2021): Prosecutor’s indictment notes no difference between HDP, PKK, https://www.dailysabah.com/politics/legislation/prosecutors-indictment-notes-no-difference-betwe en-hdp-pkk, Zugriff 2.3.2022
•DS - Dailay Sabah (24.1.2021): Posters of PKK leader Öcalan found in HDP district branch, https://www.dailysabah.com/politics/war-on-terror/posters-of-pkk-leader-ocalan-found-in-hdp-dis trict-branch , 2.2.2022
•DS - Daily Sabah (30.12.2019): HDP uses offices as recruitment centers for PKK terrorists, Soylu says, https://www.dailysabah.com/war-on-terror/2019/12/30/hdp-uses-offices-as-recruitment-cen ters-for-pkk-terrorists-soylu-says , Zugriff 2.3.2022
•Duvar (3.6.2022): HDP provincial heads detained as part of new operation targeting party, https: //www.duvarenglish.com/hdp-provincial-heads-detained-as-part-of-new-operation-targeting-party -news-60897 , Zugriff 29.6.2022
•Duvar (21.2.2022): Turkish court upholds jail sentence against Demirta§ for ‘insulting’ Erdogan, https://www.duvarenglish.com/turkish-court-upholds-jail-sentence-against-demirtas-for-insulting -erdogan-news-60425 , Zugriff 2.3.2022
•Duvar (17.2.2022): Armed attack carried out on HDP district office in southern Adana, https://www. duvarenglish.com/armed-attack-carried-out-on-hdp-district-office-in-southern-adana-news-603 99 , Zugriff 18.2.2022
•Duvar (4.1.2022): Turkish gov’t seeks to strip 28 opposition MPs, including HDP co-chair, of parlia- mentary immunity, https://www.duvarenglish.com/turkish-govt-seeks-to-strip-28-opposition-mps-including-hdp-co-chair-pervin-buldan-of-parliamentary-immunity-news-60055, Zugriff 18.2.2022
•Duvar (21.6.2021): Turkish court accepts indictment seeking ban of pro-Kurdish HDP, https://www. duvarenglish.com/turkish-mafia-boss-says-he-was-warned-by-uae-not-to-share-videos-due-to-s ecurity-risks-news-57874 , Zugriff 2.3.2022
•Duvar (5.11.2021): Erdogan accuses opposition of ’acting together with’ PKK amid dwindling support for gov’t, https://www.duvarenglish.com/turkeys-erdogan-accuses-opposition-of-acting-together-with-pkk-amid-dwindling-support-for-govt-news-59442 , Zugriff 2.3.2022
•Duvar (7.6.2021): Turkey’s top prosecutor resubmits indictment for HDP’s closure, https://www. duvarenglish.com/turkeys-top-prosecutor-resubmits-indictment-for-hdps-closure-news-57746 , Zugriff 2.3.2022
•Duvar (18.3.2021): Turkish prosecutor seeks political ban on 687 pro-Kurdish politicians, https: //www.duvarenglish.com/turkish-prosecutor-seeks-political-ban-on-687-pro-kurdish-politicians-news-56691, Zugriff 2.3.2022
•Duvar (15.2.2021): Turkey announces sweeping roundup of 718 people, including HDP officials, after Iraq killings, https://www.duvarenglish.com/turkey-announces-sweeping-roundup-of-718-people-induding-hdp-officials-afteriraqkillings-news-56261, Zugriff 2.3.2022
•Duvar (7.1.2021):Turkish court accepts indictment against 108 people, including Demirta§ and Yüksekdag, over Kobane protests, https://www.duvarenglish.com/turkish-court-accepts-indictmen t-against-108-people-including-former-hdp-co-chairs-demirtas-and-yuksekdag-over-kobane-pro tests-news-55777 , Zugriff 2.3.2022
•Duvar (14.12.2020): Prosecutors ask up to 10 years in jail for main opposition Istanbul chair after Erdogan aide’s complaint, https://www.duvarenglish.com/turkish-prosecutors-ask-up-to-10-years-in-jail-for-main-opposition-istanbul-chair-kaftancioglu-in-spat-over-erdogan-aide-fahrettin-altun s-illegal-construction-news-55468,2.3.2022
•Duvar (19.5.2020): EU’s top diplomat criticizes Ankara for undermining local democracy after dismissal of more HDP mayors, https://www.duvarenglish.com/politics/2020/05/19/eus-top-diplo mat-criticizes-ankara-for-undermining-local-democracy-after-dismissal-of-more-hdp-mayors/, Zugriff 2.3.2022
•DW - Deutsche Welle (20.3.2021): Gastkommentar: Erdogan will Millionen Kurden die Stimme nehmen, https://www.dw.com/de/gastkommentar-erdogan-will-miNionen-kurden-die-stimme-neh men/a-56934013 , Zugriff 2.3.2022
•DW - Deutsche Welle (15.2.2021): Türkei nimmt Hunderte wegen angeblicher PKK-Kontakte fest, https://www.dw.com/de/t%C3%BCrkei-nimmt-hunderte-wegen-angeblicher-pkk-kontakte-fest/a-5 6575099 , Zugriff 2.3.2022
•DW - Deutsche Welle (20.8.2019): Türkei unterbindet Proteste gegen Bürgermeister-Entlassung, https://www.dw.com/de/t%C3%Bcrkei-unterbindet-proteste-gegen-b%C3%Bcrgermeister-entlass ung/a-50102492 , Zugriff 2.3.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 2.3.2022
•ECHR - European Court of Human Rights (14.9.2021): Pre-trial detention of the mayor of a city in south-east Turkey was unjustified and breached his right to freedom of expression ]ECHR 270 (2021)], https://hudoc.echr.coe.int/app/conversion/pdf/?library=ECHR&id=00371160339638381&filename=Judgment%20Tuncer%20Bakirhan%20v.%20Turkey%20%20%20pretrial%20detention%20of%20mayor%20of%2%20city%20in%20southeast%20Turkey%20on%20account%20of%20his%20activities%20and%20statements.pdf, Zugriff 2.3.2022
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•TiHV - Türkiye insan Haklari Vakfi/ HRFT - Human Rights Foundation Turkey (18.4.2022): 16 - 18 April 2022 HRFT Documentation Center Daily Human Rights Report, https://en.tihv.org.tr/docum entation/16-18-april-2022-hrft-documentation-center-daily-human-rights-report/, Zugriff 4.8.2022
•TiHV - Türkiye insan Haklari Vakfi/ HRFT - Human Rights Foundation Turkey (28.3.2022): 26 - 28 March 2022 HRFT Documentation Center Daily Human Rights Report, https://en.tihv.org.tr/doc umentation/26-28-march-2022-hrft-documentation-center-daily-human-rights-report/, Zugriff 5.8.2022
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•UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (1.10.2019): Report of a Home Office Fact-Finding Mission Turkey: Kurds, the HDP and the PKK; Conducted 17 June to 21 June 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2020297/TURKEY_FFM_REPORT_2019.odt, Zugriff 2.3.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 20.4.2022
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•WKI - Washington Kurdish Institute (28.9.2021): Kurdistan’s Weekly Brief September 28, 2021 -Turkey, https://dckurd.org/2021/09/28/kurdistans-weekly-brief-september-28-2021/ , Zugriff 25.3.2022
•ZO - Zeit Online (22.5.2022): Tausende Türken protestieren gegen Hafturteil für Oppositionelle, https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-05/tuerkei-protest-canan-kaftancioglu-opposition-urteil, Zugriff 24.5.2022
•ZO - Zeit Online (17.6.2021): Eine Tote bei Angriff auf Büro der pro-kurdischen HDP, https://www. zeit.de/politik/2021-06/tuerkei-hdp-kurdisch-oppositionspartei-angriff-tote , Zugriff 25.3.2022
•ZO - Zeit Online (31.3.2021): Türkei: Verfassungsgericht gibt HDP-Verbotsklage zurück, https: //www.zeit.de/news/2021-03/31/tuerkei-verfassungsgericht-gibt-hdp-verbotsklage-zurueck , Zugriff 2.3.2022
•ZO - Zeit Online (28.12.2021): Zwei Verletzte bei Angriff auf Büro der HDP in Istanbul, https: //www.zeit.de/politik/ausland/2021-12/tuerkei-istanbul-hdp-buero-angriff, Zugriff 25.3.2022
•ZO - Zeit Online (23.6.2020): Türkisches Gericht bestätigt Urteil gegen Oppositionspolitikerin, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-06/canan-kaftancioglu-tuerkei-oppositionspolitikerin-chp -haststrafe-gericht-bestaetigung-urteil, Zugriff 2.3.2022
•ZO - Zeit Online (24.3.2020): Acht Bürgermeister der prokurdischen HDP abgesetzt, https://www. zeit.de/politik/ausland/2020-03/tuerkei-buergermeister-hdp-pro-kurdisch-terrorvorwuerfe-razzien , Zugriff 2.3.2022
•ZO - Zeit Online (19.8.2019): Recep Tayyip Erdogan setzt drei prokurdische Bürgermeister ab, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-08/tuerkei-buergermeister-hdp-amtsenthebung-kurden-o pposition , Zugriff 2.3.2022
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Verfolgung fremder Staatsbürger wegen Straftaten im Ausland
Letzte Änderung: 20.09.2022
Der UN-Menschenrechtsrat veröffentlichte Mitte September 2020 einen Bericht der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für die Arabische Republik Syrien, wonach letztere Informationen erhielt, die darauf hindeuten, dass syrische Staatsangehörige, darunter auch Frauen, die von der (pro-türkischen) Syrischen Nationalarmee (SNA) in der Region Ra’s al-’Ayn festgenommen wurden, anschließend von türkischen Streitkräften in die Türkei überstellt, und dort nach türkischem Strafrecht wegen vermeintlicher Verbrechen in der syrischen Region Ra’s al-’Ayn angeklagt wurden, unter anderem wegen Mordes oder der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die Kommission stellte ferner fest, dass die Überstellung von Syrern, die von der SNA inhaftiert wurden, auf türkisches Hoheitsgebiet dem Kriegsverbrechen der unrechtmäßigen Deportation geschützter Personen gleichkommen kann (UN-HRC 14.8.2020). Sowohl Araber als auch Kurden wurden zwischen Oktober und Dezember 2019 im Nordosten Syriens festgenommen, nachdem die Türkei nach ihrem Einmarsch in Nordsyrien die effektive Kontrolle über das Gebiet übernommen hatte (HRW 3.2.2021). Die Verhaftungen erfolgten hauptsächlich in den Vororten von Tell Abiad und Ra’s al-’Ayn. Bei den Betroffenen handelte es sich auch um Personen, die für die Institutionen der Autonomieverwaltung arbeiteten, und andere, die keinerlei militärische oder politische Verbindungen zu dieser hatten. Unter den in die Türkei Überstellten befanden sich auch Kämpfer der Volksschutzeinheiten (YPG) und der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) (SfDJ 10.7.2020; vgl AM 14.5.2020). Die Gefangenen wurden in das Hochsicherheitsgefängnis in Hilvan in der türkischen Provinz §anliurfa transferiert (AM 14.5.2020; vgl. HRW 3.2.2021). Bereits Ende April 2020, anlässlich der Überstellung von 90 festgenommenen Syrern in die Türkei, richteten 41 Organisationen einen Appell an den UN-Generalsekretär und an die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, u. a. willkürliche Gerichtsverfahren zu verhindern und die Freilassung bzw. Rückkehr der Gefangenen zu erwirken (SfDJ 10.7.2020). Human Rights Watch geht davon aus, dass (Stand Jahresbeginn 2021) bis zu 200 Syrer in Syrien festgenommen und in die Türkei verbracht wurden. Im Oktober 2020 wurden 63 Syrer vom Schwurgericht in §anliurfa verurteilt, fünf von ihnen zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit auf Begnadigung (HRW 3.2.2021). Ähnliche Urteile folgten 2021. So wurde am 23.3.2021 ein weibliches Mitglied der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Dozgin Temmo, bekannt als Cicek Kobani, von einem türkischen Gericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt (NPA 24.3.2021). Im Juni 2021 wurden drei Mitglieder des sog. Militärrats der Suryoye (MFS), einer christlichen, assyrischen-aramäischen Miliz der SDF, die 2019 von pro-türkischen Kämpfern in Nordsyrien festgenommen worden waren, von einem türkischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt (Rudaw 30.6.2021). Laut Aussagen des Vorsitzenden der Menschenrechtsvereinigung (iHD) in Urfa kommt es weiterhin zu Misshandlungen und Folter von syrischen Kurden, welche illegal in die Türkei verbracht und verurteilt wurden. Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber nach Angaben von iHD und Anwälten befinden sich insgesamt 128 Gefangene in den Gefängnissen von Urfa und Hatay. Neben dem Besuchsrecht haben Häftlinge normalerweise das Recht, zehn Minuten pro Tag zu telefonieren. Die Gefangenen aus Nordostsyrien können jedoch keines dieser Rechte in Anspruch nehmen (MedyaNews 24.3.2022).Der UN-Menschenrechtsrat veröffentlichte Mitte September 2020 einen Bericht der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für die Arabische Republik Syrien, wonach letztere Informationen erhielt, die darauf hindeuten, dass syrische Staatsangehörige, darunter auch Frauen, die von der (pro-türkischen) Syrischen Nationalarmee (SNA) in der Region Ra’s al-’Ayn festgenommen wurden, anschließend von türkischen Streitkräften in die Türkei überstellt, und dort nach türkischem Strafrecht wegen vermeintlicher Verbrechen in der syrischen Region Ra’s al-’Ayn angeklagt wurden, unter anderem wegen Mordes oder der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die Kommission stellte ferner fest, dass die Überstellung von Syrern, die von der SNA inhaftiert wurden, auf türkisches Hoheitsgebiet dem Kriegsverbrechen der unrechtmäßigen Deportation geschützter Personen gleichkommen kann (UN-HRC 14.8.2020). Sowohl Araber als auch Kurden wurden zwischen Oktober und Dezember 2019 im Nordosten Syriens festgenommen, nachdem die Türkei nach ihrem Einmarsch in Nordsyrien die effektive Kontrolle über das Gebiet übernommen hatte (HRW 3.2.2021). Die Verhaftungen erfolgten hauptsächlich in den Vororten von Tell Abiad und Ra’s al-’Ayn. Bei den Betroffenen handelte es sich auch um Personen, die für die Institutionen der Autonomieverwaltung arbeiteten, und andere, die keinerlei militärische oder politische Verbindungen zu dieser hatten. Unter den in die Türkei Überstellten befanden sich auch Kämpfer der Volksschutzeinheiten (YPG) und der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) (SfDJ 10.7.2020; vergleiche AM 14.5.2020). Die Gefangenen wurden in das Hochsicherheitsgefängnis in Hilvan in der türkischen Provinz §anliurfa transferiert (AM 14.5.2020; vergleiche HRW 3.2.2021). Bereits Ende April 2020, anlässlich der Überstellung von 90 festgenommenen Syrern in die Türkei, richteten 41 Organisationen einen Appell an den UN-Generalsekretär und an die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, u. a. willkürliche Gerichtsverfahren zu verhindern und die Freilassung bzw. Rückkehr der Gefangenen zu erwirken (SfDJ 10.7.2020). Human Rights Watch geht davon aus, dass (Stand Jahresbeginn 2021) bis zu 200 Syrer in Syrien festgenommen und in die Türkei verbracht wurden. Im Oktober 2020 wurden 63 Syrer vom Schwurgericht in §anliurfa verurteilt, fünf von ihnen zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit auf Begnadigung (HRW 3.2.2021). Ähnliche Urteile folgten 2021. So wurde am 23.3.2021 ein weibliches Mitglied der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Dozgin Temmo, bekannt als Cicek Kobani, von einem türkischen Gericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt (NPA 24.3.2021). Im Juni 2021 wurden drei Mitglieder des sog. Militärrats der Suryoye (MFS), einer christlichen, assyrischen-aramäischen Miliz der SDF, die 2019 von pro-türkischen Kämpfern in Nordsyrien festgenommen worden waren, von einem türkischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt (Rudaw 30.6.2021). Laut Aussagen des Vorsitzenden der Menschenrechtsvereinigung (iHD) in Urfa kommt es weiterhin zu Misshandlungen und Folter von syrischen Kurden, welche illegal in die Türkei verbracht und verurteilt wurden. Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber nach Angaben von iHD und Anwälten befinden sich insgesamt 128 Gefangene in den Gefängnissen von Urfa und Hatay. Neben dem Besuchsrecht haben Häftlinge normalerweise das Recht, zehn Minuten pro Tag zu telefonieren. Die Gefangenen aus Nordostsyrien können jedoch keines dieser Rechte in Anspruch nehmen (MedyaNews 24.3.2022).
Das Europäische Parlament verurteilt in einer Entschließung vom März 2021, „dass die Türkei kurdische Syrer aus dem besetzten Nordsyrien zum Zwecke der Inhaftierung und Strafverfolgung rechtswidrig in die Türkei überführt und dadurch gegen die internationalen Verpflichtungen des Landes im Rahmen der Genfer Konventionen verstößt; fordert nachdrücklich, dass alle syrischen Häftlinge, die in die Türkei verbracht wurden, unverzüglich in die besetzten Gebiete in Syrien zurückgeführt werden" (EP 11.3.2021, Pt. 7). Im Juni 2022 verurteilte das EP, „dass die Türkei syrische Staatsangehörige weiterhin illegal in die Türkei verbringt, um sie dort wegen Terrorismus anzuklagen, was eine lebenslange Haftstrafe zur Folge haben kann" (EP 7.6.2022, S. 27, Pt. 46).
Quellen:
•AM -Al Monitor (14.5.2020): Syrians held in Turkish prison 'in breach of international law,' advocates say, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/05/syria-turkey-detainees-prison-breach-int ernational-law.html , Zugriff 28.2.2022
•EP - Europäisches Parlament (7.6.2022): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni 2022 zu dem Bericht 2021 der Kommission über die Türkei (2021/2250(INI)), https://www.eu roparl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0222_DE.pdf, Zugriff 29.8.2022
•EP - Europäisches Parlament (11.3.2021): Der Konflikt in Syrien: 10 Jahre nach dem Aufstand - Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. März 2021 zu dem Konflikt in Syrien zehn Jahre nach dem Aufstand (2021/2576(RSP)) [P9_TA(2021)0088], https://www.europarl.europa.eu /doceo/document/TA-9-2021-0088_DE.pdf, Zugriff 3.3.2022
•HRW - Human Rights Watch (3.2.2021): Illegal Transfers of Syrians to Turkey, https://www.hrw.or g/news/2021/02/03/illegal-transfers-syrians-turkey , Zugriff 28.2.2022
•MedyaNews (24.3.2022): What happened to Afrin Kurds Imprisoned in Turkey? https://medyanew s.net/what-happened-to-afrin-kurds-imprisoned-in-turkey/, Zugriff 30.5.2022
•NPA - North Press Agency (24.3.2021): Turkey sentences Syrian Kurdish SDF member to life imprisonment, https://npasyria.com/en/56509/, Zugriff 28.2.2022
•Rudaw (30.6.2021): Three Syriac fighters from Rojava sentenced to life terms in Turkey, https: //www.rudaw.net/english/middleeast/30062021, Zugriff 28.2.2022
•SfTJ - Syrians for Truth and Justice (10.7.2020): https://stj-sy.org/en/illegal-transfer-of-dozens-o f-syrian-detainees-into-turkey-following-operation-peace-spring/#_ftnref11, Zugriff 28.2.2022
•UN-HRC - United Nations Human Rights Council (14.8.2020): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/45/31], https://www.ecoi.net/en/ file/local/2037646/A_HRC_45_31_E.pdf, Zugriff 28.2.2022
Haftbedingungen
Letzte Änderung: 20.09.2022
Die materielle Ausstattung der Haftanstalten wurde in den letzten Jahren deutlich verbessert und die Schulung des Personals fortgesetzt (ÖB 30.11.2021, S. 11). Die Haftbedingungen sind, abhängig vom Alter, Typ und Größe usw. unterschiedlich. In türkischen Haftanstalten können Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) grundsätzlich eingehalten werden. Es gibt insbesondere eine Reihe neuerer oder modernisierter Haftanstalten, bei denen keine Anhaltspunkte für Bedenken bestehen. Bei Überbelegung einzelner Haftanstalten kann es zu Einschränkungen in der gesundheitlichen Versorgung sowie der Infrastruktur der Haftanstalt kommen (AA 28.7.2022, S. 18; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 11). Als in vielen Aspekten, insbesondere aufgrund von Überbelegung, nicht den Erfordernissen der EMRK entsprechende Haftanstalten gelten u. a. die Einrichtungen in Adana-Mersin, Elazig, Izmir, Kocaeli Gebze, Maltepe, Osmaniye, §akran, Silivri und Urfa (ÖB 30.11.2021, S. 11). Während sich die Hafteinrichtungen im Allgemeinen in einem guten Zustand befinden, weisen etliche Einrichtungen bauliche Mängel auf, die sie für eine, über ein paar Tage hinaus gehende, Inhaftierung ungeeignet machen (USDOS 12.04.2022, S. 7). Die Gefängnisse werden regelmäßig von den Überwachungskommissionen für die Justizvollzugsanstalten inspiziert und auch von UN-Einrichtungen sowie dem Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) besucht (ÖB 30.11.2021, S. 11). Die Regierung gestattet es NGOs nicht, Gefängnisse zu kontrollieren (USDOS 12.4.2022, S.9; vgl. OMCT 2022). NGOs wie die World Organisation Against Torture (OMCT) orten ein Fehlen einer unabhängigen Überwachung der türkischen Gefängnisse, wodurch die Situation in diesen Gefängnissen verschleiert wird. Hinzu kommt, dass die verfügbaren nationalen Mechanismen wie die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung (HREI bzw. TiHEK), die die Türkei als nationalen Präventionsmechanismus im Rahmen des OPCAT eingerichtet hatte, und die 2011 eingerichteten Gefängnisüberwachungsausschüsse, aufgrund der Mängel bei den Nominierungsverfahren der Mitglieder und des Mangels an politischer Unabhängigkeit sowie einer soliden Methodik, unwirksam sind (OMCT 2022). Auch die Europäische Kommission charakterisierte die für die Gefängnisse vorgesehenen Monitoring-Institutionen als weitgehend wirkungslos und speziell die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung als nicht voll funktionsfähig, wodurch es keine Aufsicht über Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen gibt (EC 6.10.2020, S. 32).Die materielle Ausstattung der Haftanstalten wurde in den letzten Jahren deutlich verbessert und die Schulung des Personals fortgesetzt (ÖB 30.11.2021, S. 11). Die Haftbedingungen sind, abhängig vom Alter, Typ und Größe usw. unterschiedlich. In türkischen Haftanstalten können Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) grundsätzlich eingehalten werden. Es gibt insbesondere eine Reihe neuerer oder modernisierter Haftanstalten, bei denen keine Anhaltspunkte für Bedenken bestehen. Bei Überbelegung einzelner Haftanstalten kann es zu Einschränkungen in der gesundheitlichen Versorgung sowie der Infrastruktur der Haftanstalt kommen (AA 28.7.2022, S. 18; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 11). Als in vielen Aspekten, insbesondere aufgrund von Überbelegung, nicht den Erfordernissen der EMRK entsprechende Haftanstalten gelten u. a. die Einrichtungen in Adana-Mersin, Elazig, Izmir, Kocaeli Gebze, Maltepe, Osmaniye, §akran, Silivri und Urfa (ÖB 30.11.2021, S. 11). Während sich die Hafteinrichtungen im Allgemeinen in einem guten Zustand befinden, weisen etliche Einrichtungen bauliche Mängel auf, die sie für eine, über ein paar Tage hinaus gehende, Inhaftierung ungeeignet machen (USDOS 12.04.2022, S. 7). Die Gefängnisse werden regelmäßig von den Überwachungskommissionen für die Justizvollzugsanstalten inspiziert und auch von UN-Einrichtungen sowie dem Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) besucht (ÖB 30.11.2021, S. 11). Die Regierung gestattet es NGOs nicht, Gefängnisse zu kontrollieren (USDOS 12.4.2022, S.9; vergleiche OMCT 2022). NGOs wie die World Organisation Against Torture (OMCT) orten ein Fehlen einer unabhängigen Überwachung der türkischen Gefängnisse, wodurch die Situation in diesen Gefängnissen verschleiert wird. Hinzu kommt, dass die verfügbaren nationalen Mechanismen wie die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung (HREI bzw. TiHEK), die die Türkei als nationalen Präventionsmechanismus im Rahmen des OPCAT eingerichtet hatte, und die 2011 eingerichteten Gefängnisüberwachungsausschüsse, aufgrund der Mängel bei den Nominierungsverfahren der Mitglieder und des Mangels an politischer Unabhängigkeit sowie einer soliden Methodik, unwirksam sind (OMCT 2022). Auch die Europäische Kommission charakterisierte die für die Gefängnisse vorgesehenen Monitoring-Institutionen als weitgehend wirkungslos und speziell die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung als nicht voll funktionsfähig, wodurch es keine Aufsicht über Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen gibt (EC 6.10.2020, S. 32).
In der Türkei gibt es drei Kategorien von Häftlingen: verurteilte Häftlinge, Untersuchungshäftlinge und Häftlinge, die noch kein rechtskräftiges Urteil erhalten haben, aber mit der Verbüßung einer Haftstrafe im Voraus begonnen haben (CoE 30.3.2021, S. 38). Zum 1.8.2022 gab es insgesamt 384 Strafvollzugsanstalten, darunter 269 geschlossene und 86 offene Strafvollzugsanstalten, vier Kindererziehungszentren, zehn geschlossene und sieben offene Frauenvollzugsanstalten, und acht geschlossene Kindervollzugsanstalten. Die Kapazität dieser Anstalten betrug 275.843 Personen (ABC-TGM 1.8.2022). Die tatsächliche Zahl der Insassen betrug laut Justizministerium rund 314.500 (Stand Ende März 2022), davon waren 12,3 % Untersuchungshäftlinge (ICPR 2022). In der Gesamtzahl der Gefängnisinsassen für März 2022 sind die 426.647 Bewährungshäftlinge nicht enthalten. Das bedeutet, dass insgesamt 741.149 Menschen in Haft oder auf Bewährung waren (OMCT 2022). Die türkische Regierung hat 8,7 Mrd. Lira für den Bau von 36 neuen Gefängnissen in den nächsten vier Jahren bereitgestellt (SCF 15.3.2022). Nach Angaben des Justizministeriums befinden sich 13 % der gesamten Gefängnispopulation wegen Terror-Vorwürfen in Haft, darunter viele Journalisten, politische Aktivisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtsverteidiger (EC 6.10.2020, S. 31f). Unter den Mitgliedern des Europarates führt die Türkei die Gefängnisstatistik sowohl hinsichtlich der Inhaftierungsrate als auch bezüglich der Belegungsdichte an (CoE 30.3.2021 S. 4f; S. 32 Tab.). Mit März 2022 wurden 374 Inhaftierte pro 100.000 Einwohner gezählt [zum Vergleich: Österreich: 93; Deutschland: 67] (ICPR 2022). Die Belegung war (Februar 2022) mit 108,3 % ebenfalls überproportional. Innert zehn Jahren nahm die Zahl der Häftlinge in der Türkei um 89 % zu (UNILCRIM/CoE 6.4.2022).
Das Europäische Parlament zeigte sich im Juni 2022 „zutiefst besorgt über die Lage in den überfüllten Gefängnissen der Türkei, wodurch sich die ernste Bedrohung, die die COVID-19- Pandemie für das Leben der Gefangenen darstellt, weiter verschärft“. Es gab weiterhin Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen in den Gefängnissen, darunter willkürliche Einschränkungen der Rechte der Häftlinge, Verweigerung des Zugangs zu medizinischer Versorgung, die Anwendung von Folter und Misshandlung, die Verhinderung offener Besuche und Isolationshaft (EP 7.6.2022, S. 19f., Pt. 32; vgl. EC 19.10.2021, S. 31, DFAT 10.9.2020). Disziplinarstrafen, einschließlich Einzelhaft, werden exzessiv und unverhältnismäßig eingesetzt. NGOs bestätigten, dass bestimmte Gruppen von Gefangenen diskriminiert werden, darunter Kurden, religiöse Minderheiten, politische Gefangene, Frauen, Jugendliche, LGBT-Personen, kranke Gefangene und Ausländer (DIS 31.3.2021, S. 1). Häftlinge erklärten, dass auf die meisten ihrer Beschwerden nicht eingegangen wurde und dass sich die Lebensbedingungen nicht verbessert haben (EC 6.10.2020, S. 32). Die Überbelegung der Gefängnisse ist nicht nur problematisch in Hinblick auf den persönlichen Bewegungsfreiraum, sondern auch in Bezug auf die Aufrechterhaltung der persönlichen Hygiene. Darüber hinaus haben sich viele Gefangene über die Ernährung beschwert sowie über den Umstand, dass das Taggeld für die Gefangenen nicht ausreicht, um selbst eine gesunde Ernährung zu gewährleisten. Im Allgemeinen haben die Gefangenen Kontakt zu ihren Familien und Anwälten, allerdings besteht die Tendenz, Personen weit entfernt von ihren Herkunftsregionen und in abgelegenen Gegenden zu inhaftieren, was den unmittelbaren Kontakt mit der Familie oder den Anwälten erschwert (DIS 31.3.2021, S. 1). Im September 2019 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass die Überstellung von Häftlingen in weit von ihrem Wohnort entfernte Gefängnisse eine Verletzung der „Verpflichtung zur Achtung des Schutzes des Privat- und Familienlebens“ darstellt (EC 6.10.2020, S. 32). Untersuchungshäftlinge und Verurteilte befinden sich oft in denselben Zellen und Blöcken (US- DOS 12.4.2022, S. 7; vgl. DFAT 10.9.2020). Die Gefangenen werden nach der Art der Straftat getrennt: Diejenigen, die wegen terroristischer Straftaten angeklagt oder verurteilt wurden, werden von anderen Insassen separiert. Es besteht eine strikte Trennung zwischen denjenigen, die wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert sind, und Mitgliedern anderer Organisationen, wie z. B. der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). In jüngster Zeit gibt es nur wenige Hinweise darauf, dass Gefangene, die wegen Verbindungen zur PKK oder der Gülen-Bewegung inhaftiert sind, schlechter behandelt werden als andere (DFAT 10.9.2020). Es gab jedoch Fälle von politischen Gefangenen, denen die medizinische Behandlung von Ärzten in Kleinstädten verwehrt wurde, weil aus ihren Krankenakten die Verurteilung wegen PKK-Mitgliedschaft hervorging (DIS 31.3.2021, S. 29). Einige Personen, die wegen terroristischer Anschuldigungen inhaftiert waren, litten unter Übergriffen, darunter lange Einzelhaft, unnötige Entkleidungen und Leibesvisitationen, starke Einschränkungen bei der Bewegung im Freien und bei Aktivitäten außerhalb der Zelle, Verweigerung des Zugangs zur Bibliothek und zu Medien, schleppende medizinische Versorgung und in einigen Fällen die Verweigerung medizinischer Behandlung. Berichten zufolge waren auch Besucher von Häftlingen mit Terrorismusbezug Übergriffen, wie Leibesvisitationen und erniedrigender Behandlung durch Gefängniswärter ausgesetzt. Zudem wäre der Zugang zur Familie eingeschränkt gewesen (USDOS 12.4.2022, S. 20). Das Stockholm Center for Freedom hat insbesondere seit Oktober 2020 über eine Reihe von Fällen berichtet, in denen Gefangene mit angeblichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung unzureichend behandelt wurden, was manchmal zum Tod oder zur Verschlechterung ihres Zustands führte (DIS 31.3.2021, S. 19), zuletzt z. B. auch Anfang April 2021 (SCF 5.4.2021).Das Europäische Parlament zeigte sich im Juni 2022 „zutiefst besorgt über die Lage in den überfüllten Gefängnissen der Türkei, wodurch sich die ernste Bedrohung, die die COVID-19- Pandemie für das Leben der Gefangenen darstellt, weiter verschärft“. Es gab weiterhin Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen in den Gefängnissen, darunter willkürliche Einschränkungen der Rechte der Häftlinge, Verweigerung des Zugangs zu medizinischer Versorgung, die Anwendung von Folter und Misshandlung, die Verhinderung offener Besuche und Isolationshaft (EP 7.6.2022, S. 19f., Pt. 32; vergleiche EC 19.10.2021, S. 31, DFAT 10.9.2020). Disziplinarstrafen, einschließlich Einzelhaft, werden exzessiv und unverhältnismäßig eingesetzt. NGOs bestätigten, dass bestimmte Gruppen von Gefangenen diskriminiert werden, darunter Kurden, religiöse Minderheiten, politische Gefangene, Frauen, Jugendliche, LGBT-Personen, kranke Gefangene und Ausländer (DIS 31.3.2021, S. 1). Häftlinge erklärten, dass auf die meisten ihrer Beschwerden nicht eingegangen wurde und dass sich die Lebensbedingungen nicht verbessert haben (EC 6.10.2020, S. 32). Die Überbelegung der Gefängnisse ist nicht nur problematisch in Hinblick auf den persönlichen Bewegungsfreiraum, sondern auch in Bezug auf die Aufrechterhaltung der persönlichen Hygiene. Darüber hinaus haben sich viele Gefangene über die Ernährung beschwert sowie über den Umstand, dass das Taggeld für die Gefangenen nicht ausreicht, um selbst eine gesunde Ernährung zu gewährleisten. Im Allgemeinen haben die Gefangenen Kontakt zu ihren Familien und Anwälten, allerdings besteht die Tendenz, Personen weit entfernt von ihren Herkunftsregionen und in abgelegenen Gegenden zu inhaftieren, was den unmittelbaren Kontakt mit der Familie oder den Anwälten erschwert (DIS 31.3.2021, S. 1). Im September 2019 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass die Überstellung von Häftlingen in weit von ihrem Wohnort entfernte Gefängnisse eine Verletzung der „Verpflichtung zur Achtung des Schutzes des Privat- und Familienlebens“ darstellt (EC 6.10.2020, S. 32). Untersuchungshäftlinge und Verurteilte befinden sich oft in denselben Zellen und Blöcken (US- DOS 12.4.2022, S. 7; vergleiche DFAT 10.9.2020). Die Gefangenen werden nach der Art der Straftat getrennt: Diejenigen, die wegen terroristischer Straftaten angeklagt oder verurteilt wurden, werden von anderen Insassen separiert. Es besteht eine strikte Trennung zwischen denjenigen, die wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert sind, und Mitgliedern anderer Organisationen, wie z. B. der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). In jüngster Zeit gibt es nur wenige Hinweise darauf, dass Gefangene, die wegen Verbindungen zur PKK oder der Gülen-Bewegung inhaftiert sind, schlechter behandelt werden als andere (DFAT 10.9.2020). Es gab jedoch Fälle von politischen Gefangenen, denen die medizinische Behandlung von Ärzten in Kleinstädten verwehrt wurde, weil aus ihren Krankenakten die Verurteilung wegen PKK-Mitgliedschaft hervorging (DIS 31.3.2021, S. 29). Einige Personen, die wegen terroristischer Anschuldigungen inhaftiert waren, litten unter Übergriffen, darunter lange Einzelhaft, unnötige Entkleidungen und Leibesvisitationen, starke Einschränkungen bei der Bewegung im Freien und bei Aktivitäten außerhalb der Zelle, Verweigerung des Zugangs zur Bibliothek und zu Medien, schleppende medizinische Versorgung und in einigen Fällen die Verweigerung medizinischer Behandlung. Berichten zufolge waren auch Besucher von Häftlingen mit Terrorismusbezug Übergriffen, wie Leibesvisitationen und erniedrigender Behandlung durch Gefängniswärter ausgesetzt. Zudem wäre der Zugang zur Familie eingeschränkt gewesen (USDOS 12.4.2022, S. 20). Das Stockholm Center for Freedom hat insbesondere seit Oktober 2020 über eine Reihe von Fällen berichtet, in denen Gefangene mit angeblichen Verbindungen zur Gülen-Bewegung unzureichend behandelt wurden, was manchmal zum Tod oder zur Verschlechterung ihres Zustands führte (DIS 31.3.2021, S. 19), zuletzt z. B. auch Anfang April 2021 (SCF 5.4.2021).
Ein Problem bei der strafrechtlichen Prüfung von Verdachtsfällen bleibt die Nachweisbarkeit von Folter und Misshandlungen. Menschenrechtsorganisationen zufolge wird Dritten der Zugang zu ärztlichen Berichten über den Zustand inhaftierter bzw. in Gewahrsam genommener Personen häufig verweigert, sodass eine unabhängige Überprüfung nur schwer möglich ist (AA 28.7.2022, S. 17). Aus Berichten von Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass einige Ärzte aus Angst vor Repressalien ihre Unterschrift nicht unter medizinische Berichte setzen, in denen Folter behauptet wird. Infolgedessen sind die Opfer oft nicht in der Lage, medizinische Unterlagen zu erhalten, die ihre Behauptungen beweisen könnten (USDOS 12.4.2022, S. 8). Das System der obligatorischen medizinischen Kontrollen ist laut dem CPT nach wie vor grundlegend fehlerhaft (CoE-CPT 5.8.2020), denn seit Januar 2004 gilt die Regelung, dass außer auf Verlangen des Arztes Vollzugsbeamte nicht mehr bei der Untersuchung von Personen in Gewahrsam bzw. Haft anwesend sein dürfen (AA 28.7.2022, S. 17). Die Vertraulichkeit solcher Kontrollen ist bei Weitem noch nicht gewährleistet. Entgegen den Anforderungen der Inhaftierungsverordnung waren Vollzugsbeamte in der überwiegenden Mehrheit der Fälle bei den medizinischen Kontrollen weiterhin anwesend, was dazu führt, dass die Betroffenen keine Gelegenheit haben, mit dem Arzt unter vier Augen zu sprechen. Von der Delegation des CPT befragte Häftlinge gaben an, infolgedessen den Ärzten nicht von den Misshandlungen berichtet zu haben. Darüber hinaus gaben mehrere Personen an, dass sie von bei der medizinischen Kontrolle anwesenden Polizeibeamten bedroht worden seien, ihre Verletzungen nicht zu zeigen. Einige Häftlinge behaupteten, überhaupt keiner medizinischen Kontrolle unterzogen worden zu sein (CoE-CPT 5.8.2020).
Laut der Menschenrechtsvereinigung (iHD) ist eines der größten Probleme in den türkischen Gefängnissen die Verletzung der Rechte kranker Gefangener. Die iHD konnte mit Stand Ende April 2022 1.517 kranke Gefangene dokumentieren. 651 von ihnen sollen sich in einem schlechten Zustand befunden haben. Und 2021 starben mindestens 52 Personen in Haft (iHD 6.2022, S. 10, 13).
Kurdische Häftlinge
Mit Beginn des Ausnahmezustands (2016) wurden insbesondere kurdische Gefangene in weit entfernte Städte zwangsverlegt, wo sie häufiger Misshandlungen und Diskriminierungen ausgesetzt waren. Neben den Gefangenen waren auch deren Angehörige aufgrund ihrer ethnischen Identität in diesen Städten Diskriminierungen ausgesetzt, und es gibt einige Fälle, in denen sie nicht einmal eine Unterkunft finden konnten, und somit die Stadt ohne Besuchsmöglichkeit verlassen mussten (CiSST 26.3.2021, S. 16). Kurdische Gefängnisinsassen haben behauptet, dass sie von den Gefängnisverwaltungen diskriminiert werden. So sei der Briefverkehr aus und in das Gefängnis unterbunden worden, weil die Briefe auf Kurdisch verfasst waren, und es kein Gefängnispersonal gab, das Kurdisch versteht, um die Briefe für die Gefängnisleitung zu übersetzen (DIS 31.3.2021, S. 30, 68; vgl. iHD 6.2022, S. 23). In manchen Gefängnissen ist der Briefverkehr erlaubt, so die Insassen für die Übersetzungskosten, zwischen 300 und 400 Lira pro Seite, aufkämen (Ahval 25.10.2020). Die Gefangenen beschwerten sich auch darüber, dass die Wärter Drohungen und Beleidigungen ihnen gegenüber äußerten, weil sie Kurden seien, etwa auch mit der Unterstellung Terroristen zu sein. Verboten wurde ebenfalls die Verwendung von Notizbüchern, so diese kurdische Texte beinhalteten (DIS 31.3.2021, S. 30; 68) sowie der Erwerb bzw. das Lesen von kurdischen Büchern, selbst wenn diese legal waren, und Zeitungen (DIS 31.3.2021, S. 30; 68; vgl. iHD 23.10.2020, S. 7, SCF 26.11.2020). Beispielsweise beschwerten sich 13 Insassen des Frauengefängnisses in Van in einem Brief an einen Parlamentsabgeordneten der pro-kurdischen HDP, dass ihre Notizbücher - nebenbei auch kurdische Novellen und Gedichtsammlungen - mit dem Argument beschlagnahmt wurden, dass die Gefängnisverwaltung keinen Kurdisch-Türkisch-Dolmetscher habe (Duvar 23.11.2020). Kurden, die im Westen inhaftiert sind, können sowohl von anderen Gefangenen als auch von der Verwaltung diskriminiert werden. Wenn ein Gefangener beispielsweise in den Schlafsälen Kurdisch spricht, kann er oder sie eine negative Behandlung erfahren (DIS 31.3.2021, S. 55). Ende August 2021 wurde die ehemalige HDP-Abgeordnete, Leyla Güven, mit Disziplinarmaßnahmen belegt, weil sie zusammen mit acht anderen Insassinnen im Elazig-Frauengefängnis ein kurdisches Lied gesungen und einen traditionellen kurdischen Tanz aufgeführt hatte. Gegen die neun Insassinnen wurde deswegen ein Disziplinarverfahren eingeleitet und ein einmonatiges Verbot von Telefongesprächen und Familienbesuchen verhängt (Duvar 30.8.2021).Mit Beginn des Ausnahmezustands (2016) wurden insbesondere kurdische Gefangene in weit entfernte Städte zwangsverlegt, wo sie häufiger Misshandlungen und Diskriminierungen ausgesetzt waren. Neben den Gefangenen waren auch deren Angehörige aufgrund ihrer ethnischen Identität in diesen Städten Diskriminierungen ausgesetzt, und es gibt einige Fälle, in denen sie nicht einmal eine Unterkunft finden konnten, und somit die Stadt ohne Besuchsmöglichkeit verlassen mussten (CiSST 26.3.2021, S. 16). Kurdische Gefängnisinsassen haben behauptet, dass sie von den Gefängnisverwaltungen diskriminiert werden. So sei der Briefverkehr aus und in das Gefängnis unterbunden worden, weil die Briefe auf Kurdisch verfasst waren, und es kein Gefängnispersonal gab, das Kurdisch versteht, um die Briefe für die Gefängnisleitung zu übersetzen (DIS 31.3.2021, S. 30, 68; vergleiche iHD 6.2022, S. 23). In manchen Gefängnissen ist der Briefverkehr erlaubt, so die Insassen für die Übersetzungskosten, zwischen 300 und 400 Lira pro Seite, aufkämen (Ahval 25.10.2020). Die Gefangenen beschwerten sich auch darüber, dass die Wärter Drohungen und Beleidigungen ihnen gegenüber äußerten, weil sie Kurden seien, etwa auch mit der Unterstellung Terroristen zu sein. Verboten wurde ebenfalls die Verwendung von Notizbüchern, so diese kurdische Texte beinhalteten (DIS 31.3.2021, S. 30; 68) sowie der Erwerb bzw. das Lesen von kurdischen Büchern, selbst wenn diese legal waren, und Zeitungen (DIS 31.3.2021, S. 30; 68; vergleiche iHD 23.10.2020, S. 7, SCF 26.11.2020). Beispielsweise beschwerten sich 13 Insassen des Frauengefängnisses in Van in einem Brief an einen Parlamentsabgeordneten der pro-kurdischen HDP, dass ihre Notizbücher - nebenbei auch kurdische Novellen und Gedichtsammlungen - mit dem Argument beschlagnahmt wurden, dass die Gefängnisverwaltung keinen Kurdisch-Türkisch-Dolmetscher habe (Duvar 23.11.2020). Kurden, die im Westen inhaftiert sind, können sowohl von anderen Gefangenen als auch von der Verwaltung diskriminiert werden. Wenn ein Gefangener beispielsweise in den Schlafsälen Kurdisch spricht, kann er oder sie eine negative Behandlung erfahren (DIS 31.3.2021, S. 55). Ende August 2021 wurde die ehemalige HDP-Abgeordnete, Leyla Güven, mit Disziplinarmaßnahmen belegt, weil sie zusammen mit acht anderen Insassinnen im Elazig-Frauengefängnis ein kurdisches Lied gesungen und einen traditionellen kurdischen Tanz aufgeführt hatte. Gegen die neun Insassinnen wurde deswegen ein Disziplinarverfahren eingeleitet und ein einmonatiges Verbot von Telefongesprächen und Familienbesuchen verhängt (Duvar 30.8.2021).
Hochsicherheitsgefängnisse
In den Hochsicherheitsgefängnissen, einschließlich der F-Typ-, D-Typ- und T-Typ-Gefängnisse, sind Personen untergebracht, die wegen Verbrechen im Rahmen des türkischen Anti-TerrorGesetzes verurteilt oder angeklagt wurden, Personen, die zu einer schweren lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurden, und Personen, die wegen der Gründung oder Leitung einer kriminellen Organisation verurteilt oder angeklagt wurden oder im Rahmen einer solchen Organisation aufgrund eines der folgenden Abschnitte des türkischen Strafgesetzbuches verurteilt oder angeklagt wurden: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord, Drogenherstellung und -handel, Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates und Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und deren Funktionieren. Darüber hinaus können Gefangene, die eine Gefahr für die Sicherheit darstellen, gegen die Ordnung verstoßen oder sich Rehabilitationsmaßnahmen widersetzen, in Hochsicherheitsgefängnisse verlegt werden (DIS 31.3.2021, S. 11-13). Die seit dem Jahr 2000 eingeführte Praxis, Häftlinge in kleinen Gruppen oder einen einzelnen Häftling in Isolationshaft zu halten - eine Praxis, die insbesondere in F-Typ-Gefängnissen zu beobachten ist - hat rasant zugenommen, was die physische und psychische Integrität der Häftlinge ernsthaft beeinträchtigt (TOHAV 7.2019, S. 4). Bei Anklage oder Verurteilung wegen organisierter Kriminalität oder Terrorismus wird der Zugang zu Nachrichten und Büchern verwehrt (UKHO 10.2019, S. 70). Viele Mitglieder der Demokratischen Partei der Völker (HDP) oder deren hochrangige Persönlichkeiten befinden sich in der Türkei in Gefängnissen der F-Kategorie, in denen die Menschen entweder in Isolation oder mit maximal zwei anderen Personen interniert sind. Sie dürfen nur andere HDP-Mitglieder oder Unterstützer sehen (UKHO 10.2019, S. 36).
Isolationshaft
Die Einzelhaft wird durch das Strafvollzugsgesetz geregelt, das eine Vielzahl von Handlungen festlegt, die mit Einzelhaft disziplinarisch geahndet werden können. Das Gesetz legt außerdem eine Obergrenze von 20 Tagen Einzelhaft fest. Das CPT betonte allerdings, dass diese Höchstdauer überhöht ist, und nicht mehr als 14 Tage für ein bestimmtes Vergehen betragen sollte (DIS 31.3.2021, S. 26). Zur vermehrten Verhängung der Einzelhaft kommt es in den 14 F-Typ-, 13 Hochsicherheits- und fünf S-Typ-Gefängnissen (iHD 6.2022, S. 21). Bei der türkischen Menschenrechtsvereinigung (iHD) machten 2020 die Beschwerden hinsichtlich der Verhängung der Einzelhaft rund 11 % aller Gefängnisbeschwerden aus. Laut der türkischen NGO CiSST gibt es Fälle, in denen die Isolationshaft die gesetzlichen 20 Tage überschritten hat. Die iHD merkte an, dass Isolationshaft über Monate hinweg gegen Untersuchungshäftlinge verhängt werden kann, wenn gegen sie ein Verfahren läuft, welches eine erschwerte lebenslängliche Haftstrafe nach sich zieht. Darüber hinaus betrachtet es die iHD als Isolation, wenn Gefangene, einschließlich der zu schwerer lebenslanger Haft Verurteilten, in Hochsicherheitsgefängnissen des Typs F keine Gemeinschaftsräume nutzen dürfen bzw. nur für eine Stunde pro Woche (DIS 31.3.2021, S. 26). In einigen Gefängnissen wurden verschiedene Gruppen von Gefangenen ohne rechtliche Begründung in Einzelzellen verlegt. In einigen Fällen wurden sogar Gefangene mit einem ärztlichen Gutachten, dem zufolge sie nicht in Einzelhaft untergebracht werden können, in Ein- Personen-Zellen gesperrt (CiSST 26.3.2021, S. 25.) Betroffen von der Isolationshaft sind auch Mitglieder sexueller Minderheiten. Es ist möglich, dass LGBT-Häftlinge aufgrund ihrer Identität unabhängig von ihrer Verurteilung jahrelang in Isolation gehalten werden. In einigen Gefängnissen werden Mitglieder sexueller Minderheiten, entgegen ihren Forderungen, in Einzelzellen untergebracht (CiSST 26.3.2021, S. 48). Zwar gibt es keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele Häftlinge sich in der Türkei in Isolationshaft befinden oder wie viele sich das Leben genommen haben, doch nach Schätzungen der Experten sollen etwa 3.000 Personen von Isolationshaft betroffen sein (DW 7.5.2019). Im Mai 2021 forderte das Europäische Parlament „die Türkei auf, alle Isolationshaft und die Inhaftierung in inoffiziellen Haftanstalten zu beenden" (EP 19.5.2021).
Frauen
Mit Stand Ende April 2022 gab es in der Türkei 12.310 weibliche Gefangene (iHD 2.8.2022, S. 3; vgl. ICPR 2022), was nahezu eine Verdoppelung zum Jahr 2015 (6.289 weibliche Insassen) ausmachte. Damit waren 3,9 % der Gefängnisinsassen Frauen (ICPR 2022). Diese Häftlinge sind in zehn geschlossenen und sieben offenen Gefängnissen für Frauen sowie in vielen anderen Haftanstalten in Frauenabteilungen untergebracht (iHD 6.2022, S. 34). Laut der türkischen „Menschenrechtsvereinigung" (iHD) sind Gefängnisse einer der Orte, an denen Frauen Gewalt, Folter und Misshandlung ausgesetzt sind. Weibliche Häftlinge werden beleidigt, bedroht, körperlich gequält und misshandelt, und zwar sowohl von Justizvollzugsbeamten und Verwaltungsangestellten innerhalb der Einrichtung als auch von den Strafverfolgungsbehörden bei der Verlegung in Krankenhäuser und Gerichtsgebäude (iHD 2.8.2022, S. 3). Die Leibesvisitation ist eines der Hauptprobleme bei Vorwürfen von Folter und Misshandlung. Die Antragsteller geben an, dass die erzwungene Leibesvisitation manchmal auf eine körperliche Untersuchung hinausläuft, während Gefangene, die sich der Leibesvisitation widersetzen oder sich ihr widersetzen, geschlagen, gefoltert oder disziplinarisch bestraft werden (iHD 6.2022, S. 35). Das Versäumnis,Mit Stand Ende April 2022 gab es in der Türkei 12.310 weibliche Gefangene (iHD 2.8.2022, S. 3; vergleiche ICPR 2022), was nahezu eine Verdoppelung zum Jahr 2015 (6.289 weibliche Insassen) ausmachte. Damit waren 3,9 % der Gefängnisinsassen Frauen (ICPR 2022). Diese Häftlinge sind in zehn geschlossenen und sieben offenen Gefängnissen für Frauen sowie in vielen anderen Haftanstalten in Frauenabteilungen untergebracht (iHD 6.2022, S. 34). Laut der türkischen „Menschenrechtsvereinigung" (iHD) sind Gefängnisse einer der Orte, an denen Frauen Gewalt, Folter und Misshandlung ausgesetzt sind. Weibliche Häftlinge werden beleidigt, bedroht, körperlich gequält und misshandelt, und zwar sowohl von Justizvollzugsbeamten und Verwaltungsangestellten innerhalb der Einrichtung als auch von den Strafverfolgungsbehörden bei der Verlegung in Krankenhäuser und Gerichtsgebäude (iHD 2.8.2022, S. 3). Die Leibesvisitation ist eines der Hauptprobleme bei Vorwürfen von Folter und Misshandlung. Die Antragsteller geben an, dass die erzwungene Leibesvisitation manchmal auf eine körperliche Untersuchung hinausläuft, während Gefangene, die sich der Leibesvisitation widersetzen oder sich ihr widersetzen, geschlagen, gefoltert oder disziplinarisch bestraft werden (iHD 6.2022, S. 35). Das Versäumnis,
Ermittlungen gegen diese Gewalttäter einzuleiten, welche Straffreiheit genießen, ebnet der iHD zufolge den Weg für eine Eskalation der Zahl solcher Fälle (iHD 2.8.2022, S. 3).
Kinder und Minderjährige
Insgesamt waren mit Stand Frühjahr 2021 offiziell 2.076 Kinder zwischen zwölf und 18 Jahren in vier Erziehungsanstalten für Kinder und acht geschlossenen Strafvollzugsanstalten für Kinder inhaftiert (iHD 6.2022, S. 34). An Orten, an denen es keine speziellen Gefängnisse gibt, werden Minderjährige in getrennten Abteilungen innerhalb der Gefängnisse für männliche und weibliche Erwachsene untergebracht. Kinder unter sechs Jahren können bei ihren inhaftierten Müttern bleiben (USDOS 12.4.2022, S. 7; vgl. DFAT 10.9.2020). Die Zahlen hinsichtliche der Kinder unter sechs Jahren, welche bei ihren Müttern ihr Leben im Gefängnis verbringen, variiert je nach Quelle zwischen 800 (FP 8.8.2021) und 345. Letztere ist die offizielle Zahl, die von der Generaldirektion für Gefängnisse und Haftanstalten Anfang März 2021 bekannt gegeben wurde (ABC-TGM 9.3.2021; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 7). Das türkische Strafgesetzbuch sieht außerdem vor, dass Haftstrafen zwar für Mütter mit Kindern unter sechs Monaten ausgesetzt werden, nicht jedoch, wenn Personen wegen Verbindungen zu einer terroristischen Vereinigung verurteilt werden (DW 23.6.2019). Einer Studie der Right to Life Association zufolge sind die Kleinkinder durch Leibesvisitationen traumatisiert. Sie werden nicht gut ernährt und erhalten keine ausreichende medizinische Versorgung. Sie haben auch Schwierigkeiten, Zeit zum Spielen zu finden (SCF 12.10.2021). Die Kinder im zentraltürkischen Keskin-Gefängnis haben monatelang keine Milch, keine Eier und kein Spielzeug bekommen, wie ein Bericht des parlamentarischen Unterausschusses für die Rechte der Häftlinge zeigt. Die weiblichen Gefangenen berichteten, dass sie ihre Kinder nur ein paar Mal im Jahr in die Kindertagesstätte des Gefängnisses bringen können und dass sie ihre Kinder nicht sehen dürfen, wenn sie es wollen (Duvar 18.2.2021).Hinsichtlich straffälliger Minderjähriger gab es laut der „Ankara Medical Chamber" (ATO) mit Jahresende 2021 1.941 inhaftierte oder verurteilte Kinder, während die Haftstrafen von 566 verurteilten Kindern aufgrund des COVID-19-Ausbruchs außerhalb von Gefängnissen vollstreckt wurden. Die ATO kritisierte, dass im Strafvollzugssystem mehrere Vorkehrungen getroffen werden, ohne die Rechte und Bedürfnisse von Kindern zu berücksichtigen. Kinder würden verhaftet, ohne eine ausreichende Risiko- und Bedarfsanalyse durchgeführt oder wirksame Maßnahmen zu ergriffen zu haben. Zudem wären Kinder aufgrund der schlechten physischen Bedingungen, der sozialen Isolation und der Disziplinarstrafen im Gefängnis einer sekundären Bestrafung ausgesetzt (Bianet 7.1.2022).Insgesamt waren mit Stand Frühjahr 2021 offiziell 2.076 Kinder zwischen zwölf und 18 Jahren in vier Erziehungsanstalten für Kinder und acht geschlossenen Strafvollzugsanstalten für Kinder inhaftiert (iHD 6.2022, S. 34). An Orten, an denen es keine speziellen Gefängnisse gibt, werden Minderjährige in getrennten Abteilungen innerhalb der Gefängnisse für männliche und weibliche Erwachsene untergebracht. Kinder unter sechs Jahren können bei ihren inhaftierten Müttern bleiben (USDOS 12.4.2022, S. 7; vergleiche DFAT 10.9.2020). Die Zahlen hinsichtliche der Kinder unter sechs Jahren, welche bei ihren Müttern ihr Leben im Gefängnis verbringen, variiert je nach Quelle zwischen 800 (FP 8.8.2021) und 345. Letztere ist die offizielle Zahl, die von der Generaldirektion für Gefängnisse und Haftanstalten Anfang März 2021 bekannt gegeben wurde (ABC-TGM 9.3.2021; vergleiche USDOS 12.4.2022, S. 7). Das türkische Strafgesetzbuch sieht außerdem vor, dass Haftstrafen zwar für Mütter mit Kindern unter sechs Monaten ausgesetzt werden, nicht jedoch, wenn Personen wegen Verbindungen zu einer terroristischen Vereinigung verurteilt werden (DW 23.6.2019). Einer Studie der Right to Life Association zufolge sind die Kleinkinder durch Leibesvisitationen traumatisiert. Sie werden nicht gut ernährt und erhalten keine ausreichende medizinische Versorgung. Sie haben auch Schwierigkeiten, Zeit zum Spielen zu finden (SCF 12.10.2021). Die Kinder im zentraltürkischen Keskin-Gefängnis haben monatelang keine Milch, keine Eier und kein Spielzeug bekommen, wie ein Bericht des parlamentarischen Unterausschusses für die Rechte der Häftlinge zeigt. Die weiblichen Gefangenen berichteten, dass sie ihre Kinder nur ein paar Mal im Jahr in die Kindertagesstätte des Gefängnisses bringen können und dass sie ihre Kinder nicht sehen dürfen, wenn sie es wollen (Duvar 18.2.2021).Hinsichtlich straffälliger Minderjähriger gab es laut der „Ankara Medical Chamber" (ATO) mit Jahresende 2021 1.941 inhaftierte oder verurteilte Kinder, während die Haftstrafen von 566 verurteilten Kindern aufgrund des COVID-19-Ausbruchs außerhalb von Gefängnissen vollstreckt wurden. Die ATO kritisierte, dass im Strafvollzugssystem mehrere Vorkehrungen getroffen werden, ohne die Rechte und Bedürfnisse von Kindern zu berücksichtigen. Kinder würden verhaftet, ohne eine ausreichende Risiko- und Bedarfsanalyse durchgeführt oder wirksame Maßnahmen zu ergriffen zu haben. Zudem wären Kinder aufgrund der schlechten physischen Bedingungen, der sozialen Isolation und der Disziplinarstrafen im Gefängnis einer sekundären Bestrafung ausgesetzt (Bianet 7.1.2022).
Angehörige sexueller Minderheiten (LGBTIQ+)
Eine offizielle Zahl von Angehörige sexueller Minderheiten in Haftanstalten ist unbekannt, da die Generaldirektion für Gefängnisse und Haftanstalten solche Daten nicht offenlegt (iHD 6.2022, S. 35). Mitglieder von sexuellen Minderheiten gehören zu jenen, die in Gefängnissen am häufigsten Gewalt, Diskriminierung, Demütigung und sexueller Belästigung ausgesetzt sind. Neben der Tatsache, dass es keine spezifischen Regelungen für die Bedürfnisse dieser Personengruppen gibt, sind auch die Programme zur Ausbildung von Verwaltungspersonal, Vollzugsbeamten und Sozialarbeitern in Bezug auf die Arbeit mit LGBTI-Personen unzureichend. Beschwerden von Angehörigen sexueller Minderheiten über Rechtsverletzungen und Übergriffe, die sie erleben, bleiben aufgrund homophober Positionen und verwurzelter Vorurteile ergebnislos (CiSST 26.3.2021, S. 48; vgl. iHD 6.2022, S. 35f.). LGBTI-Häftlinge werden in der Regel von heterosexuellen Häftlingen getrennt (DFAT 10.9.2020), allerdings dann oft in Einzelhaft untergebracht, was den Missbrauch der Betroffenen fördert. Überdies ist es ihnen nicht erlaubt, Kontakte zu knüpfen, mit anderen zu sprechen und an sportlichen Aktivitäten teilnehmen. Diese Situation wird zur physischen und psychischen Folter. Besonders heikel stellt sich die Situation für Transfrauen dar, da sie in Männergefängnissen untergebracht werden, und somit männerspezifischen Gefängnispraktiken, wie der Leibesvisitation, unterworfen sind. Das größte Problem sowohl von inhaftierten Transfrauen als auch Transmännern sind die Unterbrechungen der Geschlechtsumwandlungsprozesse. Die Einleitung des Geschlechtsumwandlungsprozesses und seine Fortsetzung werden in Gefängnissen unterbrochen und oft nicht einmal akzeptiert. Da die Versorgung mit Hormonpräparaten ein Problem ist, gibt es auch in dieser Hinsicht oft Beschwerden (iHD 6.2022, S. 35f.). Mehrere transsexuelle Gefangene sind aus Protest gegen Misshandlungen im Gefängnis in den Hungerstreik getreten (OMCT 2022).Eine offizielle Zahl von Angehörige sexueller Minderheiten in Haftanstalten ist unbekannt, da die Generaldirektion für Gefängnisse und Haftanstalten solche Daten nicht offenlegt (iHD 6.2022, S. 35). Mitglieder von sexuellen Minderheiten gehören zu jenen, die in Gefängnissen am häufigsten Gewalt, Diskriminierung, Demütigung und sexueller Belästigung ausgesetzt sind. Neben der Tatsache, dass es keine spezifischen Regelungen für die Bedürfnisse dieser Personengruppen gibt, sind auch die Programme zur Ausbildung von Verwaltungspersonal, Vollzugsbeamten und Sozialarbeitern in Bezug auf die Arbeit mit LGBTI-Personen unzureichend. Beschwerden von Angehörigen sexueller Minderheiten über Rechtsverletzungen und Übergriffe, die sie erleben, bleiben aufgrund homophober Positionen und verwurzelter Vorurteile ergebnislos (CiSST 26.3.2021, S. 48; vergleiche iHD 6.2022, S. 35f.). LGBTI-Häftlinge werden in der Regel von heterosexuellen Häftlingen getrennt (DFAT 10.9.2020), allerdings dann oft in Einzelhaft untergebracht, was den Missbrauch der Betroffenen fördert. Überdies ist es ihnen nicht erlaubt, Kontakte zu knüpfen, mit anderen zu sprechen und an sportlichen Aktivitäten teilnehmen. Diese Situation wird zur physischen und psychischen Folter. Besonders heikel stellt sich die Situation für Transfrauen dar, da sie in Männergefängnissen untergebracht werden, und somit männerspezifischen Gefängnispraktiken, wie der Leibesvisitation, unterworfen sind. Das größte Problem sowohl von inhaftierten Transfrauen als auch Transmännern sind die Unterbrechungen der Geschlechtsumwandlungsprozesse. Die Einleitung des Geschlechtsumwandlungsprozesses und seine Fortsetzung werden in Gefängnissen unterbrochen und oft nicht einmal akzeptiert. Da die Versorgung mit Hormonpräparaten ein Problem ist, gibt es auch in dieser Hinsicht oft Beschwerden (iHD 6.2022, S. 35f.). Mehrere transsexuelle Gefangene sind aus Protest gegen Misshandlungen im Gefängnis in den Hungerstreik getreten (OMCT 2022).
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
Die Covid-19-Pandemie hat die Situation in den Gefängnissen verschärft, da die Überbelegung es schwierig macht, die Infektionen unter den auf engem Raum lebenden Gefangenen zu kontrollieren. Nach Angaben der türkischen Generaldirektion für Gefängnisse und Haftanstalten haben 55 von 372 Gefängnissen Covid-19-Fälle gemeldet (OMCT 2022).
Im Jahr 2021 starben mindestens 175 Gefangene an den Folgen von COVID-19. Aus den eingelangten Ansuchen schloss die Menschenrechtsvereinigung iHD, dass die Haftbedingungen für die Pandemie nicht geeignet sind und keine hygienischen und gesunden Bedingungen für die Gefangenen geschaffen wurden. Darüber hinaus führten die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu einer Entrechtung der Inhaftierten. Regelmäßige Untersuchungen und Behandlungen kranker Gefangener, einschließlich solcher in kritischem Zustand, wurden unterbrochen. Gefangene, die in regelmäßigen Abständen einen Arzt aufsuchen oder regelmäßig Medikamente einnehmen müssten, stehen vor ernsthaften Problemen (iHD 6.2022, S. 27). Erschwerend komme laut Menschenrechtsverteidigern hinzu, dass wegen der Pandemie keine externen Kontrollen, etwa des Wachpersonals, in den Gefängnissen durchgeführt werden können (DW 17.3.2021). Die türkische NGO CiSST verzeichnete seit Beginn der COVID-19-Pandemie Beschwerden aus 179 Haftanstalten unterschiedlichen Typus’ (Stand: Ende November 2021). Die engen Verhältnisse, auch infolge der Überbelegung, sowohl in den Zellen als auch in den Speisesälen, stellen ein grundlegendes Problem hinsichtlich der COVID-19-Pandemie dar. Was die Hygienemaßnahmen anlangt, so wurden zu Beginn der Epidemie die Gefängnisse regelmäßig desinfiziert. Die diesbezügliche Frequenz hat jedoch abgenommen. Es kam zu etlichen Klagen über schmutzige Bettwäsche, Toiletten und Trinkwasser. In einigen Gefängnissen kann auch infolge der Überbelegung keine Frischluft zirkulieren. In einigen Gefängnissen führen die Gefängnisbeamten vermehrt Leibesvisitationen und Inspektionen durch, ohne die Regeln des Social Distancing einzuhalten bzw. ohne Masken zu tragen. Während der Zelleninspektionen werden die Gefangenen nicht mit Masken ausgestattet. Seifen, Bleich- und Desinfektionsmittel werden nur in einigen Gefängnissen kostenlos verteilt. Obwohl einige Gefangene glaubten, die Symptome von COVID-19 zu haben, wurden ihre Bitten, getestet zu werden, nicht erfüllt. Die Minimierung der Anzahl der Treffen mit den Familien hat die Isolationsbedingungen für die Gefangenen, die allein untergebracht sind, noch verschärft (CiSST 30.11.2021). Angesichts des hohen Risikos der Ausbreitung von COVID-19 in überfüllten Gefängnissen verabschiedete das Parlament Mitte April 2020 eine Novellierung des Strafvollzugsgesetzes, die die Freilassung von bis zu 90.000 Gefangenen vorsah. Über 65.000 Personen profitierten mit Stand Juli 2020 von dieser neuen Bestimmung. Sie schloss jedoch nebst Schwerverbrechern, Sexualstraftätern und Drogen-Delinquenten eine sehr große Zahl von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern, Politikern, Anwälten und anderen Personen aus, die nach Prozessen im Rahmen der weit gefassten Anti-Terror-Gesetze inhaftiert wurden oder ihre Strafe verbüßen (EC 6.10.2020, S. 32; vgl. DFAT 10.9.2020, ÖB 30.11.2021, S. 11).Im Jahr 2021 starben mindestens 175 Gefangene an den Folgen von COVID-19. Aus den eingelangten Ansuchen schloss die Menschenrechtsvereinigung iHD, dass die Haftbedingungen für die Pandemie nicht geeignet sind und keine hygienischen und gesunden Bedingungen für die Gefangenen geschaffen wurden. Darüber hinaus führten die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu einer Entrechtung der Inhaftierten. Regelmäßige Untersuchungen und Behandlungen kranker Gefangener, einschließlich solcher in kritischem Zustand, wurden unterbrochen. Gefangene, die in regelmäßigen Abständen einen Arzt aufsuchen oder regelmäßig Medikamente einnehmen müssten, stehen vor ernsthaften Problemen (iHD 6.2022, S. 27). Erschwerend komme laut Menschenrechtsverteidigern hinzu, dass wegen der Pandemie keine externen Kontrollen, etwa des Wachpersonals, in den Gefängnissen durchgeführt werden können (DW 17.3.2021). Die türkische NGO CiSST verzeichnete seit Beginn der COVID-19-Pandemie Beschwerden aus 179 Haftanstalten unterschiedlichen Typus’ (Stand: Ende November 2021). Die engen Verhältnisse, auch infolge der Überbelegung, sowohl in den Zellen als auch in den Speisesälen, stellen ein grundlegendes Problem hinsichtlich der COVID-19-Pandemie dar. Was die Hygienemaßnahmen anlangt, so wurden zu Beginn der Epidemie die Gefängnisse regelmäßig desinfiziert. Die diesbezügliche Frequenz hat jedoch abgenommen. Es kam zu etlichen Klagen über schmutzige Bettwäsche, Toiletten und Trinkwasser. In einigen Gefängnissen kann auch infolge der Überbelegung keine Frischluft zirkulieren. In einigen Gefängnissen führen die Gefängnisbeamten vermehrt Leibesvisitationen und Inspektionen durch, ohne die Regeln des Social Distancing einzuhalten bzw. ohne Masken zu tragen. Während der Zelleninspektionen werden die Gefangenen nicht mit Masken ausgestattet. Seifen, Bleich- und Desinfektionsmittel werden nur in einigen Gefängnissen kostenlos verteilt. Obwohl einige Gefangene glaubten, die Symptome von COVID-19 zu haben, wurden ihre Bitten, getestet zu werden, nicht erfüllt. Die Minimierung der Anzahl der Treffen mit den Familien hat die Isolationsbedingungen für die Gefangenen, die allein untergebracht sind, noch verschärft (CiSST 30.11.2021). Angesichts des hohen Risikos der Ausbreitung von COVID-19 in überfüllten Gefängnissen verabschiedete das Parlament Mitte April 2020 eine Novellierung des Strafvollzugsgesetzes, die die Freilassung von bis zu 90.000 Gefangenen vorsah. Über 65.000 Personen profitierten mit Stand Juli 2020 von dieser neuen Bestimmung. Sie schloss jedoch nebst Schwerverbrechern, Sexualstraftätern und Drogen-Delinquenten eine sehr große Zahl von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern, Politikern, Anwälten und anderen Personen aus, die nach Prozessen im Rahmen der weit gefassten Anti-Terror-Gesetze inhaftiert wurden oder ihre Strafe verbüßen (EC 6.10.2020, S. 32; vergleiche DFAT 10.9.2020, ÖB 30.11.2021, S. 11).
Quellen:
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•ÖB - Österreichische Botschaft-Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 7.2.2022
•OMCT - World Organisation Against Torture (2022): Briefing note on the situation of prisons and prisoners in Turkey, https://www.omct.org/site-resources/files/Brief_Situation-of-Prisons-in-Turke y_ENG.pdf, Zugriff 19.8.2022
•SCF - Stockholm Center for Freedom (15.3.2022): Number of inmates exceeds 309,000 in Turkish prisons, https://stockholmcf.org/number-of-inmates-exceeds-309000-in-turkish-prisons/, Zugriff 23.3.2022
•SCF - Stockholm Center for Freedom (12.10.2021): 345 children under the age of 6 in prison with their mothers in Turkey: report, https://stockholmcf.org/345-children-under-the-age-of-6-in-priso n-with-their-mothers-in-turkey-report/, Zugriff 1.2.2021
•SCF - Stockholm Center for Freedom (5.4.2021): „I don’t want him to die in prison,“ says spouse of lymphoma patient imprisoned over Gülen links, https://stockholmcf.org/i-dont-want-him-to-die-i n-prison-says-spouse-of-lymphoma-patient-imprisoned-over-gulen-links/, Zugriff 22.2.2022
•SCF - Stockholm Center for Freedom (26.11.2020): Prison administration bans Kurdish publicati- ons and notebooks, https://stockholmcf.org/prison-administration-bans-kurdish-publications-and -notebooks/, Zugriff 22.2.2022
•TOHAV - Foundation for Society and Legal Studie/ CiSST - Civil Society in the Penal System Association/ ÖHD - Lawyers for Freedom Association (7.2019): The Human Rights situation in prisons - Universal Periodic Review - Turkey - 2020, https://uprdoc.ohchr.org/uprweb/downloadfi le.aspx?filename=7486&file=CoverPage , Zugriff 22.2.2022
•UKHO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (10.2019): Report of a Home Office Fact- Finding Mission Turkey: Kurds, the HDP and the PKK; Conducted 17. Juni to 21. Juni 2019, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2020297/TURKEY_FFM_REPORT_2019.od t, Zugriff 22.2.2022
•UNILCRIM/CoE - Universite de Lausanne - Ecole des sciences criminelles/ Council of Europe (6.4.2022): Prisons and Prisoners in Europe 2021: Key Findings of the SPACE I report, https: //wp.unil.ch/space/files/2022/05/Aebi-Cocco-Molnar-Tiago_2022_Prisons-and-Prisoners-in-Eur ope-2021_Key-Findings-SPACE-I_-220404.pdf, Zugriff 19.4.2022UNILCRIM/CoE - Universite de Lausanne - Ecole des sciences criminelles/ Council of Europe (6.4.2022): Prisons and Prisoners in Europe 2021: Key Findings of the SPACE römisch eins report, https: //wp.unil.ch/space/files/2022/05/Aebi-Cocco-Molnar-Tiago_2022_Prisons-and-Prisoners-in-Eur ope-2021_Key-Findings-SPACE-I_-220404.pdf, Zugriff 19.4.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 19.4.2022
Todesstrafe
Letzte Änderung: 20.09.2022
Die Türkei schaffte die Todesstrafe mit dem Gesetz Nr. 5170 am 7.5.2004 und der Entfernung aller Hinweise darauf in der Verfassung ab. Darüber hinaus ratifizierte die Türkei das Protokoll Nr. 6 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) über die Abschaffung der Todesstrafe am 12.11.2003, welches am 1.12.2003 in Kraft trat, sowie das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die völlige Abschaffung der Todesstrafe (d. h. unter allen Umständen, auch für Verbrechen, die in Kriegszeiten begangen wurden, und für unmittelbare Kriegsgefahr, was keine Ausnahmen oder Vorbehalte zulässt), welches am 20.2.2006 ratifiziert bzw. am 1.6.2006 in Kraft trat. Am 3.2.2004 unterzeichnete die Türkei zudem das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das auf die Abschaffung der Todesstrafe abzielt. Das Protokoll trat in der Türkei am 24.10.2006 in Kraft (FIDH 13.10.2020; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 12).Die Türkei schaffte die Todesstrafe mit dem Gesetz Nr. 5170 am 7.5.2004 und der Entfernung aller Hinweise darauf in der Verfassung ab. Darüber hinaus ratifizierte die Türkei das Protokoll Nr. 6 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) über die Abschaffung der Todesstrafe am 12.11.2003, welches am 1.12.2003 in Kraft trat, sowie das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die völlige Abschaffung der Todesstrafe (d. h. unter allen Umständen, auch für Verbrechen, die in Kriegszeiten begangen wurden, und für unmittelbare Kriegsgefahr, was keine Ausnahmen oder Vorbehalte zulässt), welches am 20.2.2006 ratifiziert bzw. am 1.6.2006 in Kraft trat. Am 3.2.2004 unterzeichnete die Türkei zudem das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das auf die Abschaffung der Todesstrafe abzielt. Das Protokoll trat in der Türkei am 24.10.2006 in Kraft (FIDH 13.10.2020; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 12).
Obwohl die Türkei dem Protokoll 13 der EMRK beigetreten ist, werden weiterhin von Regierungsvertretern, einschließlich des Präsidenten, Erklärungen zur Möglichkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe abgegeben (EC 29.5.2019). Der türkische Präsident schlug mehr als einmal vor, dass die Türkei die Todesstrafe wiedereinführen sollte. Im August 2018 gab es vermehrt Berichte, wonach die Todesstrafe für terroristische Straftaten und die Ermordung von Frauen und Kindern wiedereingeführt werden sollte. Im März 2019 kam diese Debatte nach den Anschlägen auf zwei neuseeländische Moscheen in Christchurch, bei denen 50 Menschen getötet wurden, wieder auf. Der Präsident gelobte, einem Gesetz zur Wiedereinführung der Todesstrafe zuzustimmen, falls das Parlament es verabschiedet, wobei er sein Bedauern über die Abschaffung der Todesstrafe zum Ausdruck brachte (OSCE 17.9.2019). Ende September 2020 sprach sich Parlamentspräsident Mustafa §entop für die Wiedereinführung der Todesstrafe für bestimmte Delikte aus, nämlich für vorsätzlichen Mord und sexuellen Missbrauch an Minderjährigen und
Frauen (Duvar 29.9.2020; vgl. FIDH 13.10.2020). Und Ende Juni 2022 meinte der Justizminister, dass die Türkei die Entscheidung aus dem Jahr 2004 zur Abschaffung der Todesstrafe überdenken würde, nachdem Präsident Erdogan die Todesstrafe im Zusammenhang mit absichtlich gelegten Waldbränden ins Spiel brachte (Reuters 25.6.2022).Frauen (Duvar 29.9.2020; vergleiche FIDH 13.10.2020). Und Ende Juni 2022 meinte der Justizminister, dass die Türkei die Entscheidung aus dem Jahr 2004 zur Abschaffung der Todesstrafe überdenken würde, nachdem Präsident Erdogan die Todesstrafe im Zusammenhang mit absichtlich gelegten Waldbränden ins Spiel brachte (Reuters 25.6.2022).
Quellen:
•Duvar (29.9.2020): Turkish Parliament speaker announces support for return of death penalty, https://www.duvarenglish.com/politics/2020/09/29/turkish-parliament-speaker-announces-support -for-return-of-death-penalty/, Zugriff 23.2.2022
•EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www. ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 23.2.2022
•FIDH - International Federation for Human Rights 813.10.2020): Death Penalty Cannot be Rein- stated in Turkey, https://www.fidh.org/en/region/europe-central-asia/turkey/death-penalty-canno t-be-reinstated-in-turkey, Zugriff 3.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft-Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 3.2.2022
•OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (17.9.2019): The Death Penalty in the OSCE Area: Background Paper 2019, https://www.osce.org/files/f/documents/a/9/430268_0.pdf, Zugriff 23.2.2022
•Reuters (25.6.2022): Turkey re-evaluates death penalty after Erdogan’s wildfires comment, https: //www.reuters.com/world/middle-east/turkey-wildfire-under-control-after-4500-hectares-scorche d-government-2022-06-25/, Zugriff 10.8.2022
Religionsfreiheit und religiöse Minderheiten
Letzte Änderung: 20.09.2022
Die Türkei definiert sich zwar als säkularer Staat, dessen Verfassung die Gewissens- und Religionsfreiheit sowie die Religionsausübung garantiert und Diskriminierung aus religiösen Gründen verbietet (USDOS 2.6.2022), de facto besteht jedoch keine Trennung von Religion und Staat (BMZ 10.2020). Das Land ist von der jahrzehntelangen kemalistischen Tradition geprägt mit der Vision einer homogenen türkischen Gesellschaft sunnitischen Glaubens, wo der Existenz religiöser Minderheiten praktisch kein Platz eingeräumt wurde (ÖB 30.11.2021, S. 23; vgl. BMZ 10.2020). Um die von Minderheiten möglicherweise ausgehende Bedrohung gering zu halten, sollten nach dieser Denkweise Nichtmuslime bzw. Muslime nicht-sunnitischen Glaubens nicht über solide rechtliche Strukturen verfügen (ÖB 30.11.2021, S. 23). Der Staat beansprucht das Monopol auf die Gestaltung und Kontrolle des religiösen Lebens (BMZ 10.2020).Die Türkei definiert sich zwar als säkularer Staat, dessen Verfassung die Gewissens- und Religionsfreiheit sowie die Religionsausübung garantiert und Diskriminierung aus religiösen Gründen verbietet (USDOS 2.6.2022), de facto besteht jedoch keine Trennung von Religion und Staat (BMZ 10.2020). Das Land ist von der jahrzehntelangen kemalistischen Tradition geprägt mit der Vision einer homogenen türkischen Gesellschaft sunnitischen Glaubens, wo der Existenz religiöser Minderheiten praktisch kein Platz eingeräumt wurde (ÖB 30.11.2021, S. 23; vergleiche BMZ 10.2020). Um die von Minderheiten möglicherweise ausgehende Bedrohung gering zu halten, sollten nach dieser Denkweise Nichtmuslime bzw. Muslime nicht-sunnitischen Glaubens nicht über solide rechtliche Strukturen verfügen (ÖB 30.11.2021, S. 23). Der Staat beansprucht das Monopol auf die Gestaltung und Kontrolle des religiösen Lebens (BMZ 10.2020).
Die Regierung schränkt weiterhin die Rechte nicht-muslimischer religiöser Minderheiten ein, insbesondere derjenigen, die nach der Auslegung des Lausanner Vertrags von 1923 durch die Regierung nicht anerkannt werden. Anerkannt sind nur armenisch-apostolische und griechisch-orthodoxe Christen sowie Juden (USDOS 2.6.2022; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 23). Andere religiöse Minderheiten, wie zum Beispiel Aleviten, Baha’i, Protestanten, römische Katholiken oder Syrisch-Orthodoxe, sind ohne Status. Davon unabhängig kommt zudem im türkischen Recht keiner nicht-muslimischen Religionsgemeinschaft als solcher Rechtspersönlichkeit zu (ÖB 30.11.2021, S. 23). Religionsgemeinschaften können nur indirekt im Wege von Stiftungen (vakif), die von Privatpersonen gegründet werden, rechtlich tätig werden. Da die Regierung seit 2013 keine neue Wahlregelung für diese Stiftungen erlässt, können die Mitglieder des Stiftungsrates nicht bestellt werden. In der Praxis wird dadurch das Tätigwerden der nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften massiv erschwert (ÖB 30.11.2021, S. 23f; vgl. DFAT 10.9.2020). Nach türkischer Lesart können sich nur die vom Lausanner Vertrag erfassten drei [oben erwähnten] ethno-religiösen Gemeinschaften auf ihre religiösen Stiftungen (vakif) stützen. Die restlichen Religionsgruppen können sich ebenfalls, wenn sie die verwaltungsrechtlichen Vorgaben erfüllen, als Stiftung oder als Verein organisieren (AA 28.7.2022, S. 11).Die Regierung schränkt weiterhin die Rechte nicht-muslimischer religiöser Minderheiten ein, insbesondere derjenigen, die nach der Auslegung des Lausanner Vertrags von 1923 durch die Regierung nicht anerkannt werden. Anerkannt sind nur armenisch-apostolische und griechisch-orthodoxe Christen sowie Juden (USDOS 2.6.2022; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 23). Andere religiöse Minderheiten, wie zum Beispiel Aleviten, Baha’i, Protestanten, römische Katholiken oder Syrisch-Orthodoxe, sind ohne Status. Davon unabhängig kommt zudem im türkischen Recht keiner nicht-muslimischen Religionsgemeinschaft als solcher Rechtspersönlichkeit zu (ÖB 30.11.2021, S. 23). Religionsgemeinschaften können nur indirekt im Wege von Stiftungen (vakif), die von Privatpersonen gegründet werden, rechtlich tätig werden. Da die Regierung seit 2013 keine neue Wahlregelung für diese Stiftungen erlässt, können die Mitglieder des Stiftungsrates nicht bestellt werden. In der Praxis wird dadurch das Tätigwerden der nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften massiv erschwert (ÖB 30.11.2021, S. 23f; vergleiche DFAT 10.9.2020). Nach türkischer Lesart können sich nur die vom Lausanner Vertrag erfassten drei [oben erwähnten] ethno-religiösen Gemeinschaften auf ihre religiösen Stiftungen (vakif) stützen. Die restlichen Religionsgruppen können sich ebenfalls, wenn sie die verwaltungsrechtlichen Vorgaben erfüllen, als Stiftung oder als Verein organisieren (AA 28.7.2022, S. 11).
Das Gesetz verbietet Sufi- und andere religiös-soziale Orden (Tarikats) sowie Logen (Cemaats), obgleich die Regierung diese Einschränkungen im Allgemeinen nicht vollstreckt (USDOS 2.6.2022) . Formal seit den Zwanziger-Jahren verboten, als etwa 1925 alle Derwischhäuser geschlossen wurden, organisieren sich die Anhänger des Sufismus in Vereinen und geben ihr Wissen legal, beispielsweise an Universitäten, weiter. An der staatlichen Universität Istanbul etwa besteht ein eigener Lehrstuhl samt Master-Studienlehrgang für Sufismus (DF 19.2.2018).
In der Türkei ist das individuelle Recht, zu glauben, nicht zu glauben und seinen Glauben zu wechseln, gesetzlich geschützt. Es gibt jedoch weitverbreitete Berichte über Druck in der Familie, am Arbeitsplatz und im sozialen Umfeld, insbesondere auf Personen, die eine andere Religion, einen anderen Glauben oder eine andere Weltanschauung als den Islam haben - einschließlich der Angst, diskriminiert zu werden. Für Atheisten, Konvertiten zum Christentum, Aleviten und Angehörige nicht-muslimischer Minderheiten sind diese Erfahrungen weitverbreitet. Die rechtlichen Instrumente zur Wiedergutmachung von diesbezüglichen Rechtsverletzungen sind nicht effektiv (NHC 11.9.2020, S. 10). Das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit schließt das Recht ein, die eigene Religion oder Weltanschauung zu verbreiten. Aktivitäten, die darauf abzielen, die eigene Religion zu verbreiten, werden allerdings oft mit Misstrauen betrachtet. Sie werden schnell als „missionarische Aktivitäten" bezeichnet und fallen als solche nicht in den Geltungsbereich des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit (NHC-FBI 19.4.2022, S. 37).
Blasphemie ist nach dem Strafgesetzbuch verboten, das die „Erregung von Hass und Feindseligkeit" unter Strafe stellt, einschließlich öffentlicher Respektlosigkeit gegenüber religiösen Überzeugungen. Das Strafgesetzbuch verbietet es, religiösen Führern während der Ausübung ihres Amtes die Regierung oder die Gesetze des Staates „zu tadeln oder zu verunglimpfen". Darauf stehen Gefängnisstrafen von bis zu einem Jahr, im Falle einer Aufstachelung zur Missachtung des Gesetzes sogar von bis zu drei Jahren. Das Gesetz bestraft beleidigende Äußerungen gegenüber Wertvorstellungen, die von einer Religion als heilig betrachtet werden. Die Beleidigung einer Religion wird mit sechs Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis sanktioniert. Die Störung des Gottesdienstes einer religiösen Gruppe wird mit ein bis drei Jahren, die Beschädigung religiösen Eigentums mit drei Monaten bis zu einem Jahr und die Zerstörung religiösen Eigentums mit ein bis vier Jahren Gefängnis bestraft. Da es illegal ist, Gottesdienste an Orten abzuhalten, die nicht als Gebetsstätten registriert sind, gelten diese gesetzlichen Verbote in der Praxis nur für anerkannte religiöse Gruppen (USDOS 2.6.2022). Nach einer Flut von Strafverfolgungen zwischen 2014 und 2016 - darunter von Journalisten, die 2016 französische Charlie-Hebdo-Karikaturen des Propheten Mohammad nachgedruckt haben - ist in den letzten Jahren ein deutlicher Rückgang der Beschwerden, Strafverfolgungen und Verurteilungen zu verzeichnen (DFAT 10.9.2020).
Das Amt für Religionsangelegenheiten (Diyanet), eine staatliche Institution, regelt und koordiniert religiöse Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Islam. Laut Gesetz hat das Diyanet den Auftrag, den Glauben, die Praktiken und die moralischen Grundsätze des Islams zu ermöglichen und zu fördern - wobei der Schwerpunkt auf dem sunnitischen Islam liegt - die Öffentlichkeit über religiöse Fragen aufzuklären und Moscheen zu verwalten. Das Diyanet ist verwaltungstechnisch unter dem Büro des Staatspräsidenten angesiedelt. Der Leiter des Diyanet wird vom Staatspräsidenten ernannt und von einem 16-köpfigen Rat verwaltet, der von Klerikern und den theologischen Fakultäten der Universitäten gewählt wird (USDOS 2.6.2022). Während das Diyanet alle Angelegenheiten bezüglich der Ausübung des Islams verwaltet, ist die Generaldirektion für Stiftungen (Vakiflar) für alle anderen Religionen zuständig (DFAT 10.9.2020).
In der Türkei sind laut Regierungsangaben 99 % der Bevölkerung muslimischen Glaubens, geschätzte 78 % davon sind Sunniten der hanafitischen Rechtsschule. Vertreter anderer, nichtmuslimischer Religionsgruppen schätzen ihren Anteil auf 0,2 % der Bevölkerung. Die Aleviten- Stiftung geht davon aus, dass 25 bis 31 % der Bevölkerung Aleviten sind, während andere Quellen davon ausgehen, dass die Aleviten nur 6 % der Bevölkerung ausmachen. 4 % der Muslime sind schiitische Dschafari (USDOS 2.6.2022; vgl. BMZ 10.2020). Die nicht-muslimischen Gruppen konzentrieren sich überwiegend in Istanbul und anderen großen Städten sowie im Südosten des Landes. Präzise Zahlen gibt es hierzu nicht. Laut Eigenangaben sind ungefähr 90.000 Mitglieder der Armenisch-Apostolischen Kirche, 25.000 römisch-katholische Christen und 12.000-16.000 Juden. Darüber hinaus gibt es 25.000 syrisch-orthodoxe Christen, 15.000 russisch-orthodoxe Christen (zumeist russische Einwanderer) und ca. 10.000 Baha’i. Die Jesi- den machen weniger als 1.000 Anhänger aus. 5.000 sind Zeugen Jehovas, ca. 7.000-10.000 Protestanten verschiedener Richtungen, ca. 3.000 irakisch-chaldäische Christen und bis zu 2.500 sind griechisch-orthodoxe Christen (USDOS 2.6.2022).In der Türkei sind laut Regierungsangaben 99 % der Bevölkerung muslimischen Glaubens, geschätzte 78 % davon sind Sunniten der hanafitischen Rechtsschule. Vertreter anderer, nichtmuslimischer Religionsgruppen schätzen ihren Anteil auf 0,2 % der Bevölkerung. Die Aleviten- Stiftung geht davon aus, dass 25 bis 31 % der Bevölkerung Aleviten sind, während andere Quellen davon ausgehen, dass die Aleviten nur 6 % der Bevölkerung ausmachen. 4 % der Muslime sind schiitische Dschafari (USDOS 2.6.2022; vergleiche BMZ 10.2020). Die nicht-muslimischen Gruppen konzentrieren sich überwiegend in Istanbul und anderen großen Städten sowie im Südosten des Landes. Präzise Zahlen gibt es hierzu nicht. Laut Eigenangaben sind ungefähr 90.000 Mitglieder der Armenisch-Apostolischen Kirche, 25.000 römisch-katholische Christen und 12.000-16.000 Juden. Darüber hinaus gibt es 25.000 syrisch-orthodoxe Christen, 15.000 russisch-orthodoxe Christen (zumeist russische Einwanderer) und ca. 10.000 Baha’i. Die Jesi- den machen weniger als 1.000 Anhänger aus. 5.000 sind Zeugen Jehovas, ca. 7.000-10.000 Protestanten verschiedener Richtungen, ca. 3.000 irakisch-chaldäische Christen und bis zu 2.500 sind griechisch-orthodoxe Christen (USDOS 2.6.2022).
Während ein Großteil der Bevölkerung an den von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) geförderten Werten des sozialen Konservativismus und der religiösen Frömmigkeit festhält, gibt es auch einen großen Teil der Bevölkerung, der Religion in erster Linie als Privatsache betrachtet. Zu dieser Gruppe gehören Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und Lebensstilen, wobei der Säkularismus der wichtigste gemeinsame Nenner ist. Sie fühlen sich durch staatliche Maßnahmen im Sinne einer Islamisierung zunehmend marginalisiert (NL-MFA 31.10.2019). 3 % bezeichnen sich mittlerweile als Atheisten - 2008 waren es nur 1 % - und 2 % als nicht gläubig (AM 9.1.2019; vgl. USDOS 2.6.2022). Der Prozentsatz derjenigen, die sich als Muslime verstehen, sank dagegen von 55 % auf 51 %, was im Widerspruch zu den offiziell kolportierten 99 % steht. Allerdings sehen sich viele soziologisch und kulturell als Muslime, ohne religiös zu sein. Schätzungen zu Folge gelten 60 % als praktizierende Muslime (DW 9.1.2019).Während ein Großteil der Bevölkerung an den von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) geförderten Werten des sozialen Konservativismus und der religiösen Frömmigkeit festhält, gibt es auch einen großen Teil der Bevölkerung, der Religion in erster Linie als Privatsache betrachtet. Zu dieser Gruppe gehören Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und Lebensstilen, wobei der Säkularismus der wichtigste gemeinsame Nenner ist. Sie fühlen sich durch staatliche Maßnahmen im Sinne einer Islamisierung zunehmend marginalisiert (NL-MFA 31.10.2019). 3 % bezeichnen sich mittlerweile als Atheisten - 2008 waren es nur 1 % - und 2 % als nicht gläubig (AM 9.1.2019; vergleiche USDOS 2.6.2022). Der Prozentsatz derjenigen, die sich als Muslime verstehen, sank dagegen von 55 % auf 51 %, was im Widerspruch zu den offiziell kolportierten 99 % steht. Allerdings sehen sich viele soziologisch und kulturell als Muslime, ohne religiös zu sein. Schätzungen zu Folge gelten 60 % als praktizierende Muslime (DW 9.1.2019).
Kritiker behaupten, dass die AKP eine religiöse Agenda hat, die sunnitische Muslime begünstigt. Der Beleg sei u. a. die Vergrößerung des Diyanet und die angebliche Nutzung dieser Institution für politische Klientelarbeit und regierungsfreundliche Predigten in Moscheen (FH 2.2022, B4). Seit ihrer Machtübernahme hat die AKP-Regierung eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die ihre Sicht des Islams und der Gesellschaft widerspiegeln. Dazu gehört die Anpassung der Lehrpläne, um Themen wie die Darwin’sche Evolutionstheorie auszuschließen. Darüber hinaus versucht die Regierung, den Alkoholkonsum zu reduzieren, indem sie hohe Steuern einführt und Werbung für Alkohol verbietet. Die Regierung fördert auch sog. „nationale und spirituelle Werte" durch die von ihr kontrollierten Medien und unterstützt die islamische Zivilgesellschaft mit Ressourcen. Bereits 2010 hob die AKP-Regierung das von einigen türkischen Frauen als diskriminierend empfundene Verbot des Tragens eines Kopftuches auf, wenn sie in staatlichen Einrichtungen arbeiten oder studieren wollen (NL-MFA31.10.2019). Das Kopftuch ist das einzige religiöse Symbol, das für Beamte oder Schüler in Grund-, Mittel- oder Oberschulen erlaubt ist. Andere religiöse Symbole wie die Kippa, das Kreuz oder der Zulfikar [Symbol von Schiiten, Aleviten und Alawiten] sind hingegen nicht erlaubt (NHC-FBI 19.4.2022, S. 39).
Neben der Rhetorik gegen Minderheitengruppen geben die aggressive Kampagne seitens der Regierung und der Medien gegen Israel im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt sowie ein anti-westlicher, insbesondere gegen Europa gerichteter Islamophobie-NarrativAnlass zu Besorgnis. Das Zusammenspiel dieser Tendenzen begünstigt eine gegenüber religiösen Minderheiten feindliche Stimmung, die auch in Hassreden in sozialen Medien Ausdruck findet - von den Justizbehörden oft als Ausdruck freier Meinungsäußerung toleriert - und ermutigt implizit zu Gewalt und Aggression (ÖB 30.11.2021, S. 24). Hierzu stellte das Europäische Parlament im Juni 2022 „mit Besorgnis fest, dass noch immer Hetze und Hassverbrechen gegen religiöse Minderheiten, hauptsächlich Aleviten, Christen und Juden, gemeldet werden und dass die einschlägigen Ermittlungen ergebnislos bleiben" (EP 7.6.2022, S. 13, Pt. 19). Im Jahr 2021 waren die Bedingungen für die Religionsfreiheit in der Türkei nach wie vor schlecht, ohne dass sich die Situation im Vergleich zum Vorjahr verbessert hätte. Viele Religionsgemeinschaften sahen sich weiterhin mit bürokratischen Hindernissen konfrontiert, die die Ausübung ihrer Religion verhinderten oder ernsthaft einschränkten. Insbesondere weigerte sich die Regierung weiterhin, religiösen Gruppen die Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen. Ebenso unternahm die Regierung keine Schritte zur Wiedereröffnung der Theologischen Schule von Halki (Chalki- Seminar), einem Seminar des Ökumenischen Patriarchats der Ostorthodoxen Kirche. Durch die Nachlässigkeit der Regierung gegenüber Vandalismus und sogenannte „Schatzsucher" wurden religiöse Stätten ernsthaft beschädigt oder zerstört (USCIRF 4.2021, S. 62f.).
Es kommt immer wieder zu Hassverbrechen, inklusive solcher Äußerungen seitens Regierungsvertreter und Politiker, auch der Opposition (BMZ 10.2020), die sich gegen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften und deren Gotteshäuser, zugehörige Einrichtungen, religiöse/spirituelle Führer und Mitglieder richten, und diese Straftaten bleiben zumal ungestraft. Die derzeitige Gesetzgebung ist unzureichend, um gegen Hassverbrechen vorzugehen. Die Straftaten werden weder ausreichend gemeldet noch von den Behörden ausreichend erfasst (NHC-FBI 194.2022, S. 37; vgl. EC 19.10.2021, S. 40).Es kommt immer wieder zu Hassverbrechen, inklusive solcher Äußerungen seitens Regierungsvertreter und Politiker, auch der Opposition (BMZ 10.2020), die sich gegen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften und deren Gotteshäuser, zugehörige Einrichtungen, religiöse/spirituelle Führer und Mitglieder richten, und diese Straftaten bleiben zumal ungestraft. Die derzeitige Gesetzgebung ist unzureichend, um gegen Hassverbrechen vorzugehen. Die Straftaten werden weder ausreichend gemeldet noch von den Behörden ausreichend erfasst (NHC-FBI 194.2022, S. 37; vergleiche EC 19.10.2021, S. 40).
Die antisemitische Rhetorik in Printmedien und in sozialen Medien hält an (USDOS 12.4.2022, S. 79), wobei diese nun auch Verschwörungstheorien hinsichtlich der Ausbreitung von COVID-19 beinhaltet (USCIRF 12.2021, S. 1, 4). In TV-Shows und Interviews werden Juden und dem Staat Israel die absichtliche Verbreitung des Virus unterstellt. Laut einem Bericht der armenischen Hrant-Dink-Stiftung über Hassreden gab es mehrere Hundert Fälle antisemitischer Rhetorik in der Presse, in denen Juden als gewalttätig, verschwörerisch und als Feinde des Landes dargestellt wurden (USDOS 30.3.2021, S. 68).Die Zahl der Religionsschulen, die den sunnitischen Islam fördern, ist unter AKP-Regierungszeit gestiegen (NL-MFA 31.10.2019). Der staatliche Unterricht umfasst einen verpflichtenden Religionsunterricht, wobei sich die Regierung auch mit Ende 2021 weiterhin nicht an ein Urteil des EGMR aus dem Jahr 2013 gehalten hat, wonach der von der Regierung verordnete verpflichtende Religionsunterricht an öffentlichen Schulen gegen die Bildungsfreiheit verstößt (USDOS 2.6.2022). Der Religionsunterricht an staatlichen Schulen ist ausschließlich sunnitisch-hanafi- tisch. Das Erziehungsministerium hat die Freistellungsmöglichkeit für alle nicht-muslimischen Schüler (nicht nur für jene im Lausanner Vertrag genannten) 2009 offiziell eingeräumt, vorausgesetzt, die entsprechende Religionszugehörigkeit ist im Personenstandsregister eingetragen. Seit 2016 erscheint die Religionszugehörigkeit nicht mehr im Personalausweis, wird aber weiterhin im Personenstandsregister verpflichtend erfasst und ist für die Verwaltung und die Polizei einsehbar. Die Freistellung von alevitischen Kindern vom obligatorischen Religionsunterricht muss in der Regel auf dem Klageweg erstritten werden, da sie im Register als Muslime erfasst werden. Für Nichtgläubige besteht keine Möglichkeit zur Freistellung (BMZ 10.2020). Atheisten, Agnostiker, Baha’i, Jesiden, Hindus, Buddhisten, Aleviten, andere nicht-sunnitische Muslime oder diejenigen, die den Abschnitt „Religion" auf ihrem nationalen Personalausweis [vor 2016] leer gelassen haben, werden selten vom Religionsunterricht befreit (USDOS 2.6.2022).
Das Verfassungsgericht entschied im April 2022, dass der obligatorische Religionsunterricht gegen die Religionsfreiheit verstößt, und bestätigte damit die beiden früheren Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), welcher die Türkei wegen des Prinzips und des Inhalts des obligatorischen Religionsunterrichts kritisiert hatte. Zwar hatte das türkische Erstgericht unter Berufung auf innerstaatliches und internationales Recht bereits vor 13 Jahren zugunsten der klagenden, alevitischen Eltern entschieden, doch hob der Staatsrat [Verwaltungsgerichtshof] das Urteil aufgrund der Berufung des Bildungsministeriums wieder auf. Schließlich landete der Fall 2014 auf dem Schreibtisch des Verfassungsgerichts (AM 12.4.2022; vgl. Bianet 11.4.2022).Das Verfassungsgericht entschied im April 2022, dass der obligatorische Religionsunterricht gegen die Religionsfreiheit verstößt, und bestätigte damit die beiden früheren Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), welcher die Türkei wegen des Prinzips und des Inhalts des obligatorischen Religionsunterrichts kritisiert hatte. Zwar hatte das türkische Erstgericht unter Berufung auf innerstaatliches und internationales Recht bereits vor 13 Jahren zugunsten der klagenden, alevitischen Eltern entschieden, doch hob der Staatsrat [Verwaltungsgerichtshof] das Urteil aufgrund der Berufung des Bildungsministeriums wieder auf. Schließlich landete der Fall 2014 auf dem Schreibtisch des Verfassungsgerichts (AM 12.4.2022; vergleiche Bianet 11.4.2022).
Es gibt glaubwürdige Berichte über staatliche Diskriminierung von Nicht-Muslimen und Aleviten bei der Anstellung im öffentlichen Dienst (FH 2.2022, F4; vgl. AA 28.7.2022, S. 11). Mit Ausnahme wissenschaftlicher Einrichtungen sind Angehörige nicht-muslimischer Religionsgemeinschaften weder im öffentlichen Dienst noch in der Armee zu finden (ÖB 30.11.2021, S. 26; vgl. BS 23.2.2022, S. 27). Ende Oktober 2021 wurde erstmals in der Geschichte der Republik ein der armenischen Gemeinde zugehöriger Kandidat zum Verfahren für die Ausbildung zum Distriktgouverneur zugelassen. Früher bestehende Bestimmungen, welche die Aufnahme von Minderheitenangehörigen in den Staatsdienst auch rechtlich eingeschränkt hatten, wurden in der Zwischenzeit zwar aufgehoben, doch werden sie als gelebte Praxis weiterhin beachtet. Im Wissen, dass eine Bewerbung aussichtslos wäre, bemühen sich Angehörige, etwa der christlichen Minderheiten, inzwischen meist gar nicht mehr um eine Aufnahme. Im türkischen Parlament zählt lediglich die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) nicht-muslimische Abgeordnete in ihren Reihen (ÖB 30.11.2021, S. 26). Rechtliche Hindernisse hinsichtlich der Konversion, etwa ein Übertritt zum Christentum, bestehen nicht. Allerdings werden Konvertiten in der Folge oft von ihren Familien bzw. ihrem sozialen Umfeld ausgegrenzt (AA 28.7.2022, S. 11; vgl. BMZ 10.2020) oder am Arbeitsplatz gemieden (USDOS 12.5.2021). Religiöse Missionstätigkeit ist seit 1991 nicht mehr verboten (BMZ 10.2020). Nach wie vor begegnet die große muslimische Mehrheit sowohl der Hinwendung zu einem anderen als dem muslimischen Glauben als auch jeglicher Missionierungstätigkeit mit großem Misstrauen (AA 28.7.2022, S. 11).Es gibt glaubwürdige Berichte über staatliche Diskriminierung von Nicht-Muslimen und Aleviten bei der Anstellung im öffentlichen Dienst (FH 2.2022, F4; vergleiche AA 28.7.2022, S. 11). Mit Ausnahme wissenschaftlicher Einrichtungen sind Angehörige nicht-muslimischer Religionsgemeinschaften weder im öffentlichen Dienst noch in der Armee zu finden (ÖB 30.11.2021, S. 26; vergleiche BS 23.2.2022, S. 27). Ende Oktober 2021 wurde erstmals in der Geschichte der Republik ein der armenischen Gemeinde zugehöriger Kandidat zum Verfahren für die Ausbildung zum Distriktgouverneur zugelassen. Früher bestehende Bestimmungen, welche die Aufnahme von Minderheitenangehörigen in den Staatsdienst auch rechtlich eingeschränkt hatten, wurden in der Zwischenzeit zwar aufgehoben, doch werden sie als gelebte Praxis weiterhin beachtet. Im Wissen, dass eine Bewerbung aussichtslos wäre, bemühen sich Angehörige, etwa der christlichen Minderheiten, inzwischen meist gar nicht mehr um eine Aufnahme. Im türkischen Parlament zählt lediglich die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) nicht-muslimische Abgeordnete in ihren Reihen (ÖB 30.11.2021, S. 26). Rechtliche Hindernisse hinsichtlich der Konversion, etwa ein Übertritt zum Christentum, bestehen nicht. Allerdings werden Konvertiten in der Folge oft von ihren Familien bzw. ihrem sozialen Umfeld ausgegrenzt (AA 28.7.2022, S. 11; vergleiche BMZ 10.2020) oder am Arbeitsplatz gemieden (USDOS 12.5.2021). Religiöse Missionstätigkeit ist seit 1991 nicht mehr verboten (BMZ 10.2020). Nach wie vor begegnet die große muslimische Mehrheit sowohl der Hinwendung zu einem anderen als dem muslimischen Glauben als auch jeglicher Missionierungstätigkeit mit großem Misstrauen (AA 28.7.2022, S. 11).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022.pdf, Zugriff am 29.8.2022
•AM - Al Monitor (12.4.2022): Turkey’s top court rules compulsory religion courses violate rights, https://www.al-monitor.com/originals/2022/04/turkeys-top-court-rules-compulsory-religion-cours es-violate-rights , Zugriff 19.4.2022
•AM - Al Monitor (9.1.2019): Turks losing trust in religion under AKP, https://www.al-monitor.com/p ulse/originals/2019/01/turkey-becoming-less-religious-under-akp.html, Zugriff 1.3.2022
•BMZ - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [Deutschland] (10.2020): Zweiter Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit, https: //www.auswaertiges-amt.de/blob/2410402/9e394a9928461b6c4ac0d4368b7a26af/201028-z weiter-bericht-der-bundesregierung-zur-weltweiten-lage-der-religionsfreiheit-data.pdf, Zugriff 3.5.2022
•Bianet (11.4.2022): Compulsory religion class violates ECHR, Constitutional Court rules, https: //bianet.org/english/law/260286-turkey-s-compulsory-religion-class-violates-echr-constitutional-c ourt-rules , Zugriff 19.4.2022
•BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/ file/local/2069612/country_report_2022_TUR.pdf, Zugriff 21.3.2022
•DF - Deutschlandfunk (19.2.2018): Mystik in der Türkei - Eine Frau leitet einen Sufi-Orden, https: //www.deutschlandfunk.de/mystik-in-der-tuerkei-eine-frau-leitet-einen-sufi-orden-100.html , Zugriff 11.5.2022
•DFAT- Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 1.3.2022
•DW - Deutsche Welle (9.1.2019): Zahl der Atheisten in Erdogans Türkei steigt, https://www.dw.c om/de/zahl-der-atheisten-in-erdogans-t%C3%BCrkei-steigt/a-46992921, Zugriff 1.3.2022
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•EC - European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 1.3.2022
•EP - Europäisches Parlament (7.6.2022): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni 2022 zu dem Bericht 2021 der Kommission über die Türkei (2021/2250(INI)), https://www.europarl .europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0222_DE.pdf, Zugriff 29.6.2022
•FH - Freedom House (2.2022): Freedom in the World 2022 - Turkey, https://freedomhouse.org/c ountry/turkey/freedom-world/2022 , Zugriff 1.3.2022
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•NHC - Norwegian Helsinki Committee (11.9.2020): Pursuing Rights and Equality: Monitoring Report on the Right to Freedom of Religion or Belief in Turkey, https://www.nhc.no/content/uploadsZ2 020/09/Report_Turkey_ENG_web.pdf, Zugriff 1.3.2022
•NL-MFA- Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (18.3.2021): General Country of Origin Information Report Turkey, https://www.government.nl/binaries/government/documenten/r eports/2021/03/18/general-country-of-origin-information-report-turkey/vertaling-aab-turkije.pdf, Zugriff 1.3.2022
•NL-MFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (31.10.2019): General Country of Origin Information Report Turkey, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/documenten /ambtsberichten/2019/10/31/algemeen-ambtsbericht-turkije-oktober-2019/Turkije++October+201 9.pdf, Zugriff 1.3.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft-Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 8.2.2022
•USCIRF - US Commission on International Religious Freedom: Country [USA] (4.2022): Annual Report 2022, https://www.uscirf.gov/sites/default/files/2022-04/2022%20USCIRF%20Annual%2 0Report_1.pdf, Zugriff 9.5.2022
•USCIRF - US Commission on International Religious Freedom: Country [USA] (12.2021): Update: Turkey; Religious Freedom in Turkey in 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069569/2021+Tu rkey+Country+Update.pdf, Zugriff 27.4.2022
•USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2074011.html , Zugriff 13.6.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 27.4.2022
•USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051585.html, Zugriff 1.3.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/TURKEY-2020-HUM AN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 1.3.2022
Aleviten
Letzte Änderung: 20.09.2022
Alevi ist die Bezeichnung für eine große Zahl von heterodoxen schiitischen Gemeinschaften mit unterschiedlichen Merkmalen. Damit bilden die Aleviten die größte religiöse Minderheit in der Türkei. Technisch gesehen fallen sie unter die schiitische Konfession des Islam, folgen aber einer grundlegend anderen Interpretation als die schiitischen Gemeinschaften in anderen Ländern. Sie unterscheiden sich auch erheblich in ihrer Praxis und Interpretation des Islam von der sunnitischen Mehrheit (MRGI 6.2018a). Während die meisten Aleviten ihren Glauben als eigenständige Religion betrachten, identifizieren sich einige als Schiiten oder Sunniten oder sehen ihre alevitische Identität überwiegend in einem kulturellen und nicht religiösen Rahmen. Aleviten sind meist säkular und unterstützen eine strikte Trennung von Religion und Politik (DFAT 10.9.2020, S. 24).
Die Zahl der Aleviten ist umstritten. Schätzungen aus verschiedenen Quellen variieren beträchtlich, von etwa 10 % bis zu 40 % der Gesamtbevölkerung. Aktuelle Zahlen deuten auf eine Zahl von 20 bis 25 Millionen hin (MRGI 6.2018a; vgl. USCIRF 4.2022, S. 63). Die türkische Regierung erkennt die Aleviten nicht offiziell an, weshalb sie bei Volkszählungen zu den Muslimen hinzugezählt werden (Gatestone 18.1.2018; vgl. DFAT 10.9.2020, S. 24). Viele Aleviten sind auch Kurden, obwohl die geschätzten Zahlen wiederum sehr unterschiedlich sind (zwischen einer halben und mehreren Millionen). Kurdische Aleviten identifizieren sich primär eher als Aleviten (DFAT 10.9.2020, S. 24). Politisch stehen die kurdischen Aleviten vor dem Dilemma, ob sie ihrer ethnischen oder religiösen Gemeinschaft gegenüber loyal sein sollen. Einige kümmern sich mehr um die religiöse Solidarität mit den türkischen Aleviten als um die ethnische Solidarität mit den Kurden, zumal viele sunnitische Kurden sie missbilligen (MRGI 6.2018a). Während die Aleviten über die ganze Türkei verstreut sind, konzentrieren sich die alevitischen Kurden auf Zentral- und Ost-Anatolien, Istanbul und andere Großstädte. Tunceli (Dersim) ist das Zentrum des alevitischen Glaubens. Seine Bevölkerung ist überwiegend (zu 95 %) alevitisch. Durchschnittliche Aleviten verhalten sich in der Gesellschaft in der Regel unauffällig und betonen ihre religiöse Identität nicht (DFAT 10.9.2020, S. 24).Die Zahl der Aleviten ist umstritten. Schätzungen aus verschiedenen Quellen variieren beträchtlich, von etwa 10 % bis zu 40 % der Gesamtbevölkerung. Aktuelle Zahlen deuten auf eine Zahl von 20 bis 25 Millionen hin (MRGI 6.2018a; vergleiche USCIRF 4.2022, S. 63). Die türkische Regierung erkennt die Aleviten nicht offiziell an, weshalb sie bei Volkszählungen zu den Muslimen hinzugezählt werden (Gatestone 18.1.2018; vergleiche DFAT 10.9.2020, S. 24). Viele Aleviten sind auch Kurden, obwohl die geschätzten Zahlen wiederum sehr unterschiedlich sind (zwischen einer halben und mehreren Millionen). Kurdische Aleviten identifizieren sich primär eher als Aleviten (DFAT 10.9.2020, S. 24). Politisch stehen die kurdischen Aleviten vor dem Dilemma, ob sie ihrer ethnischen oder religiösen Gemeinschaft gegenüber loyal sein sollen. Einige kümmern sich mehr um die religiöse Solidarität mit den türkischen Aleviten als um die ethnische Solidarität mit den Kurden, zumal viele sunnitische Kurden sie missbilligen (MRGI 6.2018a). Während die Aleviten über die ganze Türkei verstreut sind, konzentrieren sich die alevitischen Kurden auf Zentral- und Ost-Anatolien, Istanbul und andere Großstädte. Tunceli (Dersim) ist das Zentrum des alevitischen Glaubens. Seine Bevölkerung ist überwiegend (zu 95 %) alevitisch. Durchschnittliche Aleviten verhalten sich in der Gesellschaft in der Regel unauffällig und betonen ihre religiöse Identität nicht (DFAT 10.9.2020, S. 24).
Das Alevitentum wird offiziell weiterhin als heterodoxe muslimische „Sekte" behandelt, nicht jedoch als religiöses Bekenntnis anerkannt. Dies führt dazu, dass alevitische Gebetshäuser (Ce- mevi) in vielen Gemeinden nicht als Gotteshäuser anerkannt sind, und dies trotz anderslautender Urteile des Obersten Berufungsgerichtes (Kassationsgericht) vom November 2018 und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) (USDOS 2.6.2022; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 27, FH 2.2022, D2). Infolgedessen stehen die Gebetshäuser nicht unter dem Schutz des türkischen Strafgesetzes (ÖB 30.11.2021, S. 27). Führungspersönlichkeiten der Aleviten nannten die Anzahl der 2.500 bis 3.000 Gebetshäuser als unzureichend, um die Bedürfnisse der Gläubigen zu befriedigen. Die Regierung erklärte weiterhin, dass die vom Diyanet finanzierten sunnitischen Moscheen den Aleviten und allen Muslimen zur Verfügung stünden, unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung (USDOS 2.6.2022). Abweichend von der Regierungslinie, wurden den Aleviten vereinzelt auf lokaler Ebene Rechte und Unterstützung eingeräumt. In Izmir erhielten sieben Cemevis den Status einer Kultstätte. In Istanbul wurden kostenlose kommunale Dienstleistungen wie den anderen Religionsgemeinschaften auch den Gebetshäusern der Aleviten zugestanden (USDOS 12.5.2021).Das Alevitentum wird offiziell weiterhin als heterodoxe muslimische „Sekte" behandelt, nicht jedoch als religiöses Bekenntnis anerkannt. Dies führt dazu, dass alevitische Gebetshäuser (Ce- mevi) in vielen Gemeinden nicht als Gotteshäuser anerkannt sind, und dies trotz anderslautender Urteile des Obersten Berufungsgerichtes (Kassationsgericht) vom November 2018 und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) (USDOS 2.6.2022; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 27, FH 2.2022, D2). Infolgedessen stehen die Gebetshäuser nicht unter dem Schutz des türkischen Strafgesetzes (ÖB 30.11.2021, S. 27). Führungspersönlichkeiten der Aleviten nannten die Anzahl der 2.500 bis 3.000 Gebetshäuser als unzureichend, um die Bedürfnisse der Gläubigen zu befriedigen. Die Regierung erklärte weiterhin, dass die vom Diyanet finanzierten sunnitischen Moscheen den Aleviten und allen Muslimen zur Verfügung stünden, unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung (USDOS 2.6.2022). Abweichend von der Regierungslinie, wurden den Aleviten vereinzelt auf lokaler Ebene Rechte und Unterstützung eingeräumt. In Izmir erhielten sieben Cemevis den Status einer Kultstätte. In Istanbul wurden kostenlose kommunale Dienstleistungen wie den anderen Religionsgemeinschaften auch den Gebetshäusern der Aleviten zugestanden (USDOS 12.5.2021).
Die türkische Regierung hat den Aktionsplan, der 2016 dem Ministerkomitee des Europarates vorgelegt wurde und sich auf Entscheidungen des EGMR über Cemevi und obligatorischen Religionsunterricht bezieht, nicht umgesetzt (ÖB 30.11.2021, S. 27). Alevitische Eltern sind nach wie vor mit Problemen konfrontiert, wenn sie ihre Kinder vom sunnitischen Religionsunterricht abmelden wollen, da die Behörden die Aleviten nicht als religiöse Minderheit anerkennen (USCIRF 12.2021, S. 3). Andererseits dürften inzwischen erste Schritte zur Umsetzung eines EGMR-Urteils aus 2016 hinsichtlich der Verletzung der Religionsfreiheit und des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot gesetzt worden sein (ÖB 30.11.2021, S. 27). Allerdings sah Ende September 2021 das Ministerkomitee des Europarates laut eigenen Angaben in der ungerechtfertigten und diskriminierenden Weigerung, den Glauben der alevitischen Gemeinschaft als Religion anzuerkennen, einen Grund, das Monitoring der Türkei fortzusetzen (CoE 27.9.2021, S. 3).
Als zweitgrößte religiöse Gruppe des Landes werden die Aleviten von Teilen der Mehrheitsgesellschaft als fremd und unzuverlässig angesehen (BMZ 10.2020). Die Aleviten sehen sich weiterhin mit Hassverbrechen konfrontiert, jedoch haben sich die Ermittlungen bisher als ineffektiv erwiesen (EC 19.10.2021, S. 32). Wenn auch nicht in verbreitetem Ausmaß, so werden Aleviten auch das Ziel von Bedrohungen und Gewalt.
Beispiele für Übergriffe
Mehrfach waren Einrichtungen des alevitischen Kulturverbandes, Pir Sultan Abdal, das Ziel von Drohbotschaften. Im Jänner 2020 wurden Böden und Fenster des Kulturverbandes in Istanbul mit Drohbotschaften beschmiert (Ahval 8.2.2020). Im Oktober 2020 schrieben Unbekannte an die Tür des Hauses des Vorsitzenden des Pir Sultan Abdal Vereins in Bursa: „Es ist deine Zeit für den Tod" (USDOS 12.5.2021). 2020 erfolgte auch ein Angriff auf den Oppositionsführer der Republikanischen Volkspartei (CHP) Kiligdaroglu - ein Alevit - durch ein Mitglied der Gruppierung „Graue Wölfe" (ÖB 30.11.2021, S. 27). Auch 2021 wurden Häuser von Aleviten in Istanbul, Adana und Yalova mehrfach mit roten Kreuzen gekennzeichnet und Drohparolen besprüht (ÖB 30.11.2021, S. 26f.; vgl. USCIRF 4.2022, S. 62). Im Jänner 2021 wurden Häuser in der Provinz Yalova in roter Farbe mit einem „X" und der Bezeichnung ,Alevi" markiert (TM 26.1.2021). Im August 2021 brachen Unbekannte in ein alevitisches Gebetshaus in Istanbul ein und beschädigten es (USCIRF 4.2022, S. 62). Im September 2021 berichteten die Medien, dass Unbekannte in der Provinz Mersin kurdisch-alevitische Häuser mit Graffiti beschmiert haben, auf denen stand: „Kurdische Aleviten raus" (USDOS 2.6.2022). Am 30.7.2022, dem ersten Tag des für die Aleviten heiligen Monats Muharram, wurden in Ankara gleichzeitig Angriffe auf die alevitschen Gebetshäuser und Vereine Tuzlugayir Ana Fatma Djemevi, Ege Mahallesi §ah-i Merdan Djemevi, Gökgebel Village Association sowie die turkmenisch-alevitische Bektashi-Stif- tung verübt. Beim Angriff auf die Bektashi-Stiftung wurde eine Frau durch Messerstiche verletzt und in ein Krankenhaus gebracht. Die übrigen Einrichtungen wurden mit Steinen und Stühlen beworfen. Ein Verdächtiger wurde festgenommen (Duvar 31.7.2022; vgl. BAMF 1.8.2022, S. 10). Am 5.8.2022 wurde Selami Saritag, der Leiter der alevitischen Gemeinde Kartal-Cemevi, von zwei unbekannten Tätern vor seinem Wohnhaus in Istanbul körperlich angegriffen und verletzt (BAMF 8.8.2022, S. 11; vgl. HDN 8.8.2022). Die Polizei reagierte mit der Aufstellung eines Spezialteams, um die Angreifer zu fassen (HDN 8.8.2022).Mehrfach waren Einrichtungen des alevitischen Kulturverbandes, Pir Sultan Abdal, das Ziel von Drohbotschaften. Im Jänner 2020 wurden Böden und Fenster des Kulturverbandes in Istanbul mit Drohbotschaften beschmiert (Ahval 8.2.2020). Im Oktober 2020 schrieben Unbekannte an die Tür des Hauses des Vorsitzenden des Pir Sultan Abdal Vereins in Bursa: „Es ist deine Zeit für den Tod" (USDOS 12.5.2021). 2020 erfolgte auch ein Angriff auf den Oppositionsführer der Republikanischen Volkspartei (CHP) Kiligdaroglu - ein Alevit - durch ein Mitglied der Gruppierung „Graue Wölfe" (ÖB 30.11.2021, S. 27). Auch 2021 wurden Häuser von Aleviten in Istanbul, Adana und Yalova mehrfach mit roten Kreuzen gekennzeichnet und Drohparolen besprüht (ÖB 30.11.2021, S. 26f.; vergleiche USCIRF 4.2022, S. 62). Im Jänner 2021 wurden Häuser in der Provinz Yalova in roter Farbe mit einem „X" und der Bezeichnung ,Alevi" markiert (TM 26.1.2021). Im August 2021 brachen Unbekannte in ein alevitisches Gebetshaus in Istanbul ein und beschädigten es (USCIRF 4.2022, S. 62). Im September 2021 berichteten die Medien, dass Unbekannte in der Provinz Mersin kurdisch-alevitische Häuser mit Graffiti beschmiert haben, auf denen stand: „Kurdische Aleviten raus" (USDOS 2.6.2022). Am 30.7.2022, dem ersten Tag des für die Aleviten heiligen Monats Muharram, wurden in Ankara gleichzeitig Angriffe auf die alevitschen Gebetshäuser und Vereine Tuzlugayir Ana Fatma Djemevi, Ege Mahallesi §ah-i Merdan Djemevi, Gökgebel Village Association sowie die turkmenisch-alevitische Bektashi-Stif- tung verübt. Beim Angriff auf die Bektashi-Stiftung wurde eine Frau durch Messerstiche verletzt und in ein Krankenhaus gebracht. Die übrigen Einrichtungen wurden mit Steinen und Stühlen beworfen. Ein Verdächtiger wurde festgenommen (Duvar 31.7.2022; vergleiche BAMF 1.8.2022, S. 10). Am 5.8.2022 wurde Selami Saritag, der Leiter der alevitischen Gemeinde Kartal-Cemevi, von zwei unbekannten Tätern vor seinem Wohnhaus in Istanbul körperlich angegriffen und verletzt (BAMF 8.8.2022, S. 11; vergleiche HDN 8.8.2022). Die Polizei reagierte mit der Aufstellung eines Spezialteams, um die Angreifer zu fassen (HDN 8.8.2022).
Ein Teil der Aleviten bemüht sich um Anerkennung als eigene Konfession und Gleichstellung mit dem sunnitischen Islam. Das Thema Aleviten und Anerkennung ihrer Rechte bzw. Reformen zur Gleichstellung ihres Status verschwand seit dem Putschversuch 2016 gänzlich aus dem öffentlichen Diskurs (ÖB 30.11.2021, S. 27). Allerdings wurden nach dem Putschversuch tausende Aleviten festgenommen oder verloren ihre Arbeit. Sie wurden von Staatspräsident Erdogan und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) pauschal verdächtigt, mit dem Militär und mit den Putschisten sympathisiert zu haben (Gatestone 18.1.2018).
Quellen:
• Ahval (8.2.2020): Turkey: Alevi community exposed to physical, psychological violence, https: //ahvalnews.com/religion/turkey-alevi-community-exposed-physical-psychological-violence , Zugriff 1.3.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (8.8.2022): Briefing Notes, KW 32, Gewaltsamer Übergriff auf ein alevitisches Gemeindemitglied, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw32-2022.pdf? blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 17.8.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.8.2022): Briefing Notes, KW 31, Angriffe auf alevitische Einrichtungen, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Inf
ormationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw31-2022.pdf?blob=publicationFile&v=3, Zugriff 5.8.2022
•BMZ - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [Deutschland] (10.2020): Zweiter Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit, https: //www.auswaertiges-amt.de/blob/2410402/9e394a9928461b6c4ac0d4368b7a26af/201028-z weiter-bericht-der-bundesregierung-zur-weltweiten-lage-der-religionsfreiheit-data.pdf, Zugriff 3.5.2022
•CoE - Council of Europe (Department For The Execution Of Judgments Of The European Court Of Human Rights) (27.9.2021): Turkey - main issues before the Committee of Ministers - ongoing supervision, https://rm.coe.int/mi-turkey-eng/1680a23cae#page=1&zoom=auto,-275,848 , Zugriff 22.2.2022
•DFAT- Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 1.3.2022
•Duvar (31.7.2022): Five Alevi institutions attacked on same day in Ankara, https://www.duvarengli sh.com/five-alevi-institutions-attacked-on-same-day-in-ankara-news-61082 , Zugriff 5.8.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 1.3.2022
•FH - Freedom House (2.2022): Freedom in the World 2022 - Turkey, https://freedomhouse.org/c ountry/turkey/freedom-world/2022 , Zugriff 1.3.2022
•Gatestone - Gatestone Institute (18.1.2018): Persecution of Alevis in Turkey: Threats, Arbitrary Arrests, https://www.gatestoneinstitute.org/11744/turkey-alevis-persecution , Zugriff 1.3.2022
•HDN - Hürriyet Daily News (8.8.2022): Special team assigned over cemevi head attack, https: //www.hurriyetdailynews.com/special-team-assigned-over-cemevi-head-attack-175942 , Zugriff 17.8.2022
•MRGI - Minority Rights Group International (6.2018a): World Directory of Minorities and Indigenous Peoples, Turkey-Alevis, http://minorityrights.org/minorities/alevis/, Zugriff 1.3.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf , Zugriff 8.2.2022
•TM - Turkish Minute (26.1.2021): Houses belonging to Alevis marked with X’s in western Turkey, https://www.turkishminute.com/2021/01/26/houses-of-alevis-marked-with-crosses-in-western-tur key/, Zugriff 1.3.2022
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•USCIRF - US Commission on International Religious Freedom: Country [USA] (12.2021): Update: Turkey; Religious Freedom in Turkey in 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069569/2021+Tu rkey+Country+Update.pdf, Zugriff 27.4.2022
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•USDOS - US Department of State (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Turkey,
https://www.ecoi.net/de/dokument/2051585.html , Zugriff 1.3.2022
Christen und Juden
Letzte Änderung: 21.09.2022
Die Türkei schränkt den Anwendungsbereich des Lausanner Vertrages von 1923, der lediglich zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen unterscheidet, auf drei Minderheitengruppen ein. Explizit anerkannt sind demnach lediglich Armenisch-Apostolisch Orthodoxe, Griechisch-Orthodoxe und Juden. Nur diese kommen in den Genuss der in den Artikeln 37 bis 43 des Lausanner Vertrages verankerten Garantien, wobei selbst diese Bestimmungen nie vollständig umgesetzt wurden. Andere christliche Minderheiten, wie Protestanten, Römisch-Katholische oder SyrischOrthodoxe, sind ohne Status (ÖB 30.11.2021, S. 23; vgl. BMZ 10.2020, S. 288).Die Türkei schränkt den Anwendungsbereich des Lausanner Vertrages von 1923, der lediglich zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen unterscheidet, auf drei Minderheitengruppen ein. Explizit anerkannt sind demnach lediglich Armenisch-Apostolisch Orthodoxe, Griechisch-Orthodoxe und Juden. Nur diese kommen in den Genuss der in den Artikeln 37 bis 43 des Lausanner Vertrages verankerten Garantien, wobei selbst diese Bestimmungen nie vollständig umgesetzt wurden. Andere christliche Minderheiten, wie Protestanten, Römisch-Katholische oder SyrischOrthodoxe, sind ohne Status (ÖB 30.11.2021, S. 23; vergleiche BMZ 10.2020, S. 288).
Der sehr starke religiöse Nationalismus in der Gesellschaft sorgt für starken Druck auf Christen. Das gilt sowohl für Konvertiten mit muslimischen Hintergrund als auch für Christen, die meist einer nationalen Minderheit, beispielsweise Griechen, Syrer oder Armenier, angehören (OD 2021; S. 2). Bedrohungen und auch Gewalt gegen Angehörige christlicher Minderheiten finden, wenn auch nicht in verbreitetem Ausmaß, so doch regelmäßig statt. Dazu gehören auch Übergriffe und Verhaftungen von Religionsvertretern sowie Vandalismus gegen Einrichtungen. Mitunter werden Verletzungen von Besitzrechten im Zuge von Bauprojekten offiziell geduldet (ÖB 30.11.2021, S. 25; vgl. USCIRF 4.2020). So wurde der Bau eines Geschäftskomplexes auf dem Areal eines armenisch-katholischen Friedhofs in Ankara ungeachtet von Protesten auch der dortigen Architektenkammer gestattet (ÖB 30.11.2021, S. 25).Es kommt zu Hassverbrechen und Hassreden gegen Christen und Juden (EC 19.10.2021, S. 32; vgl. BMZ 10.2020), auch seitens Regierungs- und Oppositionsvertretern (USCIRF 4.2020; vgl. BMZ 10.2020). Regierungsvertreter auf verschiedenen Ebenen fielen durch antisemitische Statements und Beiträgen in den sozialen Medien auf. Im Mai 2021 verwendete der türkische Präsident Erdgan in einer Fernsehansprache ebenfalls antisemitische Formulierungen (USCIRF 4.2022, S. 62). Die COVID-19-Pandemie hat zusätzlich zu einer Zunahme von Antisemitismus und antisemitischer Rhetorik in der Türkei geführt. Im März 2021 wurde das Tor der historischen Kasturya-Synagoge in Istanbul in Brand gesetzt (USCIRF 12.2021, S.4) und Mitte Juli 2022 verwüsteten unbekannte Täter jüdische Gräber auf dem Hasköy-Friedhof in Beyoglu, Istanbul. Nach Angaben der Stiftung des Oberrabbinats der Türkei wurden bei dem Anschlag sechsunddreißig Grabsteine beschädigt (Bianet 15.7.2022). Jüdische Bürger äußerten sich erneut besorgt über Antisemitismus und Sicherheitsbedrohungen. Nach Angaben von Gemeindemitgliedern stimmte sich die Regierung in Sicherheitsfragen allerdings weiterhin mit ihnen ab. Sie sagten, die staatlichen Maßnahmen seien hilfreich und die Regierung gehe auf Sicherheitsanfragen ein (USDOS 2.6.2022). Angesichts der Wiederannäherung an Israel bezeichnete Erdogan Ende 2021 den Antisemitismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Ahval 23.12.2021).Der sehr starke religiöse Nationalismus in der Gesellschaft sorgt für starken Druck auf Christen. Das gilt sowohl für Konvertiten mit muslimischen Hintergrund als auch für Christen, die meist einer nationalen Minderheit, beispielsweise Griechen, Syrer oder Armenier, angehören (OD 2021; S. 2). Bedrohungen und auch Gewalt gegen Angehörige christlicher Minderheiten finden, wenn auch nicht in verbreitetem Ausmaß, so doch regelmäßig statt. Dazu gehören auch Übergriffe und Verhaftungen von Religionsvertretern sowie Vandalismus gegen Einrichtungen. Mitunter werden Verletzungen von Besitzrechten im Zuge von Bauprojekten offiziell geduldet (ÖB 30.11.2021, S. 25; vergleiche USCIRF 4.2020). So wurde der Bau eines Geschäftskomplexes auf dem Areal eines armenisch-katholischen Friedhofs in Ankara ungeachtet von Protesten auch der dortigen Architektenkammer gestattet (ÖB 30.11.2021, S. 25).Es kommt zu Hassverbrechen und Hassreden gegen Christen und Juden (EC 19.10.2021, S. 32; vergleiche BMZ 10.2020), auch seitens Regierungs- und Oppositionsvertretern (USCIRF 4.2020; vergleiche BMZ 10.2020). Regierungsvertreter auf verschiedenen Ebenen fielen durch antisemitische Statements und Beiträgen in den sozialen Medien auf. Im Mai 2021 verwendete der türkische Präsident Erdgan in einer Fernsehansprache ebenfalls antisemitische Formulierungen (USCIRF 4.2022, S. 62). Die COVID-19-Pandemie hat zusätzlich zu einer Zunahme von Antisemitismus und antisemitischer Rhetorik in der Türkei geführt. Im März 2021 wurde das Tor der historischen Kasturya-Synagoge in Istanbul in Brand gesetzt (USCIRF 12.2021, S.4) und Mitte Juli 2022 verwüsteten unbekannte Täter jüdische Gräber auf dem Hasköy-Friedhof in Beyoglu, Istanbul. Nach Angaben der Stiftung des Oberrabbinats der Türkei wurden bei dem Anschlag sechsunddreißig Grabsteine beschädigt (Bianet 15.7.2022). Jüdische Bürger äußerten sich erneut besorgt über Antisemitismus und Sicherheitsbedrohungen. Nach Angaben von Gemeindemitgliedern stimmte sich die Regierung in Sicherheitsfragen allerdings weiterhin mit ihnen ab. Sie sagten, die staatlichen Maßnahmen seien hilfreich und die Regierung gehe auf Sicherheitsanfragen ein (USDOS 2.6.2022). Angesichts der Wiederannäherung an Israel bezeichnete Erdogan Ende 2021 den Antisemitismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Ahval 23.12.2021).
Die Behörden gehen in letzter Zeit verstärkt gegen evangelikale Prediger und deren Familien vor. Deren Aufenthaltstitel werden selbst nach jahrzehntelangem Aufenthalt im Land nicht mehr verlängert. Insgesamt wurden bisher mindestens 73 solcher Fälle bekannt (ÖB 30.11.2021, S. 25). Der Vorwurf lautet, als Missionare würden die Prediger die öffentliche Sicherheit gefährden (ÖB 30.11.2021, S. 25; vgl. AM 23.3.2022). Fast 200 ausländische protestantische Geistliche und ihre Familien, darunter viele Amerikaner, mussten die Türkei seit einer schweren Krise zwischen Ankara und Washington wegen der Inhaftierung eines US-Pastors im Jahr 2018 verlassen. Laut Mitgliedern der protestantischen Gemeinde erfolgten die Ausweisungen auf Grundlage geheimer Berichte des Nationalen Nachrichtendienstes (MiT), ohne dass erklärt wird, warum die abgeschobenen Personen ein Sicherheitsrisiko für das Land darstellen (AM 23.3.2022).Die Behörden gehen in letzter Zeit verstärkt gegen evangelikale Prediger und deren Familien vor. Deren Aufenthaltstitel werden selbst nach jahrzehntelangem Aufenthalt im Land nicht mehr verlängert. Insgesamt wurden bisher mindestens 73 solcher Fälle bekannt (ÖB 30.11.2021, S. 25). Der Vorwurf lautet, als Missionare würden die Prediger die öffentliche Sicherheit gefährden (ÖB 30.11.2021, S. 25; vergleiche AM 23.3.2022). Fast 200 ausländische protestantische Geistliche und ihre Familien, darunter viele Amerikaner, mussten die Türkei seit einer schweren Krise zwischen Ankara und Washington wegen der Inhaftierung eines US-Pastors im Jahr 2018 verlassen. Laut Mitgliedern der protestantischen Gemeinde erfolgten die Ausweisungen auf Grundlage geheimer Berichte des Nationalen Nachrichtendienstes (MiT), ohne dass erklärt wird, warum die abgeschobenen Personen ein Sicherheitsrisiko für das Land darstellen (AM 23.3.2022).
Die türkischen Behörden mischen sich laufend in die internen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften ein. So darf der griechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomäus die Bezeichnung „ökumenisch" nach wie vor nicht verwenden. Das griechisch-orthodoxe Halki Seminar bleibt weiterhin geschlossen (seit 1971). Auch bei der Wahl des armenischen Patriarchen im Jahr 2019 gab es Einmischung (ÖB 30.11.2021, S. 25; vgl. USCIRF 4.2020). Diese Entwicklungen verursachen bei Angehörigen der christlichen Minderheiten ein Gefühl permanenter Unsicherheit und der Bedrohung. Sie verstärken zudem die Befürchtung, dass der Raum für christliche Religionsgemeinschaften in der Türkei weiter schrumpft (ÖB 30.11.2021, S. 26).Die türkischen Behörden mischen sich laufend in die internen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften ein. So darf der griechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomäus die Bezeichnung „ökumenisch" nach wie vor nicht verwenden. Das griechisch-orthodoxe Halki Seminar bleibt weiterhin geschlossen (seit 1971). Auch bei der Wahl des armenischen Patriarchen im Jahr 2019 gab es Einmischung (ÖB 30.11.2021, S. 25; vergleiche USCIRF 4.2020). Diese Entwicklungen verursachen bei Angehörigen der christlichen Minderheiten ein Gefühl permanenter Unsicherheit und der Bedrohung. Sie verstärken zudem die Befürchtung, dass der Raum für christliche Religionsgemeinschaften in der Türkei weiter schrumpft (ÖB 30.11.2021, S. 26).
Der Zugang zu Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, dem Sicherheitsapparat des Staates und den Ordnungskräften wird Christen verwehrt, ebenso wie Beförderungen in der Armee. Generell haben Christen nur begrenzten Zugang zu einer Anstellung im öffentlichen Dienst; und in der privaten Wirtschaft erfahren sie Diskriminierung, insbesondere, wenn Arbeitgeber Verbindungen zur Regierung unterhalten. Die Religionszugehörigkeit ist auf den neuen Personalausweisen nicht mehr sichtbar vermerkt, aber sie ist immer noch auf dem Chip in der Karte registriert (OD 2021, S. 2, 13f.). Nach einem Beschluss des türkischen Hochschulrates von 1990 sind nur Kinder aus christlichen und jüdischen Familien vom islamischen Religionsunterricht befreit. Das Recht auf Befreiung kann nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Religionszugehörigkeit im Bevölkerungsregister offengelegt wird. Die Angabe hierzu ist somit obligatorisch. Die wesentlichen Grundsätze und Praktiken des Christentums und des Judentums sind zwar im Lehrbuch der 11. Klasse weitgehend enthalten, doch beruhen diese, nicht zuletzt infolge einer Interpretation aus islamischer Sicht, nach Ansicht von christlichen und jüdischen Theologen auf Ungenauigkeiten und sind mit den grundlegenden Lehren des Christentums und des Judentums nicht vereinbar (NHC-FBI 19.4.2022, S. 56f).Es kommt immer noch zu Vandalenakten gegen religiöse Stätten. Obwohl viele Angriffe auf Friedhöfe in der Türkei offenbar das Werk nicht-staatlicher Akteure sind, ist auch die türkische Regierung in die Zerstörung von Grabstätten religiöser Minderheiten verwickelt. Darüber hinaus gelingt es den Behörden oft nicht, nicht-staatliche Akteure, die für diese Taten verantwortlich sind, zu fassen oder strafrechtlich zu verfolgen, wodurch ein Klima der Straflosigkeit entsteht. Ebenso versäumt es die türkische Regierung häufig, Bauprojekte zu stoppen, die Friedhöfe bedrohen (USCIRF 12.2021, S. 2f.).
[Anm.: zum Punkt Konversion, siehe Kapitel „Religionsfreiheit“]
Quellen:
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•Bianet (15.7.2022): Jewish cemetery in istanbul vandalized, https://bianet.org/english/religion/26 4534-jewish-cemetery-in-istanbul-vandalized , Zugriff 11.8.2022
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•NHC-FBI - Norwegian Helsinki Committee's Freedom of Belief Initiative [Yildirim, Mine] (19.4.2022): An Appeal to Move Forward from Aspirations to Actions - Monitoring Report on the Right to Freedom of Religion or Belief in Turkey, https://inancozgurlugugirisimi.org/wp-content/uploads/2022/04/iog -monitoring-report-on-forb-2022-en.pdf, 11.5.2022
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Atheisten, Agnostiker und andere nicht-religiöse Personengruppen
Letzte Änderung: 21.09.2022
Atheisten, Agnostiker und Deisten werden am Arbeitsplatz, in der Familie und im Bildungssystem in ihrem Recht auf Gedanken- und Glaubensfreiheit diskriminiert. Angehörige dieser Personengruppen haben kein Recht auf Befreiung vom obligatorischen Religionsunterricht im Fach „Religiöse Kultur und Ethik". Wer sich kritisch über Religion oder Glauben im Allgemeinen oder über bestimmte Auslegungen, insbesondere des Islams, äußert, muss mit einer Anzeige rechnen und läuft Gefahr, nach dem türkischen Strafgesetzbuch verfolgt zu werden. Dies geschieht insbesondere nach Artikel 216 (3): „öffentliche Herabsetzung der religiösen Werte eines Teils der Bevölkerung". Umgekehrt wird Artikel 216 (3) nicht angewandt, um diese Minderheiten vor hasserfüllten oder verleumderischen Äußerungen zu schützen (NHC-FBI 19.4.2022, S. 6). Im Jahr 2020, beispielsweise, wurde der regimekritische Journalist Enver Aysever wegen Verstoßes gegen Artikel 216/3 des Strafgesetzbuchs verhaftet, nachdem er auf seiner persön- liehen Twitter-Seite eine Karikatur veröffentlicht hatte, in der er sich über das Verhalten des muslimischen Klerus während der COVID-19-Pandemie lustig machte. Er wurde später wieder freigelassen, muss sich aber noch wegen Beleidigung religiöser Gefühle vor Gericht verantworten (HI 5.1.2021). Im Mai 2020 ertönte, als Resultat einer technischen Manipulation, das Lied „Bella Ciao" aus den Lautsprechern einiger Moscheen in Izmir. Der Generalstaatsanwalt von Izmir kündigte nicht nur eine Untersuchung des Sabotageakts an, sondern auch derjenigen, die das Video geteilt haben, wegen des Strafdeliktes der „öffentlichen Verunglimpfung religiöser Werte" (Bianet 21.5.2020).
Am 23.10.2020 hielt der Leiter der staatlichen Religionsbehörde (DIYNET), Ali Erba§, eine Rede anlässlich der Eröffnung einer Moschee in Patnos/Agri durch Staatspräsident Erdogan. Darin richtete Erba§ sich gegen die Ungläubigen und sagte: „Von Menschen, die nicht an das Leben nach dem Tod glauben, wird alles Böse erwartet". Die Vereinigung der Atheisten in der Türkei reagierte mit einer Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft Istanbul wegen offener Beleidigung nicht-gläubiger Bürger (AD 6.12.2020). Unbeeindruckt von der Klage verkündigte Erba§ Ende März 2021: „Schützen wir unsere Kinder vor anderen Ideologien als dem Islam und verschiedenen Organisationen und Strukturen, die Unglauben, Atheismus, Deismus und Zoroastrismus fördern. Wir würden eine Sünde begehen, wenn wir sie nicht schützen würden" (Duvar 29.3.2021). Laut einer aktuellen Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Konda gibt es in der Türkei immer mehr Menschen, die sich selbst als Atheisten bezeichnen - in den vergangenen zehn Jahren habe sich ihre Zahl verdreifacht (DW 9.1.2019; vgl. HI 5.1.2021) und die Zahl der Nichtgläubigen verdoppelt, sodass der Anteil der beiden Kategorien insgesamt 5 % beträgt. Dieser Prozentsatz steigt insbesondere bei den jungen Menschen unter 30 Jahren an (HI 5.1.2021).Am 23.10.2020 hielt der Leiter der staatlichen Religionsbehörde (DIYNET), Ali Erba§, eine Rede anlässlich der Eröffnung einer Moschee in Patnos/Agri durch Staatspräsident Erdogan. Darin richtete Erba§ sich gegen die Ungläubigen und sagte: „Von Menschen, die nicht an das Leben nach dem Tod glauben, wird alles Böse erwartet". Die Vereinigung der Atheisten in der Türkei reagierte mit einer Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft Istanbul wegen offener Beleidigung nicht-gläubiger Bürger (AD 6.12.2020). Unbeeindruckt von der Klage verkündigte Erba§ Ende März 2021: „Schützen wir unsere Kinder vor anderen Ideologien als dem Islam und verschiedenen Organisationen und Strukturen, die Unglauben, Atheismus, Deismus und Zoroastrismus fördern. Wir würden eine Sünde begehen, wenn wir sie nicht schützen würden" (Duvar 29.3.2021). Laut einer aktuellen Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Konda gibt es in der Türkei immer mehr Menschen, die sich selbst als Atheisten bezeichnen - in den vergangenen zehn Jahren habe sich ihre Zahl verdreifacht (DW 9.1.2019; vergleiche HI 5.1.2021) und die Zahl der Nichtgläubigen verdoppelt, sodass der Anteil der beiden Kategorien insgesamt 5 % beträgt. Dieser Prozentsatz steigt insbesondere bei den jungen Menschen unter 30 Jahren an (HI 5.1.2021).
Quellen:
•AD -Ateizm Dernegi [Atheismus Vereinigung] (6.12.2020): Criminal Complaint, https://www.atei zmdemegi.org.tr/blog/2020/12/06/criminal-complaint/, Zugriff 10.5.2022
•Bianet (21.5.2020): Prosecutors Open Investigation After izmir Mosques Blare 'Bella Ciao’ Song, https://bianet.org/english/law/224592-prosecutors-open-investigation-after-izmir-mosques-blare -bella-ciao-song , Zugriff 10.5.2022
•Duvar (29.3.2021): Children must be protected from ideologies other than Islam: Turkey's top religious body, https://www.duvarenglish.com/children-must-be-protected-from-ideologies-other-t han-islam-turkeys-top-religious-body-news-56839 , Zugriff 10.5.2022
•DW - Deutsche Welle (9.1.2019): Zahl der Atheisten in Erdogans Türkei steigt, https://www.dw.c om/de/zahl-der-atheisten-in-erdogans-t%C3%BCrkei-steigt/a-46992921, Zugriff 1.3.2022
•HI - Humanists International (5.1.2021): Freedom of Thought Report - Turkey, https://fot.humanist s.international/countries/asia-western-asia/turkey/#Non-believers , Zugriff 10.5.2022
•NHC-FBI - Norwegian Helsinki Committee's Freedom of Belief Initiative [Yildirim, Mine] (19.4.2022): An Appeal to Move Forward from Aspirationsto Actions - Monitoring Report on the Right to Freedom of Religion or Belief in Turkey, https://inancozgurlugugirisimi.org/wp-content/uploads/2022/04/iog -monitoring-report-on-forb-2022-en.pdf, 9.5.2022
Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 21.09.2022
Die türkische Verfassung sieht nur eine einzige Nationalität für alle Bürger und Bürgerinnen vor. Sie erkennt keine nationalen oder ethnischen Minderheiten an, mit Ausnahme der drei, primär über die Religion definierten, nicht-muslimischen Gruppen, nämlich der Armenisch-Apostolische und Griechisch-Orthodoxen Christen sowie der Juden. Andere nationale oder ethnische Minderheiten wieAssyrer, Dschafari [zumeist schiitische Aseris], Jesiden, Kurden, Araber, Roma, Tscherkessen und Lasen dürfen ihre sprachlichen, religiösen und kulturellen Rechte nicht vollständig ausüben (USDOS 12.4.2022, S. 73).
Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Roma (zwischen 2 und 5 Mio.), Tscherkessen (rund 2 Mio.), Bosniaken (bis zu 2 Mio.), Krim-Tataren (1 Mio.), Araber [ohne Flüchtlinge] (vor dem Syrienkrieg 800.000 bis 1 Mio.), Lasen (zwischen 50.000 und 500.000), Georgier (100.000) sowie Uiguren (rund 50.000) und andere Gruppen in kleiner und schwer zu bestimmender Anzahl (AA 28.7.2022, S. 10). Dazu kommen noch, so sie nicht als religiöse Minderheit gezählt werden, Jesiden, Griechen, Armenier (60.000), Juden (weniger als 20.000) und Assyrer (25.000) vorwiegend in Istanbul und ein kleinerer Teil hiervon (3.000) im Südosten (MRGI 6.2018b).
Trotz der Tatsache, dass alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen Bürgerrechte haben und obwohl jegliche Diskriminierung aufgrund kultureller, religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit geächtet ist, herrschen weitverbreitete negative Einstellungen gegenüber Minderheitengruppen (BS 23.2.2022, S. 7). Bis heute gibt es im Nationenverständnis der Türkei keinen Platz für eigenständige Minderheiten. Der Begriff „Minderheit" (im Türkischen „azinlik") ist negativ konnotiert. Diese Minderheiten wie Kurden, Aleviten und Armenier werden auch heute noch als „Spalter", „Vaterlandsverräter" und als Gefahr für die türkische Nation betrachtet. Mittlerweile ist sogar die Geschäftsordnung des türkischen Parlaments dahingehend angepasst worden, dass die Verwendung der Begriffe „Kurdistan", „kurdische Gebiete" und „Völkermord an den Armeniern" im Parlament verboten ist, mit einer hohen Geldstrafe geahndet wird und Abgeordnete dafür aus Sitzungen ausgeschlossen werden können (bpb 17.2.2018). Im Juni 2022 verurteilte das Europäische Parlament „die Unterdrückung ethnischer und religiöser Minderheiten, wozu auch das Verbot der gemäß der Verfassung der Türkei nicht als "Muttersprache" eingestuften Sprachen von Gruppen wie der kurdischen Gemeinschaft in der Bildung und in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zählt” (EP 7.6.2022, S. 18, Pt. 30).Trotz der Tatsache, dass alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen Bürgerrechte haben und obwohl jegliche Diskriminierung aufgrund kultureller, religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit geächtet ist, herrschen weitverbreitete negative Einstellungen gegenüber Minderheitengruppen (BS 23.2.2022, S. 7). Bis heute gibt es im Nationenverständnis der Türkei keinen Platz für eigenständige Minderheiten. Der Begriff „Minderheit" (im Türkischen „azinlik") ist negativ konnotiert. Diese Minderheiten wie Kurden, Aleviten und Armenier werden auch heute noch als „Spalter", „Vaterlandsverräter" und als Gefahr für die türkische Nation betrachtet. Mittlerweile ist sogar die Geschäftsordnung des türkischen Parlaments dahingehend angepasst worden, dass die Verwendung der Begriffe „Kurdistan", „kurdische Gebiete" und „Völkermord an den Armeniern" im Parlament verboten ist, mit einer hohen Geldstrafe geahndet wird und Abgeordnete dafür aus Sitzungen ausgeschlossen werden können (bpb 17.2.2018). Im Juni 2022 verurteilte das Europäische Parlament „die Unterdrückung ethnischer und religiöser Minderheiten, wozu auch das Verbot der gemäß der Verfassung der Türkei nicht als "Muttersprache" eingestuften Sprachen von Gruppen wie der kurdischen Gemeinschaft in der Bildung und in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zählt” (EP 7.6.2022, S. 18, Pt. 30).
Das Gesetz erlaubt den Bürgern private Bildungseinrichtungen zu eröffnen, um Sprachen und Dialekte, die traditionell im Alltag verwendet werden, zu unterrichten. Dies unter der Bedingung, dass die Schulen den Bestimmungen des Gesetzes über die privaten Bildungsinstitutionen unterliegen und vom Bildungsministerium inspiziert werden. Das Gesetz erlaubt die Wiederherstellung einstiger nicht-türkischer Ortsnamen von Dörfern und Siedlungen und gestattet es politischen Parteien sowie deren Mitgliedern, in jedweder Sprache ihren Wahlkampf zu führen sowie Informationsmaterial zu verbreiten. In der Praxis wird dieses Recht jedoch nicht geschützt (USDOS 12.4.2022, S. 73f.). Hassreden und Drohungen gegen Minderheiten bleiben ein ernsthaftes Problem (EC 19.10.2021, S. 40). Dazu gehören auch Hass-Kommentare in den Medien, die sich gegen nationale, ethnische und religiöse Gruppen richten (EC 6.10.2020, S. 40). Laut einem Bericht der Hrant Dink Stiftung zu Hassreden in der Presse wurden den Minderheiten konspirative, feindliche Gesinnung und Handlungen sowie andere negative Merkmale zugeschrieben. 2019 beobachtete die Stiftung alle nationalen sowie 500 lokale Zeitungen. 80 verschiedene ethnische und religiöse Gruppen waren Ziele von über 5.500 Hassreden und diskriminierenden Kommentaren in 4.364 Artikeln und Kolumnen. Die meisten betrafen Armenier (803), Syrer (760), Griechen (747) bzw. (als eigene Kategorie) Griechen der Türkei und/oder Zyperns (603) sowie Juden (676) (HDF 3.11.2020).
Nicht-Muslime wurden im Jahr 2020 zunehmend mit Hassreden bedacht, wobei insbesondere Armenier öffentlichen Verunglimpfungen ausgesetzt waren, da die türkische Regierung das aserbaidschanische Militär bei seiner Offensive gegen ethnische armenische Kräfte in Berg-Ka- rabach unterstützte (FH 2.2022, D2; vgl. USCIRF 12.2021, S. 4). Vertreter der armenischen Minderheit berichten über eine Zunahme von Hassreden und verbalen Anspielungen, die sich gegen die armenische Gemeinschaft richteten, auch von hochrangigen Regierungsvertretern. Das armenische Patriarchat hat anonyme Drohungen rund um den Tag des armenischen Gedenkens erhalten (USDOS 12.4.2022, S. 75).Nicht-Muslime wurden im Jahr 2020 zunehmend mit Hassreden bedacht, wobei insbesondere Armenier öffentlichen Verunglimpfungen ausgesetzt waren, da die türkische Regierung das aserbaidschanische Militär bei seiner Offensive gegen ethnische armenische Kräfte in Berg-Ka- rabach unterstützte (FH 2.2022, D2; vergleiche USCIRF 12.2021, S. 4). Vertreter der armenischen Minderheit berichten über eine Zunahme von Hassreden und verbalen Anspielungen, die sich gegen die armenische Gemeinschaft richteten, auch von hochrangigen Regierungsvertretern. Das armenische Patriarchat hat anonyme Drohungen rund um den Tag des armenischen Gedenkens erhalten (USDOS 12.4.2022, S. 75).
Die Regierung hat die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen in anderen Sprachen als Türkisch nicht legalisiert. Gesetzliche Beschränkungen für den muttersprachlichen Unterricht in Grund- und weiterführenden Schulen blieben in Kraft. Im April 2021 erklärte der Bildungsminister, dass türkischen Bürgern an keiner Bildungseinrichtung eine andere Sprache als Türkisch als Muttersprache unterrichtet werden darf. An den staatlichen Schulen werden fakultative Kurse in Kurdisch angeboten, ebenso wie Universitätsprogramme in Kurdisch, Arabisch, Syrisch und Zazaki. Im März 2021 gab das Ministerium Quoten für die Einstellung von Lehrkräften bekannt, jedoch wurden nur drei Lehrkräfte für kurdische Wahlfächer in der gesamten Türkei zugewiesen. Die erweiterten Befugnisse der Gouverneure und die willkürliche Zensur haben sich weiterhin negativ auf Kunst und Kultur der Minderheiten ausgewirkt, die bereits durch die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt wurden (EC 19.10.2021, S. 41). Mit dem 4. Justizreformpaket wurde 2013 per Gesetz die Verwendung anderer Sprachen als Türkisch (vor allem Kurdisch) vor Gericht und in öffentlichen Ämtern (Krankenhäusern, Postämtern, Banken, Steuerämtern etc.) ermöglicht (ÖB 30.11.2021; S. 28).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022pdf, Zugriff am 29.8.2022
•bpb - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (17.2.2018): Die Türkei im Jahr 2017/2018, http://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/253187/die-tuerkei-im-jah r-2017-2018#footnode12-12 , Zugriff 25.2.2022
•BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/ file/local/2069612/country_report_2022_TUR.pdf, Zugriff 21.3.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 25.2.2022
•EC - European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 25.2.2022
•EP - Europäisches Parlament (7.6.2022): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni 2022 zu dem Bericht 2021 der Kommission über die Türkei (2021/2250(INI)), https://www.eu roparl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0222_DE.pdf, Zugriff 29.6.2022
•FH - Freedom House (2.2022): Freedom in the World 2022 - Turkey, https://freedomhouse.org/c ountry/turkey/freedom-world/2022 , Zugriff 28.2.2022
•HDF - Hrant Dink Foundation (3.11.2020): Hate Speech and Discriminatory Discourse in Media 2019 Report, https://hrantdink.org/attachments/article/2728/Hate-Speech-and-Discriminatory-Dis course-in-Media-2019.pdf, Zugriff 25.2.2022
•MRGI - Minority Rights Group International (6.2018b): World Directory of Minorities and Indigenous Peoples, Turkey, http://minorityrights.org/country/turkey/, Zugriff 25.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft-Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 8.2.2022
•USCIRF - US Commission on International Religious Freedom: Country [USA] (12.2021): Update: Turkey; Religious Freedom in Turkey in 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069569/2021+Tu rkey+Country+Update.pdf, Zugriff 27.4.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 27.4.2022
Kurden
Letzte Änderung: 21.09.2022
Obwohl offizielle Zahlen nicht verfügbar sind, schätzen internationale Beobachter, dass sich rund 15 Millionen türkische Bürger als Kurden identifizieren. Die kurdische Bevölkerung konzentriert sich auf Südost-Anatolien, wo sie die Mehrheit bildet, und auf Nordost-Anatolien, wo sie eine bedeutende Minderheit darstellt. Ein signifikanter kurdischer Bevölkerungsanteil ist in Istanbul und anderen Großstädten anzutreffen. In den letzten Jahrzehnten ist etwa die Hälfte der kurdischen Bevölkerung der Türkei in die West-Türkei ausgewandert, sowohl um dem bewaffneten Konflikt zu entkommen, als auch auf der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten. Die Ost- und Südost-Türkei sind historisch gesehen weniger entwickelt als andere Teile des Landes, mit niedrigeren Einkommen, höheren Armutsraten, weniger Industrie und weniger staatlichen Investitionen. Die kurdische Bevölkerung ist sozio-ökonomisch vielfältig. Während viele sehr arm sind, vor allem in ländlichen Gebieten und im Südosten, wächst in städtischen Zentren eine kurdische Mittelschicht, vor allem im Westen der Türkei (DFAT 10.9.2020, S. 20).
Die kurdische Volksgruppe ist in sich politisch nicht homogen. Unter den nicht im Südosten der Türkei lebenden Kurden, insbesondere den religiösen Sunniten, gibt es viele Wähler der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Umgekehrt wählen vor allem in den Großstädten Ankara, Istanbul und Izmir auch viele liberal bis links orientierte ethnische Türken die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) (ÖB 30.11.2021, S. 27). Im kurdisch geprägten Südosten besteht nach wie vor eine erhebliche Spaltung der Gesellschaft zwischen den religiösen Konservativen und den säkularen linken Elementen der Bevölkerung. Als, wenn auch beschränkte, inner-kurdische Konkurrenz zur linken HDP besteht die islamistisch-konser- vative Partei der Freien Sache (Hür Dava Partisi - kurz: Hüda-Par), die für die Einführung der Schari’a eintritt. Zwar unterstützt sie wie die HDP die kurdische Autonomie und die Stärkung des Kurdischen im Bildungssystem, unterstützt jedoch politisch Staatspräsident Erdogan, wie beispielsweise bei den letzten Präsidentschaftswahlen. Das Verhältnis zwischen der HDP bzw. der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Hüda-Par ist feindselig. Im Oktober 2014 kam es während der Kobane-Proteste letztmalig zu Gewalttätigkeiten zwischen PKK-Sympathisanten und Anhängern der Hüda-Par, wobei Dutzende von Menschen getötet wurden (NL-MFA 31.10.2019).
Die kurdischen Gemeinden sind überproportional von den Zusammenstößen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften betroffen. Die Behörden verhängten Ausgangssperren von unterschiedlicher Dauer in bestimmten städtischen und ländlichen Gebieten und ordneten in einigen Gebieten „besondere Sicherheitszonen“ an, um Operationen zur Bekämpfung der PKK zu erleichtern, wodurch der Zugang für Besucher und in einigen Fällen sogar für Einwohner eingeschränkt wurde. Teile der Provinz Hakkari und ländliche Teile der Provinz Tunceli blieben die meiste Zeit des Jahres 2021 „besondere Sicherheitszonen“ (USDOS 12.4.2022, S. 26, 73). Die Situation im Südosten ist trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds nach wie vor schwierig. Die Regierung setzte ihre Sicherheitsoperationen vor dem Hintergrund der wiederholten Gewaltakte der PKK fort (EC 19.10.2021, S. 4). [Anm.: für weiterführende Informationen siehe Kapitel „Sicherheitslage“ und Unterkapitel „Terroristische Gruppierungen: PKK - Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)“]
Das Europäische Parlament zeigte sich in seiner Entschließung vom 7.6.2022 „über die Lage der Kurden im Land und die Lage im Südosten der Türkei mit Blick auf den Schutz der Menschenrechte, der Meinungsfreiheit und der politischen Teilhabe; [und war] besonders besorgt über zahlreiche Berichte darüber, dass Strafverfolgungsbeamte, als Reaktion auf mutmaßliche und vermeintliche Sicherheitsbedrohungen im Südosten der Türkei, Häftlinge foltern und misshandeln; [und] verurteilte], dass im Südosten der Türkei prominente zivilgesellschaftliche Akteure und Oppositionelle in Polizeigewahrsam genommen wurden“ (EP 7.6.2022, S. 18, Pt. 30). Im Jahr davor zeigte sich das EP zudem besorgt „über die Einschränkungen der Rechte von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich mit der kurdischen Frage befassen, sowie über den anhaltenden Druck auf kurdische Medien, Kultur- und Sprachinstitutionen und Ausdrucksformen im ganzen Land, der eine weitere Beschneidung der kulturellen Rechte zur Folge hat“, und, „dass diskriminierende Hetze und Drohungen gegen Bürger kurdischer Herkunft nach wie vor ein ernstes Problem ist“ (EP 10.5.2021, S. 16f, Pt. 44). Laut EP ist insbesondere die anhaltende Benachteiligung kurdischer Frauen besorgniserregend, die zusätzlich durch Vorurteile aufgrund ihrer ethnischen und sprachlichen Identität verstärkt wird, wodurch sie in der Wahrnehmung ihrer bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Rechte noch stärker eingeschränkt werden (EP 10.5.2021, S. 17, Pt. 44).
Kurdische und pro-kurdische NGOs sowie politische Parteien sind weiterhin bei der Ausübung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eingeschränkt. Hunderte von kurdischen zivil-gesellschaftlichen Organisationen und kurdischsprachigen Medien wurden 2016 und 2017 nach dem Putschversuch per Regierungsverordnung geschlossen (USDOS 12.4.2022, S. 73) und die meisten blieben es auch (EC 19.10.2021, S. 16). Im April 2021 hob das Verfassungsgericht jedoch eine Bestimmung des Notstandsdekrets auf, das die Grundlage für die Schließung von Medien mit der Begründung bildete, dass letztere eine „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ darstellten (2016). Das Verfassungsgericht hob auch eine Bestimmung auf, die den Weg für die Beschlagnahmung des Eigentums der geschlossenen Medien ebnete (EC 19.10.2021, S. 16; vgl. CCRT 8.4.2021) Die sehr weit gefasste Auslegung des Kampfes gegen den Terrorismus und die zunehmenden Einschränkungen der Rechte von Journalisten, politischen Gegnern, Anwaltskammern und Menschenrechtsverteidigern, die sich mit der kurdischen Frage befassen, geben laut Europäischer Kommission wiederholt Anlass zur Sorge (EC 19.10.2021, S. 16). Journalisten, die für kurdische Medien arbeiten, werden unverhältnismäßig oft ins Visier genommen (HRW 14.1.2020). So wurden beispielsweise am 16.6.2022 16 kurdischen Journalistinnen und Journalisten, die eine Woche zuvor in Diyarbakir festgenommen worden waren, nach Gerichtsbeschluss in ein Gefängnis gebracht, vier weitere wurden unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Medienschaffenden wurden unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der verbotenen Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK) [Dachorganisation der PKK] sowie Terrorpropaganda verhaftet. Ihnen wird vorgehalten, Sendungen für kurdische Fernsehsender im Ausland produziert sowie Interviews mit der KCK-Führung genutzt zu haben, um Anweisungen von diesen zu verbreiten (BAMF 20.6.2022, S. 11; vgl. VOA11.6.2022). Im Gegensatz hierzu entschied das Verfassungsgericht im Juli 2021, dass die Schließung der pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem per Notstandsdekret im Zuge des Putsches vom Sommer 2016 das verfassungsmäßige Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit verletzte. Ein türkisches Gericht hatte am 16.8.2016 die Schließung der Tageszeitung mit der Begründung angeordnet, dass diese eine Propagandaquelle der PKK sei (Ahval 4.7.2021). Kurdisch-sprachige Medien sind seit Ende des Friedensprozesses 2015 bzw. nach dem Putschversuch 2016 vermehrt staatlichem Druck ausgesetzt. Zahlreiche kurdischsprachige Medien wurden verboten (AA 28.7.2022, S. 10).Kurdische und pro-kurdische NGOs sowie politische Parteien sind weiterhin bei der Ausübung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eingeschränkt. Hunderte von kurdischen zivil-gesellschaftlichen Organisationen und kurdischsprachigen Medien wurden 2016 und 2017 nach dem Putschversuch per Regierungsverordnung geschlossen (USDOS 12.4.2022, S. 73) und die meisten blieben es auch (EC 19.10.2021, S. 16). Im April 2021 hob das Verfassungsgericht jedoch eine Bestimmung des Notstandsdekrets auf, das die Grundlage für die Schließung von Medien mit der Begründung bildete, dass letztere eine „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ darstellten (2016). Das Verfassungsgericht hob auch eine Bestimmung auf, die den Weg für die Beschlagnahmung des Eigentums der geschlossenen Medien ebnete (EC 19.10.2021, S. 16; vergleiche CCRT 8.4.2021) Die sehr weit gefasste Auslegung des Kampfes gegen den Terrorismus und die zunehmenden Einschränkungen der Rechte von Journalisten, politischen Gegnern, Anwaltskammern und Menschenrechtsverteidigern, die sich mit der kurdischen Frage befassen, geben laut Europäischer Kommission wiederholt Anlass zur Sorge (EC 19.10.2021, S. 16). Journalisten, die für kurdische Medien arbeiten, werden unverhältnismäßig oft ins Visier genommen (HRW 14.1.2020). So wurden beispielsweise am 16.6.2022 16 kurdischen Journalistinnen und Journalisten, die eine Woche zuvor in Diyarbakir festgenommen worden waren, nach Gerichtsbeschluss in ein Gefängnis gebracht, vier weitere wurden unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Medienschaffenden wurden unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der verbotenen Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK) [Dachorganisation der PKK] sowie Terrorpropaganda verhaftet. Ihnen wird vorgehalten, Sendungen für kurdische Fernsehsender im Ausland produziert sowie Interviews mit der KCK-Führung genutzt zu haben, um Anweisungen von diesen zu verbreiten (BAMF 20.6.2022, S. 11; vergleiche VOA11.6.2022). Im Gegensatz hierzu entschied das Verfassungsgericht im Juli 2021, dass die Schließung der pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem per Notstandsdekret im Zuge des Putsches vom Sommer 2016 das verfassungsmäßige Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit verletzte. Ein türkisches Gericht hatte am 16.8.2016 die Schließung der Tageszeitung mit der Begründung angeordnet, dass diese eine Propagandaquelle der PKK sei (Ahval 4.7.2021). Kurdisch-sprachige Medien sind seit Ende des Friedensprozesses 2015 bzw. nach dem Putschversuch 2016 vermehrt staatlichem Druck ausgesetzt. Zahlreiche kurdischsprachige Medien wurden verboten (AA 28.7.2022, S. 10).
Veranstaltungen oder Demonstrationen mit Bezug zur Kurden-Problematik und Proteste gegen die Ernennung von Treuhändern (anstelle gewählter kurdischer Bürgermeister) werden unter dem Vorwand der Sicherheitslage verboten (EC 19.10.2021, S. 36f). Diejenigen, die abweichende Meinungen zu den Themen äußern, die das kurdische Volk betreffen, werden in der Türkei seit Langem strafrechtlich verfolgt (AI 26.4.2019). Bereits öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südost-Türkei kann bei entsprechender Auslegung den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 28.7.2022, S. 9). Festnahmen von kurdischen Aktivisten und Aktivistinnen geschehen regelmäßig, so auch 2022, anlässlich der Demonstrationen bzw. Feierlichkeiten zum Internationalen Frauentag (WKI 22.3.2022), zum kurdischen Neujahrsfest Newroz (Rudaw 22.3.2022) und am 1. Mai (WKI 3.5.2022). Kurden in der Türkei sind aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit sowohl offiziellen als auch gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt. Umfang und Form dieser Diskriminierung hängen von der geografischen Lage und den persönlichen Umständen ab. Kurden in der West-Türkei sind nicht mit dem gleichen Risiko konfliktbezogener Gewalt konfrontiert wie im Südosten. Viele Kurden, die nicht politisch aktiv sind, und diejenigen, die die Regierungspartei AKP unterstützen, sind in die türkische Gesellschaft integriert und identifizieren sich mit der türkischen Nation. Menschenrechtsbeobachter berichten jedoch, dass einige Kurden in der West-Türkei zögern, ihre kurdische Identität preiszugeben, etwa durch die Verwendung der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit, aus Angst, eine gewalttätige Reaktion zu provozieren. Im Südosten sind diejenigen, die in kurdischen politischen oder zivil-gesellschaftlichen Organisationen tätig sind (oder als solche aktiv wahrgenommen werden), einem höheren Risiko ausgesetzt als nicht politisch tätige Personen. Obwohl Kurden an allen Aspekten des öffentlichen Lebens, einschließlich der Regierung, des öffentlichen Dienstes und des Militärs, teilnehmen, sind sie in leitenden Positionen traditionell unterrepräsentiert. Einige Kurden, die im öffentlichen Sektor beschäftigt sind, berichten von einer Zurückhaltung bei der Offenlegung ihrer kurdischen Identität aus Angst vor einer Beeinträchtigung ihrer Aufstiegschancen (DFAT 10.9.2020, S. 21).
Übergriffe
Während beispielsweise das niederländische Außenministerium davon spricht, dass vereinzelte gewalttätige Übergriffe mit einer anti-kurdischen Dimension ohne politischen Kontext immer wieder vorkommen (NL-MFA 18.3.2021, S. 47f), veröffentlichten 15 Rechtsanwaltskammern im Juli 2021 eine gemeinsame Stellungnahme, in der sie die rassistischen Zwischenfälle gegen Kurden verurteilten und eine dringende und effektive Untersuchung der Vorfälle forderten. Solche Fälle würden zunehmen und seien keinesfalls isolierte Fälle, sondern würden durch die Rhetorik der Politiker angefeuert (ÖB 30.11.2021, S. 27; vgl. Bianet 22.7.2021).Während beispielsweise das niederländische Außenministerium davon spricht, dass vereinzelte gewalttätige Übergriffe mit einer anti-kurdischen Dimension ohne politischen Kontext immer wieder vorkommen (NL-MFA 18.3.2021, S. 47f), veröffentlichten 15 Rechtsanwaltskammern im Juli 2021 eine gemeinsame Stellungnahme, in der sie die rassistischen Zwischenfälle gegen Kurden verurteilten und eine dringende und effektive Untersuchung der Vorfälle forderten. Solche Fälle würden zunehmen und seien keinesfalls isolierte Fälle, sondern würden durch die Rhetorik der Politiker angefeuert (ÖB 30.11.2021, S. 27; vergleiche Bianet 22.7.2021).
Beispiele: Im Mai 2020 wurde ein zwanzigjähriger Kurde in einem Park in Ankara erstochen, vermeintlich weil er kurdische Musik spielte (NL-MFA 18.3.2021, S. 47f.). Anfang September 2020 wurde eine Gruppe von 16 kurdisch-stämmigen Saisonarbeitern aus Mardin bei der Haselnussernte gefilmt, wie sie von acht Männern tätlich angegriffen wurden (France24 15.9.2021; vgl. NL-MFA 18.3.2021, S. 48). Entgegen den Betroffenen haben die türkischen Behörden einen ethnischen Kontext der Vorfälle bestritten (NL-MFA 18.3.2021, S. 47f.; France24 15.9.2021). Regierungskritiker verzeichneten im Juli 2021 innerhalb von zwei Wochen vier Übergriffe auf kurdische Familien und Arbeiter, inklusive eines Toten bei einem Vorfall in Konya (Duvar 22.7.2021). So wurden laut der HDP-Abgeordneten, Ay§e Sürücü, eine Gruppe kurdischer Landarbeiter in der Provinz Afyonkarahisar von einem nationalistischen Mob physisch angegriffen, weil sie kurdisch sprachen. Sieben Personen, darunter zwei Frauen, mussten in Folge ins Krankenhaus (HDP 21.7.2021; vgl. TP 20.7.2021). Im September wurde das Haus von kurdischen Landarbeitern in Düzce von einem Mob umstellt, der ein Fenster einschlug und die Kurden aufforderte, zu gehen, da hier keine Kurden geduldet seien. Nach Angaben der Opfer stellte sich die Polizei auf die Seite der Angreifer und schloss den Fall ab (WKI 28.9.2021). Im Februar 2022 brachte die HDP den Vorfall einer vermeintlich rassistischen Attacke einer Gruppe von 30 Personen auf drei kurdische Studenten auf dem Campus der Akdeniz-Universität in der Provinz Antalya auf die Tagesordnung des Parlaments (Duvar 23.2.2022).Beispiele: Im Mai 2020 wurde ein zwanzigjähriger Kurde in einem Park in Ankara erstochen, vermeintlich weil er kurdische Musik spielte (NL-MFA 18.3.2021, S. 47f.). Anfang September 2020 wurde eine Gruppe von 16 kurdisch-stämmigen Saisonarbeitern aus Mardin bei der Haselnussernte gefilmt, wie sie von acht Männern tätlich angegriffen wurden (France24 15.9.2021; vergleiche NL-MFA 18.3.2021, S. 48). Entgegen den Betroffenen haben die türkischen Behörden einen ethnischen Kontext der Vorfälle bestritten (NL-MFA 18.3.2021, S. 47f.; France24 15.9.2021). Regierungskritiker verzeichneten im Juli 2021 innerhalb von zwei Wochen vier Übergriffe auf kurdische Familien und Arbeiter, inklusive eines Toten bei einem Vorfall in Konya (Duvar 22.7.2021). So wurden laut der HDP-Abgeordneten, Ay§e Sürücü, eine Gruppe kurdischer Landarbeiter in der Provinz Afyonkarahisar von einem nationalistischen Mob physisch angegriffen, weil sie kurdisch sprachen. Sieben Personen, darunter zwei Frauen, mussten in Folge ins Krankenhaus (HDP 21.7.2021; vergleiche TP 20.7.2021). Im September wurde das Haus von kurdischen Landarbeitern in Düzce von einem Mob umstellt, der ein Fenster einschlug und die Kurden aufforderte, zu gehen, da hier keine Kurden geduldet seien. Nach Angaben der Opfer stellte sich die Polizei auf die Seite der Angreifer und schloss den Fall ab (WKI 28.9.2021). Im Februar 2022 brachte die HDP den Vorfall einer vermeintlich rassistischen Attacke einer Gruppe von 30 Personen auf drei kurdische Studenten auf dem Campus der Akdeniz-Universität in der Provinz Antalya auf die Tagesordnung des Parlaments (Duvar 23.2.2022).
Verwendung der kurdischen Sprache
Kinder mit kurdischer Muttersprache können Kurdisch im staatlichen Schulsystem nicht als Hauptsprache erlernen. Nur 18 % der kurdischen Bevölkerung beherrschen ihre Muttersprache in Wort und Schrift (ÖB 30.11.2021, S. 28). Optionale Kurse in Kurdisch werden an öffentlichen staatlichen Schulen weiterhin angeboten, ebenso wie Universitätsprogramme in Kurdisch (Kur- manci und Zazaki). Die Schließung kurdischer Kultur- und Sprachinstitutionen und kurdischer Medien sowie zahlreicher Kunsträume nach dem Putschversuch von 2016 führte zu einer weiteren Schmälerung der kulturellen Rechte. Die erweiterten Befugnisse der Gouverneure und die willkürliche Zensur wirkten sich jedoch weiterhin negativ auf Kunst und Kultur aus. Frühere Bemühungen der entmachteten HDP-Gemeinden, die Schaffung von Sprach- und Kultureinrichtungen in diesen Provinzen zu fördern, wurden weiter unterminiert (EC 19.10.2021; S. 41). In diesem Zusammenhang problematisch ist die geringe Zahl an Kurdisch-Lehrern (ÖB 30.11.2021, S. 28) - So wurden 2019 lediglich 59 Kurdisch-Lehrer an staatliche Schulen eingestellt (Bianet 21.2.2022) - sowie deren Verteilung, oft nicht in den Gebieten, in denen sie benötigt werden. Zu hören ist auch von administrativen Problemen an den Schulen. Zudem wurden staatliche Subventionen für Minderheitenschulen wesentlich gekürzt (ÖB 30.11.2021, S. 28). Außerdem können Schüler erst ab der fünften bis einschließlich der achten Klasse einen Kurdischkurs wählen, der zwei Stunden pro Woche umfasst (Bianet 21.2.2022). Privater Unterricht in kurdischer Sprache ist auf dem Papier erlaubt. In der Praxis sind jedoch die meisten, wenn nicht alle privaten Bildungseinrichtungen, die Unterricht in kurdischer Sprache anbieten, auf Anordnung der türkischen Behörden geschlossen (NL-MFA 18.3.2021, S. 46). Dennoch startete die HDP 2021 eine neue Kampagne zur Förderung des Erlernens der kurdischen Sprache (AM 9.11.2021). Im Schuljahr 2021-2022 haben 20.265 Schülerinnen und Schüler einen kurdischen Wahlpflichtkurs gewählt, teilte das Bildungsministerium in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage mit. Im Rahmen des Kurses „Lebendige Sprachen und Dialekte" werden die Schüler in den kurdischen Dialekten Kurmanci und Zazaki unterrichtet (Bianet 21.2.2022). Auch angesichts der nahenden Wahlen 2023 wurde die Kampagne selbst von kurdischen und nicht-kurdischen Führungskräften der AKP und überraschenderweise vom Gouverneur von Diyarbakir, von dem man erwartet, dass er in solchen Fragen neutral bleibt, da er die staatliche Bürokratie vertritt, nachdrücklich unterstützt (SWP 19.4.2022).
Seit 2009 gibt es im staatlichen Fernsehen einen Kanal mit einem 24-Stunden-Programm in kurdischer Sprache. 2010 wurde einem neuen Radiosender in Diyarbakir, Cagri FM, die Genehmigung zur Ausstrahlung von Sendungen in den kurdischen Dialekten Kurmanci und Zaza/Zazaki erteilt. Insgesamt gibt es acht Fernsehkanäle, die ausschließlich auf Kurdisch ausstrahlen, sowie 27 Radiosender, die entweder ausschließlich auf Kurdisch senden oder kurdische Programme anbieten (ÖB 30.11.2021, S. 28). Allerdings wurden mit der Verhängung desAusnahmezustands im Jahr 2016 viele Vereine, private Theater, Kunstwerkstätten und ähnliche Einrichtungen, die im Bereich der kurdischen Kultur und Kunst tätig sind, geschlossen (iBV 7.2021, S. 8.), bzw. wurden ihnen Restriktionen hinsichtlich der Verwendung des Kurdischen auferlegt (K24 10.4.2022). Beispiele von Konzertabsagen wegen geplanter Musikstücke in kurdischer Sprache sind ebenso belegt wie das behördliche Vorladen kurdischer Hochzeitssänger zum Verhör, weil sie angeblich „terroristische Lieder" sangen. - So wurde das Konzert von Pervin Chakar, eine weltweit bekannte, kurdische Sopranistin von der Universität in ihrer Heimatstadt Mardin abgesagt, weil die Sängerin ein Stück in kurdischer Sprache in ihr Repertoire aufgenommen hatte. Aus dem gleichen Grund wurde ein Konzert der weltberühmten kurdischen Sängerin Aynur Dogan in der Stadt Derince in der Westtürkei im Mai 2022 von der dort regierenden AKP abgesagt. Und der kurdische Folksänger Mem Ararat konnte Ende Mai 2022 in Bursa nicht auftreten, nachdem das Büro des Gouverneurs sein Konzert mit der Begründung gestrichen hatte, es würde die „öffentliche Sicherheit" gefährden (AM 10.8.2022). Im Bezirk Mersin Akdeniz wurde im April 2022 ein Lehrer von der Schule verwiesen, weil er mit seinen Schülern Kurdisch und Arabisch sprach und sie ermutigte, sich für kurdische Wahlkurse anzumelden (K24 10.4.2022). Infolgedessen wurde er nicht nur strafversetzt, sondern auch von der Schulaufsichtsbehörde mit einer Geldbuße belangt (Duvar 30.4.2022). Geänderte Gesetze haben die ursprünglichen kurdischen Ortsnamen von Dörfern und Stadtteilen wieder eingeführt. In einigen Fällen, in denen von der Regierung ernannte Treuhänder demokratisch gewählte kurdische HDP-Bürgermeister ersetzt haben, wurden diese jedoch wieder entfernt (DFAT 10.9.2020, S. 21; vgl. TM 17.9.2020).Seit 2009 gibt es im staatlichen Fernsehen einen Kanal mit einem 24-Stunden-Programm in kurdischer Sprache. 2010 wurde einem neuen Radiosender in Diyarbakir, Cagri FM, die Genehmigung zur Ausstrahlung von Sendungen in den kurdischen Dialekten Kurmanci und Zaza/Zazaki erteilt. Insgesamt gibt es acht Fernsehkanäle, die ausschließlich auf Kurdisch ausstrahlen, sowie 27 Radiosender, die entweder ausschließlich auf Kurdisch senden oder kurdische Programme anbieten (ÖB 30.11.2021, S. 28). Allerdings wurden mit der Verhängung desAusnahmezustands im Jahr 2016 viele Vereine, private Theater, Kunstwerkstätten und ähnliche Einrichtungen, die im Bereich der kurdischen Kultur und Kunst tätig sind, geschlossen (iBV 7.2021, S. 8.), bzw. wurden ihnen Restriktionen hinsichtlich der Verwendung des Kurdischen auferlegt (K24 10.4.2022). Beispiele von Konzertabsagen wegen geplanter Musikstücke in kurdischer Sprache sind ebenso belegt wie das behördliche Vorladen kurdischer Hochzeitssänger zum Verhör, weil sie angeblich „terroristische Lieder" sangen. - So wurde das Konzert von Pervin Chakar, eine weltweit bekannte, kurdische Sopranistin von der Universität in ihrer Heimatstadt Mardin abgesagt, weil die Sängerin ein Stück in kurdischer Sprache in ihr Repertoire aufgenommen hatte. Aus dem gleichen Grund wurde ein Konzert der weltberühmten kurdischen Sängerin Aynur Dogan in der Stadt Derince in der Westtürkei im Mai 2022 von der dort regierenden AKP abgesagt. Und der kurdische Folksänger Mem Ararat konnte Ende Mai 2022 in Bursa nicht auftreten, nachdem das Büro des Gouverneurs sein Konzert mit der Begründung gestrichen hatte, es würde die „öffentliche Sicherheit" gefährden (AM 10.8.2022). Im Bezirk Mersin Akdeniz wurde im April 2022 ein Lehrer von der Schule verwiesen, weil er mit seinen Schülern Kurdisch und Arabisch sprach und sie ermutigte, sich für kurdische Wahlkurse anzumelden (K24 10.4.2022). Infolgedessen wurde er nicht nur strafversetzt, sondern auch von der Schulaufsichtsbehörde mit einer Geldbuße belangt (Duvar 30.4.2022). Geänderte Gesetze haben die ursprünglichen kurdischen Ortsnamen von Dörfern und Stadtteilen wieder eingeführt. In einigen Fällen, in denen von der Regierung ernannte Treuhänder demokratisch gewählte kurdische HDP-Bürgermeister ersetzt haben, wurden diese jedoch wieder entfernt (DFAT 10.9.2020, S. 21; vergleiche TM 17.9.2020).
Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist seit Anfang der 2000er Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt (AA 28.7.2022, S. 10). So kündigte die türkische Regierung 2013 im Rahmen einer Reihe von Reformen an, dass sie das Verbot des kurdischen Alphabets aufheben und kurdische Namen offiziell zulassen würde. Doch ist die Verwendung spezieller kurdischer Buchstaben (X, Q, W, I, Ü, E) weiterhin nicht erlaubt, wodurch Kindern nicht der korrekte kurdische Name gegeben werden kann (Duvar 2.2.2022). Das Verfassungsgericht sah im diesbezüglichen Verbot durch ein lokales Gericht jedoch keine Verletzung der Rechte der Betroffenen (Duvar 25.4.2022). Einige Universitäten bieten Kurse in kurdischer Sprache an. Vier Universitäten hatten Abteilungen für die kurdische Sprache. Jedoch wurden zahlreiche Dozenten in diesen Instituten, sowie Tausende weitere Universitätsangehörige aufgrund von behördlichen Verfügungen entlassen, sodass die Programme nicht weiterlaufen konnten. Im Juli 2020 untersagte das Bildungsministerium die Abfassung von Diplomarbeiten und Dissertationen auf Kurdisch (USDOS 30.3.2021, S. 71). Obgleich von offizieller Seite die Verwendung des Kurdischen im öffentlichen Bereich teilweise gestattet wird, berichteten die Medien auch im Jahr 2021 immer wieder von Gewaltakten, mitunter mit Todesfolge, gegen Menschen, die im öffentlichen Raum Kurdisch sprachen oder als Kurden wahrgenommen wurden (ÖB 30.11.2021, S. 27). Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist seit Anfang der 2000er Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt (AA 28.7.2022, S. 10). So kündigte die türkische Regierung 2013 im Rahmen einer Reihe von Reformen an, dass sie das Verbot des kurdischen Alphabets aufheben und kurdische Namen offiziell zulassen würde. Doch ist die Verwendung spezieller kurdischer Buchstaben (römisch zehn, Q, W, römisch eins, Ü, E) weiterhin nicht erlaubt, wodurch Kindern nicht der korrekte kurdische Name gegeben werden kann (Duvar 2.2.2022). Das Verfassungsgericht sah im diesbezüglichen Verbot durch ein lokales Gericht jedoch keine Verletzung der Rechte der Betroffenen (Duvar 25.4.2022). Einige Universitäten bieten Kurse in kurdischer Sprache an. Vier Universitäten hatten Abteilungen für die kurdische Sprache. Jedoch wurden zahlreiche Dozenten in diesen Instituten, sowie Tausende weitere Universitätsangehörige aufgrund von behördlichen Verfügungen entlassen, sodass die Programme nicht weiterlaufen konnten. Im Juli 2020 untersagte das Bildungsministerium die Abfassung von Diplomarbeiten und Dissertationen auf Kurdisch (USDOS 30.3.2021, S. 71). Obgleich von offizieller Seite die Verwendung des Kurdischen im öffentlichen Bereich teilweise gestattet wird, berichteten die Medien auch im Jahr 2021 immer wieder von Gewaltakten, mitunter mit Todesfolge, gegen Menschen, die im öffentlichen Raum Kurdisch sprachen oder als Kurden wahrgenommen wurden (ÖB 30.11.2021, S. 27).
In einem politisierten Kontext kann die Verwendung des Kurdischen zu Schwierigkeiten führen. So wurde die ehemalige Abgeordnete der pro-kurdischen HDP, Leyla Güven, disziplinarisch bestraft, weil sie zusammen mit acht anderen Insassinnen im Elazig-Frauengefängnis ein kurdisches Lied gesungen und einen traditionellen kurdischen Tanz aufgeführt hatte. Gegen die neun Insassinnen wurde wegen des kurdischen Liedes und Tanzes ein einmonatiges Verbot von Telefonaten und Familienbesuchen verhängt. Laut Güvens Tochter wurden die Insassinnen bestraft, weil sie in einer unverständlichen Sprache gesungen und getanzt hätten (Durvar 30.8.2021). Auch außerhalb von Haftanstalten kann das Singen kurdischer Lieder zu Problemen mit den Behörden führen. - Ende Jänner 2022 wurden vier junge Straßenmusiker in Istanbul von der Polizei wegen des Singens kurdischer Lieder verhaftet und laut Medienberichten in Polizeigewahrsam misshandelt. Meral Dani§ Be§ta§, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der HDP, sang während einer Pressekonferenz im Parlament dasselbe Lied wie die Straßenmusiker aus Protest gegen das Verbot kurdischer Lieder durch die Polizei (TM 1.2.2022). Und im April nahm die Polizei in Van einen Bürger fest, nachdem sie ihn beim Singen auf Kurdisch ertappt hatte. Nachdem der Mann sich geweigert hatte, der Polizei seinen Personalausweis auszuhändigen, wurde er schwer geschlagen und mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt (Duvar 26.4.2022).
Siehe auch das Unterkapitel: „Opposition“ und bezüglich kurdischer Gefängnisinsassen das Kapitel: „Haftbedingungen“
Quellen:
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25.2.2022
Roma
Letzte Änderung: 22.09.2022
Die schätzungsweise 2,5 bis 5 Millionen Roma, die in der Türkei leben, leiden unter extremer Armut und sind größtenteils hoch verschuldet (Duvar 13.1.2022). Roma sind nach wie vor weitgehend von formellen Arbeitsplätzen ausgeschlossen, und ihre Lebensbedingungen haben sich erheblich verschlechtert. Hinzukommt, dass Roma in der COVID-19-Krise unverhältnismäßig stark von Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten betroffen waren (EC 19.10.2021, S. 6, 93; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 29). Das durchschnittliche Haushaltseinkommen von Roma betrug mit 1.426 Lira pro Monat nur ein Drittel des offiziellen Mindestlohns von 4.250 Lira für 2022 vor Steuern. Laut jüngster Studie im Zuge der COVID-19-Pandemie hatten 77,5 % der befragten Personen mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen (Duvar 13.1.2022). Inoffiziellen Schätzungen zufolge sind sogar mehr als 90 % der Roma arbeitslos (USDOS 12.4.2022, S. 75). Von denjenigen, die Arbeit hatten, arbeiteten die meisten befragten Roma als Reinigungskräfte, bei der Müllabfuhr oder als städtisches Personal. Andere arbeiteten als Wasser- oder Blumenverkäufer oder bettelten auf der Straße (Duvar 13.1.2022). Viele arbeiten in der informellen Wirtschaft (USDOS 12.4.2022, S. 75).Die schätzungsweise 2,5 bis 5 Millionen Roma, die in der Türkei leben, leiden unter extremer Armut und sind größtenteils hoch verschuldet (Duvar 13.1.2022). Roma sind nach wie vor weitgehend von formellen Arbeitsplätzen ausgeschlossen, und ihre Lebensbedingungen haben sich erheblich verschlechtert. Hinzukommt, dass Roma in der COVID-19-Krise unverhältnismäßig stark von Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten betroffen waren (EC 19.10.2021, S. 6, 93; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 29). Das durchschnittliche Haushaltseinkommen von Roma betrug mit 1.426 Lira pro Monat nur ein Drittel des offiziellen Mindestlohns von 4.250 Lira für 2022 vor Steuern. Laut jüngster Studie im Zuge der COVID-19-Pandemie hatten 77,5 % der befragten Personen mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen (Duvar 13.1.2022). Inoffiziellen Schätzungen zufolge sind sogar mehr als 90 % der Roma arbeitslos (USDOS 12.4.2022, S. 75). Von denjenigen, die Arbeit hatten, arbeiteten die meisten befragten Roma als Reinigungskräfte, bei der Müllabfuhr oder als städtisches Personal. Andere arbeiteten als Wasser- oder Blumenverkäufer oder bettelten auf der Straße (Duvar 13.1.2022). Viele arbeiten in der informellen Wirtschaft (USDOS 12.4.2022, S. 75).
Roma leben im Allgemeinen in sehr schlechten Wohnverhältnissen, haben oft keinen Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen und sind auf Zuwendungen angewiesen. Die Gesundheitsdienste etwa sind für alle Roma zugänglich, aber die Bezahlbarkeit der Behandlungen ist aufgrund der gestiegenen medizinischen sowie der Transportkosten in städtische Krankenhäuser außerhalb der großen Städte beeinträchtigt. Roma-Kinder leiden unter erheblichen Entbehrungen und relativer Armut. Die öffentlichen Schulen in Roma-Vierteln sind unterbesetzt und oft schlecht ausgestattet, was zu einem hohen Anteil an Schulabbrechern beiträgt (EC 6.10.2020, S. 7, 41; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 29). Die Umstellung auf Fernunterricht infolge der COVID-19-Pandemie wirkte sich negativ auf die Bildungsbeteiligung von Roma-Kindern und -Jugendlichen aus, da viele arme Haushalte keinen Zugang zum Internet oder zu geeigneten Geräten haben (EC 19.10.2021, S. 41). Früh- und Zwangsehen sind weit verbreitet (EC 6.10.2020, S. 41; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 290).Roma leben im Allgemeinen in sehr schlechten Wohnverhältnissen, haben oft keinen Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen und sind auf Zuwendungen angewiesen. Die Gesundheitsdienste etwa sind für alle Roma zugänglich, aber die Bezahlbarkeit der Behandlungen ist aufgrund der gestiegenen medizinischen sowie der Transportkosten in städtische Krankenhäuser außerhalb der großen Städte beeinträchtigt. Roma-Kinder leiden unter erheblichen Entbehrungen und relativer Armut. Die öffentlichen Schulen in Roma-Vierteln sind unterbesetzt und oft schlecht ausgestattet, was zu einem hohen Anteil an Schulabbrechern beiträgt (EC 6.10.2020, S. 7, 41; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 29). Die Umstellung auf Fernunterricht infolge der COVID-19-Pandemie wirkte sich negativ auf die Bildungsbeteiligung von Roma-Kindern und -Jugendlichen aus, da viele arme Haushalte keinen Zugang zum Internet oder zu geeigneten Geräten haben (EC 19.10.2021, S. 41). Früh- und Zwangsehen sind weit verbreitet (EC 6.10.2020, S. 41; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 290).
Mitglieder der Roma-Gemeinschaft berichteten über Probleme beim Zugang zu Bildung, Wohnung, Gesundheitsversorgung und Beschäftigung. Roma berichten infolge diskriminierender Mietpraktiken von Schwierigkeiten, die staatlichen Mietzuschüsse zu nutzen. Außerdem berichten Roma-Gemeinden, Opfer von übermäßiger Polizeigewalt zu sein (USDOS 30.3.2021, S. 72). Es wurde kein spezifisches Wohnungsbauprogramm für Roma umgesetzt. Allerdings betrafen mehrere Städtebauprojekte von Roma bewohnte Bezirke. Da die meisten Roma-Familien jedoch keine Eigentumsurkunden besitzen, endeten die Projekte damit, dass die Roma wegziehen mussten, um anderswo eine Unterkunft zu finden (EC 19.10.2021, S. 41).
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
Die COVID-19-Krise führt zu einer Verschärfung der Lebenssituation der Roma. 48 Roma- Organisationen baten im April 2020 in einer Deklaration um dringende Hilfe und beklagten darin auch die tiefgreifende Diskriminierung, mit der sie konfrontiert sind. Der größte Kampf ihres Volkes sei derzeit nicht so sehr jener gegen COVID-19, sondern vielmehr gegen den Hungertod infolge von Arbeitsverlust und staatlicher Vernachlässigung. Die Gruppen erhoben zudem den Vorwurf, dass überwiegend Roma-Viertel von den Kommunalbehörden nicht desinfiziert würden mit der Begründung, dass die Roma den Virus ohnehin in sich tragen (AM 8.4.2020). Die Roma-Gemeinschaften wurden von der COVID-19-Pandemie besonders hart getroffen. Die Regierung unternahm wenig, um die Gemeinschaften wirtschaftlich zu unterstützen, zumal die meisten Roma in der Schattenwirtschaft arbeiteten. Mit der Verhängung von Beschränkungen, die darauf abzielten, die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen, sahen sich viele Roma von ihrem Lebensunterhalt abgeschnitten und hatten keinen Zugang zum sozialen Sicherheitsnetz, etwa der Arbeitslosenunterstützung. Roma-Vertreter berichteten, dass einige Familien ihre Wohnungen und Versorgungseinrichtungen verloren, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten. Roma-Kinder hatten während der COVID-19-Pandemie auch Schwierigkeiten beim Zugang zum Fernunterricht (USDOS 12.4.2022, S. 75).
Quellen:
•AM - Al Monitor (8.4.2020): Turkey’s Roma cry for help as coronavirus claims more lives, https: //www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/04/turkey-roma-help-coronavirus.html , Zugriff 25.2.2022
•Duvar (13.1.2022): Roma in Turkey suffer from lack of work, hunger, and extreme poverty, study shows, https://www.duvarenglish.com/roma-in-turkey-suffer-from-lack-of-work-hunger-and-extre me-poverty-study-shows-news-60135 , Zugriff 25.2.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 25.2.2022
•EC - European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 25.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf , Zugriff 8.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 27.4.2022
USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/TURKEY-2020-HUM AN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 25.2.2022
Relevante Bevölkerungsgruppen
Letzte Änderung: 10.03.2022
[nur Kapitelüberschrift]
Frauen
Letzte Änderung: 22.09.2022
Die türkische Gesetzgebung verankert die Gleichheit von Mann und Frau in Art. 10 der Verfassung. Gewalt gegen Frauen sowie sexuelle Übergriffe, inklusive Vergewaltigung - auch in der Ehe - sind unter Strafe gestellt (ÖB 30.11.2021, S. 35), und zwar mit zwei bis zehn Jahren Freiheitsentzug bei Verurteilung wegen versuchten sexuellen Missbrauchs und mindestens zwölf Jahren bei Verurteilung wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung (USDOS 12.4.2022, S. 67). Allerdings werden diese Bestimmungen nicht immer effektiv umgesetzt (USDOS 12.4.2022, S. 67; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 35). Ursache hierfür ist, dass in bestimmten Teilen der Gesellschaft verankerte Stereotype ebenso ein Hindernis bei der Umsetzung der Rechte der Frauen bleiben (ÖB 30.11.2021, S. 35) wie der mangelnde politische Wille und der patriarchale Zugang der Regierung zur Problematik (MEI 18.12.2019). Zwar wurden in den letzten 15 Jahren zahlreiche neue Gesetze - insbesondere 2012 das Gesetz 6284 über den Schutz der Familie und die Verhütung von Gewalt - und politische Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen verabschiedet, inklusive der Bekämpfung häuslicher Gewalt, doch gibt es in fast allen Bereichen der Sozialpolitik, die mit Frauenrechten zu tun haben - von sexueller Gewalt über häusliche Gewalt bis hin zu Menschenhandel - erhebliche Umsetzungslücken, die weiterhin eine große Herausforderung darstellen. So werden im türkischen Strafgesetzbuch nicht alle Arten von Gewalt gegen Frauen als Straftaten definiert, Zwangsheirat oder psychische Gewalt werden nicht ausdrücklich unter Strafe gestellt. Besorgniserregend ist laut Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen und Mädchen der Vereinten Nationen auch die Unvereinbarkeit und mangelnde Harmonisierung der nationalen Gesetze der Türkei mit ihren internationalen Menschenrechtsverpflichtungen (OHCHR 27.7.2022, S. 4).Die türkische Gesetzgebung verankert die Gleichheit von Mann und Frau in Artikel 10, der Verfassung. Gewalt gegen Frauen sowie sexuelle Übergriffe, inklusive Vergewaltigung - auch in der Ehe - sind unter Strafe gestellt (ÖB 30.11.2021, S. 35), und zwar mit zwei bis zehn Jahren Freiheitsentzug bei Verurteilung wegen versuchten sexuellen Missbrauchs und mindestens zwölf Jahren bei Verurteilung wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung (USDOS 12.4.2022, S. 67). Allerdings werden diese Bestimmungen nicht immer effektiv umgesetzt (USDOS 12.4.2022, S. 67; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 35). Ursache hierfür ist, dass in bestimmten Teilen der Gesellschaft verankerte Stereotype ebenso ein Hindernis bei der Umsetzung der Rechte der Frauen bleiben (ÖB 30.11.2021, S. 35) wie der mangelnde politische Wille und der patriarchale Zugang der Regierung zur Problematik (MEI 18.12.2019). Zwar wurden in den letzten 15 Jahren zahlreiche neue Gesetze - insbesondere 2012 das Gesetz 6284 über den Schutz der Familie und die Verhütung von Gewalt - und politische Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen verabschiedet, inklusive der Bekämpfung häuslicher Gewalt, doch gibt es in fast allen Bereichen der Sozialpolitik, die mit Frauenrechten zu tun haben - von sexueller Gewalt über häusliche Gewalt bis hin zu Menschenhandel - erhebliche Umsetzungslücken, die weiterhin eine große Herausforderung darstellen. So werden im türkischen Strafgesetzbuch nicht alle Arten von Gewalt gegen Frauen als Straftaten definiert, Zwangsheirat oder psychische Gewalt werden nicht ausdrücklich unter Strafe gestellt. Besorgniserregend ist laut Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen und Mädchen der Vereinten Nationen auch die Unvereinbarkeit und mangelnde Harmonisierung der nationalen Gesetze der Türkei mit ihren internationalen Menschenrechtsverpflichtungen (OHCHR 27.7.2022, S. 4).
Im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter gab es erhebliche Rückschritte bei den Rechten der Frauen. Der Austritt der Türkei aus dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, der sogenannten Istanbul-Konvention, gefolgt von der Verabschiedung eines Präsidentendekretes im März 2021, stellt laut Europäischer Kommission einen klaren Rückschritt bei den Rechten von Frauen und Mädchen dar. Dieser Beschluss gefährdet laut Europäischer Kommission die Rechte von Frauen und Mädchen und die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt in der Türkei und schafft einen gefährlichen Präzedenzfall. Nach dem Austritt kam es in den Medien vermehrt zu Hassreden gegen Frauenorganisationen (EC 19.10.2021, 38). Trotz Forderung des Europäischen Parlaments „diese nicht nachvollziehbare Entscheidung zurückzunehmen, die eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden europäischen Werte darstellt und im Rahmen des Beitrittsprozesses der Türkei Eingang in die Bewertung finden wird" (EP 7.6.2022, S. 9, Pt. 11), entschied der Staatsrat als oberstes Verwaltungsgericht, dass die Entscheidung von Staatspräsident Erdogan hinsichtlich des Austrittes aus der Konvention rechtmäßig war (AP 19.7.2022). Das Gesetz zum Schutz der Familie und zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen (Gesetz Nr. 6284) aus dem Jahr 2012 übernahm allerdings viele Aspekte der Istanbul-Konvention in das innerstaatliche Recht und bleibt trotz des Austritts der Türkei aus der Konvention in Kraft. Darüber hinaus ist die Türkei an andere internationale Menschenrechtsvorschriften gebunden, die sie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen verpflichten. Zu nennen sind hier insbesondere das UN-Übereinkom- men zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) (HRW 5.2022, S. 2, 5).
Seinerzeit wurde die Istanbul-Konvention als erste internationale völkerrechtsverbindliche Vereinbarung vom damaligen Ministerpräsidenten Erdogan als einem der ersten 2011 unterschrieben und im Parlament 2012 ratifiziert. Seit Jahren wurde insbesondere von den Islamisten innerhalb und außerhalb der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) die Kritik an der Konvention immer lauter, nämlich dahin gehend, dass diese die Ordnung in der Familie untergrabe, die Scheidungsrate steigere und überhaupt hierdurch die Frau dem Manne den Gehorsam verweigere. Außerdem sahen islamisch-konservative Kreise in der Konvention auch einen Türöffner für die von ihnen verhasste „LGBTIQ-Kultur" und überhaupt für das Vordringen vermeintlicher westlicher Dekadenz (Standard 20.3.2021; vgl. AP 20.3.2021, NZZ 21.3.2021). So erklärte der Kommunikationschef des Präsidenten, die Konvention sei missbraucht worden, um „Homosexualität zu normalisieren", was mit den gesellschaftlichen Werten der Türkei unvereinbar sei. Die Ministerin für Familie, Arbeit und Sozialpolitik, Zehra Zumrut, argumentierte den Austritt damit, dass die Garantie von Frauenrechten in den türkischen Gesetzen und in der Verfassung ausreiche (DW 20.3.2021).Seinerzeit wurde die Istanbul-Konvention als erste internationale völkerrechtsverbindliche Vereinbarung vom damaligen Ministerpräsidenten Erdogan als einem der ersten 2011 unterschrieben und im Parlament 2012 ratifiziert. Seit Jahren wurde insbesondere von den Islamisten innerhalb und außerhalb der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) die Kritik an der Konvention immer lauter, nämlich dahin gehend, dass diese die Ordnung in der Familie untergrabe, die Scheidungsrate steigere und überhaupt hierdurch die Frau dem Manne den Gehorsam verweigere. Außerdem sahen islamisch-konservative Kreise in der Konvention auch einen Türöffner für die von ihnen verhasste „LGBTIQ-Kultur" und überhaupt für das Vordringen vermeintlicher westlicher Dekadenz (Standard 20.3.2021; vergleiche AP 20.3.2021, NZZ 21.3.2021). So erklärte der Kommunikationschef des Präsidenten, die Konvention sei missbraucht worden, um „Homosexualität zu normalisieren", was mit den gesellschaftlichen Werten der Türkei unvereinbar sei. Die Ministerin für Familie, Arbeit und Sozialpolitik, Zehra Zumrut, argumentierte den Austritt damit, dass die Garantie von Frauenrechten in den türkischen Gesetzen und in der Verfassung ausreiche (DW 20.3.2021).
Kinder-, Früh- und Zwangsehen geben nach wie vor Anlass zur Besorgnis, ebenso wie die willkürliche Strafminderung bei Gewalt gegen Frauen in Gerichtsverfahren, die möglicherweise Ausdruck sexistischer Vorurteile und Schuldzuweisungen an die Opfer sind. Insgesamt mangelt es an politischem Engagement, sich mit Fragen der Geschlechtergleichstellung zu befassen, und es herrscht eine wachsende Abneigung, den Begriff „Geschlechtergleichstellung" in offiziellen Dokumenten zu verwenden. Unabhängige Frauenrechtsorganisationen werden weitgehend vom Prozess der Ausarbeitung von Gesetzen und der Entwicklung von Politiken und Vorschriften zu Frauenfragen ausgeschlossen, während regierungsnahe, konservativere Organisationen konsultiert werden (EC 6.10.2020, S. 39).
Während ihrer langjährigen Regierungsherrschaft hat die konservative AK-Partei bzw. die Regierung der AKP eine starke Agenda der Familienwerte vorangetrieben: Frauen sollten heiraten und drei Kinder bekommen, so Präsident Erdogan (NYRB 20.2.2019), weil sie ansonsten „unvollständig" seien. Das Frau-Sein wird mit der Mutterschaft gleichgesetzt. Laut Erdogan können Frauen und Männer nicht gleichbehandelt werden, da dies gegen die Natur sei. Kurz nachdem Präsident Erdogan im Jahr 2012 Abtreibung mit Mord gleichgesetzt hatte, sank die Zahl der staatlichen Krankenhäuser, die Abtreibungsdienste anbieten, dramatisch ab, sodass einige Frauen wie auch Mediziner im Zweifel sind, ob die Abtreibung, die 1983 legalisiert wurde, immer noch legal ist oder nicht (MEI 18.12.2019).
Das Gesetz Nr. 6284 aus dem Jahr 2012 verpflichtet sowohl die Polizei als auch die lokalen Behörden, Opfer von Gewalt oder Personen, die von Gewalt bedroht sind, Schutz und Unterstützung zu gewähren. Das Gesetz schreibt die Einrichtung von Zentren zur Gewaltprävention und Gewaltüberwachung vor, die wirtschaftliche, psychologische, rechtliche und soziale Hilfe anbieten (USDOS 12.4.2022, S. 68). Opfer häuslicher Gewalt können bei der Polizei oder beim Staatsanwalt am Gericht eine vorbeugende Verwarnung beantragen, die eine Reihe von Maßnahmen umfassen kann, die darauf abzielen, Täter häuslicher Gewalt zu zwingen, alle Formen der Belästigung und des Missbrauchs einzustellen, einschließlich des Verbots, sich dem Opfer zu nähern und es zu kontaktieren. Die Opfer haben auch das Recht, Schutzanordnungen zu beantragen, um verschiedene Formen des physischen Schutzes zu erwirken, einschließlich des sofortigen Zugangs zu einem Frauenhaus oder einer kurzfristigen Unterkunft, wenn kein Frauenhaus in unmittelbarer Nähe zur Verfügung steht. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, auf Verlangen Polizeischutz in Anspruch zu nehmen, und in einigen Fällen können Frauen ihre Identität und ihren Aufenthaltsort anonymisieren lassen. Die Gerichte stellen eine einstweilige Verfügung für eine bestimmte Dauer von bis zu sechs Monaten aus. Das Opfer kann deren Verlängerung beantragen. Täter können mit kurzen Haftstrafen (zorlama hapsi) belegt oder zum Tragen einer elektronischen Fußfessel verpflichtet werden, wenn sie gegen die Bedingungen der vorbeugenden Abmahnung verstoßen (HRRW 5.2022, S. 2).
Mit dem vierten Justizreformpaket vom Juli 2021 wurden die Verbrechen der vorsätzlichen Tötung, vorsätzlichen Körperverletzung, Verfolgung und Freiheitsentziehung einer ehemaligen Ehepartnerin/eines ehemaligen Ehepartners in die Liste der sog. „qualifizierten Verbrechen" aufgenommen, was bisher nur während aufrechter Ehe galt. Die Strafen wurden angehoben. Experten begrüßen, dass der Anwendungsbereich auf frühere Ehepartner erstreckt wurde, sehen die Änderung jedoch als nicht weitreichend genug an und kritisieren die Beschränkung auf das formale Kriterium einer (früheren) Ehe unter Nichtbeachtung anderer partnerschaftlicher Verbindungen (ÖB 30.11.2021, S. 35). So kritisierte Reem Alsalem, UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen und Mädchen, ihre Ursachen und Folgen, dass die Änderung der Strafprozessordnung jedoch vorsieht, dass neben einem „dringenden strafrechtlichen Verdacht" auch „konkrete Beweise" für die Verhängung einer Untersuchungshaft während des Prozesses bei Straftaten, einschließlich sexueller Übergriffe und Missbrauch, verlangt werden. Laut Alsalem zugetragenen Informationen würden Männer, die Gewalt gegen Frauen ausüben, sich weiterhin erfolgreich auf „Gewohnheit" als mildernden Umstand berufen, um ihre Strafe gemäß Artikel 29 des Strafgesetzbuches zu verringern, was gegen internationale Menschenrechtsvorschriften verstößt (OHCHR 27.7.2022, S. 6).
Anlass zur Sorge gäbe außerdem der eingeschränkte Umfang der Prozesskostenhilfe, der dazu führt, dass Frauen, die den Mindestlohn verdienen, keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, das umständliche Verfahren zum Nachweis der Anspruchsberechtigung und die Sprachbarrieren, mit denen sich rechtsuchende Frauen konfrontiert sehen, insbesondere Frauen, die ethnischen Minderheiten angehören, einschließlich türkisch-kurdischer Frauen, und Frauen, die Flüchtlinge oder Migranten sind oder unter vorübergehendem Schutz stehen. Auch geschlechtsspezifische Stereotypen und der Mangel an Richterinnen sind Alsalem zufolge problematisch (OHCHR 27.7.2022, S. 6). Am 27.5.2022 wurde das Gesetz Nr. 7406, welches u. a. Änderungen des türkischen Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung (StPO) vornimmt, im Amtsblatt veröffentlicht. Dieses Änderungsgesetz macht die vorsätzliche Tötung einer Person zu einem erschwerenden Delikt, wenn das Opfer eine Frau ist. Zuvor galt unter anderem die Tötung einer „Frau, von der man weiß, dass sie schwanger ist", als erschwerender Umstand. Durch die Gesetzesänderung wird die vorsätzliche Tötung einer Frau nun mit einer verschärften lebenslangen Freiheitsstrafe geahndet. Das Änderungsgesetz führt auch erhöhte Mindeststrafen für die Straftatbestände der vorsätzlichen Körperverletzung (Art. 86 StGB), der Peinigung (vorsätzliche Zufügung von Schmerzen und Leiden an einer Person, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist, Art. 96), Folter (folterähnliche Handlungen von Amtsträgern und ihren Gehilfen, Art. 94) und die Drohung, das Leben oder die körperliche oder sexuelle Unversehrtheit zu verletzen (Art. 106), wenn das Opfer eine Frau ist. Mit den Änderungen wird auch ein neuer Straftatbestand eingeführt, der die Verursachung einer schwerwiegenden Beunruhigung [disquiet] oder der Angst einer Person hinsichtlich ihrer eigenen Sicherheit oder die ihrer Angehörigen durch die beharrliche körperliche Verfolgung der Person oder den beharrlichen Versuch, mit der Person über Kommunikationsmedien, informationstechnische Systeme oder eine dritte Person Kontakt aufzunehmen unter Strafe stellt. Die Verfolgung der Straftat setzt die Anzeige des Opfers voraus, wobei die Straftat mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zwei Jahren geahndet wird. Die Strafe wird auf ein bis drei Jahre Gefängnis erhöht, wenn es u. a. ein geschiedener oder getrenntlebender Ehepartner ist. Schließlich wurden Änderungen an Artikel 62 der StPO vorgenommen, indem die Gründe für eine Strafmilderung nach Ermessen des Gerichts festgelegt sind. Die Änderungen stellen klar, dass „das Verhalten des Täters nach der Begehung der Straftat und während des Prozesses" Reue zeigen muss, damit es als Grund für eine Strafmilderung gilt. Die Gründe sind nun dezidiert aufgelistet, etwa der Hintergrund des Straftäters, seine sozialen Beziehungen und das reumütige Verhalten des Straftäters nach der Begehung der Straftat. Neu wird eine Ausnahme hinzugefügt, die besagt, dass vorgeschobene Handlungen eines Straftäters, die darauf abzielen, das Gericht zu beeinflussen, nicht als Grund für eine Strafmilderung angesehen werden können. Eine Reihe von Frauengruppen und Juristen haben die neuen Änderungen kritisiert, weil sie sich auf die Verschärfung der Strafen konzentrieren und nicht auf Maßnahmen zur Prävention und effizienten Untersuchung und Verfolgung von Gewaltdelikten gegen Frauen sowie auf die Unterstützung der Opfer. Die Kriminalisierung von Stalking scheint von diesen positiver aufgenommen worden zu sein, obwohl sie kritisierten, dass die Verfolgung der Straftat von der Anzeige des Opfers abhängig gemacht wird (LoC 20.6.2022). Zwar erlassen Polizei und Gerichte Präventiv- und Schutzanordnungen, deren Nichtbeachtung jedoch hinterlässt gefährliche Schutzlücken für Frauen. Die Gerichte stellen häufig Verwarnungen für viel zu kurze Zeiträume aus, und die Behörden versäumen es, wirksame Risikobewertungen vorzunehmen oder die Wirksamkeit der Anordnungen zu überwachen, sodass Überlebende häuslicher Gewalt der Gefahr fortgesetzter - und manchmal tödlicher - Gewalt ausgesetzt sind. Einige Täter verstoßen straflos gegen die Bedingungen der präventiven Verwarnungsanordnungen. Bei denjenigen, die strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden, kommt dies oft zu spät und die Strafen sind zu gering, um eine wirksame Abschreckung zu bewirken. In den schwerwiegendsten Fällen wurden Frauen ermordet, obwohl den Behörden die Gefahr, der sie ausgesetzt waren, bekannt war und den Tätern förmliche Vorbeugeanordnungen zugestellt worden waren (HRW 5.2022, S. 3). Laut Innenminister Süleyman Soylu wurde seit ihrer Einführung vor vier Jahren die staatliche mobile Anwendung KADES, die Frauen eine Hotline zur Meldung häuslicher Gewalt bietet, von 3,5 Millionen Frauen heruntergeladen. Seit 2018 haben mehr als 355.000 Frauen über diese App Fälle von Gewalt gemeldet (Duvar 28.7.2022).Anlass zur Sorge gäbe außerdem der eingeschränkte Umfang der Prozesskostenhilfe, der dazu führt, dass Frauen, die den Mindestlohn verdienen, keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, das umständliche Verfahren zum Nachweis der Anspruchsberechtigung und die Sprachbarrieren, mit denen sich rechtsuchende Frauen konfrontiert sehen, insbesondere Frauen, die ethnischen Minderheiten angehören, einschließlich türkisch-kurdischer Frauen, und Frauen, die Flüchtlinge oder Migranten sind oder unter vorübergehendem Schutz stehen. Auch geschlechtsspezifische Stereotypen und der Mangel an Richterinnen sind Alsalem zufolge problematisch (OHCHR 27.7.2022, S. 6). Am 27.5.2022 wurde das Gesetz Nr. 7406, welches u. a. Änderungen des türkischen Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung (StPO) vornimmt, im Amtsblatt veröffentlicht. Dieses Änderungsgesetz macht die vorsätzliche Tötung einer Person zu einem erschwerenden Delikt, wenn das Opfer eine Frau ist. Zuvor galt unter anderem die Tötung einer „Frau, von der man weiß, dass sie schwanger ist", als erschwerender Umstand. Durch die Gesetzesänderung wird die vorsätzliche Tötung einer Frau nun mit einer verschärften lebenslangen Freiheitsstrafe geahndet. Das Änderungsgesetz führt auch erhöhte Mindeststrafen für die Straftatbestände der vorsätzlichen Körperverletzung (Artikel 86, StGB), der Peinigung (vorsätzliche Zufügung von Schmerzen und Leiden an einer Person, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist, Artikel 96,), Folter (folterähnliche Handlungen von Amtsträgern und ihren Gehilfen, Artikel 94,) und die Drohung, das Leben oder die körperliche oder sexuelle Unversehrtheit zu verletzen (Artikel 106,), wenn das Opfer eine Frau ist. Mit den Änderungen wird auch ein neuer Straftatbestand eingeführt, der die Verursachung einer schwerwiegenden Beunruhigung [disquiet] oder der Angst einer Person hinsichtlich ihrer eigenen Sicherheit oder die ihrer Angehörigen durch die beharrliche körperliche Verfolgung der Person oder den beharrlichen Versuch, mit der Person über Kommunikationsmedien, informationstechnische Systeme oder eine dritte Person Kontakt aufzunehmen unter Strafe stellt. Die Verfolgung der Straftat setzt die Anzeige des Opfers voraus, wobei die Straftat mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zwei Jahren geahndet wird. Die Strafe wird auf ein bis drei Jahre Gefängnis erhöht, wenn es u. a. ein geschiedener oder getrenntlebender Ehepartner ist. Schließlich wurden Änderungen an Artikel 62 der StPO vorgenommen, indem die Gründe für eine Strafmilderung nach Ermessen des Gerichts festgelegt sind. Die Änderungen stellen klar, dass „das Verhalten des Täters nach der Begehung der Straftat und während des Prozesses" Reue zeigen muss, damit es als Grund für eine Strafmilderung gilt. Die Gründe sind nun dezidiert aufgelistet, etwa der Hintergrund des Straftäters, seine sozialen Beziehungen und das reumütige Verhalten des Straftäters nach der Begehung der Straftat. Neu wird eine Ausnahme hinzugefügt, die besagt, dass vorgeschobene Handlungen eines Straftäters, die darauf abzielen, das Gericht zu beeinflussen, nicht als Grund für eine Strafmilderung angesehen werden können. Eine Reihe von Frauengruppen und Juristen haben die neuen Änderungen kritisiert, weil sie sich auf die Verschärfung der Strafen konzentrieren und nicht auf Maßnahmen zur Prävention und effizienten Untersuchung und Verfolgung von Gewaltdelikten gegen Frauen sowie auf die Unterstützung der Opfer. Die Kriminalisierung von Stalking scheint von diesen positiver aufgenommen worden zu sein, obwohl sie kritisierten, dass die Verfolgung der Straftat von der Anzeige des Opfers abhängig gemacht wird (LoC 20.6.2022). Zwar erlassen Polizei und Gerichte Präventiv- und Schutzanordnungen, deren Nichtbeachtung jedoch hinterlässt gefährliche Schutzlücken für Frauen. Die Gerichte stellen häufig Verwarnungen für viel zu kurze Zeiträume aus, und die Behörden versäumen es, wirksame Risikobewertungen vorzunehmen oder die Wirksamkeit der Anordnungen zu überwachen, sodass Überlebende häuslicher Gewalt der Gefahr fortgesetzter - und manchmal tödlicher - Gewalt ausgesetzt sind. Einige Täter verstoßen straflos gegen die Bedingungen der präventiven Verwarnungsanordnungen. Bei denjenigen, die strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden, kommt dies oft zu spät und die Strafen sind zu gering, um eine wirksame Abschreckung zu bewirken. In den schwerwiegendsten Fällen wurden Frauen ermordet, obwohl den Behörden die Gefahr, der sie ausgesetzt waren, bekannt war und den Tätern förmliche Vorbeugeanordnungen zugestellt worden waren (HRW 5.2022, S. 3). Laut Innenminister Süleyman Soylu wurde seit ihrer Einführung vor vier Jahren die staatliche mobile Anwendung KADES, die Frauen eine Hotline zur Meldung häuslicher Gewalt bietet, von 3,5 Millionen Frauen heruntergeladen. Seit 2018 haben mehr als 355.000 Frauen über diese App Fälle von Gewalt gemeldet (Duvar 28.7.2022).
Es kommt immer noch zu sogenannten Ehrenmorden an Frauen oder Mädchen, die eines sog. „schamlosen Verhaltens" aufgrund einer (sexuellen) Beziehung vor der Eheschließung bzw. eines „Verbrechens in der Ehe" verdächtigt werden. Dies kann auch Vergewaltigungsopfer betreffen (AA 28.7.2022, S.14). Mädchen, die aufgrund einer Vergewaltigung ihre Jungfräulichkeit verloren haben, sind oft unmittelbar bedroht (AA 24.8.2020, S.18). Im Jahr 2020 wurden offiziell rund 300 Frauen umgebracht, wobei die Dunkelziffer viel höher liegt, denn viele Opfer werden laut Frauenorganisationen zu Selbstmörderinnen erklärt. Frauenvereine, wie Kadin Kültür Evi Dernegi, sehen darin ein strukturelles Problem im Justizsystem. Misstrauen sei angesagt, wenn Frauenmord als Suizid klassifiziert wird. Es handele sich immer häufiger um einen Deckmantel für einen Femizid [Anm.: Tötung von Frauen oder Mädchen aufgrund ihres Geschlechts] (DW 4.3.2021). Nach Angaben der Frauenplattform „Kadin Cinayetlerini Durduracagiz Platformu" (Plattform Wir werden den Femizid stoppen) wurden im Jahr 2021 280 Frauen ermordet. Von ihnen wurden 124 von ihren Ehegatten, 37 von ihrem Freund und 21 von ihren Ex-Ehemännern getötet. Nur elf der Frauen wurden nicht von einem ihnen nahestehenden Mann getötet. Auch die Zahl der zweifelhaften Todesfälle von Frauen hat während der COVID-19-Pandemie zugenommen (SCF 21.1.2022). Das regierungskritische Nachrichtenportal Bianet zählte 2021 auf der Basis von Medienberichten sogar 339 Frauenmorde, wobei 20 Frauen trotz einer Schutzanordnung getötet wurden (Bianet 14.2.2022). Die NGO Plattform „Wir werden den Femizid stoppen" zählte nebst den auch offiziellen 280 Femiziden weitere 217 verdächtige Fälle von verstorbenen Frauen. 2022 wurden im ersten Halbjahr 163 ermordet (Duvar 28.7.2022).
Die unzureichende Umsetzung der Rechtsvorschriften und die geringe Qualität der verfügbaren Unterstützungsdienste, die auch durch eine negative Rhetorik hochrangiger Beamter und einiger Teile der Gesellschaft gegen die Gleichstellung der Geschlechter verschärft wird, geben laut Europäischer Kommission weiterhin Anlass zu ernster Sorge. Dies gilt auch für die mangelnde Abschreckung von Straftätern, die Verbrechen gegen Frauen begehen, durch Justiz und Verwaltung. Eine parlamentarische Kommission wurde eingesetzt, um die Ursachen der Gewalt gegen Frauen zu untersuchen und die zu ergreifenden Maßnahmen festzulegen. In Gerichtsfällen von Gewalt gegen Frauen wurde weiterhin eine Strafmilderung angewandt (EC 19.10.2021, 38). Die unzureichende Datenerhebung verhindert, dass die Behörden und die Öffentlichkeit einen soliden Überblick über das Ausmaß der häuslichen Gewalt in der Türkei oder die Lücken in der Umsetzung des Schutzes, was zu den anhaltenden Risiken für die Opfer beiträgt (HRW 5.2022, S. 4; vgl. EC 19.10.2021, 38). Die Hilfsangebote für Frauen, die Gewalt überlebt haben, sind nach wie vor sehr begrenzt, und die Zahl der Zentren, die solche Dienste anbieten, ist weiterhin unzureichend (EC 6.10.2020, S. 38; vgl. ÖB 30.11.2021, S. 36, USDOS 12.4.2022, S. 68). Das dortige Personal, insbesondere im Südosten des Landes, kann keine angemessene Betreuung und Dienste anbieten. Die Kapazitäten wurden infolge der COVID-19-Pandemie eingeschränkt. Laut einigen NGOs ist der Mangel an Dienstleistungen für ältere Frauen, LGBTI-Frauen sowie für Frauen mit älteren Kindern noch akuter. Die Regierung unterhielt eine landesweite Hotline für häusliche Gewalt und eine Webanwendung namens Women EmergencyAssistance Notification System (KADES) (USDOS 12.4.2022, S. 68). 2021 existierten im ganzen Land lediglich 149 Frauenhäuser mit einer Kapazität von 3.624 Plätzen für weibliche Opfer von Gewalt und deren Kinder (ÖB 30.11.2021, S. 36). Den Angaben der Menschenrechtsvereinigung iHD zufolge sind es 145 Frauenhäuser, von denen 110 vom Ministerium für Familie und Soziales und je eines von der Migrationsverwaltung und der Mor Qati Women’s Shelter Foundation betrieben werden. Jungen, älter als zwölf, und Frauen, älter als 60, können jedoch nicht in diesen Unterkünften untergebracht werden, mit Ausnahme der Schutzeinrichtung von Mor Qati. Auch die Zahl der Unterkünfte, die Asylwerber, Flüchtlinge und Migrantinnen aufnehmen, ist recht begrenzt. Laut iHD sind die Bürgermeisterämter auch 2021 nicht ihren Verpflichtungen zur Einrichtung und Unterhaltung von Frauenhäusern nachgekommen. Obwohl 237 Bürgermeisterämter verpflichtet sind, Frauenhäuser einzurichten, verfügen nur 33 Gemeinden über solche Einrichtungen (iHD 2.8.2022, S. 2). Schutzeinrichtungen für Frauen und Mädchen fehlen insbesondere in ländlichen und entlegenen Regionen. Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen sowie Frauen und Mädchen mit Behinderungen stoßen beim Zugang zu Unterkünften auf erhebliche Hindernisse (OHCHR 27.7.2022, S. 7). Allgemein werden Maßnahmen in diesem Bereich im Zusammenwirken mit dem Innenministerium, dem Gesundheitsministerium, dem Justizministerium, dem Verteidigungsministerium sowie dem Amt für Religiöse Angelegenheiten Diyanet) gesetzt. 71.000 Polizeibeamte, 65.000 Beschäftigte des Gesundheitsbereichs sowie 47.566 Religionsvertreter wurden entsprechend geschult (ÖB 30.11.2021, S. 36). Es fehlt jedoch bislang an ausreichender Koordination zwischen einzelnen Institutionen sowie Sensibilisierung von Exekutivbeamten, wie mit Fällen von Gewalt umzugehen ist (ÖB 30.11.2021, S. 36; vgl. EC 6.10.2020, S.38). NGOs beklagen, dass religiöse Würdenträger, denen offenbar leichterer Zugang zu Frauenhäusern gewährt wird als Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen, Frauen oftmals zu einer Rückkehr in die Familie überreden. Hingewiesen wurde auch auf den fehlenden Zugang zu Frauenhäusern für Frauen mit körperlichen Einschränkungen (ÖB 30.11.2021, S. 36).Die unzureichende Umsetzung der Rechtsvorschriften und die geringe Qualität der verfügbaren Unterstützungsdienste, die auch durch eine negative Rhetorik hochrangiger Beamter und einiger Teile der Gesellschaft gegen die Gleichstellung der Geschlechter verschärft wird, geben laut Europäischer Kommission weiterhin Anlass zu ernster Sorge. Dies gilt auch für die mangelnde Abschreckung von Straftätern, die Verbrechen gegen Frauen begehen, durch Justiz und Verwaltung. Eine parlamentarische Kommission wurde eingesetzt, um die Ursachen der Gewalt gegen Frauen zu untersuchen und die zu ergreifenden Maßnahmen festzulegen. In Gerichtsfällen von Gewalt gegen Frauen wurde weiterhin eine Strafmilderung angewandt (EC 19.10.2021, 38). Die unzureichende Datenerhebung verhindert, dass die Behörden und die Öffentlichkeit einen soliden Überblick über das Ausmaß der häuslichen Gewalt in der Türkei oder die Lücken in der Umsetzung des Schutzes, was zu den anhaltenden Risiken für die Opfer beiträgt (HRW 5.2022, S. 4; vergleiche EC 19.10.2021, 38). Die Hilfsangebote für Frauen, die Gewalt überlebt haben, sind nach wie vor sehr begrenzt, und die Zahl der Zentren, die solche Dienste anbieten, ist weiterhin unzureichend (EC 6.10.2020, S. 38; vergleiche ÖB 30.11.2021, S. 36, USDOS 12.4.2022, S. 68). Das dortige Personal, insbesondere im Südosten des Landes, kann keine angemessene Betreuung und Dienste anbieten. Die Kapazitäten wurden infolge der COVID-19-Pandemie eingeschränkt. Laut einigen NGOs ist der Mangel an Dienstleistungen für ältere Frauen, LGBTI-Frauen sowie für Frauen mit älteren Kindern noch akuter. Die Regierung unterhielt eine landesweite Hotline für häusliche Gewalt und eine Webanwendung namens Women EmergencyAssistance Notification System (KADES) (USDOS 12.4.2022, S. 68). 2021 existierten im ganzen Land lediglich 149 Frauenhäuser mit einer Kapazität von 3.624 Plätzen für weibliche Opfer von Gewalt und deren Kinder (ÖB 30.11.2021, S. 36). Den Angaben der Menschenrechtsvereinigung iHD zufolge sind es 145 Frauenhäuser, von denen 110 vom Ministerium für Familie und Soziales und je eines von der Migrationsverwaltung und der Mor Qati Women’s Shelter Foundation betrieben werden. Jungen, älter als zwölf, und Frauen, älter als 60, können jedoch nicht in diesen Unterkünften untergebracht werden, mit Ausnahme der Schutzeinrichtung von Mor Qati. Auch die Zahl der Unterkünfte, die Asylwerber, Flüchtlinge und Migrantinnen aufnehmen, ist recht begrenzt. Laut iHD sind die Bürgermeisterämter auch 2021 nicht ihren Verpflichtungen zur Einrichtung und Unterhaltung von Frauenhäusern nachgekommen. Obwohl 237 Bürgermeisterämter verpflichtet sind, Frauenhäuser einzurichten, verfügen nur 33 Gemeinden über solche Einrichtungen (iHD 2.8.2022, S. 2). Schutzeinrichtungen für Frauen und Mädchen fehlen insbesondere in ländlichen und entlegenen Regionen. Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen sowie Frauen und Mädchen mit Behinderungen stoßen beim Zugang zu Unterkünften auf erhebliche Hindernisse (OHCHR 27.7.2022, S. 7). Allgemein werden Maßnahmen in diesem Bereich im Zusammenwirken mit dem Innenministerium, dem Gesundheitsministerium, dem Justizministerium, dem Verteidigungsministerium sowie dem Amt für Religiöse Angelegenheiten Diyanet) gesetzt. 71.000 Polizeibeamte, 65.000 Beschäftigte des Gesundheitsbereichs sowie 47.566 Religionsvertreter wurden entsprechend geschult (ÖB 30.11.2021, S. 36). Es fehlt jedoch bislang an ausreichender Koordination zwischen einzelnen Institutionen sowie Sensibilisierung von Exekutivbeamten, wie mit Fällen von Gewalt umzugehen ist (ÖB 30.11.2021, S. 36; vergleiche EC 6.10.2020, S.38). NGOs beklagen, dass religiöse Würdenträger, denen offenbar leichterer Zugang zu Frauenhäusern gewährt wird als Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen, Frauen oftmals zu einer Rückkehr in die Familie überreden. Hingewiesen wurde auch auf den fehlenden Zugang zu Frauenhäusern für Frauen mit körperlichen Einschränkungen (ÖB 30.11.2021, S. 36).
Laut Frauenorganisationen gibt es eine Zunahme an Scheidungen infolge der ebenfalls wachsenden häuslichen Gewalt. Umgekehrt behauptet die Regierung, dass die häusliche Gewalt zugenommen hat, weil sich Frauen scheiden lassen wollen. Wahr ist, dass die Zahl der Frauenmorde in der Türkei in den letzten zehn Jahren stetig zugenommen hat. Das Problem im türkischen Recht besteht darin, dass die Beweislast in Fällen häuslicher Gewalt auf die Opfer fällt, die, wie Frauenrechtlerinnen argumentieren, durch die Justiz wie Paria behandelt werden. Wenn ein Mann behauptet, dass seine Partnerin ihn in einer Auseinandersetzung verflucht oder „provoziert" hat, entscheidet der Richter im Zweifel für den Angeklagten. Es gibt oft auch kulturelle Barrieren aus dem familiären Umfeld. Trotz offensichtlicher Gewalt sehen sich einige der Frauen mit Missbilligung ihrer Familien konfrontiert, die der Meinung sind, dass die Frauen für die Gewalt verantwortlich sind, die sie erlebt haben (NYRB 20.2.2019). Die Gerichte urteilen oft milde über die Täter sexueller Gewalt, darunter auch über diejenigen, die wegen der Vergewaltigung minderjähriger Mädchen verurteilt wurden, und die Strafen werden oft herabgesetzt, wenn der Angeklagte während des Prozesses „gutes Benehmen" an den Tag legt (DFAT 10.9.2020, S.35). Laut einem Bericht aus den Reihen der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), jedoch unter Verwendung offizieller Daten des Justizministeriums, entschied die Justiz in den letzten acht Jahren in 73 % von fast 26.000 Fällen von Gewalt gegen Frauen, von einer Verfolgung der Täter abzusehen. Die Staatsanwälte ließen zwischen 2012 und 2020 18.551 Verdächtige häuslicher Gewalt frei, was einer Straffreiheit für sieben von zehn Gewalttätern gleichkommt, wobei es 2012 noch in über der Hälfte der Fälle zu einer Strafverfolgung kam, währenddessen 2019 in 82% der Fälle von einer solchen abgesehen wurde (TM 25.11.2020). In Teilen der Bevölkerung findet allerdings eine wachsende Sensibilisierung zum Thema Gewalt an Frauen statt. Medien begannen Mitte der 2000er Jahre über Vorfälle zu berichten und stärkten so das gesellschaftliche Bewusstsein für das bis dahin als Familienangelegenheit gehandhabte Thema. Projekte von NGOs zielen ebenso auf eine weitere Bewusstseinsbildung für das Problem ab (ÖB 10.2020, S. 30f).
Am 29.9.2021 entschied der Verfassungsgerichtshof, dass mehrere Beamte, die vor dem Mord an einer Frau keine angemessenen Präventions- und Schutzmaßnahmen ergriffen hatten, um die Tat zu verhindern, strafrechtlich verfolgt werden sollen. S. Erfindik war 2013, einen Tag nachdem eine einstweilige Verfügung gegen ihren geschiedenen Ehemann ausgelaufen war, ermordet worden. Vor der Tat hatte sie nach Morddrohungen mehrfach eine Verlängerung der einstweiligen Verfügung sowie Schutzmaßnahmen beantragt, die jedoch von den Behörden abgelehnt wurden. Der Verfassungsgerichtshof urteilte, dass der Mord auf Fahrlässigkeit der Amtsträger und deren Versäumnis, geeignete Maßnahmen durchzuführen, zurückzuführen sei (BAMF 4.10.2021, S. 13f).
Am 16. und 17.3.2022 wurden in der mehrheitlich kurdischen Provinz Diyarbakir bei Einsätzen der Polizei 25 Aktivistinnen festgenommen, die an Demonstrationen am Weltfrauentag 2022 sowie weiteren Demonstrationen zu Frauenrechten in der Türkei beteiligt waren. Unter den festgenommenen Frauen befanden sich Vertreterinnen mehrerer Frauenrechtsorganisiationen, Arbeitergewerkschaften sowie HDP-Politikerinnen (BAMF 21.3.2022, S. 11). In Istanbul errichtete die Bereitschaftspolizei Barrikaden und setzte Pfeffergas ein, um Demonstrantinnen daran zu hindern, sich im Zentrum der Stadt an einer Demonstration zum Internationalen Frauentag (8. März) zu beteiligen. Mindestens 38 Frauen festgenommen (AP 8.3.2022).
Am 5.4.2021 wurden während einer Razzia in der Provinz Diyarbakir im Frauenrechtsverein Rosa, der sich für Opfer von Gewalt einsetzt, 22 Frauen verhaftet, denen von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wird, Mitglieder für die PKK zu rekrutieren und politische Propaganda für diese zu verbreiten (BAMF 12.4.2021, S. 16; vgl. SCF 9.4.2021). Erklärungen des Innenministeriums, die Frauenorganisationen und Feministinnen wegen angeblicher terroristischer Verbindungen ins Visier nahmen, bedrohen die Existenz von Frauenverbänden. Unabhängige Frauenrechtsorganisationen werden weiterhin weitgehend vom Prozess der Ausarbeitung einschlägiger Gesetze und der Entwicklung politischer Strategien und Vorschriften zu Frauenfragen ausgeschlossen (EC 19.10.2021, S. 38).Am 5.4.2021 wurden während einer Razzia in der Provinz Diyarbakir im Frauenrechtsverein Rosa, der sich für Opfer von Gewalt einsetzt, 22 Frauen verhaftet, denen von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wird, Mitglieder für die PKK zu rekrutieren und politische Propaganda für diese zu verbreiten (BAMF 12.4.2021, S. 16; vergleiche SCF 9.4.2021). Erklärungen des Innenministeriums, die Frauenorganisationen und Feministinnen wegen angeblicher terroristischer Verbindungen ins Visier nahmen, bedrohen die Existenz von Frauenverbänden. Unabhängige Frauenrechtsorganisationen werden weiterhin weitgehend vom Prozess der Ausarbeitung einschlägiger Gesetze und der Entwicklung politischer Strategien und Vorschriften zu Frauenfragen ausgeschlossen (EC 19.10.2021, S. 38).
Auch die Gewalt gegen Journalistinnen hat in der Türkei zugenommen. Nach Angaben der Koalition für Frauen im Journalismus (CFWIJ) wurden allein in der ersten Hälfte des Jahres 2021 44 Journalistinnen Opfer von Polizeigewalt und 13 verhaftet, während sie über Ereignisse vor Ort berichteten. Nach Angaben der CFWIJ hat die Gewalt gegen Journalistinnen im Jahr 2021 im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2020 um fast 160 % zugenommen (SCF 21.1.2022).
Frauen haben überdurchschnittliche Schwierigkeiten beim Zugang zu höherer Bildung und zum Arbeitsmarkt. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote der Frauen (15,1 %) blieb auch 2020 nachhaltig höher als jene der Männer (12,6 %). Nicht einmal ein Drittel der Frauen (32 %) ist in Beschäftigung im Vergleich zu mehr als 70 % der Männer (EC 19.10.2021; S. 53, 92).
Mit einem Wert von 0,638 (1 = bester Wert) liegt die Türkei auf Platz 133 von 156 untersuchten Ländern im Global Gender Gap Index 2021. In den Sub-Indices lag die Türkei bei der „Wirtschaftlichen Teilhabe und Chancen" nur auf Platz 140. Währenddessen sahen die Platzierungen beim „Bildungsstand" (Rang 101), bei der „Politischen Ermächtigung" (Platz 114) und bei der „Gesundheit" (Position 105) besser aus (WEF 3.2021).
zu allgemeinen Situation der kurdischen Frauen siehe Kapitel: Kurden
zur Lage von inhaftierten Frauen siehe Kapitel: Haftbedingungen
Quellen:
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•AA-Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/DeutschlandAusw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2020%29%2C_24.08.2020.pdf, Zugriff 23.2.2022
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•AP - Associated Press (8.3.2022): Riot police fire gas, block Women’s Day march in Istanbul, https://apnews.com/article/europe-middle-east-riots-turkey-istanbul-8af995fc02037147a1d1c59 ac8a2e9bc , Zugriff 23.3.2022
•AP - Associated Press (20.3.2021): Turkey withdraws from European treaty protecting women, https://apnews.com/article/world-news-turkey-europe-istanbul-violence-f096c185314cde20dce25 04a70ee6889 , Zugriff 22.3.2021
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•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.4.2021): Briefing Notes, KW
15, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw15-2021.pdf?blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 23.2.2022
•Bianet (14.2.2022): Men kill at least 339 women in 2021, https://iri.bianet.org/english/woiTien/257 657-men-kill-at-least-339-women-in-2021, Zugriff 1.3.2022
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•DW - Deutsche Welle (4.3.2021): Frauenmorde in der Türkei: Verschleiert als Suizid, https://ww w.dw.com/de/frauenmorde-in-der-t%C3%BCrkei-verschleiert-als-suizid/a-56746094 , Zugriff 23.2.2021
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Kinder und Minderjährige
Letzte Änderung: 22.09.2022
Kinder und Minderjährige
Die Türkei ist Vertragsstaat der folgenden internationalen Menschenrechtsinstrumente in Bezug auf die Rechte des Kindes: das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (CRC) und seine Fakultativprotokolle über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie (DFAT 10.9.2020, S. 16).
Bei den Kinderrechten gibt es insgesamt nur begrenzte Fortschritte. Im Oktober 2020 wurde im Justizministerium eine eigene Abteilung eingerichtet, die sich für die Rechte und Dienstleistungen für gefährdete Gruppen im Justizsystem einsetzen soll. Probleme im Jugendstrafsystem bestehen weiterhin. Nach wie vor werden Jugendliche wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet und inhaftiert, oft über lange Zeiträume und nicht immer in speziellen Einrichtungen für Kinder. Die Qualität des Rechtsbeistands für Jugendliche und der Rehabilitationsmaßnahmen gibt laut Europäischer Kommission weiterhin Anlass zur Sorge. Trotz der Maßnahmen, die zur Verbesserung der Bedingungen in den Haftanstalten ergriffen wurden, wurde weiterhin über Misshandlungen berichtet. Der Entwurf einer nationalen Strategie und eines Aktionsplans zur Verhinderung von Früh- und Zwangsverheiratung muss noch angenommen werden. Mechanismen und Dienste zum Schutz von Kindern sind nach wie vor begrenzt. Flüchtlingskinder und ihre Familien waren einem erhöhten Risiko ausgesetzt und hatten besondere Probleme beim Zugang zum nationalen Kinderschutzsystem (EC 19.10.2021, S. 39).
Kinderarbeit
Die Regierung erklärte 2018 zum Jahr der Abschaffung von Kinderarbeit. Darüber hinaus wurden 355 Arbeitsinspektoren, 81 Provinzdirektoren und 320 Lehrer zum Thema Kinderarbeit geschult. Dennoch sind Kinder in der Türkei den schlimmsten Formen von Kinderarbeit ausgesetzt, einschließlich kommerzieller sexuellerAusbeutung und Rekrutierung durch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen. Auch in der saisonalen Landwirtschaft und in kleinen und mittleren Produktionsbetrieben verrichten Kinder gefährliche Arbeiten. Die uneinheitliche Durchsetzung der Gesetze führt zu einem unzureichenden Schutz von Kindern, die Kinderarbeit verrichten. Darüber hinaus entspricht das Verbot der Zwangsrekrutierung von Kindern durch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen nicht den internationalen Standards (USDOL 29.9.2021).
Die Türkei hat die Umsetzung des nationalen Programms zur Beseitigung der Kinderarbeit fortgesetzt, die nach wie vor ein ernstes Problem darstellt. Es liegen keine offiziellen Daten über die Beteiligung von Flüchtlingskindern an Kinderarbeit vor (EC 19.10.2021, S. 92). Bis zu zwei Millionen leisten in der Türkei Kinderarbeit. Gesetzlich zwar verboten, zwingt aber die Not Familien oft dazu, ihre Kinder zum Geldverdienen anstatt in die Schule zu schicken, z. B. während der Baumwollernte (ARD 25.10.2020, Min 1). Obwohl die Kinderarbeit in der Türkei erheblich zurückgegangen ist, stellt sie in der saisonalen landwirtschaftlichen Produktion immer noch ein Problem dar. In der Agrarwirtschaft, mit Ausnahme von Familienbetrieben, wird mobile und saisonale Landarbeit im Nationalen Programm zur Beseitigung von Kinderarbeit (20172023) als eine der schlimmsten Formen der Kinderarbeit eingestuft, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen, damit verbundenen Risiken. Kinder, die in der landwirtschaftlichen Saisonarbeit beschäftigt sind, stellen eine der am meisten benachteiligten Gruppen dar, was die Arbeitsund Lebensbedingungen in Verbindung mit Umwelt-, Bildungs- und Gesundheitsproblemen betrifft (ILO 5.3.2021, S. 3). Offiziellen Zahlen zufolge sind 720.000 Kinder gezwungen, zum Haushaltseinkommen ihrer Familien beizutragen. Rund 31 % dieser Kinder arbeiten in der Landwirtschaft, fast 24 % in der Industrie und 45,5 % im Dienstleistungssektor. 20 % der Kinder sind Saisonarbeiter (Duvar 7.6.2021; vgl. ILO 5.3.2021, S. 2). Der Anteil der arbeitenden Kinder in derAltersgruppe 5-17 Jahre wird von der türkischen Statistikbehörde auf 4,4 % geschätzt. 79,7 % der erwerbstätigen Kinder sind in derAltersgruppe 15-17 Jahre, 15,9 % in derAltersgruppe 12-14 Jahre und 4,4 % in derAltersgruppe 5-11 Jahre. Eine Untersuchung nach Geschlecht zeigt, dass 70,6 % der arbeitenden Kinder männlich und 29,4 % weiblich sind (ILO 5.3.2021, S. 2). 2020 starben 22 Minderjährige unter 14 Jahren und 46 im Alter von 15 bis 17 Jahren bei Arbeitsunfällen (Duvar 11.6.2021).Die Türkei hat die Umsetzung des nationalen Programms zur Beseitigung der Kinderarbeit fortgesetzt, die nach wie vor ein ernstes Problem darstellt. Es liegen keine offiziellen Daten über die Beteiligung von Flüchtlingskindern an Kinderarbeit vor (EC 19.10.2021, S. 92). Bis zu zwei Millionen leisten in der Türkei Kinderarbeit. Gesetzlich zwar verboten, zwingt aber die Not Familien oft dazu, ihre Kinder zum Geldverdienen anstatt in die Schule zu schicken, z. B. während der Baumwollernte (ARD 25.10.2020, Min 1). Obwohl die Kinderarbeit in der Türkei erheblich zurückgegangen ist, stellt sie in der saisonalen landwirtschaftlichen Produktion immer noch ein Problem dar. In der Agrarwirtschaft, mit Ausnahme von Familienbetrieben, wird mobile und saisonale Landarbeit im Nationalen Programm zur Beseitigung von Kinderarbeit (20172023) als eine der schlimmsten Formen der Kinderarbeit eingestuft, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen, damit verbundenen Risiken. Kinder, die in der landwirtschaftlichen Saisonarbeit beschäftigt sind, stellen eine der am meisten benachteiligten Gruppen dar, was die Arbeitsund Lebensbedingungen in Verbindung mit Umwelt-, Bildungs- und Gesundheitsproblemen betrifft (ILO 5.3.2021, S. 3). Offiziellen Zahlen zufolge sind 720.000 Kinder gezwungen, zum Haushaltseinkommen ihrer Familien beizutragen. Rund 31 % dieser Kinder arbeiten in der Landwirtschaft, fast 24 % in der Industrie und 45,5 % im Dienstleistungssektor. 20 % der Kinder sind Saisonarbeiter (Duvar 7.6.2021; vergleiche ILO 5.3.2021, S. 2). Der Anteil der arbeitenden Kinder in derAltersgruppe 5-17 Jahre wird von der türkischen Statistikbehörde auf 4,4 % geschätzt. 79,7 % der erwerbstätigen Kinder sind in derAltersgruppe 15-17 Jahre, 15,9 % in derAltersgruppe 12-14 Jahre und 4,4 % in derAltersgruppe 5-11 Jahre. Eine Untersuchung nach Geschlecht zeigt, dass 70,6 % der arbeitenden Kinder männlich und 29,4 % weiblich sind (ILO 5.3.2021, S. 2). 2020 starben 22 Minderjährige unter 14 Jahren und 46 im Alter von 15 bis 17 Jahren bei Arbeitsunfällen (Duvar 11.6.2021).
Eheschließungen von Kindern und Minderjährigen
Obwohl das Gesetz Eheschließungen von Minderjährigen unter 17 Jahren, ausgenommen bei Vorliegen einer gerichtlichen Genehmigung, verbietet, stellen die sog. „Kinderehen“ weiterhin ein großes Problem insbesondere in den ländlichen Gebieten und den südöstlichen Provinzen dar. Unter außerordentlichen Umständen (meist eine Schwangerschaft) kann ein Richter 16-Jährigen die Erlaubnis zur Verehelichung erteilen, sofern die Eltern zustimmen. Verehelichung von Kindern unter 16 Jahren ist unter keinen Umständen rechtlich erlaubt. Ehen können nur durch das Standesamt bestätigt werden. Das Parlament verabschiedete allerdings am 18.10.2017 ein Gesetz, das es auch Muftis (islamischen Rechtsgelehrten) erlaubt, Trauungen vorzunehmen. Laut Statistikamt ist der Anteil der Eheschließungen von minderjährigen Mädchen auf 3,8 % gesunken (2018). Die offenkundige Problematik dieser Zahl liegt darin, dass nur amtlich geschlossene Ehen erfasst werden. Die meisten Eheschließungen von Kindern werden aber nur vor einem Imam vollzogen (ÖB 10.2019). NGOs kritisieren, dass das Alter von minderjährigen
Mädchen durch Behörden nach oben „korrigiert“ werde, um eine zivilrechtliche Heirat zu ermöglichen. Insbesondere bei von Muftis geschlossenen Zivilehen wird von fehlender Kontrolle der Altersvorschriften berichtet und damit von der Möglichkeit, diese Vorschrift zu umgehen (AA 28.7.2022, S. 13). Die Geburtenstatistik des türkischen Statistikinstituts (TÜiK) führt an, dass 2021 insgesamt 7.190 Mädchen selbst ein Kind zur Welt brachten (Duvar 29.6.2022, vgl. BirGün 27.6.2022), davon waren 117 Kinder unter 15 Jahren und 7.073 in der Altersgruppe der 15- bis 17-Jährigen (BirGün 27.6.2022). Auch wenn die Türkei über einen soliden Rechtsrahmen zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern, einschließlich Mädchen, verfügt, werden, laut UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, ihre Ursachen und Folgen, einige der jüngsten Änderungen der türkischen Rechtsvorschriften zum sexuellen Missbrauch von Kindern im Dezember 2016 als Verstoß gegen die internationalen Verpflichtungen des Landes angesehen (OHCHR 27.7.2022, S. 4).Mädchen durch Behörden nach oben „korrigiert“ werde, um eine zivilrechtliche Heirat zu ermöglichen. Insbesondere bei von Muftis geschlossenen Zivilehen wird von fehlender Kontrolle der Altersvorschriften berichtet und damit von der Möglichkeit, diese Vorschrift zu umgehen (AA 28.7.2022, S. 13). Die Geburtenstatistik des türkischen Statistikinstituts (TÜiK) führt an, dass 2021 insgesamt 7.190 Mädchen selbst ein Kind zur Welt brachten (Duvar 29.6.2022, vergleiche BirGün 27.6.2022), davon waren 117 Kinder unter 15 Jahren und 7.073 in der Altersgruppe der 15- bis 17-Jährigen (BirGün 27.6.2022). Auch wenn die Türkei über einen soliden Rechtsrahmen zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern, einschließlich Mädchen, verfügt, werden, laut UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, ihre Ursachen und Folgen, einige der jüngsten Änderungen der türkischen Rechtsvorschriften zum sexuellen Missbrauch von Kindern im Dezember 2016 als Verstoß gegen die internationalen Verpflichtungen des Landes angesehen (OHCHR 27.7.2022, S. 4).
NGOs berichteten von Kindern im Alter von zwölf Jahren, die in inoffiziellen religiösen Zeremonien verheiratet wurden, insbesondere in armen und ländlichen Regionen und unter der syrischen Gemeinschaft. Die Zahl der syrischen Flüchtlingsfamilien, die ihre minderjährigen Töchter als „wirtschaftlichen Bewältigungsmechanismus“ an türkische Männer verheirateten, stieg im Zuge der COVID-19-Pandemie. Eine Studie der Regierung aus dem Jahr 2018 zeigte, dass 12 % der syrischen Mädchen in der Türkei vor dem Alter von 15 Jahren und 38 % vor dem Alter von 18 Jahren heirateten (USDOS 12.4.2022, S. 77f.). Siehe auch Unterkapitel „Flüchtlingskinder und minderjährige Flüchtlinge“
Sexueller Missbrauch und Ausbeutung
Das Gesetz stellt die sexuelle Ausbeutung von Kindern unter Strafe und sieht eine Mindeststrafe von acht Jahren Gefängnis vor. Die Strafe für eine Verurteilung wegen Förderung oder Beihilfe zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern beträgt bis zu zehn Jahre Gefängnis. Wenn Gewalt oder Druck im Spiel sind, kann ein Richter die Strafe verdoppeln. Laut NGOs sind besonders junge syrische weibliche Flüchtlinge gefährdet, von kriminellen Organisationen ausgebeutet und zur Sexarbeit gedrängt zu werden (USDOS 12.4.2022, S. 78).
Hinsichtlich Kindesmissbrauchs ermächtigt das Gesetz die Polizei und die lokalen Behörden, Kindern, die Opfer von Gewalt geworden oder von Gewalt bedroht sind, verschiedene Schutz- und Unterstützungsleistungen zu gewähren. Dennoch berichteten Kinderrechtsaktivisten über eine uneinheitliche Umsetzung und forderten eine Ausweitung der Unterstützung für die Opfer. Das Gesetz verpflichtet die Regierung, den Opfern Dienstleistungen, wie Unterkünfte und vorübergehende finanzielle Unterstützung, zur Verfügung zu stellen, und ermächtigt Familiengerichte, Sanktionen gegen die für die Gewalt verantwortlichen Personen zu verhängen (USDOS 12.4.2022, S. 76f.).
Aus der Strafregisterstatistik des Justizministeriums geht hervor, dass die Strafgerichte in der Türkei im Jahr 2021 über insgesamt 29.822 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch entschieden haben, was einem Anstieg von 32,55 % gegenüber dem Vorjahr entspricht bzw. die höchste
Zahl seit acht Jahren. Dementsprechend gab es Verurteilungen in 16.161 der 29.822 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch, darunter sowohl Freiheits- als auch Geldstrafen (Duvar 29.6.2022, vgl. BirGün 27.6.2022).Zahl seit acht Jahren. Dementsprechend gab es Verurteilungen in 16.161 der 29.822 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch, darunter sowohl Freiheits- als auch Geldstrafen (Duvar 29.6.2022, vergleiche BirGün 27.6.2022).
Kindersoldaten
Die USA setzten am 1.7.2021 die Türkei, und somit erstmalig ein NATO-Land, auf die Liste jener Staaten, die 2020 in den Einsatz von Kindersoldaten verwickelt waren, und zwar in die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten in Syrien und Libyen. Laut dem Trafficking in Persons Report von 2021, unterstützt die Türkei die Sultan-Murad-Division in Syrien, ein Teil der syrischen Opposition, die laut dem US-Außenministerium Kindersoldaten rekrutiert und einsetzt (USDOS 1.7.2021; vgl. BAMF 5.7.2021, S. 15, S. 15, MEE 1.7.2021).Die USA setzten am 1.7.2021 die Türkei, und somit erstmalig ein NATO-Land, auf die Liste jener Staaten, die 2020 in den Einsatz von Kindersoldaten verwickelt waren, und zwar in die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten in Syrien und Libyen. Laut dem Trafficking in Persons Report von 2021, unterstützt die Türkei die Sultan-Murad-Division in Syrien, ein Teil der syrischen Opposition, die laut dem US-Außenministerium Kindersoldaten rekrutiert und einsetzt (USDOS 1.7.2021; vergleiche BAMF 5.7.2021, S. 15, S. 15, MEE 1.7.2021).
Hinsichtlich Kindern und Minderjährigen in Gefängnissen siehe Kapitel Haftanstalten.
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022pdf, Zugriff am 29.8.2022
•ARD - Das Erste (25.10.2020): Türkei: Kinderarbeit geduldet, https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/tuerkei-kinderarbeit-landwirtschaft-100.html , Zugriff 23.2.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.7.2021): Briefing Notes, KW 27/2021, Einsatz von Kindersoldaten, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw27-2021.pdf?blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 23.2.2022
•BirGün (27.6.2022): Cinsel istismardan 16 bin mahkumiyet [16.000 Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs], https://www.birgun.net/haber/cinsel-istismardan-16-bin-mahkumiyet-393369 , Zugriff 12.8.2022
•DFAT- Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 23.2.2022
•Duvar (29.6.2022): Over 16,000 people convicted of child sex abuse last year in Turkey, https: //www.duvarenglish.com/over-16000-people-convicted-of-child-sex-abuse-last-year-in-turkey-n ews-60977 , Zugriff 12.8.2022
•Duvar (11.6.2021): At least 513 child laborers died in last eight years in Turkey: Report, https: //www.duvarenglish.com/at-least-513-child-laborers-died-in-last-eight-years-in-turkey-report-new s-57799 , Zugriff 23.2.2022
•Duvar (7.6.2021): Ministry report reveals worrying extent of child labor in Turkey, https://www.du varenglish.com/ministry-report-reveals-worrying-extent-of-child-labor-in-turkey-news-57742 , Zugriff 23.2.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 23.2.2022
•ILO - International Labour Organization (5.3.2021): ILO’s Programme on the Elimination of Child Labour in Turkey (2021-2025), https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---europe/---ro-geneva/ ---ilo-ankara/documents/publication/wcms_774757.pdf, Zugriff 23.2.2022
•MEE - Middle East Eye (1.7.2021): US places Turkey on list of countries implicated in use of child soldiers, https://www.middleeasteye.net/news/turkey-list-countries-implicated-child-soldiers-unite d-states , Zugriff 23.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara [Österreich] (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 23.2.2022
•OHCHR - UN Office of the High Commissioner for Human Rights (27.7.2022): United Nations Special Rapporteur on Violence against women and girls, its causes and consequences, Reem Alsalem; Official visit to Türkiye 18 - 27 July 2022, https://www.ohchr.org/sites/default/files/docu ments/issues/women/sr/2022-07-27/SR-VAW-preliminary-findings-EN.docx, Zugriff 18.8.2022
•USDOL - US Department of Labor [USA] (29.9.2021): 2020 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2061987.html, Zugriff 23.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (1.7.2021): Briefing with Senior State Department Official On the Release of the 2021 Trafficking in Persons (TIP) Report, https://www.state.go v/briefing-with-senior-state-department-official-on-the-release-of-the-2021-trafficking-in-persons -tip-report/, Zugriff 23.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 3.5.2022
Flüchtlingskinder und minderjährige Flüchtlinge
Letzte Änderung: 22.09.2022
Mit Juni 2021 lebten in der Türkei alleinig 1,7 Millionen syrische Flüchtlingskinder (UNICEF 16.6.2021) . Mehr als eine Million sind unter zehn Jahre alt (AT 3.1.2022). Bereits 2016 wurde geschätzt, dass täglich 465 syrische Kinder in der Türkei geboren werden (KAS 9.2019, S. 5). Mittlerweile wurden laut Angaben des Innenministers vom Juli 2022 über 700.000 syrische Kinder in der Türkei geboren (Ahval 11.7.2022).
Armut zwingt Flüchtlingskinder zur Arbeit, vor allem wenn die Erwachsenen nicht arbeiten können. Wenn Flüchtlinge nicht in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu decken, schicken sie ihre Kinder zur Arbeit. Armut und ein Mangel an sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten für Erwachsene trugen zu einem Anstieg der Kinderarbeit unter Flüchtlingskindern bei (USDOL 29.9.2021; vgl. WFP 5.2019, S. 16). Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Kinder, die nicht zur Schule gehen, ihre Familien durch Arbeit unterstützen, und zwar fast alle in illegalen Beschäftigungsverhältnissen (AT 3.1.2022). Syrische Flüchtlingskinder verrichten Kinderarbeit in der Landwirtschaft, beim Betteln auf der Straße, im Dienstleistungssektor sowie in kleinen und mittleren Produktionsbetrieben. Kinder in der verarbeitenden Industrie arbeiten oft bis zu sechs Tage pro Woche und verdienen nur die Hälfte dessen, was ein Arbeitgeber einem Erwachsenen zahlen würde (USDOL 29.9.2021). Laut Schätzungen arbeiten mit 46 % fast die Hälfte aller Flüchtlingskinder oder -jugendlichen unter 18 Jahre. Die Wahrscheinlichkeit, dass syrische Flüchtlingskinder in der Türkei einer bezahlten Beschäftigung nachgehen, ist hoch: 45,1 % der 15- bis 17-Jährigen und 17,4 % der 12- bis 14-jährigen Jungen gehen einer bezahlten Arbeit nach (IZA 6.2021, S. 15f). Obwohl die entsprechenden Raten bei den Mädchen niedriger sind (4,7 % bei den 12- bis 14-Jährigen und 8,1 % bei den 15- bis 17-Jährigen), sind sie dennoch signifikant (IZA 6.2021, S. 15f). 2019 arbeiteten 31 % der männlichen Flüchtlinge unter achtzehn Jahren (191.000), um zur Finanzierung des Haushalts beizutragen (WFP 5.2019, S. 16).Armut zwingt Flüchtlingskinder zur Arbeit, vor allem wenn die Erwachsenen nicht arbeiten können. Wenn Flüchtlinge nicht in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu decken, schicken sie ihre Kinder zur Arbeit. Armut und ein Mangel an sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten für Erwachsene trugen zu einem Anstieg der Kinderarbeit unter Flüchtlingskindern bei (USDOL 29.9.2021; vergleiche WFP 5.2019, S. 16). Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Kinder, die nicht zur Schule gehen, ihre Familien durch Arbeit unterstützen, und zwar fast alle in illegalen Beschäftigungsverhältnissen (AT 3.1.2022). Syrische Flüchtlingskinder verrichten Kinderarbeit in der Landwirtschaft, beim Betteln auf der Straße, im Dienstleistungssektor sowie in kleinen und mittleren Produktionsbetrieben. Kinder in der verarbeitenden Industrie arbeiten oft bis zu sechs Tage pro Woche und verdienen nur die Hälfte dessen, was ein Arbeitgeber einem Erwachsenen zahlen würde (USDOL 29.9.2021). Laut Schätzungen arbeiten mit 46 % fast die Hälfte aller Flüchtlingskinder oder -jugendlichen unter 18 Jahre. Die Wahrscheinlichkeit, dass syrische Flüchtlingskinder in der Türkei einer bezahlten Beschäftigung nachgehen, ist hoch: 45,1 % der 15- bis 17-Jährigen und 17,4 % der 12- bis 14-jährigen Jungen gehen einer bezahlten Arbeit nach (IZA 6.2021, S. 15f). Obwohl die entsprechenden Raten bei den Mädchen niedriger sind (4,7 % bei den 12- bis 14-Jährigen und 8,1 % bei den 15- bis 17-Jährigen), sind sie dennoch signifikant (IZA 6.2021, S. 15f). 2019 arbeiteten 31 % der männlichen Flüchtlinge unter achtzehn Jahren (191.000), um zur Finanzierung des Haushalts beizutragen (WFP 5.2019, S. 16).
Was die legale Beschäftigung von Jugendlichen betrifft, so stellten die Jugendarbeitslosigkeit und generelle Beschäftigungslosigkeit ein großes Problem dar, von dem auch junge Syrer betroffen sind. Dieses erhöhte Risiko der Marginalisierung von Jugendlichen wird als Gefahr für die Stabilität der Gemeinschaft betrachtet. Jüngste Feldforschungen haben gezeigt, dass junge syrische Männer eine potenzielle Beute für Drogenhändler und andere illegale Netzwerke darstellen. Die Verletzlichkeit junger syrischer Frauen birgt ein erhöhtes Risiko für frühe, ausbeuterische und polygame Eheschließungen (AC 7.2020, S. 11).
422.867 (192.474 Mädchen) syrische Flüchtlingskinder gingen (Stand Juni 2021) nicht zur Schule. Syrische Flüchtlingsfamilien sehen sich bei der Einschulung ihrer Kinder mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert, darunter die Sprache, die Kosten, die begrenzte Unterstützung durch Gleichaltrige, Mobbing, persönliche Entmutigung aufgrund längerer Schulabstinenz und geschlechtsspezifische Vorurteile gegenüber Mädchen. Die durch die COVID-19-Pandemie verursachten Schulschließungen trugen nur zu weiteren Problemen bei. Seit 2017 hat sich die türkische Regierung allerdings verpflichtet, alle syrischen Flüchtlinge im schulpflichtigen Alter in das nationale öffentliche Schulsystem zu integrieren, und hat daher alle temporären Bildungszentren geschlossen (UNICEF 16.6.2021). Der türkische Think-Tank „Education Reform Initiative" bestätigt, dass nur die Hälfte der registrierten syrischen Kinder zur Schule geht. Von den 14- bis 17-Jährigen sind nur 26 % eingeschult (AT 3.1.2022). Zumindest hat die Zahl der syrischen Kinder, welche eine Schule besuchen, stetig zugenommen und betrug im Schuljahr 2020-2021 über 774.000 (UNICEF 16.6.2021). Syrische Flüchtlingskinder sehen sich mit finanziellen Hindernissen für den Zugang zu Bildung konfrontiert, darunter informelle Schul- oder andere Gebühren und die Kosten für den Transport. Bei syrischen Kindern gab es Probleme mit ihren Registrierungsdokumenten, z. B. die Registrierung in einer anderen Provinz als der, in der sie wohnten. Schulverwaltungen können Kinder ohne ordnungsgemäße Registrierungsdokumente anmelden, aber ihre Leistungen können nicht erfasst werden und sie erhalten keine Schulabschlusszeugnisse. Die Sprachbarriere, Diskriminierung und der fehlende Zugang zu Programmen, in denen sie Türkisch als Zweitsprache erlernen können, erschweren die Integration syrischer Schüler (USDOL 29.9.2021).
Schon 2019 wurde davon ausgegangen, dass insgesamt bereits über 450.000 syrische Kinder in der Türkei geboren waren. Die Problematik hierbei ist, dass diese Kinder de facto staatenlos sind, da weder der syrische noch der türkische Staat ihnen automatisch die Staatsbürgerschaft verleiht (KAS 9.2019, S. 8). Innenminister Soylu gab im Februar 2022 bekannt, dass bis Ende 2021 mittlerweile 700.000 syrische Kinder in der Türkei geboren wurden. 84.152 hätten die türkische Staatsbürgerschaft erhalten (MEMO 20.2.2022; vgl. HDN 19.2.2022). Da die Türkei weder Vertragspartei der Konvention zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961, noch des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit von 1997 ist, haben Interessenvertreter Bedenken hinsichtlich des Umstandes geäußert, dass die Türkei diesen Kindern derzeit nicht vorbehaltlos die Staatsbürgerschaft ihres Geburtsortes verleiht. Hinzukommt, dass die syrische Rechtslage keine Übertragung der Staatsbürgerschaft der Mutter auf ihre Kinder garantiert (ECRE 4.2020, S. 137).Schon 2019 wurde davon ausgegangen, dass insgesamt bereits über 450.000 syrische Kinder in der Türkei geboren waren. Die Problematik hierbei ist, dass diese Kinder de facto staatenlos sind, da weder der syrische noch der türkische Staat ihnen automatisch die Staatsbürgerschaft verleiht (KAS 9.2019, S. 8). Innenminister Soylu gab im Februar 2022 bekannt, dass bis Ende 2021 mittlerweile 700.000 syrische Kinder in der Türkei geboren wurden. 84.152 hätten die türkische Staatsbürgerschaft erhalten (MEMO 20.2.2022; vergleiche HDN 19.2.2022). Da die Türkei weder Vertragspartei der Konvention zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961, noch des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit von 1997 ist, haben Interessenvertreter Bedenken hinsichtlich des Umstandes geäußert, dass die Türkei diesen Kindern derzeit nicht vorbehaltlos die Staatsbürgerschaft ihres Geburtsortes verleiht. Hinzukommt, dass die syrische Rechtslage keine Übertragung der Staatsbürgerschaft der Mutter auf ihre Kinder garantiert (ECRE 4.2020, S. 137).
Gewaltsame Übergriffe auf Flüchtlinge und eine zusehends xenophobe Einstellung betreffen inzwischen auch minderjährige Flüchtlinge. Die Plattform zum Schutz von Kindern und ihren Rechten stellte beispielsweise fest, dass mehr als die Hälfte der befragten türkischen Eltern nicht damit einverstanden ist, dass ihre Kinder mit Syrern befreundet sind (AT 3.1.2022).
Quellen:
•AC - Atlantic Council in Turkey [Revel, Bastien] (7.2020): Turkey's Refugee Resilience - Expanding and Improving Solutions for the Economic Inclusion of Syrians in Turkey, https://www.atlanticco uncil.org/wp-content/uploads/2020/07/Turkey%E2%80%99s-Refugee-Resilience-Expanding-a nd-Improving-Solutions-for-the-Economic-Inclusion-of-Syrians-in-Turkey-Report.pdf, Zugriff 23.2.2022
•Ahval (11.7.2022): Over 700,000 Syrians born in Turkey since 2011 - interior minister, https: //ahvalnews.com/syrian-refugees/over-700000-syrians-born-turkey-2011-interior-minister, Zugriff 12.8.2022
•AT - Asia Times (3.1.2022): Turkey needs a long-term plan for its young Syrians, https://asiatimes. com/2022/01/turkey-needs-a-long-term-plan-for-its-young-syrians/, Zugriff 31.1.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 23.2.2022
•ECRE- European Council on Refugees and Exiles (4.2020): Country Report: Turkey, 2019 Update, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_tr_2019update.pdf, Zugriff 31.1.2022
•HDN - Hürriyet Daily News (19.2.2022): Over 193,000 Syrians became Turkish citizens: Minister, https://www.hurriyetdailynews.com/over-193-000-syrians-became-turkish-citizens-minister-171 631 , Zugriff 23.2.2022
•IZA - Institute of Labor Economics/ Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit [Dayioglu-Tayfur, Meltem/ Kirdar, Murat G./ Koc, Ismet] (6.2021): The Making of a Lost Generation: Child Labor among Syrian Refugees in Turkey (IZA DP No. 14466), https://docs.iza.org/dp14466.pdf, Zugriff
23.2.2022
•KAS - Konrad Adenauer Stiftung [Erdogan, Murat] (9.2019): Syrian Refugees in Turkey, https: //www.kas.de/documents/283907/7339115/Syrian+Refugees+in+Turkey.pdf/5d3d4091e56d3c422a9c4e7f5d98706f?version=1.0&t=1571303379232 , Zugriff 31.1.2022
•MEMO - Middle East Monitor (20.2.2022): Turkey has made over 193,000 Syrian refugees citizens, Interior Minister says, https://www.middleeastmonitor.com/20220220-turkey-has-made-over-193 000-syrian-refugees-citizens-interior-minister-says/, Zugriff 23.2.2022
•UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (16.6.2021): Inclusion of Syrian refugee children into the national education system (Turkey), https://www.unicef.org/media/11166 6/file/Inclusion%20of%20Syrian%20refugee%20children%20into%20the%20national%20educatio n%20system%20-%20Turkey.pdf, Zugriff 31.1.2022
•USDOL - US Department of Labor [USA] (29.9.2021): 2020 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2061987.html, Zugriff 23.2.2022
•WFP - World Food Programm (5.2019): Comprehensive Vulnerability Monitoring Exercise - Round 3, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/CVME%203%20-%20201905028%20-% 20Final.pdf, Zugriff 23.2.2022
Sexuelle Minderheiten (LGBTIQ+)
Letzte Änderung: 22.09.2022
Homosexualität ist seit der Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 legal. Für Transsexuelle besteht die Möglichkeit eines gesetzlichen Geschlechtswechsels im türkischen Recht seit 1988 (NL-MFA 31.10.2019, S. 42; vgl. DFAT 10.9.2020, S. 37). Das Diskriminierungsverbot in Art. 10 der Verfassung umfasst jedoch nicht explizit die sexuelle Orientierung. Homosexuelle Handlungen werden im Strafgesetz nicht eigens erfasst (AA 28.7.2022, S. 14; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 84). Die Gesetzgebung verbietet somit nicht ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Gender-Identität in sozialen Einrichtungen, Regierungsstellen oder Unternehmen. Umgekehrt garantiert das Gesetz Mitgliedern sexueller Minderheiten nicht jene Rechte in Bezug auf Pension, Erbschaft oder Sozialversicherung, die Heterosexuellen infolge einer Eheschließung implizit gewährleistet werden (DFAT 10.9.2020, S. 37).Homosexualität ist seit der Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 legal. Für Transsexuelle besteht die Möglichkeit eines gesetzlichen Geschlechtswechsels im türkischen Recht seit 1988 (NL-MFA 31.10.2019, S. 42; vergleiche DFAT 10.9.2020, S. 37). Das Diskriminierungsverbot in Artikel 10, der Verfassung umfasst jedoch nicht explizit die sexuelle Orientierung. Homosexuelle Handlungen werden im Strafgesetz nicht eigens erfasst (AA 28.7.2022, S. 14; vergleiche USDOS 12.4.2022, S. 84). Die Gesetzgebung verbietet somit nicht ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Gender-Identität in sozialen Einrichtungen, Regierungsstellen oder Unternehmen. Umgekehrt garantiert das Gesetz Mitgliedern sexueller Minderheiten nicht jene Rechte in Bezug auf Pension, Erbschaft oder Sozialversicherung, die Heterosexuellen infolge einer Eheschließung implizit gewährleistet werden (DFAT 10.9.2020, S. 37).
Laut Kerem Dikmen von der NGO KAOS-GL waren systematische Rechtsverletzungen 2021 häufiger als in den Vorjahren. Während sich der Staat bislang darauf konzentriert hat, Menschen an der Ausübung bestehender Rechte zu hindern, ging er 2021 dazu über, in die gültige Rechtssprechung einzugreifen. Der Versuch, Transgender-Personen bei den Demonstrationen des 8. März auszuschließen, Regenbogen- und Transgender-Flaggen als strafrechtliche Beweise heranzuziehen und der Ausstieg aus international gültigen Menschenrechtsvereinbarungen würden den systematischen Ansatz des Staates offenbaren (FNS 31.3.2022b).
Anfang Juni 2022 zeigte sich das Europäische Parlament (EP) „tief besorgt darüber, dass sich die Menschenrechtslage von LGBTI-Personen verschlechtert und der Staat dieser Entwicklung Vorschub leistet, insbesondere im Zusammenhang mit körperlichen Angriffen und Hassverbrechen, die sich vorrangig gegen Transgender-Personen richten, sowie über das anhaltende Verbot von Pride-Paraden im ganzen Land" (EP 7.6.2022, S. 15, Pt. 21). Die Türkei gehört zu den Ländern mit den höchsten Mordraten an Transgender-Personen (EC 6.10.2020, S. 40). Diskriminierende Äußerungen und Hassreden von Regierungsvertretern und Medien gegen die LGBTIQ-Gemein- schaft haben zugenommen. Hochrangige Staatsbeamte beriefen sich regelmäßig auf nationale und moralische Werte, während sie die sexuellen Minderheiten ins Visier nahmen. Der Innenminister und viele Medien beschuldigten die EU und die USA, NGOs von sexuellen Minderheiten zu finanzieren (EC 19.10.2021, S. 14, 39). Es gibt keine spezifischen Gesetze zur Bekämpfung dieser Verbrechen. Es besteht ein begrenzter Schutz für Organisationen sexueller Minderheiten, die bedroht werden (EC 6.10.2020, S. 40).
Zahlreiche LGBTI-Organisationen berichteten von einem anhaltenden Gefühl der Verwundbarkeit, da ihre Rede-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit weiterhin eingeschränkt ist (USDOS 12.4.2022, S. 83; vgl. EP 7.6.2022, S. 15, Pt. 21, EC 19.10.2021; S. 40). Verleumdungskampagnen in regierungsfreundlichen Medien und Hassreden sowie herablassende Äußerungen hochrangiger Regierungsvertreter, darunter der Präsident der Direktion für religiöse Angelegenheiten (Diyanet), der türkischen Institution für Menschenrechte und Gleichstellung und des Büros der Ombudsperson sowie der Vorsitzende der türkischen Gesellschaft des Roten Halbmonds, spiegeln die diskriminierende Haltung der Regierung gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten und deren Rechten wider (EC 6.10.2020, S. 40; vgl. Politico 24.7.2020). Auch das EP weist in seiner Entschließung vom Juni 2022 „auf die zunehmend homophobe Haltung der Regierung der Türkei und die Hetze gegen LGBTI-Personen seitens hochrangiger Beamter hin, mit der darauf abgezielt wird, die LGBTI-Gemeinschaft zu stigmatisieren und zu kriminalisieren, und die als Nährboden für Hassverbrechen und die starke Zunahme von Belästigung, Diskriminierung und potenzieller Gewalt dienen kann" (EP 7.6.2022, S. 15, Pt. 21). Während der COVID-19-Pandemie sagte Ali Erba§, der Leiter des Diyanet, bei einer Predigt während des Ramadan, dass der Islam Homosexualität verurteile, weil sie Krankheit bringe, und dass jedes Jahr Tausende von Menschen dem HIV-Virus ausgesetzt seien. Die Kommentare wurden von Präsident Erdogan, der Homosexuelle als pervers titulierte (Politico 24.7.2020), und mehreren Ministern unterstützt (DFAT 10.9.2020, S. 37; vgl. AP 27.4.2020). Auf eine Strafanzeige der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TiHV) gegen Erbag wegen Aufwiegelung reagierte die Staatsanwaltschaft mit einer strafrechtlichen Untersuchung gegen deren Anwälte wegen „Beleidigung religiöser Werte". Zuvor bezeichnete Staatspräsident Erdogan Angriffe auf Erbag als einen Angriff auf den Staat und sah die Kritik als gezielte Attacke auf den Islam (AP 27.4.2020). Anfang Februar bezeichnete Innenminister Süleyman Soylu LGBTIQ-Mitglieder, die vor dem Hintergrund der Studentenproteste an der Bosporus-Universität festgenommen wurden, als Per- verslinge, weil sie in den sozialen Medien die Kaaba in Mekka mit LGBT-Symbolen versahen (MEE 3.2.2021; vgl. Ahval 3.2.2021). Sieben Studenten der Bogazigi-Universität standen im März 2021 in Istanbul vor Gericht, weil sie mit einem Kunstwerk, das die Kaaba gemeinsam mit einer Regenbogenflagge, darstellt, laut Innenministerium „offen religiöse Werte beleidigt" haben sollen (Ahval 19.8.2021). Darüber hinaus verkündete der Minister, dass die LGBTIQ-Ge- meinschaft nichts mit den türkischen Werten zu tun habe, sondern etwas sei, das westliche Länder in die Türkei vermarkten (Ahval 3.2.2021). Bereits am 23.5.2018 entschied das türkische Verfassungsgericht, dass die Titulierung von Angehörigen sexueller Minderheiten in den Medien als Perverse nicht als Hassrede angesehen werden kann, da dies unter die Meinungsfreiheit fällt (ILGA 26.2.2019).Zahlreiche LGBTI-Organisationen berichteten von einem anhaltenden Gefühl der Verwundbarkeit, da ihre Rede-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit weiterhin eingeschränkt ist (USDOS 12.4.2022, S. 83; vergleiche EP 7.6.2022, S. 15, Pt. 21, EC 19.10.2021; S. 40). Verleumdungskampagnen in regierungsfreundlichen Medien und Hassreden sowie herablassende Äußerungen hochrangiger Regierungsvertreter, darunter der Präsident der Direktion für religiöse Angelegenheiten (Diyanet), der türkischen Institution für Menschenrechte und Gleichstellung und des Büros der Ombudsperson sowie der Vorsitzende der türkischen Gesellschaft des Roten Halbmonds, spiegeln die diskriminierende Haltung der Regierung gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten und deren Rechten wider (EC 6.10.2020, S. 40; vergleiche Politico 24.7.2020). Auch das EP weist in seiner Entschließung vom Juni 2022 „auf die zunehmend homophobe Haltung der Regierung der Türkei und die Hetze gegen LGBTI-Personen seitens hochrangiger Beamter hin, mit der darauf abgezielt wird, die LGBTI-Gemeinschaft zu stigmatisieren und zu kriminalisieren, und die als Nährboden für Hassverbrechen und die starke Zunahme von Belästigung, Diskriminierung und potenzieller Gewalt dienen kann" (EP 7.6.2022, S. 15, Pt. 21). Während der COVID-19-Pandemie sagte Ali Erba§, der Leiter des Diyanet, bei einer Predigt während des Ramadan, dass der Islam Homosexualität verurteile, weil sie Krankheit bringe, und dass jedes Jahr Tausende von Menschen dem HIV-Virus ausgesetzt seien. Die Kommentare wurden von Präsident Erdogan, der Homosexuelle als pervers titulierte (Politico 24.7.2020), und mehreren Ministern unterstützt (DFAT 10.9.2020, S. 37; vergleiche AP 27.4.2020). Auf eine Strafanzeige der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TiHV) gegen Erbag wegen Aufwiegelung reagierte die Staatsanwaltschaft mit einer strafrechtlichen Untersuchung gegen deren Anwälte wegen „Beleidigung religiöser Werte". Zuvor bezeichnete Staatspräsident Erdogan Angriffe auf Erbag als einen Angriff auf den Staat und sah die Kritik als gezielte Attacke auf den Islam (AP 27.4.2020). Anfang Februar bezeichnete Innenminister Süleyman Soylu LGBTIQ-Mitglieder, die vor dem Hintergrund der Studentenproteste an der Bosporus-Universität festgenommen wurden, als Per- verslinge, weil sie in den sozialen Medien die Kaaba in Mekka mit LGBT-Symbolen versahen (MEE 3.2.2021; vergleiche Ahval 3.2.2021). Sieben Studenten der Bogazigi-Universität standen im März 2021 in Istanbul vor Gericht, weil sie mit einem Kunstwerk, das die Kaaba gemeinsam mit einer Regenbogenflagge, darstellt, laut Innenministerium „offen religiöse Werte beleidigt" haben sollen (Ahval 19.8.2021). Darüber hinaus verkündete der Minister, dass die LGBTIQ-Ge- meinschaft nichts mit den türkischen Werten zu tun habe, sondern etwas sei, das westliche Länder in die Türkei vermarkten (Ahval 3.2.2021). Bereits am 23.5.2018 entschied das türkische Verfassungsgericht, dass die Titulierung von Angehörigen sexueller Minderheiten in den Medien als Perverse nicht als Hassrede angesehen werden kann, da dies unter die Meinungsfreiheit fällt (ILGA 26.2.2019).
Während das Gesetz die Zugehörigkeit zu einer sexuellen Minderheit bzw. das Verhalten sexueller Minderheiten nicht explizit kriminalisiert, dienen Gesetzesbestimmungen zu „Straftaten gegen die öffentliche Moral", „Schutz der Familie" und „unnatürliches Sexualverhalten" manchmal als Grundlage für polizeilichen Missbrauch und Diskriminierung durch Arbeitgeber und Polizei (US- DOS 12.4.2022, S. 84f.; vgl. DFAT 10.9.2020, S. 37, ÖB 30.11.2021, S. 36). Regierung und Medien behaupten, dass die Orientierung und die Aktivitäten der sexuellen Minderheiten mit der öffentlichen Moral und den spirituellen Werten der türkischen Gesellschaft unvereinbar sind, und dass sie die Familienwerte bedrohen. Die türkische Regierung beruft sich in diesem Zusammenhang auch auf die öffentliche Ordnung und behauptet, sie könne die Sicherheit von LGBTI-Gruppen nicht garantieren (NL-MFA 31.10.2019, S. 43).Während das Gesetz die Zugehörigkeit zu einer sexuellen Minderheit bzw. das Verhalten sexueller Minderheiten nicht explizit kriminalisiert, dienen Gesetzesbestimmungen zu „Straftaten gegen die öffentliche Moral", „Schutz der Familie" und „unnatürliches Sexualverhalten" manchmal als Grundlage für polizeilichen Missbrauch und Diskriminierung durch Arbeitgeber und Polizei (US- DOS 12.4.2022, S. 84f.; vergleiche DFAT 10.9.2020, S. 37, ÖB 30.11.2021, S. 36). Regierung und Medien behaupten, dass die Orientierung und die Aktivitäten der sexuellen Minderheiten mit der öffentlichen Moral und den spirituellen Werten der türkischen Gesellschaft unvereinbar sind, und dass sie die Familienwerte bedrohen. Die türkische Regierung beruft sich in diesem Zusammenhang auch auf die öffentliche Ordnung und behauptet, sie könne die Sicherheit von LGBTI-Gruppen nicht garantieren (NL-MFA 31.10.2019, S. 43).
Umfragen unter Betroffenen deuten darauf hin, dass die Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität, der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsmerkmale ein großes Hindernis für LGBTI+-Personen beim Zugang zur Beschäftigung darstellt. Sie sind oft gezwungen, ihre Identität zu verbergen, um das Risiko der Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Da das Risiko, diskriminiert zu werden, auch nach dem Einstellungsprozess weiter besteht, bestimmt diese Strategie ihr gesamtes Arbeitsleben. Die Geheimhaltung scheint im öffentlichen Sektor unvermeidlich zu sein, im Gegensatz zum privaten Sektor. Während 2021 über 17 % im Privatsektor angaben, vollständig ihre sexuelle Orientierung offengelegt zu haben, betrug im öffentlichen Sektor der Anteil lediglich 5 % (KAOS-GL 8.11.2021, S. 5f.).
Der Rückzug der Türkei aus der Istanbuler Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt wurde u. a. mit dem Vorwurf verbunden, die Konvention sei zum Schutze der Rechte sexueller Minderheiten missbraucht worden. Die Kommunikationsdirektion der Präsidentschaftskanzlei erklärte, dass die Konvention von einer Gruppe von Menschen gekapert wurde, die versuchen, Homosexualität zu normalisieren - was mit den sozialen und familiären Werten der Türkei unvereinbar sei. Daher die Entscheidung, sich zurückzuziehen (PRT-DC 22.3.2021).
Polizeiliche Schikanen gegen transgender Sexarbeiter sind weitverbreitet, oft um Bestechungsgelder zu lukrieren. Es gibt kein Gesetz gegen Hassverbrechen gegen Mitglieder sexueller Minderheiten. Laut Menschenrechtsgruppen werden diese dadurch durch Straßenkriminalität und allgemeine Gewalt gefährdet. Artikel 29 des Strafgesetzbuches sieht die Milderung von Strafen, einschließlich Körperverletzung oder Mord, vor, wenn der Angeklagte durch eine „ungerechte Handlung" provoziert wurde. Menschenrechtsgruppen behaupten, dass Richter routinemäßig Artikel 29 zur Milderung von Urteilen im Falle der Ermordung von Angehörigen sexueller Minderheiten herangezogen haben (DFAT 10.9.2020, S. 37; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 82). In Einzelfällen kommt es auch zu „Ehrenmorden" im Zusammenhang mit Homosexualität, NGOs beziffern sie im niedrigen dreistelligen Bereich jährlich (AA 28.7.2022, S. 14). Die Türkei ist zudem einer der Staaten mit der höchsten Rate an Morden an Transgenderpersonen (ÖB 30.11.2021S. 37). 2021 kam es zu gewaltsamen Übergriffen auf Mitglieder sexueller Minderheiten bzw. deren Aktivisten. Insbesondere waren Transgenderfrauen betroffen, gegen die es auch Attacken mit Todesfolge gab (ILGA 2.2022, S. 141). „Sexuelle Orientierung und Identität" sind nicht im Katalog der Hassverbrechen gelistet. Deshalb können LGBTI-Personen bei Diskriminierungen oder Hassverbrechen ihre Rechte nur schwer geltend machen. In Gerichtsverfahren werden die Diskriminierungen entweder bagatellisiert oder die Intentionen der Täter relativiert. Gegen Angehörige sexueller Minderheiten gerichtete Hassreden werden als Ausdruck der freien Meinungsäußerung angesehen (ÖB 30.11.2021, S. 37). Kundgebungen der LGBTIQ-Gemeinschaft werden systematisch verboten bzw. unterbunden (ÖB 30.11.2021, S. 36; vgl. EP 7.6.2022, S. 15, Pt. 21). Als Grund für die Untersagung werden in der Regel Sicherheitsgründe angegeben (ÖB 30.11.2021, S. 36f). Aktivitäten von sexuellen Minderheiten und Pride-Paraden wurden im Juni 2021 in mehreren Provinzen, darunter die größte in Istanbul, von der Polizei verboten oder verhindert. Die Polizei griff gewaltsam gegen LGBTIQ-Demonstranten ein (EC 19.10.2021, S. 40; vgl. ILGA 2.2022, S. 142), und mindestens 20 Personen wurden festgenommen (EC 19.10.2021, S. 40). Vertreter sexueller Minderheiten sprechen von 50 festgenommen bzw. attackierten Teilnehmern sowie den brutalsten Behördeninterventionen seit Jahren (ILGA 2.2022, S. 142). Zwölf Studenten wurden am 25.3.2021 vorübergehend verhaftet, nachdem sie auf dem Campus der Bogazigi Universität Regenbogenflaggen gezeigt hatten. Ihr Protest richtete sich gegen die Ernennung des Rektors sowie die Entscheidung der Regierung, aus der Istanbuler Frauenschutz-Konvention auszutreten (AP 26.3.2021; vgl. BAMF 29.3.2021). Im Mai 2022 wurde in Istanbul an der Bogazigi Universität ein LGBTIQ-Marsch gewaltsam durch die örtliche Bereitschaftspolizei aufgelöst. Bei dem Vorfall wurden etwa 70 Personen verhaftet (BAMF 23.5.2022, S. 13). Am 26.6.2022 wurden laut der NGO Kaos GL Association 373 Teilnehmende der Pride-Parade in Istanbul vorübergehend festgenommen (DW 27.6.2022; vgl. Duvar 27.6.2022), mit acht Festnahmen im geringeren Umfang auch in Izmir (Duvar 27.6.2022), darunter auch Journalisten und Journalistinnen. Medienberichten zufolge sollen bereits vor Beginn der Parade mehrere Personen willkürlich in Lokalen in der Umgebung festgenommen worden sein. Die Behörden im Bezirk Beyoglu hatten bereits alle weiteren Veranstaltungen der „Pride Week" mit der Begründung untersagt, sie könnten aufgrund der Sensibilität in der Gesellschaft zu öffentlichen Unruhen führen (BAMF 27.6.2022, S. 13; vgl. Euronews 27.6.2022, DW 27.6.2022).Polizeiliche Schikanen gegen transgender Sexarbeiter sind weitverbreitet, oft um Bestechungsgelder zu lukrieren. Es gibt kein Gesetz gegen Hassverbrechen gegen Mitglieder sexueller Minderheiten. Laut Menschenrechtsgruppen werden diese dadurch durch Straßenkriminalität und allgemeine Gewalt gefährdet. Artikel 29 des Strafgesetzbuches sieht die Milderung von Strafen, einschließlich Körperverletzung oder Mord, vor, wenn der Angeklagte durch eine „ungerechte Handlung" provoziert wurde. Menschenrechtsgruppen behaupten, dass Richter routinemäßig Artikel 29 zur Milderung von Urteilen im Falle der Ermordung von Angehörigen sexueller Minderheiten herangezogen haben (DFAT 10.9.2020, S. 37; vergleiche USDOS 12.4.2022, S. 82). In Einzelfällen kommt es auch zu „Ehrenmorden" im Zusammenhang mit Homosexualität, NGOs beziffern sie im niedrigen dreistelligen Bereich jährlich (AA 28.7.2022, S. 14). Die Türkei ist zudem einer der Staaten mit der höchsten Rate an Morden an Transgenderpersonen (ÖB 30.11.2021S. 37). 2021 kam es zu gewaltsamen Übergriffen auf Mitglieder sexueller Minderheiten bzw. deren Aktivisten. Insbesondere waren Transgenderfrauen betroffen, gegen die es auch Attacken mit Todesfolge gab (ILGA 2.2022, S. 141). „Sexuelle Orientierung und Identität" sind nicht im Katalog der Hassverbrechen gelistet. Deshalb können LGBTI-Personen bei Diskriminierungen oder Hassverbrechen ihre Rechte nur schwer geltend machen. In Gerichtsverfahren werden die Diskriminierungen entweder bagatellisiert oder die Intentionen der Täter relativiert. Gegen Angehörige sexueller Minderheiten gerichtete Hassreden werden als Ausdruck der freien Meinungsäußerung angesehen (ÖB 30.11.2021, S. 37). Kundgebungen der LGBTIQ-Gemeinschaft werden systematisch verboten bzw. unterbunden (ÖB 30.11.2021, S. 36; vergleiche EP 7.6.2022, S. 15, Pt. 21). Als Grund für die Untersagung werden in der Regel Sicherheitsgründe angegeben (ÖB 30.11.2021, S. 36f). Aktivitäten von sexuellen Minderheiten und Pride-Paraden wurden im Juni 2021 in mehreren Provinzen, darunter die größte in Istanbul, von der Polizei verboten oder verhindert. Die Polizei griff gewaltsam gegen LGBTIQ-Demonstranten ein (EC 19.10.2021, S. 40; vergleiche ILGA 2.2022, S. 142), und mindestens 20 Personen wurden festgenommen (EC 19.10.2021, S. 40). Vertreter sexueller Minderheiten sprechen von 50 festgenommen bzw. attackierten Teilnehmern sowie den brutalsten Behördeninterventionen seit Jahren (ILGA 2.2022, S. 142). Zwölf Studenten wurden am 25.3.2021 vorübergehend verhaftet, nachdem sie auf dem Campus der Bogazigi Universität Regenbogenflaggen gezeigt hatten. Ihr Protest richtete sich gegen die Ernennung des Rektors sowie die Entscheidung der Regierung, aus der Istanbuler Frauenschutz-Konvention auszutreten (AP 26.3.2021; vergleiche BAMF 29.3.2021). Im Mai 2022 wurde in Istanbul an der Bogazigi Universität ein LGBTIQ-Marsch gewaltsam durch die örtliche Bereitschaftspolizei aufgelöst. Bei dem Vorfall wurden etwa 70 Personen verhaftet (BAMF 23.5.2022, S. 13). Am 26.6.2022 wurden laut der NGO Kaos GL Association 373 Teilnehmende der Pride-Parade in Istanbul vorübergehend festgenommen (DW 27.6.2022; vergleiche Duvar 27.6.2022), mit acht Festnahmen im geringeren Umfang auch in Izmir (Duvar 27.6.2022), darunter auch Journalisten und Journalistinnen. Medienberichten zufolge sollen bereits vor Beginn der Parade mehrere Personen willkürlich in Lokalen in der Umgebung festgenommen worden sein. Die Behörden im Bezirk Beyoglu hatten bereits alle weiteren Veranstaltungen der „Pride Week" mit der Begründung untersagt, sie könnten aufgrund der Sensibilität in der Gesellschaft zu öffentlichen Unruhen führen (BAMF 27.6.2022, S. 13; vergleiche Euronews 27.6.2022, DW 27.6.2022).
In Großstädten (Istanbul, Izmir, Ankara) und an der Südküste ist es in bestimmten Teilbereichen möglich, Homosexualität zu zeigen. Darüber hinaus ist sie gesellschaftlich nicht akzeptiert. Bei Bekanntwerden ihrer sexuellen Orientierung werden Homosexuelle, vor allem aber Transsexuelle, häufig von ihrem sozialen und beruflichen Umfeld ausgegrenzt oder belästigt und nicht selten Opfer von Gewalt und Diskriminierung (AA 28.7.2022, S. 14). Die Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Beziehungen bleibt in der türkischen Gesellschaft gering. Angehörige sexueller Minderheiten sehen sich im Alltag Diskriminierungen, Einschüchterungen, Übergriffen sowie Gewalttaten ausgesetzt (ÖB 30.11.2021, S. 36). Interviews der LGBTI-NGO, Kaos GL, mit Betroffenen indizieren, dass Opfer homophober Gewalt sich in der Regel nicht an die Polizei wenden, und wenn sie es doch tun, werden sie in vielen Fällen von der Polizei nicht angemessen behandelt oder geschützt (NL-MFA 18.3.2021, S. 60). Laut einer Studie der Kadir Has unter mehr als 1.200 Befragten sahen 2020 77 % gleichgeschlechtliche Beziehungen als gegen öffentlichen Normen und Werte verstoßend. 2019 bejahten dies nur 62, 2017 nur knapp die Hälfte der Befragten. Nur 45 % meinten, dass Homosexuelle und Angehörige anderer sexueller Minderheiten die gleichen Rechte haben sollten (KHU 2020, S. 61).
Das UNHCR berichtete von Asylsuchenden und sog. „bedingten Flüchtlingen", die einer sexuellen Minderheit angehören, vor allem aus dem Iran, Afghanistan und Irak. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen werden diese Flüchtlinge aufgrund ihres Status als Angehörige einer sexuellen Minderheit sowohl von den Behörden als auch von der lokalen Bevölkerung diskriminiert und angefeindet. Vielen widerfuhr geschlechtsbasierte Gewalt. Die kommerzielle sexuelle Ausbeutung bleibt auch bei dieser Personengruppe ein großes Problem, insbesondere für transgender Personen (USDOS 12.4.2021, S. 54f.).
Die NGO ILGA verortete die Türkei wie 2021 (ILGA 2021) auch 2022 an vorletzter Stelle (vor Aserbaidschan) von 49 europäischen Ländern hinsichtlich der Rechte sexueller Minderheiten. Bei einem theoretischen Bestwert von 100 % erreichte die Türkei lediglich 4 % [Österreich: Platz 18 mit 48,2 %] (ILGA 2022).
Am 22.9.2021 urteilte das Verfassungsgericht im Sinne einer Transfrau, deren Antrag auf Namensänderung in der ersten Instanz von einem Gericht mit der Begründung abgelehnt worden war, dass sie sich keiner geschlechtsangleichenden Operation unterzogen hätte und die Gesellschaft „falsche Vorstellungen" haben könnte, wenn sie einen femininen Vornamen tragen würde. Der Verfassungsgerichtshof urteilte, dass es zu den Verpflichtungen des Staates gehöre, Menschen die Möglichkeit zu geben, ihren Namen zu ändern, solange dies nicht die öffentliche Ordnung störe (BAMF 27.9.2021, S. 15).
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
Maßnahmen gegen COVID-19 treffen Mitglieder sexueller Minderheiten besonders. Zu nennen sind der Zugang zum Gesundheitssystem, wie etwa Medikamente, die Benachteiligung am Arbeitsmarkt ebenso wie die Zunahme von (häuslicher) Gewalt. Darüber hinaus werden sexuelle Minderheiten in Zusammenhang mit Covid-19 gebracht und werden zur Zielscheibe von Hass-Reden (BI 18.1.2021; vgl. HBS 26.5.2020). Einer Umfrage der türkischen NGO Young LGBTI+ unter 17-35-jährigen Mitgliedern sexueller Minderheiten zufolge sahen 32 % ihren Gesundheitszustand durch die COVID-Pandemie negativ beeinflusst. 23 % hatten Schwierigkeiten beim Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und Medikamenten. 30 % der Befragten sahen sich während der Pandemie Gewalt ausgesetzt. Gar 56 % erfuhren häusliche Gewalt (Young LGBTI+ 8.2020, S. 4f.).Maßnahmen gegen COVID-19 treffen Mitglieder sexueller Minderheiten besonders. Zu nennen sind der Zugang zum Gesundheitssystem, wie etwa Medikamente, die Benachteiligung am Arbeitsmarkt ebenso wie die Zunahme von (häuslicher) Gewalt. Darüber hinaus werden sexuelle Minderheiten in Zusammenhang mit Covid-19 gebracht und werden zur Zielscheibe von Hass-Reden (BI 18.1.2021; vergleiche HBS 26.5.2020). Einer Umfrage der türkischen NGO Young LGBTI+ unter 17-35-jährigen Mitgliedern sexueller Minderheiten zufolge sahen 32 % ihren Gesundheitszustand durch die COVID-Pandemie negativ beeinflusst. 23 % hatten Schwierigkeiten beim Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und Medikamenten. 30 % der Befragten sahen sich während der Pandemie Gewalt ausgesetzt. Gar 56 % erfuhren häusliche Gewalt (Young LGBTI+ 8.2020, S. 4f.).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022.pdf, Zugriff am 29.8.2022
•Ahval (19.8.2021): Turkey defends Bosphorus University arrests, saying homosexuality is haram in Islam, https://ahvalnews.com/turkey-rule-law/turkey-defends-bosphorus-university-arrests-say ing-homosexuality-haram-islam , Zugriff 25.2.2022
•Ahval (3.2.2021): The West ‘marketing’ LGBT to Turkey, says interior minister, https://ahvalnews. com/suleyman-soylu/west-marketing-lgbt-turkey-says-interior-minister, Zugriff 25.2.2022
•AP - Associated Press (26.3.2021): Turkey detains students and supporters over LGBT flags, https://apnews.com/article/turkey-europe-recep-tayyip-erdogan-istanbul-a1e06dfe55253db7b59 598c454302c94 , Zugriff 25.2.2022
•AP - Associated Press (27.4.2020): Erdogan backs cleric who claims homosexuality brings disease, https://apnews.com/article/c48e701a41ae9c82010093fbcdc338f2 , Zugriff 25.2.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (27.6.2022): Briefing Notes, KW 26, Verhaftungen
bei Pride-Parade, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum /BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw26-2022.pdf?blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 28.6.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (23.5.2022): Briefing Notes, KW 21, Verhaftungen von Demonstrierenden bei LGBTIQ-Marsch, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Beho
erde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw21-2022.pdf?blob=publicationFi
le&v=2 , Zugriff 24.5.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (27.9.2021): Briefing Notes, KW 39, Urteil des Verfassungsgerichtshofs: Namensänderung einer Transfrau, https://www.bamf.de/SharedDocs/A
nlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw39-2021.pdf?bl
ob=publicationFile&v=3 , Zugriff 25.2.2022
•BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (29.3.2021): Briefing Notes, KW
13, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2 021/briefingnotes-kw13-2021.pdf?blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 25.2.2022
•BI - Balkan Insight (18.1.2021): COVID-19 Pandemic Makes LGBT Lives in Turkey More Difficult, https://balkaninsight.com/2021/01/18/covid-pandemic-makes-lgbt-lives-in-turkey-more-difficult/, Zugriff 25.2.2022
•DFAT- Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 25.2.2022
•Duvar (27.6.2022): Turkish police detain 373 LGBTI pride protestors in Istanbul, https://www.duvarenglish.com/turkish-police-detain-373-lgbti-pride-protestors-in-istanbul-news-6 0974 , Zugriff 29.6.2022
•DW - Deutsche Welle (27.6.2022): Viele Festnahmen bei Pride-Parade in Istanbul, https://www. dw.com/de/viele-festnahmen-bei-pride-parade-in-istanbul/a-62270362 , Zugriff 28.6.2022
•EC - European Commission (19.10.2021): Turkey 2021 Report [SWD (2021) 290 final], https: //ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/document/download/892a5e42-448a-47b8-bf62-b22 d52c4ba26_en , Zugriff 25.2.2022
•EC - European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 25.2.2022
•EP - Europäisches Parlament (7.6.2022): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Juni 2022 zu dem Bericht 2021 der Kommission über die Türkei (2021/2250(INI)), https://www.eu roparl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0222_DE.pdf, Zugriff 28.6.2022
•Euronews (27.6.2022): Istanbul Pride: Dozens arrested as police break up LGBTQ march in Turkey, https://www.euronews.com/2022/06/26/turkish-police-break-up-istanbul-pride-arrest-dozens-inc luding-journalists , Zugriff 28.6.2022
•FNS - Friedrich-Naumann-Stiftung (31.3.2022b): „Trotz allem“ - Lagebericht 2021 der LGBTI- Community in der Türkei, https://www.freiheit.org/de/tuerkei/trotz-allem-lagebericht-2021-der-lgbti-community-der-tuerkei?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Newslette r+2021-12-08T17%3A03%3A25%2B01%3A00 , Zugriff 6.4.2022
•HBS - Heinreich Böll Stiftung (26.5.2020): Auswirkungen der Covid-19-Epidemie auf LGBTI+ in der Türkei, https://www.boell.de/de/2020/05/26/auswirkungen-der-covid-19-epidemie-auf-lgbti-d er-tuerkei , Zugriff 25.2.2022
•ILGA - International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association - Europe (2022): Country Ranking, http://www.rainbow-europe.org/country-ranking , Zugriff 24.5.2022
•ILGA - International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association - Europe (2.2022): Annual Review of the Human Rights Situation of Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex People in Europe and Central Asia 2020, https://rainbow-europe.org/sites/default/files/annual-report/Annu al-Review-Full-2022.pdf, Zugriff 25.2.2022
•ILGA - International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association - Europe (2021): Country Ranking, https://rainbow-europe.org/country-ranking , Zugriff 25.2.2022
•ILGA - International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (26.2.2019): Annual Review of the Human Rights Situation of Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex People in Europe 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003309/full_annual_review.pdf, Zugriff 25.2.2022
•KAOS-GL (8.11.2021): Situation of Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Intersex and Plus Employees in Public Sector in Turkey - 2021 Research, https://kaosgldernegi.org/images/library/kamueng.pdf , Zugriff 6.4.2022
•KHU - Kadir Has University (2020): The Perception of Gender and Women in Turkey 2020, https: //gender.khas.edu.tr/en/survey-public-perceptions-gender-roles-and-status-women-turkey , Zugriff 25.2.2022 [Anmerkung: Kein direkter Dokumentenlink vorhanden, nur via Webseite; PDF ist in der Quellendokumentation vorhanden]
•MEE - Middle East Eye (3.2.2021): Turkey: Twitter labels minister’s ’LGBT deviants’ post hateful amid university protest, https://www.middleeasteye.net/news/turkey-twitter-minister-lgbt-deviant s-hateful-university-protest, Zugriff 25.2.2022
•NL-MFA- Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (18.3.2021): General Country of Origin Information Report
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•NL-MFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs (31.10.2019): General Country of Origin Information Report
Turkey, https://www.rijksoverheid.nl/binaries/rijksoverheid/documenten/ambtsberichten/2019/10/ 31/algemeen-ambtsbericht-turkije-oktober-2019/Turkije++October+2019.pdf, Zugriff 25.2.2022
•Politico (24.7.2020): Turkey’s LGBTQ community at risk amid rise in homophobic rhetoric, https: //www.politico.eu/article/turkey-lgbtq-community-risk-rise-in-homophobic-rhetoric/ , Zugriff 25.2.2022
•PRT-DC - Presidency of the Republic of Turkey/ Directorate of Communications [Türkei] (22.3.2021): Statement regarding Türkiye’s withdrawal from the Istanbul Convention, https: //www.iletisim.gov.tr/english/haberler/detay/statement-regarding-turkeys-withdrawal-from-the-ist anbul-convention , Zugriff 25.2.2022
•ÖB - Österreichische Botschaft-Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 8.2.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 4.5.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019-Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html , Zugriff 25.2.2022
Young LGBTI+ - Young Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Youth Studies and Solidarity Association (8.2020): The state of the LGBTI+ community during the Covid-19 Pandemic Research Report, https://genclgbti.files.wordpress.com/2020/12/covid-report.pdf, Zugriff 25.2.2022
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 22.09.2022
Art. 23 der Verfassung garantiert die Bewegungsfreiheit im Land, das Recht zur Ausreise sowie das für türkische Staatsangehörige uneingeschränkte Recht zur Einreise. Die Bewegungsfreiheit kann nach dieser Bestimmung jedoch begrenzt werden, um Verbrechen zu verhindern (ÖB 30.11.2021, S. 10; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 48). Es ist gängige Praxis, dass Richter ein Ausreiseverbot gegen Personen verhängen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird, oder gegen Personen, die auf Bewährung entlassen wurden. Eine Person muss also nicht angeklagt oder verurteilt werden, um ein Ausreiseverbot zu erhalten (MFA-NL 18.3.2021, S. 27f). Es ist zudem gang und gäbe, dass insbesondere Personen mit Auslandsbezug, die sich nicht in Untersuchungshaft befinden, mit einer parallel zum Ermittlungsverfahren unter Umständen mehrere Jahre dauernden Ausreisesperre belegt werden. Hunderte EU-Bürger, darunter viele Österreicher, sind von dieser Maßnahme ebenso betroffen wie Tausende türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat (ÖB 30.11.2021, S. 10). Das deutsche Auswärtige Amt, antwortend auf eine parlamentarische Anfrage, gab im Juni 2022 an, dass 104 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit an der Ausreise gehindert werden. 55 befänden sich wegen „Terror“-Vorwürfen in Haft, gegen 49 weitere sei eine Ausreisesperre verhängt worden (FR 11.6.2022).Artikel 23, der Verfassung garantiert die Bewegungsfreiheit im Land, das Recht zur Ausreise sowie das für türkische Staatsangehörige uneingeschränkte Recht zur Einreise. Die Bewegungsfreiheit kann nach dieser Bestimmung jedoch begrenzt werden, um Verbrechen zu verhindern (ÖB 30.11.2021, S. 10; vergleiche USDOS 12.4.2022, S. 48). Es ist gängige Praxis, dass Richter ein Ausreiseverbot gegen Personen verhängen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird, oder gegen Personen, die auf Bewährung entlassen wurden. Eine Person muss also nicht angeklagt oder verurteilt werden, um ein Ausreiseverbot zu erhalten (MFA-NL 18.3.2021, S. 27f). Es ist zudem gang und gäbe, dass insbesondere Personen mit Auslandsbezug, die sich nicht in Untersuchungshaft befinden, mit einer parallel zum Ermittlungsverfahren unter Umständen mehrere Jahre dauernden Ausreisesperre belegt werden. Hunderte EU-Bürger, darunter viele Österreicher, sind von dieser Maßnahme ebenso betroffen wie Tausende türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat (ÖB 30.11.2021, S. 10). Das deutsche Auswärtige Amt, antwortend auf eine parlamentarische Anfrage, gab im Juni 2022 an, dass 104 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit an der Ausreise gehindert werden. 55 befänden sich wegen „Terror“-Vorwürfen in Haft, gegen 49 weitere sei eine Ausreisesperre verhängt worden (FR 11.6.2022).
Mitunter wird ein Ausreiseverbot ausgesprochen, ohne dass die betreffende Person davon weiß. In diesem Fall erfährt sie es erst bei der Passkontrolle zum Zeitpunkt der Ausreise, woraufhin höchstwahrscheinlich ein Verhör folgt. So wie z.B. Strafverfahren und Strafen werden auch Ausreiseverbote im sog. Allgemeinen Informationssammlungssystem (Genel Bilgi Toplama Sistemi - GBT) erfasst. Die Justizbehörden und der Sicherheitsapparat, einschließlich Polizei und Gendarmerie, haben Zugriff auf das GBT. Wenn ein Zollbeamter am Flughafen die Identitätsnummer der betreffenden Person in das GBT eingibt, wird ersichtlich, dass das Gericht ein Ausreiseverbot verhängt hat. Unklar ist hingegen, ob ein Ausreiseverbot auch im sog. Nationalen Justizinformationssystem (Ulusal Yargi Agi Bili§im Sistemi - UYAP) und im e-devlet (e-Government-Portal) aufscheint und somit dem Betroffenen bzw. seinem Anwalt zugänglich und offenkundig wäre. Die Polizei und die Gendarmerie können eine Person auch auf andere Weise daran hindern, das Land legal zu verlassen, indem sie in der internen Datenbank, genannt PolNet, ohne Wissen eines Richters einschlägige Anmerkungen zur betreffenden Person einfügen. Solche Notizen können den Zoll darauf aufmerksam machen, dass die betreffende Person das Land nicht verlassen darf. Auf diese Weise kann eine Person an einem Flughafen angehalten werden, ohne dass ein Ausreiseverbot im GBT registriert wird (MFA-NL 18.3.2021, S. 27f).
Die Regierung beschränkte Auslandsreisen von Bürgern, denen Verbindungen zur Gülen-Bewe- gung oder zum gescheiterten Putschversuch 2016 vorgeworfen werden. Das galt auch für deren Familienangehörige. Die Behörden haben auch einige türkische Doppel-Staatsbürger aufgrund eines Terrorismusverdachts daran gehindert, das Land zu verlassen. Ausgangssperren, die von den lokalen Behörden als Reaktion auf die militärischen Operationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verhängt wurden, und die militärische Operation des Landes in Nordsyrien schränkten die Bewegungsfreiheit ebenfalls ein (USDOS 12.4.2022, S. 48f.).
Nach dem Ende des zweijährigen Ausnahmezustands widerrief das Innenministerium am 25.7.2018 die Annullierung von 155.350 Pässen, die in erster Linie Ehepartnern sowie Verwandten von Personen entzogen worden waren, die angeblich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung standen (HDN 25.7.2018; vgl. USDOS 13.3.2019, TM 25.7.2018). Trotz der Rücknahme der Annullierung konnten etliche Personen keine gültigen Pässe erlangen. Die Behörden blieben eine diesbezügliche Erklärung schuldig. Am 1.3.2019 hoben die Behörden die Passsperre von weiteren 51.171 Personen auf (TM 1.3.2019; vgl. USDOS 30.3.2021, S. 45), gefolgt von weiteren 28.075 im Juni 2020 (TM 22.6.2020; vgl. USDOS 30.3.2021, S. 45). Das türkische Verfassungsgericht hat Ende Juli 2019 eine umstrittene Verordnung aufgehoben, die nach dem Putschversuch eingeführt worden war, und mit der die türkischen Behörden auch die Pässe von Ehepartnern von Verdächtigen für ungültig erklären konnten, auch wenn keinerlei Anschuldigungen oder Beweise für eine Straftat vorlagen. Die Praxis war auf breite Kritik gestoßen und als Beispiel für eine kollektive Bestrafung und Verletzung der Bewegungsfreiheit angeführt worden (TM 26.7.2019). Allerdings entschied das Verfassungsgericht Ende Jänner 2022, dass die massenhafte Annullierung der Pässe von Staatsbediensteten nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 rechtswidrig war. Das Gericht stellte fest, dass einige Regelungen des Notstandsdekrets Nr. 7086 vom 6.2.2018 verfassungswidrig sind, unter anderem mit der Begründung, wonach die Vorschriften, die vorsehen, dass die Pässe der aus dem öffentlichen Dienst Entlassenen eingezogen werden, die Reisefreiheit des Einzelnen über das Maß hinaus einschränken, welches die Situation des Notstandes erfordern würde. Überdies wurde dem Verfassungsgericht nach das durch die Verfassung garantierte Recht der Unschuldsvermutung verletzt (Duvar 29.1.2022).Nach dem Ende des zweijährigen Ausnahmezustands widerrief das Innenministerium am 25.7.2018 die Annullierung von 155.350 Pässen, die in erster Linie Ehepartnern sowie Verwandten von Personen entzogen worden waren, die angeblich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung standen (HDN 25.7.2018; vergleiche USDOS 13.3.2019, TM 25.7.2018). Trotz der Rücknahme der Annullierung konnten etliche Personen keine gültigen Pässe erlangen. Die Behörden blieben eine diesbezügliche Erklärung schuldig. Am 1.3.2019 hoben die Behörden die Passsperre von weiteren 51.171 Personen auf (TM 1.3.2019; vergleiche USDOS 30.3.2021, S. 45), gefolgt von weiteren 28.075 im Juni 2020 (TM 22.6.2020; vergleiche USDOS 30.3.2021, S. 45). Das türkische Verfassungsgericht hat Ende Juli 2019 eine umstrittene Verordnung aufgehoben, die nach dem Putschversuch eingeführt worden war, und mit der die türkischen Behörden auch die Pässe von Ehepartnern von Verdächtigen für ungültig erklären konnten, auch wenn keinerlei Anschuldigungen oder Beweise für eine Straftat vorlagen. Die Praxis war auf breite Kritik gestoßen und als Beispiel für eine kollektive Bestrafung und Verletzung der Bewegungsfreiheit angeführt worden (TM 26.7.2019). Allerdings entschied das Verfassungsgericht Ende Jänner 2022, dass die massenhafte Annullierung der Pässe von Staatsbediensteten nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 rechtswidrig war. Das Gericht stellte fest, dass einige Regelungen des Notstandsdekrets Nr. 7086 vom 6.2.2018 verfassungswidrig sind, unter anderem mit der Begründung, wonach die Vorschriften, die vorsehen, dass die Pässe der aus dem öffentlichen Dienst Entlassenen eingezogen werden, die Reisefreiheit des Einzelnen über das Maß hinaus einschränken, welches die Situation des Notstandes erfordern würde. Überdies wurde dem Verfassungsgericht nach das durch die Verfassung garantierte Recht der Unschuldsvermutung verletzt (Duvar 29.1.2022).
Bei der Einreise in die Türkei besteht allgemeine Personenkontrolle. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. Bei Einreise wird überprüft, ob ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder Ermittlungs- bzw. Strafverfahren anhängig sind. An Grenzübergängen können Handy, Tablet, Laptop usw. von Reisenden ausgelesen werden, um insbesondere regierungskritische Beiträge, Kommentare auf Facebook, WhatsApp, Instagram etc. festzustellen, die wiederum in Maßnahmen wie z. B. Vernehmung, Festnahme, Strafanzeige usw. münden können. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier. Türkische Staatsangehörige dürfen nur mit einem gültigen Pass das Land verlassen. Die illegale Ein- und Ausreise ist strafbar (AA 28.7.2022, S. 23, 26).
Die Behörden sind befugt, die Bewegungsfreiheit Einzelner innerhalb der Türkei einzuschränken. Die Provinz-Gouverneure können zum Beispiel Personen, die verdächtigt werden, die öffentliche Ordnung behindern oder stören zu wollen, den Zutritt oder das Verlassen bestimmter Orte in ihren Provinzen für eine Dauer von bis zu 15 Tagen verbieten (ÖB 30.11.2021, S. 6; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 49).Die Behörden sind befugt, die Bewegungsfreiheit Einzelner innerhalb der Türkei einzuschränken. Die Provinz-Gouverneure können zum Beispiel Personen, die verdächtigt werden, die öffentliche Ordnung behindern oder stören zu wollen, den Zutritt oder das Verlassen bestimmter Orte in ihren Provinzen für eine Dauer von bis zu 15 Tagen verbieten (ÖB 30.11.2021, S. 6; vergleiche USDOS 12.4.2022, S. 49).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022pdf, Zugriff am 29.8.2022
•Duvar (29.1.2022): Turkey’s top court rules passport cancellation for sacked civil servants uncon- stitutional, https://www.duvarenglish.com/turkeys-top-court-rules-passport-cancellation-for-sacke d-civil-servants-unconstitutional-news-60256 , Zugriff 8.2.2022
•FR - Frankfurter Rundschau (11.6.2022): Gefangen in der Türkei: Mehr als 100 Deutsche dürfen nicht ausreisen, https://www.fr.de/politik/gefangen-erdogan-tuerkei-viele-deutsche-duerfen-nicht -zurueck-deutschland-pkk-91604026.html , Zugriff 11.8.2022
•HDN - Hürriyet Daily News (25.7.2018): Turkish Interior Ministry reinstates 155,350 passports, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-interior-ministry-reinstates-155-350-passports-135000 , Zugriff 16.10.2019
•MFA-NL - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (18.3.2021): General Country of Origin Information Report Turkey, https://www.government.nl/binaries/government/documenten/r eports/2021/03/18/general-country-of-origin-information-report-turkey/vertaling-aab-turkije.pdf, Zugriff 16.11.2021
•ÖB - Österreichische Botschaft-Ankara [Österreich] (30.11.2021): Asylländerbericht Türkei, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2067409/TUER_%C3%96B-Bericht_2021-11.pdf, Zugriff 8.2.2022
•TM - Turkish Minute (22.6.2020): Turkey removes passport restrictions for 28,000 more citizens, https://www.turkishminute.com/2020/06/22/turkey-removes-passport-restrictions-for-28000-mor e-citizens/, Zugriff 11.12.2020
•TM-Turkish Minute (26.7.2019): Top court cancels regulation used to revoke passports of suspects’ spouses, https://www.turkishminute.com/2019/07/26/top-court-cancels-regulation-used-to-revok e-passports-of-suspects-spouses/, Zugriff 16.10.2019
•TM - Turkish Minute (1.3.2019): Turkey lifts restrictions on more than 50,000 passports, https: //www.turkishminute.com/2019/03/01/turkey-lifts-restrictions-on-more-than-50000-passports/, Zugriff 16.10.2019
•TM - Turkish Minute (25.7.2018): Turkey removes restrictions from 155,350 passports, https: //www.turkishminute.com/2018/07/25/turkey-removes-restrictions-from-155350-passports/ , Zugriff 16.10.2019
•USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/03/313615_TURKEY-2 021-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 4.5.2022
•USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Turkey, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2021/03/TURKEY-2020-HUM AN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.4.2021
•USDOS - United States Department of State [USA] (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018-Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html , Zugriff 16.10.2019
Flüchtlinge
Letzte Änderung: 22.09.2022
Nach Angaben des stellvertretenden Innenministers ismail Qatakli vom 8.5.2022 beherbergte die Türkei mehr als vier Mio. (4,083.693) Asylsuchende (HDN 9.5.2022). Waren 2021 offiziell 3,737 Mio. syrische Staatsbürger als temporäre Flüchtlinge registriert, ging bis zum August 2022 die Zahl auf 3,653 Mio zurück. Nurmehr rund 48.400 von ihnen lebten in sieben Flüchtlingslagern (PMM 18.8.2022a). Für Flüchtlinge und Migranten gibt es eine Residenzpflicht zur
Verteilung auf die 81 türkischen Provinzen (AA 28.7.2022, S. 19). Die übrigen rund 320.000 Asylsuchenden und Flüchtlinge stammen vor allem aus dem Irak, Iran, Afghanistan und Somalia (EC 19.10.2020, S. 17). 2021 suchten laut amtlichen Angaben rund 29.250 (2020: 31.300) Personen um internationalen Schutz an. Hiervon waren alleinig 21.900 aus Afghanistan, nebst hauptsächlich Irakern (5.000) und circa 1.000 Iranern (PMM 2021). Allerdings schätzen manche Experten, dass die Zahl der irregulären Einwanderer afghanischer Herkunft angesichts der jüngsten Flüchtlingsströme mehr als 500.000 betragen könnte (AM 23.7.2021). Die türkischen Behörden registrierten im Jahr 2021 163.000 illegale Einreisen. Mit Stand Mitte August 2022 waren es rund 176.900, davon waren rund 78.100 Afghanen (PMM 18.8.2022b).
Registrierung und Versorgung
In der Türkei gibt es derzeit 62 „Satellitenstädte", in denen sich Asylwerber und anerkannte bedingte Flüchtlinge aufhalten müssen (ECRE 28.5.2021, S.79; vgl. EC 6.10.2020, S.50). Ende Februar 2022 hat die Türkei die Registrierung für temporäre (Syrer) und international Schutzbe- düftige in 16 Provinzen eingeschränkt. Die Provinzen Ankara, Antalya, Aydin, Bursa, Qanakkale, Düzce, Edirne, Hatay, Istanbul, Izmir, Kirklareli, Kocaeli, Mugla, Sakarya, Tekirdag und Yalova werden für diese geschlossen. Vize-Innenminister, Ismail Qatakli, gab darüber hinaus bekannt, dass bei einem Ausländeranteil (unabhängig vom Status) von mehr als 25 % in einem Stadtviertel dieses für weitere Ausländer geschlossen wird. Neue Anträge auf Aufenthaltsgenehmigung werden nicht angenommen (DS 24.2.2022; vgl. AM 23.2.2022, MEE 22.2.2022). Diese Regelung betrifft alle Gruppen von Ausländern in 800 Stadtvierteln in 52 Provinzen (MEE 22.2.2022). Nach Angaben des stellvertretenden Ministers werden Flüchtlinge aus überfüllten Gebieten in andere Orte transferiert. Die Menschen haben etwa zwei Monate Zeit, um ihre Adresse zu ändern und während dieses Prozesses mit NGOs zusammenzuarbeiten. Der vorübergehende Schutzstatus derjenigen, die ihre neue Adresse nach zwei Monaten nicht mitgeteilt haben, wird aufgehoben, was dazu führt, dass diese Personen keine Dienstleistungen von Schulen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen in Anspruch nehmen können. Bislang sollen bereits 4.500 Syrer aus dem Stadtteil Altindag in Ankara an andere Orte verbracht worden sein (DS 24.2.2022; vgl. AM 23.2.2022, MEE 22.2.2022).In der Türkei gibt es derzeit 62 „Satellitenstädte", in denen sich Asylwerber und anerkannte bedingte Flüchtlinge aufhalten müssen (ECRE 28.5.2021, S.79; vergleiche EC 6.10.2020, S.50). Ende Februar 2022 hat die Türkei die Registrierung für temporäre (Syrer) und international Schutzbe- düftige in 16 Provinzen eingeschränkt. Die Provinzen Ankara, Antalya, Aydin, Bursa, Qanakkale, Düzce, Edirne, Hatay, Istanbul, Izmir, Kirklareli, Kocaeli, Mugla, Sakarya, Tekirdag und Yalova werden für diese geschlossen. Vize-Innenminister, Ismail Qatakli, gab darüber hinaus bekannt, dass bei einem Ausländeranteil (unabhängig vom Status) von mehr als 25 % in einem Stadtviertel dieses für weitere Ausländer geschlossen wird. Neue Anträge auf Aufenthaltsgenehmigung werden nicht angenommen (DS 24.2.2022; vergleiche AM 23.2.2022, MEE 22.2.2022). Diese Regelung betrifft alle Gruppen von Ausländern in 800 Stadtvierteln in 52 Provinzen (MEE 22.2.2022). Nach Angaben des stellvertretenden Ministers werden Flüchtlinge aus überfüllten Gebieten in andere Orte transferiert. Die Menschen haben etwa zwei Monate Zeit, um ihre Adresse zu ändern und während dieses Prozesses mit NGOs zusammenzuarbeiten. Der vorübergehende Schutzstatus derjenigen, die ihre neue Adresse nach zwei Monaten nicht mitgeteilt haben, wird aufgehoben, was dazu führt, dass diese Personen keine Dienstleistungen von Schulen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen in Anspruch nehmen können. Bislang sollen bereits 4.500 Syrer aus dem Stadtteil Altindag in Ankara an andere Orte verbracht worden sein (DS 24.2.2022; vergleiche AM 23.2.2022, MEE 22.2.2022).
Registrierte Flüchtlinge erhalten in der Türkei Ausweispapiere und kostenlosen Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung in staatlichen Krankenhäusern. Rechtlich steht ihnen auf Antrag auch der Zugang zum Arbeitsmarkt auf Antrag offen. Der ganz überwiegende Teil der Flüchtlinge und Migranten besitzt weiterhin keine Arbeitserlaubnis und findet nur im informellen Sektor Beschäftigung (AA 28.7.2022, S. 20). Circa eine Million syrische Flüchtlinge sind beschäftigt, 95 % davon informell. Nicht mehr als 100.000 hatten Ende 2019 eine Arbeitserlaubnis (EC 19.10.2021, S. 93). Viele Flüchtlinge und Asylwerber werden in der Schattenwirtschaft ausgebeutet (EC 6.10.2020, S. 91). Die Konkurrenz zwischen wirtschaftlich schwachen Gruppen der einheimischen Bevölkerung und den Neuankömmlingen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt führt teilweise zu sozialen Spannungen (AA 28.7.2022, S. 20). Kinderarbeit und frühe Zwangsverheiratung bleiben ebenfalls ein großes Problem unter den Flüchtlingen (USDOS 12.4.2022, S. 54). Von den Syrern und Syrerinnen, beispielsweise, hat die Hälfte nie eine Schule besucht oder kann nicht lesen und schreiben. Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen leben mehr als 70 % der syrischen Flüchtlinge in Armut (AT 3.1.2022). Das Europäische Parlament „fordert[e] die Regierung der Türkei auf, den Zugang syrischer Flüchtlinge zum Arbeitsmarkt zu verbessern und Maßnahmen zu ergreifen, damit das Risiko der Staatenlosigkeit für eine Generation syrischer Kinder, die in der Türkei geboren sind, nicht eintritt" (EP 7.6.2022, S. 22, Pt. 36). Laut UNHCR und World Food Programme (WFP) erreichten in der ersten Hälfte des Jahres 2022 die Partnerorganisationen fast zwei Millionen Begünstigte durch Bargeld, Nahrungsmittelhilfe usw. Mehr als 1,9 Millionen Begünstigte wurden durch monatliche Bargeldhilfe im Rahmen des landesweiten sozialen Sicherheitsnetzes für Notfälle (ESSN) und des ergänzenden ESSN (C- ESSN) unterstützt. Im zweiten Quartal 2022 stieg die Zahl der Personen, denen durch einmalige monatliche Bargeldzahlungen geholfen wurde, im Vergleich zum ersten Quartal des Jahres um fast 65 % und erreichte 45.619. Im zweiten Quartal 2022 stieg die Zahl der Empfänger von Nahrungsmittelhilfe um fast 35 % auf 59.013. Die hohen inflationären Wirtschaftstrends haben auch den Zugang zu Unterkünften für viele Betroffene beeinträchtigt, was auf den sich beschleunigenden Anstieg der Mieten zurückzuführen ist (UNHCR/WFP 29.7.2022).
Zur Lage der Kinder und minderjährigen Flüchtlinge siehe Unterkapitel: Flüchtlingskinder und minderjährige Flüchtlinge.
Einstellung und Verhalten der türkischen Bevölkerung und Politik gegenüber den Flüchtlingen
Seitdem die COVID-19-Pandemie die seit 2018 andauernden wirtschaftlichen Turbulenzen stark erhöht hat, verstärkt sich gleichermaßen die flüchtlingsfeindliche Stimmung in der türkischen Gesellschaft (AM 28.7.2021). Sowohl die Regierungspartei AKP als auch die Oppositionsparteien instrumentalisieren Geflüchtete im Zuge der bevorstehenden Wahlen und versprechen der türkischen Bevölkerung, die Menschen zurück in ihre Heimatländer zu schicken. Laut einem aktuellen Bericht des UNHCR wollen 80 % der Türken eine Rückführung der Flüchtlinge. 30% befürworten gar eine gewaltsame Abschiebung. Den Preis dieser Politik zahlen hauptsächlich die Geflüchteten selbst. Gewalt und Anfeindungen nehmen kontinuierlich zu (FNS 28.6.2022). Flüchtlinge werden für viele der sozialen und wirtschaftlichen Missstände in der Türkei verantwortlich gemacht. Eine Zunahme der Hassreden war infolge der im Sommer 2021 einsetzenden Ankunft neuer afghanischer Flüchtlinge zu verzeichnen (TM 27.7.2021). Gewaltübergriffe auf Flüchtlinge führten vereinzelt auch zu Todesfällen (Conversation 2.11.2020; vgl. iHD 22.9.2020), wie z. B. im Falle dreier syrischer Arbeiter in Izmir im Novermber 2021, die lebendig verbrannt wurden (Duvar 22.12.2021; vgl. NZZ 24.12.2021). Im August 2021 plünderte ein Mob in Ankara die Geschäfte von Syrern und zündete Autos an. Syrische Familien verbarrikadierten sich im Stadtviertel Altindag voller Angst in ihren Wohnungen. Auslöser der Gewalt war der Tod eines 18-jährigen Türken bei einer Messerstecherei mit Syrern (TS 13.8.2021). Erst die schwer bewaffnete Bereitschaftspolizei, die mit ihren gepanzerten Fahrzeugen eingriff, beendete die Pogromstimmung und den Vandalismus. 76 Personen wurden festgenommen (FAZ 12.8.2021; vgl. SCF 12.8.2021). Vor allem syrische Flüchtlinge werden aufgrund ihrer negativen Darstellung in den Massenmedien und der flüchtlingsfeindlichen Rhetorik von Politikern Opfer vonSeitdem die COVID-19-Pandemie die seit 2018 andauernden wirtschaftlichen Turbulenzen stark erhöht hat, verstärkt sich gleichermaßen die flüchtlingsfeindliche Stimmung in der türkischen Gesellschaft (AM 28.7.2021). Sowohl die Regierungspartei AKP als auch die Oppositionsparteien instrumentalisieren Geflüchtete im Zuge der bevorstehenden Wahlen und versprechen der türkischen Bevölkerung, die Menschen zurück in ihre Heimatländer zu schicken. Laut einem aktuellen Bericht des UNHCR wollen 80 % der Türken eine Rückführung der Flüchtlinge. 30% befürworten gar eine gewaltsame Abschiebung. Den Preis dieser Politik zahlen hauptsächlich die Geflüchteten selbst. Gewalt und Anfeindungen nehmen kontinuierlich zu (FNS 28.6.2022). Flüchtlinge werden für viele der sozialen und wirtschaftlichen Missstände in der Türkei verantwortlich gemacht. Eine Zunahme der Hassreden war infolge der im Sommer 2021 einsetzenden Ankunft neuer afghanischer Flüchtlinge zu verzeichnen (TM 27.7.2021). Gewaltübergriffe auf Flüchtlinge führten vereinzelt auch zu Todesfällen (Conversation 2.11.2020; vergleiche iHD 22.9.2020), wie z. B. im Falle dreier syrischer Arbeiter in Izmir im Novermber 2021, die lebendig verbrannt wurden (Duvar 22.12.2021; vergleiche NZZ 24.12.2021). Im August 2021 plünderte ein Mob in Ankara die Geschäfte von Syrern und zündete Autos an. Syrische Familien verbarrikadierten sich im Stadtviertel Altindag voller Angst in ihren Wohnungen. Auslöser der Gewalt war der Tod eines 18-jährigen Türken bei einer Messerstecherei mit Syrern (TS 13.8.2021). Erst die schwer bewaffnete Bereitschaftspolizei, die mit ihren gepanzerten Fahrzeugen eingriff, beendete die Pogromstimmung und den Vandalismus. 76 Personen wurden festgenommen (FAZ 12.8.2021; vergleiche SCF 12.8.2021). Vor allem syrische Flüchtlinge werden aufgrund ihrer negativen Darstellung in den Massenmedien und der flüchtlingsfeindlichen Rhetorik von Politikern Opfer von
Hassverbrechen (Ahval 13.10.2020; vgl. Conversation 2.11.2020). Im Juli 2022 vermerkte die UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, ihre Ursachen und Folgen, dass syrische Frauen, die unter vorübergehendem Schutz stehen, sowie Flüchtlinge, Migrantinnen und andere Frauen und Mädchen ohne Papiere oder ohne regulären Migrationsstatus besonders von geschlechtsspezifischer Gewalt bedroht sind (OHCHR 27.7.2022, S. 5).Hassverbrechen (Ahval 13.10.2020; vergleiche Conversation 2.11.2020). Im Juli 2022 vermerkte die UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, ihre Ursachen und Folgen, dass syrische Frauen, die unter vorübergehendem Schutz stehen, sowie Flüchtlinge, Migrantinnen und andere Frauen und Mädchen ohne Papiere oder ohne regulären Migrationsstatus besonders von geschlechtsspezifischer Gewalt bedroht sind (OHCHR 27.7.2022, S. 5).
Die Debatte über die Zukunft der Flüchtlinge hat sich weiter aufgeheizt, seit der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, Kemal Kiligdaroglu, im Juli 2021 erklärte, dass seine Republikanische Volkspartei (CHP), wenn sie an der Macht wäre, die syrischen Flüchtlinge in zwei Jahren zurückschicken würde (AM 28.7.2021; vgl. TM 19.7.2021). Dem entgegnete wiederum Präsident Erdogan Mitte März 2022, wonach keine Flüchtlinge, die in der Türkei Schutz suchen, in ihre Heimatländer zurückschicken werden (HDN 15.3.2022). Allerdings zeigen sich die in der Türkei lebenden Syrer besorgt wegen des Vorschlags von Präsident Erdogan, etwa eine Million von ihnen in die nördliche Region Idlib umzusiedeln (AJ 20.7.2022), auch wenn hier seitens der türkischen Führung von freiwilliger Rückkehr die Rede ist (siehe unten unter: Rückführungen, Abschiebungen, Pushbacks und Gewaltanwendung durch die Behörden).Die Debatte über die Zukunft der Flüchtlinge hat sich weiter aufgeheizt, seit der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, Kemal Kiligdaroglu, im Juli 2021 erklärte, dass seine Republikanische Volkspartei (CHP), wenn sie an der Macht wäre, die syrischen Flüchtlinge in zwei Jahren zurückschicken würde (AM 28.7.2021; vergleiche TM 19.7.2021). Dem entgegnete wiederum Präsident Erdogan Mitte März 2022, wonach keine Flüchtlinge, die in der Türkei Schutz suchen, in ihre Heimatländer zurückschicken werden (HDN 15.3.2022). Allerdings zeigen sich die in der Türkei lebenden Syrer besorgt wegen des Vorschlags von Präsident Erdogan, etwa eine Million von ihnen in die nördliche Region Idlib umzusiedeln (AJ 20.7.2022), auch wenn hier seitens der türkischen Führung von freiwilliger Rückkehr die Rede ist (siehe unten unter: Rückführungen, Abschiebungen, Pushbacks und Gewaltanwendung durch die Behörden).
Varianten des Flüchtlingsstatus
Das türkische Asylsystem unterscheidet vier Kategorien von Flüchtlingen: Die erste basiert auf der Definition der Genfer Flüchtlingskonvention (mit einer geografischen Einschränkung), die zweite auf dem bedingten Flüchtlingsstatus, die dritte auf dem subsidiären Schutz und die vierte auf dem temporären (auch: „vorübergehend" genannten) Schutz (ACCORD 8.2020). Es bestehen mehrere gesetzliche Bestimmungen, die den Flüchtlingsstatus regeln. Das 2013 verabschiedete Gesetz für Ausländer und internationalen Schutz definiert zunächst drei Kategorien von Flüchtlingen: Jene Flüchtlinge, die unter die Genfer Konvention von 1951 fallen. Hierzu zählen ausschließlich Staatsbürger von Staaten, die Mitglieder des Europarates sind. Ihnen steht nebst den Rechten auf der Basis der Genfer Konvention auch die Aussicht auf eine dauerhafte legale Integration in der Türkei zu. Außereuropäischen Flüchtlingen kann der Status eines sog. „bedingten Flüchtlings" gewährt werden. Ihnen wird eine kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung zuteil (ECRE 3.2018). Allerdings ist der Wohnort nicht frei wählbar, ein Familiennachzug nicht möglich und eine dauerhafte Integration nicht vorgesehen (ECRE 28.5.2021, S. 125). Personen, die keine Voraussetzungen für einen der beiden Status mit sich bringen, denen aber bei einer Rückkehr im Herkunftsland die Todesstrafe oder Folter drohen würde, oder die aufgrund von Kriegssituationen oder internen bewaffneten Konflikten einem „individuellen Risiko willkürlicher Gewalt" ausgesetzt sind, können den subsidiären Schutzstatus erhalten. Der türkische Rechtsstatus des subsidiären Schutzes spiegelt die Definition des subsidiären Schutzes in der EU-Richtlinie wider. Zwar ist eine langfristige Integration ausgeschlossen, doch haben subsidiär Schutzberechtigte ein Recht auf Familiennachzug. Flüchtlingen mit einem bedingten Status und Personen mit subsidiärem Schutzstatus werden keine Konventionsreiseausweise ausgestellt, sondern es kann ihnen eine andere Art von Reisedokument ausgestellt werden, versehen mit einem Stempel „alleinig für Ausländer". Die Entscheidung liegt im Ermessen der PMM, folglich besteht kein Rechtsanspruch (ECRE 28.5.2021, S. 20, 125, 133).
Am 22.10.2014 wurde eine gesonderte Flüchtlingskategorie, nämlich jene der „temporär Schutzbedürftigen" für Flüchtlinge aus Syrien eingeführt. Der Status gewährt den Begünstigten ein legales Aufenthaltsrecht sowie einen gewissen Zugang zu grundlegenden Rechten und Dienstleistungen. Der temporäre Schutzstatus wird syrischen Staatsangehörigen und staatenlosen Palästinensern, die aus Syrien stammen, auf prima facie Gruppenbasis gewährt. Der Status wird auf Ausländer angewendet, die gezwungen waren, ihr Land zu verlassen; nicht in das Land zurückkehren können, das sie verlassen haben; massenhaft oder einzeln an der türkischen Grenze angekommen sind oder diese überschritten haben; und deren internationales Schutzbedürfnis nicht im Rahmen eines individuellen Verfahrens entschieden wird. Diejenigen, die über ein Drittland kommen, sind jedoch vom temporären Schutzstatus ausgeschlossen. In der Praxis ist es ihnen nicht erlaubt, einen Antrag zu stellen, und sie erhalten nur ein kurzfristiges Visum und anschließend eine kurzfristige Aufenthaltserlaubnis. Dies gilt auch für syrische Staatsangehörige, die möglicherweise über ein anderes Land einreisen, selbst wenn ihre Familienangehörigen in der Türkei bereits vom temporären Schutzstatus profitieren (ECRE 28.5.2021, S. 70f). Die im April 2016 eingeführte Änderung der „Verordnung über den vorübergehenden Schutz" sieht zudem vor, dass auch syrische Staatsangehörige, welche nach dem 28.4.2011 in die Türkei eingereist und danach illegal auf die Ägäischen Inseln eingereist sind, in der Türkei wieder einen temporären Schutzstatus erhalten können (ECRE 28.5.2021, S. 142; vgl. RRT 3.2017). Die Türkei weigerte sich weiterhin, die im März 2020 unterbrochene Rückübernahme von Rückkehrern von den griechischen Inseln unter Berufung auf COVID-19-Beschränkungen wieder aufzunehmen, obwohl die Europäische Kommission sie wiederholt aufgefordert hatte, alle Bestimmungen der Erklärung EU-Türkei vollständig umzusetzen (EC 19.10.2021, S. 17). Nebst den (vier) angeführten Flüchtlingskategorien besteht noch die Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des humanitären Bleiberechts (humanitarian residence permit). Dabei handelt es sich nicht um einen Schutzstatus, sondern um eine von sechs Kategorien der Aufenthaltserlaubnis für Ausländer. Allerdings ist der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen beschränkt. Zwar ist die Gesundheitsversorgung für Menschen, denen diese Form des Bleiberechts zugesprochen wird, gratis, aber nicht die Kosten für Medikamente. Im Unterschied zu Personen, die unter internationalen Schutz fallen, dürfen jene mit einem humanitären Bleiberecht frei ihren Wohnort wählen (CoE-CommDH 10.8.2016). 2019 begann die Migrationsbehörde (PMM vormals DGMM) damit, Antragstellern auf der Grundlage eines neuen Rundschreibens langfristige Aufenthaltsgenehmigungen und humanitäres Bleiberecht zu erteilen. Die humanitäre Aufenthaltserlaubnis wurde hauptsächlich an Ägypter, Tschetschenen, Daghestanis und Tadschiken erteilt. Die Behörden nehmen eine Einzelfallprüfung vor, abhängig von der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Herkunftsland. Diese Gruppen werden in der Regel nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben, auch wenn eine Abschiebungsentscheidung gegen sie ergeht (ECRE 28.5.2021, S. 72).Am 22.10.2014 wurde eine gesonderte Flüchtlingskategorie, nämlich jene der „temporär Schutzbedürftigen" für Flüchtlinge aus Syrien eingeführt. Der Status gewährt den Begünstigten ein legales Aufenthaltsrecht sowie einen gewissen Zugang zu grundlegenden Rechten und Dienstleistungen. Der temporäre Schutzstatus wird syrischen Staatsangehörigen und staatenlosen Palästinensern, die aus Syrien stammen, auf prima facie Gruppenbasis gewährt. Der Status wird auf Ausländer angewendet, die gezwungen waren, ihr Land zu verlassen; nicht in das Land zurückkehren können, das sie verlassen haben; massenhaft oder einzeln an der türkischen Grenze angekommen sind oder diese überschritten haben; und deren internationales Schutzbedürfnis nicht im Rahmen eines individuellen Verfahrens entschieden wird. Diejenigen, die über ein Drittland kommen, sind jedoch vom temporären Schutzstatus ausgeschlossen. In der Praxis ist es ihnen nicht erlaubt, einen Antrag zu stellen, und sie erhalten nur ein kurzfristiges Visum und anschließend eine kurzfristige Aufenthaltserlaubnis. Dies gilt auch für syrische Staatsangehörige, die möglicherweise über ein anderes Land einreisen, selbst wenn ihre Familienangehörigen in der Türkei bereits vom temporären Schutzstatus profitieren (ECRE 28.5.2021, S. 70f). Die im April 2016 eingeführte Änderung der „Verordnung über den vorübergehenden Schutz" sieht zudem vor, dass auch syrische Staatsangehörige, welche nach dem 28.4.2011 in die Türkei eingereist und danach illegal auf die Ägäischen Inseln eingereist sind, in der Türkei wieder einen temporären Schutzstatus erhalten können (ECRE 28.5.2021, S. 142; vergleiche RRT 3.2017). Die Türkei weigerte sich weiterhin, die im März 2020 unterbrochene Rückübernahme von Rückkehrern von den griechischen Inseln unter Berufung auf COVID-19-Beschränkungen wieder aufzunehmen, obwohl die Europäische Kommission sie wiederholt aufgefordert hatte, alle Bestimmungen der Erklärung EU-Türkei vollständig umzusetzen (EC 19.10.2021, S. 17). Nebst den (vier) angeführten Flüchtlingskategorien besteht noch die Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des humanitären Bleiberechts (humanitarian residence permit). Dabei handelt es sich nicht um einen Schutzstatus, sondern um eine von sechs Kategorien der Aufenthaltserlaubnis für Ausländer. Allerdings ist der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen beschränkt. Zwar ist die Gesundheitsversorgung für Menschen, denen diese Form des Bleiberechts zugesprochen wird, gratis, aber nicht die Kosten für Medikamente. Im Unterschied zu Personen, die unter internationalen Schutz fallen, dürfen jene mit einem humanitären Bleiberecht frei ihren Wohnort wählen (CoE-CommDH 10.8.2016). 2019 begann die Migrationsbehörde (PMM vormals DGMM) damit, Antragstellern auf der Grundlage eines neuen Rundschreibens langfristige Aufenthaltsgenehmigungen und humanitäres Bleiberecht zu erteilen. Die humanitäre Aufenthaltserlaubnis wurde hauptsächlich an Ägypter, Tschetschenen, Daghestanis und Tadschiken erteilt. Die Behörden nehmen eine Einzelfallprüfung vor, abhängig von der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Herkunftsland. Diese Gruppen werden in der Regel nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben, auch wenn eine Abschiebungsentscheidung gegen sie ergeht (ECRE 28.5.2021, S. 72).
Das Verfassungsgericht entschied im Juli 2019, dass Rechtsmittel gegen Abschiebungen automatisch aufschiebende Wirkung haben sollten. Dies hat zu einer gesetzlichen Änderung der Artikel 53 (3) und 54 (1) des Gesetzes für Ausländer und internationalen Schutz im Dezember 2019 geführt. Die Behörden halten sich an das Urteil. Abschiebungen werden nun häufig durch Einsprüche gestoppt, sodass die Rechte zur Verhinderung von Refoulement gestärkt wurden. Im Dezember 2020 bekräftigte das Verfassungsgericht die aufschiebende Wirkung von Verwaltungsbeschwerden gegen Abschiebungsentscheidungen. Das Gericht sagte, dass die Beschwerde das Abschiebungsverfahren aussetzen muss, da es sonst gegen das Verbot der Misshandlung und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verstößt (ECRE 28.5.2021, S. 16, 25).
Mängel im Asylsystem
Einer der auffälligsten Mängel des türkischen Rechtsrahmens für Asyl ist nach wie vor die fehlende Verpflichtung, Asylbewerbern eine staatlich finanzierte Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Dies führt zu Obdachlosigkeit oder unzureichenden Lebensbedingungen, die ein ernsthaftes Risiko von Diskriminierung und schweren Verstößen darstellen. Derzeit zahlen fast alle internationalen Schutzsuchenden die Kosten für eine Privatunterkunft in den ihnen zugewiesenen Provinzen aus eigenen Mitteln. Der Zugang zu Wohnraum ist nach wie vor äußerst schwierig, u. a. infolge der hohen Mietpreise und Vorauszahlungsforderungen der Eigentümer. Die Mietpreise sind sehr hoch, was dazu führt, dass zwei oder drei Familien an einem Ort zusammenleben, um sich die Miete leisten zu können (ECRE 28.5.2021, S. 17, 75, 84).
Drahoslav Stefänek, Sonderbeauftragter des Generalsekretärs für Migration und Flüchtlinge des Europarates, stellte 2021 in seinem Fact-Finding-Mission-Bericht fest, dass das Fehlen einer langfristigen Perspektive für syrische Migranten in der Türkei deren Gemeinschaft nach wie vor Anlass zu großer Sorge gibt. Der temporäre Status, der syrischen Flüchtlingen gewährt wird, ist nach wie vor sehr unsicher und kurzfristig, da ausdrücklich festgelegt ist, dass die unter dem diesbezüglichen Status verbrachte Zeit nicht auf die Erfüllung der Aufenthaltsvoraussetzungen für eine langfristige Aufenthaltserlaubnis oder den Erwerb der türkischen Staatsbürgerschaft angerechnet wird (CoE 29.11.2021, S. 28, Pt. 112). Der türkische Innenminister verlautbarte im Februar 2022, dass von den 3,7 Millionen Syrern bis einschließlich 2021 193.300 die türkische Staatsbürgerschaft erhalten hatten. Hiervon waren über 84.000 Kinder. Mittlerweile wurden über 700.000 syrische Kinder in der Türkei geboren (HDN 19.2.2022; vgl. MEMO 20.2.2022). Innenminister Soylu bezeichnete den Umstand als Herausforderung, aber auch als eine große Quelle des Wohlstands (Ahval 11.7.2022).Drahoslav Stefänek, Sonderbeauftragter des Generalsekretärs für Migration und Flüchtlinge des Europarates, stellte 2021 in seinem Fact-Finding-Mission-Bericht fest, dass das Fehlen einer langfristigen Perspektive für syrische Migranten in der Türkei deren Gemeinschaft nach wie vor Anlass zu großer Sorge gibt. Der temporäre Status, der syrischen Flüchtlingen gewährt wird, ist nach wie vor sehr unsicher und kurzfristig, da ausdrücklich festgelegt ist, dass die unter dem diesbezüglichen Status verbrachte Zeit nicht auf die Erfüllung der Aufenthaltsvoraussetzungen für eine langfristige Aufenthaltserlaubnis oder den Erwerb der türkischen Staatsbürgerschaft angerechnet wird (CoE 29.11.2021, S. 28, Pt. 112). Der türkische Innenminister verlautbarte im Februar 2022, dass von den 3,7 Millionen Syrern bis einschließlich 2021 193.300 die türkische Staatsbürgerschaft erhalten hatten. Hiervon waren über 84.000 Kinder. Mittlerweile wurden über 700.000 syrische Kinder in der Türkei geboren (HDN 19.2.2022; vergleiche MEMO 20.2.2022). Innenminister Soylu bezeichnete den Umstand als Herausforderung, aber auch als eine große Quelle des Wohlstands (Ahval 11.7.2022).
Wenn festgestellt wird (Art. 73 des Gesetzes für Ausländer und internationalen Schutz), dass ein Asylwerber aus einem Land kommt, in dem er zuvor als Flüchtling anerkannt war und dort immer noch die Möglichkeit hat, diesen Schutz zu genießen, einschließlich des Rechts auf Non- Refoulement, wird sein Antrag als unzulässig bewertet und das Verfahren zur Rückführung in den ersten Zufluchtsstaat eingeleitet. Wenn festgestellt wird (Art. 74), dass der Antragsteller aus einem sicheren Drittstaat kommt, in dem er möglicherweise einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der dem Schutz nach dem Abkommen [Genfer Konvention] entspricht, oder in dem er die Möglichkeit hat, solch einen Antrag zu stellen, wird der Antrag als unzulässig bewertet und die Verfahren zur Rückführung in den sicheren Drittstaat eingeleitet (ZAR 5.2013). Wenn Asylsuchende unrechtmäßig aus der Türkei ausgereist sind, kann grundsätzlich die Möglichkeit einer Rückkehr in die Türkei dadurch ausgeschlossen sein. In diesem Fall werden diese Personen durch die türkischen Behörden mit einem fünfjährigen Einreiseverbot belegt und ihr Asylantrag gilt als zurückgezogen (UNHCR 13.3.2018). Menschenrechtsorganisationen, Anwälte und Medien berichteten über einzelne Fälle von Verwaltungshaft und Abschiebung, die Bedenken hinsichtlich des Zugangs zu Asyl aufkommen ließen (EC 6.10.2020, S. 18). Antragsteller auf internationalen Schutz in der Türkei haben prinzipiell das Recht, während des laufenden Entscheidungsverfahrens auf türkischem Territorium zu bleiben. Allerdings ist im Oktober 2016 mit einer Notverordnung (konsolidiert durch das Gesetz Nr. 7070 vom 1.2.2018) eine Ausnahme dazu eingeführt worden, die verfügt, dass Abschiebungsentscheidungen unter gewissen Umständen auch während des laufenden Verfahrens jederzeit ausgestellt werden könnten. Dies kann aus Gründen der Führung, Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Organisation oder gewinnorientierten kriminellen Gruppe, der Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder öffentlichen Gesundheit oder wegen Beziehungen zu durch internationale Organisationen oder Institutionen definierten terroristischen Organisationen erfolgen (ECRE 28.5.2021, S. 30f). Nach der Abänderung des Gesetzes über Ausländer und vorübergehenden Schutz, die 2016 per Notverordnung bewirkt wurde, nahmen Fälle von Aussetzung der Verfahren zum vorübergehenden Schutz sowie Abschiebungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Terrorismus zu (EC 6.10.2020, S. 18). Menschenrechtsorganisationen und Rechtsanwälte berichteten über Probleme beim Zugang zur Registrierung in mehreren Provinzen. Die Hürden bei der Registrierung verstärken die Gefährdung der Antragsteller, da sie das Risiko der Inhaftierung und Abschiebung erhöhen (EC 19.10.2021,S. 17).Wenn festgestellt wird (Artikel 73, des Gesetzes für Ausländer und internationalen Schutz), dass ein Asylwerber aus einem Land kommt, in dem er zuvor als Flüchtling anerkannt war und dort immer noch die Möglichkeit hat, diesen Schutz zu genießen, einschließlich des Rechts auf Non- Refoulement, wird sein Antrag als unzulässig bewertet und das Verfahren zur Rückführung in den ersten Zufluchtsstaat eingeleitet. Wenn festgestellt wird (Artikel 74,), dass der Antragsteller aus einem sicheren Drittstaat kommt, in dem er möglicherweise einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der dem Schutz nach dem Abkommen [Genfer Konvention] entspricht, oder in dem er die Möglichkeit hat, solch einen Antrag zu stellen, wird der Antrag als unzulässig bewertet und die Verfahren zur Rückführung in den sicheren Drittstaat eingeleitet (ZAR 5.2013). Wenn Asylsuchende unrechtmäßig aus der Türkei ausgereist sind, kann grundsätzlich die Möglichkeit einer Rückkehr in die Türkei dadurch ausgeschlossen sein. In diesem Fall werden diese Personen durch die türkischen Behörden mit einem fünfjährigen Einreiseverbot belegt und ihr Asylantrag gilt als zurückgezogen (UNHCR 13.3.2018). Menschenrechtsorganisationen, Anwälte und Medien berichteten über einzelne Fälle von Verwaltungshaft und Abschiebung, die Bedenken hinsichtlich des Zugangs zu Asyl aufkommen ließen (EC 6.10.2020, S. 18). Antragsteller auf internationalen Schutz in der Türkei haben prinzipiell das Recht, während des laufenden Entscheidungsverfahrens auf türkischem Territorium zu bleiben. Allerdings ist im Oktober 2016 mit einer Notverordnung (konsolidiert durch das Gesetz Nr. 7070 vom 1.2.2018) eine Ausnahme dazu eingeführt worden, die verfügt, dass Abschiebungsentscheidungen unter gewissen Umständen auch während des laufenden Verfahrens jederzeit ausgestellt werden könnten. Dies kann aus Gründen der Führung, Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Organisation oder gewinnorientierten kriminellen Gruppe, der Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder öffentlichen Gesundheit oder wegen Beziehungen zu durch internationale Organisationen oder Institutionen definierten terroristischen Organisationen erfolgen (ECRE 28.5.2021, S. 30f). Nach der Abänderung des Gesetzes über Ausländer und vorübergehenden Schutz, die 2016 per Notverordnung bewirkt wurde, nahmen Fälle von Aussetzung der Verfahren zum vorübergehenden Schutz sowie Abschiebungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Terrorismus zu (EC 6.10.2020, S. 18). Menschenrechtsorganisationen und Rechtsanwälte berichteten über Probleme beim Zugang zur Registrierung in mehreren Provinzen. Die Hürden bei der Registrierung verstärken die Gefährdung der Antragsteller, da sie das Risiko der Inhaftierung und Abschiebung erhöhen (EC 19.10.2021,S. 17).
Rückführungen, Abschiebungen, Pushbacks und Gewaltanwendung durch die Behörden
Sava§ Ünlü, der Leiter der türkischen Direktion für Migrationsmanagement, erklärte Ende März 2022, dass dank der türkischen Bemühungen 500.000 Syrer freiwillig in ihr Land zurückgekehrt seien (DS 27.3.2022; vgl. HDN 9.5.2022). In den letzten Monaten hat die Türkei laut Behördenangaben damit begonnen, syrische Familien, die nach Syrien zurückkehren möchten, mit Transport, Unterkunft und Lebensmitteln zu unterstützen. Die Rückkehr bezieht sich auf jene drei von der türkischen Armee und verbündeten lokalen syrischen Streitkräfte eroberten, kontrollierten Territorien. In den drei Gebieten sollen insgesamt 51.860 Häuser gebaut worden sein, von denen 44.853 bereits von Familien bezogen wurden. Bauarbeiten an weiteren 63.167 neuen Häusern sollen in den kommenden Monaten abgeschlossen werden. Rund 350.000 Kinder wurden laut offiziellen Angaben in 1.429 Schulen eingeschrieben (HDN 26.4.2022). Anfang Mai 2022 sprachen Innenminister und Präsident bereits von 250.000 Wohneinheiten in 13 Regionen Syriens, inklusive Azaz, Jarablus and Tal Abyad (HDN 6.5.2022).Sava§ Ünlü, der Leiter der türkischen Direktion für Migrationsmanagement, erklärte Ende März 2022, dass dank der türkischen Bemühungen 500.000 Syrer freiwillig in ihr Land zurückgekehrt seien (DS 27.3.2022; vergleiche HDN 9.5.2022). In den letzten Monaten hat die Türkei laut Behördenangaben damit begonnen, syrische Familien, die nach Syrien zurückkehren möchten, mit Transport, Unterkunft und Lebensmitteln zu unterstützen. Die Rückkehr bezieht sich auf jene drei von der türkischen Armee und verbündeten lokalen syrischen Streitkräfte eroberten, kontrollierten Territorien. In den drei Gebieten sollen insgesamt 51.860 Häuser gebaut worden sein, von denen 44.853 bereits von Familien bezogen wurden. Bauarbeiten an weiteren 63.167 neuen Häusern sollen in den kommenden Monaten abgeschlossen werden. Rund 350.000 Kinder wurden laut offiziellen Angaben in 1.429 Schulen eingeschrieben (HDN 26.4.2022). Anfang Mai 2022 sprachen Innenminister und Präsident bereits von 250.000 Wohneinheiten in 13 Regionen Syriens, inklusive Azaz, Jarablus and Tal Abyad (HDN 6.5.2022).
Festnahmen von Flüchtlingen, die „internationalen Schutz" beantragen, ergehen regelmäßig ohne schriftliche Begründung. Ein Rechtsschutz ist nicht vorgesehen. In einigen Fällen sollen Flüchtlinge im Anschluss an solche Festnahmen abgeschoben worden sein (AA 3.6.2021, S. 18f.). Seit 2018 wird gegen die türkischen Behörden der Vorwurf erhoben, ein breites Spektrum an willkürlichen Praktiken gegen Flüchtlinge anzuwenden, selbst wenn diese über eine offizielle Registrierung verfügen. Die Flüchtlinge wurden bzw. werden in Abschiebelager an die türkisch-syrische Grenze verbracht und später gewaltsam in syrische Gebiete abgeschoben, wo ihnen mitunter, seitens mit der Türkei verbundenen bewaffneten Gruppen, die Inhaftierung und Misshandlung droht. Die syrische NGO „Syrians for Truth and Justice" nennt die Zahl vonZwangsrückführungen nach Syrien in den Jahren 2019 bis 2021, unter Berufung auf die offiziellen Zahlen der beiden Grenzübergänge zu Syrien: Bab al-Hawa und Bab al-Salamah (SfTJ 14.2.2022, S. 2-6). Wiederholt gab es zahlreiche Vorwürfe von Syrern, die gewaltsam nach Syrien zurückgeführt wurden, sowie von Migranten anderer Nationalitäten in Abschiebezentren, die vermeintlich gezwungen wurden, Formulare zur freiwilligen Rückkehr zu unterschreiben (EC 6.10.2020, S. 50; vgl. SfTJ 14.2.2022, S. 3). Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 21.6.2022 bestätigte die Existenz dieser Vorgehensweise. - Der EGMR entschied, dass die Türkei einen syrischen Flüchtling unrechtmäßig zurückgeschickt hat, nachdem diese gezwungen wurde, ein Dokument zu unterschreiben, in dem stand, dass er freiwillig zurückkehren würde. Das Straßburger Gericht verurteilte die Türkei zur Zahlung von rund 12.250 Euro einschließlich Kosten und Auslagen an den Betroffenen (Reuters 21.6.2022).Festnahmen von Flüchtlingen, die „internationalen Schutz" beantragen, ergehen regelmäßig ohne schriftliche Begründung. Ein Rechtsschutz ist nicht vorgesehen. In einigen Fällen sollen Flüchtlinge im Anschluss an solche Festnahmen abgeschoben worden sein (AA 3.6.2021, S. 18f.). Seit 2018 wird gegen die türkischen Behörden der Vorwurf erhoben, ein breites Spektrum an willkürlichen Praktiken gegen Flüchtlinge anzuwenden, selbst wenn diese über eine offizielle Registrierung verfügen. Die Flüchtlinge wurden bzw. werden in Abschiebelager an die türkisch-syrische Grenze verbracht und später gewaltsam in syrische Gebiete abgeschoben, wo ihnen mitunter, seitens mit der Türkei verbundenen bewaffneten Gruppen, die Inhaftierung und Misshandlung droht. Die syrische NGO „Syrians for Truth and Justice" nennt die Zahl vonZwangsrückführungen nach Syrien in den Jahren 2019 bis 2021, unter Berufung auf die offiziellen Zahlen der beiden Grenzübergänge zu Syrien: Bab al-Hawa und Bab al-Salamah (SfTJ 14.2.2022, S. 2-6). Wiederholt gab es zahlreiche Vorwürfe von Syrern, die gewaltsam nach Syrien zurückgeführt wurden, sowie von Migranten anderer Nationalitäten in Abschiebezentren, die vermeintlich gezwungen wurden, Formulare zur freiwilligen Rückkehr zu unterschreiben (EC 6.10.2020, S. 50; vergleiche SfTJ 14.2.2022, S. 3). Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 21.6.2022 bestätigte die Existenz dieser Vorgehensweise. - Der EGMR entschied, dass die Türkei einen syrischen Flüchtling unrechtmäßig zurückgeschickt hat, nachdem diese gezwungen wurde, ein Dokument zu unterschreiben, in dem stand, dass er freiwillig zurückkehren würde. Das Straßburger Gericht verurteilte die Türkei zur Zahlung von rund 12.250 Euro einschließlich Kosten und Auslagen an den Betroffenen (Reuters 21.6.2022).
2019 gab es zahlreiche Augenzeugenberichte von syrischen Flüchtlingen, die festgenommen und zwangsweise, mitunter unter Gewaltanwendung, nach Syrien abgeschoben wurden (ZO 17.8.2019; vgl. DW 30.9.2019, AI 27.9.2019, WP 10.8.2019, SfTJ 6.8.2019). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), berichtete, dass 2019 innerhalb weniger Wochen über 6.200 Syrer nach Syrien deportiert wurden (SOHR 7.8.2019). Auch syrische Journalisten im türkischen Exil wurden nach Syrien abgeschoben (RSF 20.8.2019). Laut anderen Quellen sollen syrische Flüchtlinge, ungeachtet, ob sie eine Registrierungsnummer (Kimlik) besaßen oder nicht, von den türkischen Behörden zwangsweise nach Syrien deportiert worden sein (SfTJ 6.8.2019; vgl. SOHR 7.8.2019). Die türkischen Behörden verhafteten und zwangen Flüchtlinge, auch unter Gewaltanwendung, zur Unterzeichnung von Formularen, in denen diese bekunden, freiwillig nach Syrien zurückkehren zu wollen. Sodann erfolgt die zwangsweise Rückführung (EC 6.10.2020, S. 50; vgl. SfTJ 14.2.2022, S. 3, HRW 26.7.2019, AI 2.10.2019, TM 31.7.2019, DW 24.10.2019). - Augenzeugenberichte afghanischer Flüchtlinge sprechen ebenfalls von einer solchen Vorgangsweise der türkischen Asylbehörden (AI 8.2022, S. 8). - Wenn auch in geringerem Ausmaß, so berichteten auch 2020 NGOs von Deportationen syrischer Flüchtlinge aus der Türkei nach Syrien. So sollen laut dem Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) bis Anfang Oktober 2020 16.000 Syrer in die Provinz Idlib verbracht worden sein (SJAC 8.10.2020). Auch Ende Jänner 2022 berichteten mehrere Medien und die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), dass die türkischen Behörden etwa 150 syrische Flüchtlinge abgeschoben hätten, nachdem sie bei Razzien durch die Polizei in Istanbul festgenommen worden waren, darunter angeblich auch Personen mit einer offiziellen Aufenthaltsgenehmigung, z. B. Studierende an türkischen Universitäten. Laut Angaben einiger abgeschobener Flüchtlinge wurden diese vor ihrer Abschiebung von der Polizei gezwungen, türkische Dokumente zu unterschreiben, die sie nicht lesen konnten. Weitere Geflüchtete mit einem legalen Wohnsitz in der Türkei seien gezwungen worden, Formulare zur freiwilligen Rückkehr zu unterzeichnen (BAMF 14.2.2022; S. 17; vgl. AM 8.2.2022, SOHR 31.1.2022).2019 gab es zahlreiche Augenzeugenberichte von syrischen Flüchtlingen, die festgenommen und zwangsweise, mitunter unter Gewaltanwendung, nach Syrien abgeschoben wurden (ZO 17.8.2019; vergleiche DW 30.9.2019, AI 27.9.2019, WP 10.8.2019, SfTJ 6.8.2019). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), berichtete, dass 2019 innerhalb weniger Wochen über 6.200 Syrer nach Syrien deportiert wurden (SOHR 7.8.2019). Auch syrische Journalisten im türkischen Exil wurden nach Syrien abgeschoben (RSF 20.8.2019). Laut anderen Quellen sollen syrische Flüchtlinge, ungeachtet, ob sie eine Registrierungsnummer (Kimlik) besaßen oder nicht, von den türkischen Behörden zwangsweise nach Syrien deportiert worden sein (SfTJ 6.8.2019; vergleiche SOHR 7.8.2019). Die türkischen Behörden verhafteten und zwangen Flüchtlinge, auch unter Gewaltanwendung, zur Unterzeichnung von Formularen, in denen diese bekunden, freiwillig nach Syrien zurückkehren zu wollen. Sodann erfolgt die zwangsweise Rückführung (EC 6.10.2020, S. 50; vergleiche SfTJ 14.2.2022, S. 3, HRW 26.7.2019, AI 2.10.2019, TM 31.7.2019, DW 24.10.2019). - Augenzeugenberichte afghanischer Flüchtlinge sprechen ebenfalls von einer solchen Vorgangsweise der türkischen Asylbehörden (AI 8.2022, S. 8). - Wenn auch in geringerem Ausmaß, so berichteten auch 2020 NGOs von Deportationen syrischer Flüchtlinge aus der Türkei nach Syrien. So sollen laut dem Syria Justice and Accountability Centre (SJAC) bis Anfang Oktober 2020 16.000 Syrer in die Provinz Idlib verbracht worden sein (SJAC 8.10.2020). Auch Ende Jänner 2022 berichteten mehrere Medien und die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), dass die türkischen Behörden etwa 150 syrische Flüchtlinge abgeschoben hätten, nachdem sie bei Razzien durch die Polizei in Istanbul festgenommen worden waren, darunter angeblich auch Personen mit einer offiziellen Aufenthaltsgenehmigung, z. B. Studierende an türkischen Universitäten. Laut Angaben einiger abgeschobener Flüchtlinge wurden diese vor ihrer Abschiebung von der Polizei gezwungen, türkische Dokumente zu unterschreiben, die sie nicht lesen konnten. Weitere Geflüchtete mit einem legalen Wohnsitz in der Türkei seien gezwungen worden, Formulare zur freiwilligen Rückkehr zu unterzeichnen (BAMF 14.2.2022; S. 17; vergleiche AM 8.2.2022, SOHR 31.1.2022).
Mehrere Flüchtlinge schilderten unabhängig voneinander, wie sie bei der versuchten Flucht bzw. bei der versuchten Rückkehr - nach vormaliger Abschiebung - in die Türkei von türkischen Soldaten beschossen wurden (Spiegel 29.3.2018; vgl. WP 10.8.2019). In einigen Fällen schlugen türkische Grenzschutzbeamte Asylwerber, die sie festnahmen, und verweigerten ihnen medizinische Hilfe (HRW 3.8.2018). Seit Kriegsbeginn in Syrien 2011 wurden bis Dezember 2020 über 460 Zivilisten durch den türkischen Grenzschutz getötet, darunter über 80 Kinder und mehr als 40 Frauen (SOHR 12.12.2020). Im Jahr 2021 hat SOHR den Tod von 35 Zivilisten, darunter eine Frau und acht Kinder, durch die türkische Jandarma (Grenzschutz) dokumentiert, als sie versuchten, türkisches Hoheitsgebiet zu überqueren (SOHR 22.12.2021).Mehrere Flüchtlinge schilderten unabhängig voneinander, wie sie bei der versuchten Flucht bzw. bei der versuchten Rückkehr - nach vormaliger Abschiebung - in die Türkei von türkischen Soldaten beschossen wurden (Spiegel 29.3.2018; vergleiche WP 10.8.2019). In einigen Fällen schlugen türkische Grenzschutzbeamte Asylwerber, die sie festnahmen, und verweigerten ihnen medizinische Hilfe (HRW 3.8.2018). Seit Kriegsbeginn in Syrien 2011 wurden bis Dezember 2020 über 460 Zivilisten durch den türkischen Grenzschutz getötet, darunter über 80 Kinder und mehr als 40 Frauen (SOHR 12.12.2020). Im Jahr 2021 hat SOHR den Tod von 35 Zivilisten, darunter eine Frau und acht Kinder, durch die türkische Jandarma (Grenzschutz) dokumentiert, als sie versuchten, türkisches Hoheitsgebiet zu überqueren (SOHR 22.12.2021).
Im März 2021 erinnerte das Europäische Parlament in einer Entschließung „alle Mitgliedstaaten daran, dass Syrien kein sicheres Land für die Rückkehr ist; [das EP] ist der Ansicht, dass jede Rückkehr im Einklang mit dem erklärten Standpunkt der EU sicher, freiwillig, in Würde und in Kenntnis der Sachlage erfolgen sollte; fordert alle EU-Mitgliedstaaten auf, von einer Verlagerung der nationalen Politik in Richtung der Aberkennung des Schutzstatus für bestimmte Kategorien von Syrern abzusehen und diesen Trend umzukehren, wenn sie eine solche Politik bereits verfolgt haben; fordert [...] die Türkei und alle Länder in der Region nachdrücklich auf, Abschiebungen von Syrern zurück nach Syrien gegen ihren Willen auszusetzen“ (EP 11.3.2021, Pt.39). Zuletzt bekräftigte Mitte September 2021 die UN-Syrien-Untersuchungskommission in ihrem 24. Bericht, dass Syrien nicht für eine sichere und würdige Rückkehr der Flüchtlinge geeignet ist (UN-HRC 14.9.2021).
Zur Lage der syrischen Flüchtlinge in der Türkei siehe auch: BFA Staatendokumentation (9.2.2021): Themenbericht der Staatendokumentation zur Türkei: Lage der syrischen Flüchtlinge in der Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2054600/TUER_THEM_Lage+der+syrisc hen+Fl%C3%BCchtlinge+in+der+T%C3%BCrkei_2021_02_09_KE.pdf
Angesichts der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und der Flüchtlingsbewegung Richtung Türkei, lehnten insbesondere der türkische Präsident und der Außenminister die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge ab. Als Folge des starken Zustroms afghanischer Flüchtlinge hat die türkische Grenzpolizei die Überwachung und Abschiebung entlang der Südgrenze des Landes verschärft (AM 30.8.2021; vgl. Standard 28.7.2021). Gegenüber ACCORD gab die Flüchtings- beratungsorganisation „Organisation Refugee Rights Turkey (RRT)“ bereits im März 2020 an, dass die meisten Afghanen, die irregulär in die Türkei einreisen, nach ihrer Festnahme abgeschoben würden (ACCORD 12.3.2020). Unter Berufung auf Augenzeugen haben die türkischen Behörden laut Human Rights Watch 2021 afghanische Asylbewerber, die aus dem Iran ins Land gekommen sind, kurzerhand in den Iran zurückgedrängt bzw. auch deportiert, fallweise unter massiver Gewaltanwendung (HRW 15.10.2021). Selbiges berichtete Amnesty International im August 2022, fußend auf Interviews mit 24 afghanischen Flüchtlingen, die 178 betroffene Familienmitglieder repräsentierten. Darüber hinaus erwähnten die Betroffenen Verletzungen und Tötungen infolge des Beschusses türkischer Sicherheitskräfte. Dokumentiert sind überdies 21 Fälle von Folter oder anderen Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte. Nach Angaben der Befragten waren Schläge an der Tagesordnung (AI 8.2022, S. 7). Bei einem einzigen Einsatz im Juli 2021 wurden mehr als 1.400 Afghanen von türkischen Grenzschützern und Militärpolizisten in den Iran zurückgedrängt (EMR 31.8.2021). Nach Regierungsangaben wurden seit der Wiederaufnahme der Charterflüge vom Flughafen Malatya nach Afghanistan im Jänner 2022 mindestens 6.805 afghanische Geflüchtete nach Afghanistan abgeschoben (BAMF 2.5.2022, S. 12f.), darunter auch ehemalige Mitarbeiter der Afghan National Security Forces, die eine Verfolgung durch die Taliban-Regierung befürchten (MEE 22.4.2022; vgl. BAMF 2.5.2022, S.13).Angesichts der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und der Flüchtlingsbewegung Richtung Türkei, lehnten insbesondere der türkische Präsident und der Außenminister die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge ab. Als Folge des starken Zustroms afghanischer Flüchtlinge hat die türkische Grenzpolizei die Überwachung und Abschiebung entlang der Südgrenze des Landes verschärft (AM 30.8.2021; vergleiche Standard 28.7.2021). Gegenüber ACCORD gab die Flüchtings- beratungsorganisation „Organisation Refugee Rights Turkey (RRT)“ bereits im März 2020 an, dass die meisten Afghanen, die irregulär in die Türkei einreisen, nach ihrer Festnahme abgeschoben würden (ACCORD 12.3.2020). Unter Berufung auf Augenzeugen haben die türkischen Behörden laut Human Rights Watch 2021 afghanische Asylbewerber, die aus dem Iran ins Land gekommen sind, kurzerhand in den Iran zurückgedrängt bzw. auch deportiert, fallweise unter massiver Gewaltanwendung (HRW 15.10.2021). Selbiges berichtete Amnesty International im August 2022, fußend auf Interviews mit 24 afghanischen Flüchtlingen, die 178 betroffene Familienmitglieder repräsentierten. Darüber hinaus erwähnten die Betroffenen Verletzungen und Tötungen infolge des Beschusses türkischer Sicherheitskräfte. Dokumentiert sind überdies 21 Fälle von Folter oder anderen Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte. Nach Angaben der Befragten waren Schläge an der Tagesordnung (AI 8.2022, S. 7). Bei einem einzigen Einsatz im Juli 2021 wurden mehr als 1.400 Afghanen von türkischen Grenzschützern und Militärpolizisten in den Iran zurückgedrängt (EMR 31.8.2021). Nach Regierungsangaben wurden seit der Wiederaufnahme der Charterflüge vom Flughafen Malatya nach Afghanistan im Jänner 2022 mindestens 6.805 afghanische Geflüchtete nach Afghanistan abgeschoben (BAMF 2.5.2022, S. 12f.), darunter auch ehemalige Mitarbeiter der Afghan National Security Forces, die eine Verfolgung durch die Taliban-Regierung befürchten (MEE 22.4.2022; vergleiche BAMF 2.5.2022, S.13).
Die türkischen Behörden haben im September 2021 die Ausstellung des Ausweises für vorübergehenden Schutz (Kimlik) für Geflüchtete aus der Grenzregion zu Syrien, die notwendige medizinische Behandlungen benötigen, ausgesetzt. Der Ausweis ermöglichte syrischen Geflüchteten bisher, neben anderen staatlichen Leistungen auch kostenlose medizinische Behandlungen in staatlichen Krankenhäusern in Anspruch zu nehmen. Die Kosten für medizinische Behandlungen müssen nun von Geflüchteten selbst getragen werden. In einem Rundschreiben vom 11.9.2021 erklärte das Koordinationsbüro für Gesundheitswesen in Bab al-Hawa, am Grenzübergang zwischen Idlib und Hatay, dass medizinische Überweisungen an staatliche türkische Krankenhäuser bis zur Einführung eines neuen Gesundheitssystems für syrische Patienten ausgesetzt worden seien. Der Ausweis für vorübergehenden Schutz wurde durch ein „Dokument für Medizintourismus“ ersetzt, dass die Innehabenden dazu verpflichtet, nach Ablauf der einmonatigen Gültigkeitsdauer nach Syrien zurückzukehren (BAMF 27.9.2021, S. 13; vgl. AM 29.9.2021). Der Leiter des medizinischen Koordinationsbüros am türkischen Grenzübergang Bab al-Hawa, erklärte, dass das neue medizinische Dokument nicht von allen türkischen Krankenhäusern in allen Provinzen anerkannt wird. Seit Anfang 2021 waren mehr als 6.000 syrische Patienten zur dringenden bzw. Notbehandlung in die Türkei eingereist (AM 29.9.2021).Die türkischen Behörden haben im September 2021 die Ausstellung des Ausweises für vorübergehenden Schutz (Kimlik) für Geflüchtete aus der Grenzregion zu Syrien, die notwendige medizinische Behandlungen benötigen, ausgesetzt. Der Ausweis ermöglichte syrischen Geflüchteten bisher, neben anderen staatlichen Leistungen auch kostenlose medizinische Behandlungen in staatlichen Krankenhäusern in Anspruch zu nehmen. Die Kosten für medizinische Behandlungen müssen nun von Geflüchteten selbst getragen werden. In einem Rundschreiben vom 11.9.2021 erklärte das Koordinationsbüro für Gesundheitswesen in Bab al-Hawa, am Grenzübergang zwischen Idlib und Hatay, dass medizinische Überweisungen an staatliche türkische Krankenhäuser bis zur Einführung eines neuen Gesundheitssystems für syrische Patienten ausgesetzt worden seien. Der Ausweis für vorübergehenden Schutz wurde durch ein „Dokument für Medizintourismus“ ersetzt, dass die Innehabenden dazu verpflichtet, nach Ablauf der einmonatigen Gültigkeitsdauer nach Syrien zurückzukehren (BAMF 27.9.2021, S. 13; vergleiche AM 29.9.2021). Der Leiter des medizinischen Koordinationsbüros am türkischen Grenzübergang Bab al-Hawa, erklärte, dass das neue medizinische Dokument nicht von allen türkischen Krankenhäusern in allen Provinzen anerkannt wird. Seit Anfang 2021 waren mehr als 6.000 syrische Patienten zur dringenden bzw. Notbehandlung in die Türkei eingereist (AM 29.9.2021).
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie
Die Rückkehr- und Neuansiedlungsmaßnahmen im Rahmen der EU-Türkei-Erklärung wurden aufgrund der COVID-19-Pandemie ausgesetzt. Die Pandemie hatte unverhältnismäßig negative Auswirkungen auf gefährdete Gruppen, darunter Flüchtlinge und Binnenvertriebene, die ohnehin schon unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen lebten. Viele Flüchtlinge verloren ihre Arbeit in den informellen Sektoren der Wirtschaft. Andere wurden weiterhin in der Schattenwirtschaft ausgebeutet, und ihre Armut und ihr nicht registrierter Status behinderten den Zugang zu Gesundheitsversorgung, sozialer Sicherheit, Sozialleistungen und anderen Dienstleistungen. Durch die COVID-19-Pandemie ist die Arbeitslosenquote unter den Flüchtlingen seit März 2020 um 88 % gestiegen, und 63 % von ihnen sind von Ernährungsunsicherheit betroffen (EC 19.10.2021, S. 17, 39, 50). Laut einer Umfrage der türkischen NGO ASAM im April 2020 unter fast 1.200 Flüchtlingen war die größte Herausforderung der Mangel an Lebensmitteln und Hygieneartikeln. 63 % der Teilnehmer hatten Schwierigkeiten beim Zugang zu Grundnahrungsmitteln und 53 % hatten Probleme, ihre grundlegenden Hygienebedürfnisse zu erfüllen (ECRE 28.5.2021, S. 77). Behördliche Auflagen, Einschränkungen der Freizügigkeit und Vorurteile gehörten zu den Haupthindernissen bei der Suche nach einem formellen (legalen) Arbeitsplatz. Mit der COVID-19-Pandemie vergrößerten sich die Lücken beim Zugang zu qualitativ hochwertiger integrativer Bildung. Kinderschutzmechanismen und -dienste blieben begrenzt. Flüchtlingskinder und ihre Familien waren einem erhöhten Risiko ausgesetzt und standen vor besonderen
Herausforderungen beim Zugang zum nationalen Kinderschutzsystem (EC 19.10.2021, S. 17, 39, 50).
Im April 2021 veröffentlichte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) gemeinsam mit dem Türkischen Roten Halbmond (TRC) eine Studie im Rahmen des von der EU finanzierten Emergency Social Safety Net (ESSN) über die humanitäre Lage von Flüchtlingen in der Türkei, wobei bei den 4.522 befragten Haushalten sowohl jene der 1,8 Mio Bezieher der ESSN-Unterstützung als auch solche, die hierzu nicht berechtigt sind, waren (ÖB 24.6.2021). Sowohl Flüchtlingshaushalte mit ESSN-Unterstützung als auch Nicht-Empfänger-Haushalte leiden unter den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Beschränkungen und deren Auswirkungen auf den Lebensunterhalt. Die Gesamtverschuldung und die Ausgaben sind im Vergleich zurzeit vor der COVID-19-Pandemie gestiegen. Dies hat die Fähigkeit der Flüchtlingshaushalte, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, ernsthaft beeinträchtigt, sodass sie zunehmend auf Bewältigungsstrategien im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln, Krediten und Ersparnissen angewiesen sind. So berichten 14 % der Haushalte, dass sie überhaupt nicht in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, und weitere 59 %, dass sie nur selten das Nötigste bekommen können. 15 % berichten von ernsthaften medizinischen Problemen, die ihre Fähigkeit, tägliche Aktivitäten durchzuführen, beeinträchtigen. Psychologische Symptome werden in 32 % der Haushalte berichtet. 20 % können sich medizinische Ausgaben nicht leisten. Die Verschuldung der Haushalte stieg um 50 %, verglichen mit der Periode vor Ausbruch der COVID-19-Krise. 75 % der Haushalte sind mit durchschnittlich (Medianwert) 2.600 TL (ESSN-Empfänger) und 3.000 TL (Nicht-ESSN-Empfänger) verschuldet. (IFRC/TRC 18.6.2021, S. 4f, 26f.).
Die türkische Regierung stellt keine separaten Statistiken über die Anzahl der Flüchtlinge zur Verfügung, die sich mit COVID-19 infiziert haben, aber die meisten syrischen Flüchtlinge leben in dicht besiedelten städtischen Gebieten mit hohen Infektionsraten. Die Pandemie hat ihr Leben in mehrfacher Hinsicht beeinträchtigt. Nebst überfüllten Wohnquartieren bestehen schlechte sanitäre Bedingungen, Ernährungsunsicherheit und unzureichender Zugang zu Gesundheitsdiensten. Dieses Bild wird noch verschärft durch einen dramatischen Rückgang des Zugangs zu Arbeit. Laut einer Umfrage haben 69 % der Flüchtlinge vom Verlust ihres Arbeitsplatzes berichtet (Brookings 11.6.2020). So beschäftigt, arbeiten die meisten von ihnen im Dienstleistungssektor, insbesondere in der Textilbranche und Fertigungsindustrie, wo auch während der Epidemie weitergearbeitet wird. 10 % der Syrer sind nicht registriert, sodass sie vom Gesundheitssystem im Falle einer Erkrankung keine kostenlose Behandlung erhalten, wie es der Status des temporären Schutzes ermöglicht. Von Vorteil ist zumindest die Altersstruktur, da die meisten Syrer jung sind (HDN 19.6.2020). Auch dürften mehrere Tausend Afghanen, etwa aus Furcht vor Festnahme und Deportation (darauf weisen Interviews mit Betroffenen hin), nicht registriert sein, sodass sie keinen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie der medizinischen Versorgung haben (VOA 17.1.2022). Registrierte Flüchtlinge hingegen (Syrer und Nicht-Syrer) sind auch in die staatliche Covid-19-Impfkampagne einbezogen (AA 28.7.2022, S. 20).
Quellen:
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2078231/Deutschland_Ausw%C3%A4rtiges_Amt_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2022%29_28.07.2022.pdf, Zugriff am 29.8.2022
•AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (3.6.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: April 2021), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2053305/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_LageJn_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_April_2021%29%2C_03.06.2 021.pdf, Zugriff am 4.3.2022
•ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zur Türkei (12.3.2020): Zahl der Abschiebungen nach Afghanistan, Verfahren in der Türkei; Häufigkeit und Ziel von Abschiebeflügen; Monitoringprogramme zu Abschiebungen [a-11209], https://www.ecoi.net/de/dokument/2035653.html , Zugriff 4.3.2022
•ACCORD -Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (8.2020): Turkey COI Compilation 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2035329/ACCORD+Turkey+COI +Compilation+2020.pdf, Zugriff 4.3.2022
•Ahval (11.7.2022):Over 700,000 Syrians born in Turkey since 2011 - interior minister, https://ah valnews.com/syrian-refugees/over-700000-syrians-born-turkey-2011-interior-minister, Zugriff 12.8.2022
•Ahval (13.10.2020): Why hate crimes against Syrian refugees rise in Turkey, https://ahvalnews.co m/hate-crimes/why-hate-crimes-against-syrian-refugees-rise-turkey, Zugriff 4.3.2022
•AI - Amnesty International (8.2022): „They don't treat us like humans": Unlawful returns of Afghans from Turkey and Iran [ASA11/5897/2022], https://www.ecoi.net/en/file/local/2078134/ASA115897 2022ENGLISH.pdf, Zugriff 5.9.2022
•AI - Amnesty International (2.10.2019): Urgent action: Rechtswidrige Abschiebungen stoppen!, https://www.amnesty.at/%C3%Bcber-amnesty/aktivist-innen/netzwerk-flucht-migration/news-eve nts/urgent-action-rechtswidrige-abschiebungen-stoppen/, Zugriff 4.3.2022
•AI -Amnesty International (27.9.2019): Rechtswidrige Abschiebungen nach Syrien stoppen! UA-Nr: UA-128/2019 [EUR 44/1117/2019], https://www.amnesty.de/sites/default/files/2019-09/128_2019 _DE_T%C3%Bcrkei.pdf, Zugriff 4.3.2022
•AJ - Al Jazeera (20.7.2022): Fear among Syrian refugees over Turkey ‘voluntary return' plan, https://www.aljazeera.com/news/2022/7/20/fear-among-syrian-refugees-over-turkey-voluntary-ret urn-plan , Zugriff 12.8.2022
•AM - Al Monitor (23.2.2022): Turkey's quota plan for refugees alarms rights activists, https://www. al-monitor.com/originals/2022/02/turkeys-quota-plan-refugees-alarms-rights-activists , Zugriff
3.3.2022
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